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Gemeinderat, 61. Sitzung vom 19.12.2014, Wörtliches Protokoll  -  Seite 86 von 147

 

ihm das Wort.

 

18.00.53

GR Senol Akkilic (Grüner Klub im Rathaus)|: Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Sehr geehrte Berichterstatterin! Meine Damen und Herren!

 

Zum Ernst der Sache: Wir sind immer aufgerufen, uns neu zu entdecken. Wir sind immer aufgerufen, die neuesten Entwicklungen in der Gesellschaft genau zu beobachten, um darauf zu reagieren. Selbstverständlich hat es Gesetze gegeben. Der Kampf um die Menschenrechte ist nicht nur auf das Bürgerliche Gesetzbuch zurückzuführen. Er geht bis in die Antike zurück, bis zur Einführung des ersten Wahlrechts. Ich möchte aber nicht so weit gehen. Vor 66 Jahren, nach dem Zweiten Weltkrieg, sind die Vereinten Nationen, die UNO, zusammengekommen und haben gesagt, wir brauchen eine Menschenrechtskonvention. Wozu brauchen wir diese Menschrechtskonvention? Weil das nationale Recht der jeweiligen Länder nicht unbedingt das gewährleistet, was alle Menschen in dieser Welt brauchen. Es sollte eine verbindliche Grundlage für die Unterzeichnerstaaten hergestellt werden, damit ein gemeinsamer Nenner zur Einhaltung der Menschenrechte hergestellt werden kann.

 

Aber im Laufe der Zeit haben sich sowohl der Begriff der Menschenrechte als auch deren Deutung ständig geändert. Im Laufe der Zeit sind sehr viele supranationale Einrichtungen entstanden, haben regionale Zusammenschlüsse stattgefunden. Die Europäische Union ist entstanden. Wir haben eine Welthandelsorganisation. Wir haben immer mehr eine starke Verknüpfung der Konzerne, die den Markt, somit aber auch die jeweiligen nationalstaatlichen sozialpolitischen Standards und demokratiepolitischen Standards, beeinflussen. Sobald es einem Land schlecht geht, ist der erste Schritt, den es macht, dass man bei Demokratie oder bei den Grundrechten Abstriche in Kauf nimmt, bei sozialen Rechten Abstriche macht oder Menschen ins Gefängnis steckt. Einfaches Beispiel: Russland. - Herr Gudenus, Sie müssten das besser als ich einschätzen können, weil Sie des Öfteren dort sind. In Russland passiert derzeit eine Entwicklung, wo Menschenrechte ständig mit Füßen getreten werden.

 

In anderen Weltteilen gibt es Entwicklungen, wo Menschen auf Grund ihres Geschlechtes versklavt und getötet werden. In England hat man vorgestern 2 000 Arbeitssklaven entdeckt und sozusagen befreit. In unserer unmittelbaren Nähe gibt es Arbeitssklaven und Arbeitssklavinnen, die im 21. Jahrhundert gehalten werden! (GR Mag Johann Gudenus, MAIS: In Wien gibt es auch die Bettler!)

 

Was bedeutet das für uns? Das bedeutet für uns, dass wir die Verantwortung wahrnehmen, dass wir die Verantwortung übernehmen und darauf reagieren. Wenn sich eine Kommune und europäische Hauptstadt bereit erklärt, sich für die Menschenrechte zu engagieren, damit die Menschenrechte in der Bevölkerung auf eine breite Akzeptanz stoßen, dann ist das eine sehr wichtige Aufgabe.

 

Es gab 2011 in Graz an einem Gymnasium eine Studie über Menschenrechtsbildung. Man hat dort Schüler und Schülerinnen interviewt und gefragt, welche Menschenrechte ihnen einfallen. Sie können mir glauben, dass den meisten Schülern und Schülerinnen nur zwei oder drei Menschenrechte eingefallen sind. Sie können sagen, das ist ein Defizit unseres Bildungssystems. Ich sage, Menschenrechtsbildung gehört in die Schulen hinein, Menschenrechtsbildung gehört in die Erwachsenenbildung hinein. (GR Mag Wolfgang Jung: Dazu muss man lesen und schreiben können!) Ich traue mich, zu wetten. Lassen wir einen Fragebogen durch Ihre Reihen durchgehen, wie viele Menschenrechte Sie kennen. Ich glaube, dass das Ergebnis bei Ihnen nicht so gut ausschauen wird! Ich traue mich, zu wetten.

 

Daher, glaube ich, sollten wir unser Diskussionsniveau nicht auf eine seichte Ebene begeben, sondern die Bedeutung der Menschenrechte nach wie vor hochhalten. Diese Deklaration, die wir heute beschließen, ist ein Auftrag an uns, dass Menschenrechte in Wien überall gelebt und überall getragen werden. Wir haben im 7. Bezirk einen Menschenrechtsplatz, aber wir möchten, dass die Menschenrechte an allen Ecken und in allen Straßen und in allen Gassen der Stadt gelebt werden. (GR Mag Johann Gudenus, MAIS: In den Kellern und unter allen Kanaldeckeln!)

 

Wenn wir heute Studien haben, wo 56 Prozent der erwachsenen Bevölkerung nach wie vor der Meinung sind, dass es eine gesunde Watsche gibt, dann ist das ein Auftrag an die Kommune, an Kinderrechte, somit an Menschenrechte zu denken und in diesem Sinne zu handeln.

 

Die Gesellschaft entwickelt sich nicht eindimensional. Es gibt Rückschläge. Es gibt neueste Entwicklungen. Ich rede hier nicht entlang der Linie Inländer/Ausländer oder sonst etwas. Wir müssen für die gesamte Wiener Bevölkerung die Menschenrechte herantragen und Menschrechtsbildung betreiben. (GR Mag Dietbert Kowarik: Macht es endlich! Das ist wichtig!)

 

Dieser Auftrag ist ein Ansporn für uns, diese Aufgabe noch mehr zu erfüllen. Aber ich merke, dass es hier gewisse Kräfte gibt, die vor dieser Entwicklung Angst haben. Ich möchte Ihnen diese Angst nehmen. Sie können genauso Menschenrechte erlernen. Wenn wir alle Menschenrechte können, dann werden wir respektvoller miteinander umgehen. Wir werden keine Diffamierungen von Bettlern und Bettlerinnen betreiben, wir werden nicht eine Debatte Inländer/Ausländer führen, wir werden keine Sozialschmarotzerdebatte führen, weil wir in den Mittelpunkt unserer Debatte die Bedürfnisse der Menschen stellen werden. (GR Mag Wolfgang Jung: Sie sind überhaupt nicht für Diskussion, Herr Kollege! Sie diktieren! Das ist das Problem!)

 

Ich sage noch einmal, die Nationalstaatlichkeit und das Nationalrecht decken die Bedürfnisse von heute nicht. (GR Mag Wolfgang Jung. Was? Sagen Sie das dem Herrn Bundeskanzler!) Sie wissen ganz genau, dass die österreichischen Gesetze zur Zeit zu über 60 Prozent durch die Beschlüsse der Europäischen Union beeinflusst werden. Sie wissen, dass sich die demographische Struktur der Gesellschaften und der Kommunen ständig ändert. Ein richtiger Demokrat darf nicht einfach in Kauf nehmen, dass 25 Prozent der Bevölkerung in Wien nicht wählen gehen dürfen! Das geht nicht! (Beifall bei den

 

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