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Gemeinderat, 53. Sitzung vom 23.05.2014, Wörtliches Protokoll  -  Seite 3 von 75

 

(Beginn um 9 Uhr.)

 

Vorsitzender GR Godwin Schuster: Meine sehr geschätzten Kolleginnen und Kollegen!

 

Ich eröffne die 53. Sitzung des Wiener Gemeinderates.

 

09.00.59Entschuldigt während des gesamten Tages sind GR Holzmann, GR Hursky und StRin Matiasek. Außerdem sind mir noch fünf Gemeinderätinnen und Gemeinderäte genannt worden, die nur einige Stunden weg sind.

 

09.01.20Wir kommen gleich zur Fragestunde.

 

9.01.24†Amtsf StRin Sandra Frauenberger - Frage|

Die 1. Frage (FSP - 01611-2014/0001 - KGR/GM) wurde von Herrn GR Akkilic gestellt und ist an die Frau amtsführende Stadträtin der Geschäftsgruppe Integration, Frauenfragen, KonsumentInnenschutz und Personal gerichtet. (Heuer wird das 50. Jahr des Arbeitskräfteabkommens mit der Türkei und dem ehemaligen Jugoslawien begangen. Viele MigrantInnen aus diesen Ländern haben viel zu unserem Wohlstand beigetragen. MigrantInnen aus diesen Ländern sind zu einem wesentlichen Bestandteil der Wiener Bevölkerung geworden, sodass ein Leben ohne sie in unserer Stadt unvorstellbar ist. Aus diesem Anlass sind in diesem Jahr bereits sehr viele Anerkennungsveranstaltungen in Wien geplant und durchgeführt worden. Dieses Jubiläum ermöglicht uns im Allgemeinen den Stellenwert der MigrantInnen in unserer Stadt zu unterstreichen und gibt uns die Möglichkeit, einen Einblick in die Migrationsgeschichte Wiens zu bekommen. Welche Bedeutung hat dieses Jubiläum für die Stadt Wien und was ist in diesem Zusammenhang geplant?)

 

Bitte, Frau Stadträtin.

 

Amtsf StRin Sandra Frauenberger: Einen schönen guten Morgen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Gemeinderat!

 

Ich beginne mit dem berühmt gewordenen Zitat von Max Frisch: „Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es sind Menschen gekommen.“

 

In den vergangenen 50 Jahren haben wir sehr viele berührende Erzählungen von Menschen, die vor 50 Jahren gekommen sind, gehört. Wir haben ihre Erfahrungen mit ihnen geteilt. Es wurden Gedichte geschrieben wie zum Beispiel von Alev Tekinay oder Filme gemacht, die sehr berührt haben, wie der Film „Gurbet - In der Fremde“. All diese Filme erzählen eine Geschichte, die eine sehr gemischte Geschichte ist: Auf der einen Seite eine Geschichte von Hoffnung und Mut, auf der anderen Seite auch eine Geschichte von Einsamkeit und Diskriminierung, von Heimweh, aber auch von Aufstieg, sozialem Aufstieg, Wohlstand und Chancenungleichheit, sage ich jetzt einmal ganz bewusst.

 

Wenn wir auf diese Geschichte zurückblicken, dann sehen wir, dass wir dem Anwerbeabkommen, das wir vor rund 50 Jahren geschlossen haben, eben in dieser Stadt schon eine sehr, sehr große Bedeutung zumessen müssen. Denn diese Arbeitskräfte, die wir da geholt haben, die wir gebraucht haben, haben 20 Jahre nach dem Schrecken des Zweiten Weltkriegs dazu beigetragen, Wien so, wie wir es heute kennen, ein Wien im Wohlstand, aufzubauen und auszubauen.

 

Diese sogenannten GastarbeiterInnen, die jahrelang FremdarbeiterInnen geheißen haben - also auch der Prozess von der Fremdarbeiterin, vom Fremdarbeiter zur Gastarbeiterin, zum Gastarbeiter war ja ein gesellschaftspolitisch sehr diskursiver -, haben wirklich viel geleistet. Ich möchte das an einem Beispiel veranschaulichen. Wenn wir heute durch diese Stadt gehen, ob wir über Brücken gehen oder ob wir Gebäude in den Straßen anschauen, dann sehen wir: Das ist entstanden durch die Arbeitskraft der Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter! Ohne sie wäre all das nicht möglich gewesen.

 

Sie wurden auch geholt für die Produktion in Gewerbebetrieben und natürlich auch für den stark ansteigenden Bedarf im Dienstleistungssektor, wie Reinigung und Gastronomie. Es waren sehr schlecht bezahlte und körperlich wirklich schwere Tätigkeiten. Man kann sich heute oft gar nicht mehr die Umstände vorstellen, in denen die Menschen, als sie hierher gekommen sind, tatsächlich gelebt haben.

 

Ich habe mir das heute noch einmal angeschaut. Die durchschnittlichen Gehälter von GastarbeiterInnen damals, im Jahr 1983, waren 8 500 Schilling. Ein männlicher Nichtgastarbeiter, Österreicher, hat hingegen 10 000 Schilling verdient. Also auch damals hat man diese Einkommensdifferenzen schon sehr stark gemerkt. Wenn man das heute mit der aktuellen Arbeiterkammerstudie vergleicht, dann sieht man ganz eindeutig, dass nach wie vor 86 Prozent der Migrantinnen und Migranten maximal 1 399 EUR verdienen. Damit liegen sie natürlich nach wie vor weit zurück hinter jenen, die keinen Migrationshintergrund haben. Ich sage es jetzt einmal so.

 

Wenn wir uns also diese Geschichte anschauen, dann sind wir schon mit einem sehr wesentlichen Teil der Geschichte unserer Stadt konfrontiert. Diese 50 Jahre geben uns natürlich einen guten Anlass, auf der einen Seite auf die Leistungen der Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter hinzuweisen. Aber es ist für uns als Stadt auch eine gute Gelegenheit, danke zu sagen und Anerkennung an diese Menschen zu geben, die den Mut hatten, ihre Heimat zu verlassen und auch in die Fremde aufzubrechen. Daher wird die Stadt Wien am 3. September - ich bitte Sie alle, sich diesen Termin schon einmal vorzumerken - zu einer Feier einladen, wo wir mit den Menschen gemeinsam einen Abend begehen wollen, der im Zeichen von Dank, Ehre und Anerkennung steht.

 

Es geht aber nicht nur um die geschichtliche Erinnerung in diesem Kontext, wo wir wirklich auch aufgerufen sind, diese Geschichte niederzuschreiben und diese Geschichte zu archivieren, es geht auch um die Gegenwart. Schauen wir uns einmal die Situation heute an. Ich rede nur von der ersten Generation der Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter, um auch zu verdeutlichen, dass GastarbeiterInnen gekommen und Menschen geblieben sind.

 

Es sind viele zurückgegangen, aber heute noch leben 156 000 Menschen aus Ex-Jugoslawien und 75 000 Personen mit türkischer Herkunft in Wien, die sogenannte erste Generation. Ihre Nachkommen - ihre Kinder, ihre Enkel, zum Teil auch ihre Urenkel - sind mittlerweile waschechte Wienerinnen und Wiener geworden. Im Vergleich zur ersten Generation ist dieser Generation

 

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