«  1  »

 

Gemeinderat, 24. Sitzung vom 25.06.2012, Wörtliches Protokoll  -  Seite 42 von 125

 

Gewerkschaften, GRÜNE, Sozialdemokraten und andere sehr, sehr lange gekämpft haben. Die traurige Nachricht: Die EU 27 haben sie auf lange Zeit auf Eis geschoben. Aber die gute Nachricht: Auch auf Druck von Frankreich kommt jetzt doch eine Einigung von zehn Ländern zustande – Österreich ist da selbstverständlich dabei –, eine Finanztransaktionssteuer im Ausmaß von – nicht gerade groß, das gebe ich zu, aber es ist zumindest einmal ein Anfang – 0,1 bis 0,01 Prozent auf den Großteil des Wertpapierhandels einzuführen. Und ich denke, das ist ein richtiger Schritt.

 

Richtig und begrüßenswert ist auch, dass jetzt ernsthaft in Europa – auch vor allem auf Druck Frankreichs – über einen Wachstumspakt als Gegengewicht zum Fiskalpakt und zum Europäischen Stabilitätsmechanismus diskutiert wird. Allerdings zeigt der Wachstumspakt auch sehr, sehr starke Mängel aus grüner Sicht, und ich denke, dem schließen sich meine sozialdemokratischen Freundinnen und Freunde an. Er enthält keinerlei Beschäftigungsperspektive – also Green Jobs oder Jobschaffung haben in diesem Wachstumspakt, der hauptsächlich ein Investitionspakt für große Infrastrukturbetriebe ist, keinen Platz gefunden –, und es fehlt auch die Nachhaltigkeitsperspektive im Sinne von – ich habe das eingangs schon erwähnt – nachhaltigem Wachstum. Wie definieren wir Wachstum überhaupt? Ist Wachstum ausschließlich das veraltete Modell des BIP-Wachstums oder definieren wir es endlich neu als sinnvoll nachhaltiges Wachstum, im Sinn von grünem Wachstum? Das wäre ein wichtiger Schritt.

 

Insgesamt kann ich nur wiederholen: Wir müssen endlich aus der Krise herausinvestieren, statt in Rezession und Massenarbeitslosigkeit weiter hineinzuinvestieren, und da zeigt dieser morgige bevorstehende Gipfel nicht sehr viele positive Perspektiven beziehungsweise habe ich nicht sehr viel Grund für Optimismus, denn die bisherige Politik des gescheiterten Krisenmanagements wird eigentlich nahtlos fortgesetzt mit dem, was der Gipfel weiter vor hat, was vor allem Deutschland weiter vor hat. Die Kosten der Krise sollen weiter nicht die Krisenverursacher, sondern die breite Masse der Bevölkerung tragen. Ich denke, wir können feststellen, dass die neoliberalen Kräfte mühelos diese Krise überdauert haben und weiterhin die Ursachen der Krise, also Deregulierung, Flexibilisierung, Privatisierung, als Lösung der Krise verkaufen.

 

Dass wir keine Schuldenkrise haben, das, denke ich, wissen wir aus vielen Debatten, die in den letzten Wochen und Monaten europaweit stattgefunden haben, unter anderem auch am Städtetag, wo es ein Hauptreferat zu dem Thema gegeben hat, dass wir keine Schuldenkrise haben, sondern eine Sozialkrise, eine Verteilungskrise, eine Bankenkrise und eigentlich eine tiefe Krise des Neoliberalismus, eine Systemkrise, aber sicher keine Schuldenkrise. Denn die Ursache der öffentlichen Verschuldung sind, wie wir heute auch schon einige Male gehört haben von diesem RednerInnenpult, die Bankenrettungspakete und die durch die Krise notwendig gewordenen Konjunkturrettungspakete in Europa.

 

Aber statt die Brandursachen zu bekämpfen, wird mit dem Fiskalpakt, mit sogenannten Stabilitäts- und Wachstumspakts, mit dem sogenannten Europäischen Stabilitätsmechanismus, der auch ein Destabilisierungsmechanismus ist, weiter Öl ins Feuer gegossen. Wir erleben damit eigentlich einen der größten Rückschritte in Europa seit 20 Jahren, und das ist, denke ich, sehr, sehr bitter, gerade für EuropabefürworterInnen, wie ich es bin.

 

Ja zu Europa, Nein zur EU!, habe ich früher gesagt. Jetzt sage ich: Ja zu Europa, nämlich Ja zu mehr Europa, aber Ja zu einem anderen Europa! Ja, die Wege aus der Krise müssen uns über ein Mehr an Europa führen, ein Mehr an sozialem Europa, ein Mehr an demokratischem Europa, ein Mehr an ökologischem Europa. Das bedeutet auch ein anderes Europa, und es bedeutet, für einen klaren Kurs- und Paradigmenwechsel in der Europäischen Union zu kämpfen, damit dieser neoliberale Kurs, der die Krise verursacht hat, nicht mehr weitergeführt wird.

 

Insbesondere braucht es eine europäische Demokratie, eine radikale Demokratisierung Europas, denn das, was jetzt mit dem Fiskalpakt passiert, dass er vollkommen am Europäischen Parlament vorbeigeht, das Europarecht eigentlich vollkommen außen vorlässt und ein bilateraler völkerrechtlicher Vertrag ist ohne Möglichkeiten auf europäischer Ebene, diesen mitzugestalten, ist wirklich ein Rückschritt für alle EuropapolitikerInnen. Das desavouiert eigentlich auch die Ziele, die sich Europa selber gesetzt hat, zum Beispiel mit der Europa-2020-Strategie, wo endlich einmal Armutsbekämpfung, Senkung der Zahl der SchulabbrecherInnen, Frauenbeschäftigung als klare Ziele vorgegeben wären. Diese Ziele sind jetzt durch diesen Fiskalpakt eigentlich desavouiert dadurch, dass man für die Umsetzung dieser Ziele national und auch in den Städten zum Teil überhaupt kein Geld mehr hat. Das heißt, das ist ein Kurs, den wir nicht mittragen.

 

Ich sage auch ehrlich, ich kann die Euphorie oder den Jubel, der in Europa nach der Griechenlandwahl ein bisschen ausgebrochen ist, nicht ganz teilen. Ich finde, das Wahlergebnis ist kein Grund zum Jubeln (Beifall von GR Mag Wolfgang Jung), und ich teile die Euphorie über die neue Koalition und dass damit Europa oder der Euro jetzt gerettet sei, nicht. Ich denke, es ist kein Sieg der Demokratie gewesen. Die Mehrheit der Griechen und Griechinnen hat sich gegen die Sparauflagen der EU-Troika entschieden und hat klar gesagt: Wir wollen uns nicht kaputt sparen lassen! Wir wollen einen anderen Kurs! Griechenland ist im Ausnahmezustand – Sie wissen das –, die Bevölkerung leidet unter Rezession, Massenarbeitslosigkeit, scharfen Einschnitten ins Sozialsystem, einem regelrechten Kahlschlag der öffentlichen Dienste, einem Kollaps des Gesundheitssystems.

 

Das muss man sich einmal vor Augen führen: In einem Land der Europäischen Union gehen spätestens Mitte Juli die Arzneimittel aus! Ich meine, das kann ja wirklich nicht sein! Wir Grünen haben im

 

«  1  »

Verantwortlich für diese Seite:
Stadt Wien | Geschäftsstelle Landtag, Gemeinderat, Landesregierung und Stadtsenat (Magistratsdirektion)
Kontaktformular