Gemeinderat, 69. Sitzung vom 01.07.2015, Wörtliches Protokoll - Seite 18 von 94
jetzt gescheiter ist. Mit Ja zu stimmen, heißt im besten Fall, neue Verhandlungen aufzunehmen und weiterzuwurschteln wie bisher, ohne Perspektive hinsichtlich eines Wohlstands in Griechenland in absehbarer Zeit. Immerhin weiß man diesfalls aber ungefähr, was dann kommt. Wenn die Griechen hingegen mit Nein stimmen, dann ist das sozusagen ein Sprung ins kalte Wasser, und zwar in ein unbekanntes, tiefes Wasser, und wir wissen dann erst recht nicht, was dabei herauskommt.
Aber selbst Joe Stiglitz, immerhin Nobelpreisträger, plädiert heute im „Standard“ dafür, mit Nein zu stimmen. Er würde als Grieche mit Nein stimmen. Und das ist nicht irgendeine Meinung, sondern das ist Joe Stiglitz‘ Meinung, den ich sehr schätze. Und Martin Wolf lässt heute in der „Financial Times“ zumindest offen, was gescheiter ist, weiterzuwurschteln wie bisher oder in dieses tiefe, unbekannte, dunkle Wasser zu springen. – Wir wissen das nicht. (GR Mag Dietbert Kowarik: Und was meint Van der Bellen?)
Ich meine, dass es jedenfalls, wie immer die Abstimmung ausgeht, unsere Verpflichtung als Rest der Union ist, Griechenland bestmöglich dabei zu unterstützen, wieder auf die Beine zu kommen, und zwar unabhängig davon, dass wir alle durch das Verhalten der Tsipras-Regierung, und so weiter irritiert sind. Ich erspare mir das jetzt. Seit der Geschmacklosigkeit von Minister Varoufakis, mitten in der Krise für „Paris Match“ mit seiner Frau in seiner Penthouse-Wohnung sozusagen zu … (GR Heinz Hufnagl: Zu posieren!) Na, vergessen wir das!
Ich meine, 5 Jahre schleichender Zusammenbruch sind genug, meine Damen und Herren! 25 Prozent Arbeitslosigkeit sind einfach genug! Wir müssen den Griechen eine Perspektive bieten, damit sie wieder Vertrauen in das europäische Projekt schöpfen können. Sonst könnte, wie ich befürchte, das eintreten, was ich vorhin mit dieser Parallele zu den Jahren 1933/34 angedeutet habe und dass wir es noch bedauern werden, das Vereinte Europa aus kleinlichen beziehungsweise kleinkrämerischen nationalen Rücksichten aufgegeben zu haben. Das würden – ich hoffe, „würden“ passt und es heißt dann nicht „werden“! – wir noch bedauern. – Danke schön. (Beifall bei GRÜNEN und SPÖ.)
Vorsitzender GR Godwin Schuster: Bevor ich die weiteren Wortmeldungen aufrufe, möchte ich die jungen Besucherinnen und Besucher auf der Galerie herzlichst begrüßen. Mir ist gesagt worden, dass das Jugendliche aus der Neuen Mittelschule für Wirtschaft und Technik aus Wiener Neustadt sind. Herzlich willkommen und danke für das Interesse! (Allgemeiner Beifall.)
Für die weiteren Wortmeldungen bringe ich Erinnerung, dass sich die Damen und Herren des Gemeinderates nur ein Mal zu Wort melden dürfen und ihre Redezeit mit fünf Minuten begrenzt ist.
Als nächste Rednerin hat sich Frau GRin Mag Feldmann gemeldet, und ich erteile ihr das Wort.
GRin Mag Barbara Feldmann (ÖVP-Klub der Bundeshauptstadt Wien): Vielen Dank. – Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren!
Ja. Ich bin eine Europäerin, und ich glaube, dass das Projekt Europäische Union gut und sinnvoll ist. Aber ich bin derzeit sehr kritisch. Ich glaube, um eine Weiterentwicklung zu schaffen, darf und muss man auch kritisch sein. Die Ereignisse der letzten Tage geben uns ja auch Gelegenheit, dass man über die EU nachdenkt, über deren Konstruktion und auch über die europäische Vision. Wir stehen vor der unmittelbaren Herausforderung der – wie ich hoffe! – Überwindung der Finanz- und Staatsschuldenkrise in Europa. Und es gibt Sätze, die mir tatsächlich sehr zu denken geben, wenn etwa eine deutsche Bundeskanzlerin sagt, scheitert der Euro, scheitert Europa. – Darauf erwidere ich, es kann nur die Europäische Union scheitern, denn ich hoffe, dass Europa nachher dennoch zumindest geographisch da bleiben wird! (Beifall bei ÖVP und FPÖ sowie von GR Dr Wolfgang Aigner.)
Ich halte von solchen Sätzen nichts! Allerdings muss ich in diesem Zusammenhang Mogherini nennen, die vor einem Griechenland-Austritt aus der Eurozone warnt. – Ich glaube, es geht jetzt nicht darum, dass dann der gesamt Euro kippt oder dass Europa oder die Europäische Union scheitern wird, aber es ist dies ein Zeichen.
Ich habe mich sehr über dieses Thema gefreut, denn es gibt Gelegenheit zur Reflexion, und ich habe mir auf Grund dieses Zeichens einiges überlegt. – Wie ich schon beim Budget gesagt habe, haben wir ja erst einen Teilschritt bei der Konstruktion der Europäischen Union geschafft. Wir haben die Europäische Verfassung noch nicht zusammengebracht. Ich möchte, dass wir uns das alle in Erinnerung rufen. Diese ist gescheitert, wie ich letztens ausführlich ausgeführt habe, und ich glaube, dass es notwendig ist, jetzt an dieser Konstruktion neu zu arbeiten.
Wir müssen uns nämlich eingestehen: Das Ganze hat schon etwas gebracht! In einer globalisierten Welt, in der alles immer näher zusammenrückt und die Blöcke tatsächlich Druck im wirtschaftlichen Bereich und im geographischen Bereich ausüben, ist es sehr gut, sich zu einigen, und diese Gemeinschaft bringt auch Frieden, Stabilität und Wirtschaftswachstum. Aber die Konstruktion war eine Anfangskonstruktion, die dringend verändert werden muss.
Ich habe mir zur Vision Folgendes überlegt: Was ist meine Vision, wenn ich mir von einer Europäischen Union etwas wünschen kann? – Ich wünsche mir einmal, dass sie handlungsfähig ist. Das ist der erste Punkt. – Und das sehe ich derzeit nicht. In vielen Punkten, in denen eine Zweidrittelmehrheit notwendig ist wie zum Beispiel bei der Asylfrage, in der Außenpolitik oder in der Sicherheitspolitik ist Einstimmigkeit – wie wir alle in diesem Raum ganz genau wissen – einfach nicht erzielbar, denn dann gibt es wieder eine Abstimmung da und eine Abstimmung dort beziehungsweise politische Interessen auf Grund lokaler Wahlen, et cetera. Also: Einstimmigkeit wird nicht mehr möglich sein, wenn man handlungsfähig sein will!
Zweitens wünsche ich mir eine selbstbewusste EU. Und selbstbewusst heißt, dass wir selber entscheiden, wer wir sind, was wir können, was Europa kann, was die Stärken Europas im Gegensatz zu allen anderen Wirtschaftsblöcken und Strömungen sind, und dass wir auf
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