Gemeinderat, 61. Sitzung vom 19.12.2014, Wörtliches Protokoll - Seite 102 von 147
an die Substanz gehen, wenn dieses Abkommen abgeschlossen wird.
Zum Kollegen Ellensohn: Ich versuche jetzt wirklich - hier wird es keine Diskussion werden, aber trotzdem -, Ihnen einen Standpunkt zu erklären. Vielleicht sind Sie zumindest willens anzuhören, dass es unterschiedliche Standpunkte geben kann. Es ist ein ernstes Thema, es ist ein wichtiges Thema, und man kann auch darüber diskutieren. Aber man sollte das sachlich und nicht nur von einer Seite her behandeln.
Wir stehen diesem Denkmal, das ja nicht nur ein Deserteursdenkmal ist, wie wir gehört haben, sondern auch ein Denkmal für die Verurteilten der sogenannten NS-Militärjustiz sein soll, deswegen skeptisch gegenüber, weil hier nicht zwischen positiven und negativen Motiven der Betroffenen, der Verurteilten unterschieden wird. Ich will versuchen, die Überlegungen zu erläutern.
Desertion ist in allen Heeren der Welt ein Verbrechen, in den meisten Heeren auch heute im Kriegsfall noch mit der Todesstrafe bedroht. Das hat einen ganz eindeutigen, klaren Grund: Wenn die Strafe für das Vergehen nicht in einem gewissen Verhältnis steht, dann wird das unproportional, und dann kann man vorziehen zu desertieren, während ein anderer sterben muss. Das ist jetzt noch unabhängig vom Regime oder sonst was, ich rede von dem System in allen Staaten in der Welt.
Die Desertion - zweiter Punkt - ist auch in Österreich noch strafbar. Im § 9 MilStG steht im Abs 1: „Wer sich auf die im § 8 angeführte Weise dem Dienst im Bundesheer für immer oder dem Dienst im Einsatz“, und so weiter, „zu entziehen sucht, ist mit Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren zu bestrafen.“
Jetzt sage ich Ihnen noch etwas, was Sie vielleicht nicht wissen: Als ich eingerückt bin, wurde Desertion in Österreich noch mit dem Tode bestraft im Kriegsfall. Das ist erst 1968 abgeschafft worden. Das ist also keine außergewöhnliche Erscheinung. Das war ganz normal und ist in den meisten Heeren der Welt, wie gesagt, noch immer der Fall.
Noch ein dritter Punkt: zur internationalen Beurteilung. Das geht so weit, dass sogar noch nach der Kapitulation der Wehrmacht durch die Regierung Dönitz Todesurteile vollstreckt wurden mit Zustimmung der Alliierten, mit Zustimmung der Engländer, die die Munition und die Gewehre zur Verfügung gestellt haben, und Erschießungen stattgefunden haben, weil Desertion als so schwerwiegendes Vergehen (GR Mag Rüdiger Maresch: Die Sache mit dem Dönitz ...) für die Moral der Truppe angesehen wurde. Das ist die Situation zu diesem Zeitpunkt.
Nun zur persönlichen Motivation der Leute: Eine Desertion kann aus sehr richtigen Motiven erfolgen. Der Deserteur kann seinem Gewissen folgend ehrenhaft, ja sogar ein Held sein, Herr Kollege Ellensohn! Das Gleiche gilt übrigens auch für die Problematik des Hochverrats, siehe den Putsch unter Stauffenberg. (Zwischenrufe bei den GRÜNEN.)
Maßgeblich ist aber für die immer erst im Nachhinein mögliche Bewertung - es ist schwierig, oder es kann im Vorhinein nicht bewertet werden -, es ist das Motiv maßgeblich: War es ein Widerstandsakt mit politischem Hintergrund gegen ein illegitimes oder für den Betreffenden erkennbar verbrecherisches System? Oder geschah diese Tat nur aus Feigheit und zum persönlichen Vorteil? Das sind sehr große Unterschiede, die zu bewerten sind.
Zusätzlich gibt es immer wieder abweichende Bewertungen durch die unmittelbar Betroffenen. Jemand, dem ein Deserteur, vielleicht sogar mit guten Motiven, feindliche Truppen in den Rücken der eigenen führt und der dadurch Kameraden verliert oder selbst schwerwiegende Nachteile erleidet, wird diese Desertion anders sehen als ein Wissenschaftler am Schreibtisch nach 60 Jahren.
Jetzt noch ein Satz zu den Urteilen der Kriegsgerichte, und das sollte, glaube ich, besonders ernst genommen werden. Der überwiegende Teil der Urteile - und das waren bei Weitem nicht nur Todesurteile - erfolgte wegen krimineller Vergehen, Herr Kollege Ellensohn: neben kleineren Vergehen wie unerlaubter Abwesenheit unter anderem auch wegen Plünderung oder Vergewaltigung. Die deutsche Wehrmacht hat im Gegensatz zur Roten Armee Vergewaltigung mit der Todesstrafe (GR Mag Rüdiger Maresch: Geh!) bestraft.
Ja, Herr Kollege, Sie können es nachlesen! (Zwischenruf von GR Mag Rüdiger Maresch.) Herr Kollege, auch wenn es nicht in Ihr Weltbild passt: Die deutschen Wehrmachtsgerichte haben eine ganze Reihe von Todesurteilen (GR Mag Rüdiger Maresch: Das sind Nazi-Lügen!) deswegen gefällt, im Gegensatz zur Roten Armee, wo der unbekannte Plünderer heute noch da draußen steht. (Zwischenrufe bei den GRÜNEN.) Herr Kollege, das ist der Fall, das können Sie nachlesen.
Ich werde Ihnen sogar ein Beispiel für so eine Verurteilung bringen, Herr Kollege, hören Sie noch einen Moment zu. Ich kann auch ein Beispiel für so eine Verurteilung durch ein Militärgericht bringen. Sie gedenken hier unreflektiert der Opfer der Militärjustiz und schließen diese ein. Ich gebe Ihnen ein besonders krasses Beispiel: den KZ-Kommandanten Koch. Anklagen gegen ihn lauteten vor diesem Wehrmachtsgericht: Korruption, Mord und Körperverletzung mit tödlichem Ausgang, Hehlerei, Betrug, Unterschlagung und Anstiftung. Er wurde zweifach zum Tod verurteilt, und er wurde hingerichtet durch ein Wehrmachts-, durch ein Heeresgericht. Wollen Sie das: Wollen Sie den Mann ehren?
Wir wollen das nicht. Deswegen sagen wir Ihnen: Ehre, wem Ehre gebührt - aber nicht ohne hinzuschauen und kollektiv! (Beifall bei der FPÖ.)
Vorsitzender GR Dipl-Ing Martin Margulies: Als Nächster zum Wort gemeldet ist GR Ellensohn. Es bleiben noch 17 Minuten. (GR Mag Rüdiger Maresch: Das sind Lügen! Das sind Nazi-Lügen, die Sie verbreiten!)
GR David Ellensohn (Grüner Klub im Rathaus): Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren!
Ich habe ja versucht, in drei, vier Minuten meiner Freude Ausdruck zu verleihen und nicht - wir hatten hier schon viele Diskussionen dazu - den Tag noch absichtlich zu verlängern, und zwar wissend, was für Wortmeldungen dazu kommen.
Wer sich für den Themenbereich die Mühe macht und sich auf einschlägigen rechtsradikalen Seiten im Internet bewegen möchte in Deutschland - das ist keine schöne
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