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Gemeinderat, 22. Sitzung vom 27.04.2012, Wörtliches Protokoll  -  Seite 84 von 90

 

sich modernisierenden Gesellschaft sind, sondern dass Arbeiter auch Menschen sind, die handelnder Faktor in der Geschichte sein können. Und es ist einer der Verdienste von Karl Marx, dass er aufgezeigt hat, dass die arbeitenden Menschen auf unserem Kontinent im 18. und 19. Jahrhundert zu einem Großteil künstlich in Unbildung, Unwissenheit und Analphabetentum gehalten wurden, und die These hervorgebracht hat, dass diese Menschen auch gesellschaftspolitisch ein handelnder und gestaltender Faktor sein können.

 

Wir müssen anerkennen, dass ganz normale Durchschnittsmenschen und auch Menschen mit geringerer Bildung, die früher als handelnde Personen keinen Eingang in die Geschichtsbücher gefunden haben, im 19. Jahrhundert, also in der Zeit, als die Massendemokratien mit dem allgemeinen Wahlrecht entstanden, ein politischer Faktor wurden. Das hat sich genau in der Zeit des Roten Wien gezeigt. Es wurde eine demokratische Mehrheit errungen, und es wurden auch für diese nicht privilegierten Menschen Kindergärten, Schulen, Bäder, Wohnungen und andere Einrichtungen geschaffen.

 

Und damit sind wir beim eigentlichen Thema des Tagesordnungspunktes: Sammlung Rotes Wien. – Es liegt ein Geschäftsstück vor, bei welchem es um die Finanzierung dieser Sammlung „Rotes Wien. Der rote Waschsalon“ geht.

 

Ich halte es für begrüßenswert, dass eigentlich von allen Fraktionen eine Einschätzung der historischen Arbeit und der historischen Leistungen in der Zwischenkriegszeit in Wien vorliegt. Ich habe schon mehrfach darauf verwiesen, dass Bezeichnung „Rotes Wien“ nicht von den Wiener Sozialdemokraten stammt. Zu der damaligen Zeit ist diese gesellschaftspolitische Periode Wiens seitens der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei immer als „Neues Wien“ bezeichnet worden. Die Bezeichnung „Rotes Wien“, „Red Vienna“, „Vienna Rosso“ ist aus dem Ausland nach Wien gekommen, übrigens auch aus Deutschland. Es war daher der SPÖ ursprünglich gar nicht so ein Anliegen, vom „Roten Wien“ zu sprechen. Dieser Begriff ist eher dann, als die Stadt dieser Zeit schon zur sozialpolitischen Legende wurde, immer häufiger geworden, und zwar sowohl international als auch im deutschsprachigen Raum.

 

Nun zum eigentlichen Antrag: Es wurde auch schon mehrfach behauptet, dass im „roten Waschsalon“ Parteipropaganda betrieben werden würde. – Schauen wir uns einmal die letzte Ausstellung an! Die letzte Ausstellung hat sich mit Hubert Gessner beschäftigt, und Hubert Gessner ist einer der Stararchitekten der 20er und 30er Jahre. Die Gessner-Brüder haben und besonders Hubert Gessner hat absolute Qualität hervorgebracht, und heute würde man eben von einem Stararchitekten sprechen. Und diese Ausstellung geht natürlich auf das Schaffen, aber auch auf die Biographie dieses Architekten ein.

 

Der Architekt Hubert Gessner hat die Vorgaben umgesetzt, welche die sozialdemokratische Stadtverwaltung den Architekten und Architektinnen gemacht hat, nämlich nach den Prinzipien Licht, Luft, Sonne zu bauen und damit einen Beitrag zu leisten, die Tuberkulose zu bekämpfen, die in Wien grassierte. Die Tuberkulose wurde übrigens auch die „Wiener Krankheit“ genannt, weil im kaiserlichen Wien und im Lueger-Wien die Tuberkulose eine Geisel der Vorstädte und insbesondere der Arbeiterquartiere war. Heute wissen wir, dass die Tuberkulose in Wirklichkeit nie medizinisch, sondern sozialpolitisch besiegt wurde, indem nämlich die feuchten, überbelegten Arbeiterwohnungen als Brutstätten der Krankheitserreger beseitigt wurden und die Krankheit in dieser Stadt somit sozialpolitisch ausgemerzt wurde.

 

Über die Hubert-Gessner-Ausstellung hat eine hochrangige deutsche Architekturzeitschrift berichtet und empfiehlt Besuchern aus Deutschland, nach Wien zu fahren und sich diese Ausstellung anzuschauen und damit natürlich Wien zu besuchen und Geld in dieser Stadt zu lassen. Das ist ja auch ein Aspekt unserer Kulturpolitik: Wir wollen mit unserer Kulturpolitik Menschen nach Wien bringen, damit sie diese Stadt in jeder Hinsicht bereichern. Und der Tourismus ist ein Wirtschaftsfaktor in dieser Stadt, zu dem wir uns bekennen.

 

Es kommen natürlich auch internationale Besucher nach Wien. Ich nenne ein paar Beispiele: Auch die CSU-nahe Hans-Seidl-Stiftung hat eine Delegation nach Wien geschickt, und die Mitglieder dieser Delegation haben sich diese Ausstellung im Karl-Marx-Hof angeschaut. Dabei hat ein Referent erklärt, dass man die Haltung, dass jedes Jahr, wenn wir in Wien hier über die Finanzierung des Waschsalons diskutieren, die Diskussion durchaus auch von einem kleinkarierten Kantönligeist bestimmt wird, dass man dem Waschsalon nichts zukommen lassen will, „museal austrocknen“ muss. Und sogar die CSUler haben gesagt, dass sie für diese Mentalität kein Verständnis haben. Sie seien zwar nicht ganz dieser politischen Meinung, aber sie schauen sich das gerne an, weil das ein Teil der Geschichte Wiens ist. – So viel zur CSU. (Beifall bei der SPÖ.)

 

Ich muss gestehen: Ich habe sicherlich noch nicht oft positiv über die CSU gesprochen, aber diesfalls sage ich, Kompliment, wem Kompliment gebührt! Die CSU ist diesbezüglich weltoffener als so manche Partei im Wiener Rathaus!

 

Die Erzdiözese Wien hat diesen „roten Waschsalon“ beziehungsweise einfach diesen Waschsalon schon mit einer Abordnung besucht, und erst gestern waren zwei Schulklassen aus der Schweiz da, die von sich aus diese Ausstellung besucht haben.

 

Insgesamt geht es hiebei um 65 000 EUR, wobei 40 000 EUR Betriebskosten und Miete sind und ein sehr großer Anteil an Wiener Wohnen geht, weil wir dort ganz ordentlich eingemietet sind. – Ich sage, wir, weil ich mich mit dieser Ausstellung als Wiener ganz einfach identifiziere.

 

Weitere Kosten werden für Versicherung, Mitarbeiter und Material aufgewendet, und 25 000 EUR gehen an eine neue Ausstellung, die heuer am 10. Oktober eröffnet werden soll. Diese hat das große österreichische literarische Talent Jura Soyfer zum Thema, der leider von den Nazis ins KZ gesteckt wurde, obwohl er zu dieser Zeit schon auf 1 000 Seiten literarisches Schaffen verweisen konnte. Er ist dann im Konzentrationslager an Typhus verstorben, was ein großer Verlust für dieses

 

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