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Gemeinderat, 35. Sitzung vom 24.06.2008, Wörtliches Protokoll  -  Seite 104 von 118

 

dass dort beispielsweise kein Netzbett in Anwendung ist, aber sogar mit deutlich weniger Personal gearbeitet wird als in Wien. Daher ist auch diese Schlussfolgerung falsch.

 

Ich meine, dass die Aussagen der Expertinnen und Experten nicht unterschiedlicher sein können. Manche glauben, darauf verzichten zu können, andere haben Argumente auch dafür gebracht, viele haben festgestellt, dass es eine Methode, aber keine Behandlungsmethode ist und es weder eine Ächtung noch eine Empfehlung, weder nationale noch internationale Empfehlungen, gibt. Herr Dr Zeyringer beispielsweise hat sogar darauf hingewiesen, dass er als Arzt das auch anwendet, weil für ihn Gurte beispielsweise das Symbol des Ausgeliefertseins sind, und, und, und.

 

Es hat, wie gesagt, hier eine Fülle von unterschiedlichen Darstellungen gegeben. Was für den einen Patienten gut ist, kann für den anderen beispielsweise schlecht sein und auch umgekehrt. Daher meine ich, dass wir diese Diskussion auch weiterhin auf fachlicher Ebene führen sollten.

 

Zum Antrag - ebenfalls der GRÜNEN - auf Eins-zu-eins-Überwachung von Patienten in der stationären Psychiatrie, die mittels freiheitsbeschränkender Maßnahmen untergebracht sind – weil die Frau Kollegin Pilz die tragischen Vorfälle, die auch von Seiten der Staatsanwaltschaft untersucht und niedergelegt wurden, angesprochen hat –, haben Experten darauf hingewiesen, dass solche bedauerlichen Fälle, die es nicht nur in Wien, sondern auch in andern Städten und Ländern immer wieder gegeben hat, leider nie zu verhindern sind. Gerade auch das sehr tragische Grazer Beispiel wäre umgekehrt sogar ein Beispiel dafür, dass das in einem Netzbett nicht hätte passieren können.

 

Wir meinen, dass hier so viele offene Fragen sind, dass es einer Novellierung des Unterbringungsgesetzes bedarf, weil eben die gesamten Rahmenbedingungen, ob und in welchem Ausmaß während dieser Beschränkung Pflegepersonal zur Seite gestellt werden soll, nicht geregelt sind, und daher hier auch die Frau Gesundheitsministerin zum Handeln aufzufordern wäre.

 

Ein ganz besonderes Anliegen ist uns – und ich glaube, in diesem Punkt sind sich ja alle Fraktionen in der Untersuchungskommission einig –, durch die öffentliche Diskussion dazu beizutragen, dass es zu einer Entstigmatisierung der Krankheit in der Bevölkerung kommt, also zu einer Gleichstellung psychisch Erkrankter mit somatisch Erkrankten, und dass Stigmabekämpfung und Prävention ganz wesentliche Ziele sind.

 

Daher können wir dem Antrag auf Einsetzung eines Psychiatriekoordinators in der Form, wie er heute hier vorliegt, nicht zustimmen. Nicht nur, dass die Begründung mangelhaft ist, wird hier auch der Eindruck erweckt, man möge die Psychiatrie als Teil der Medizin möglicherweise herauslösen und sie dieser Person eines Psychiatriekoodinators zuschreiben, was eine falsche Aufgabenstellung wäre, weil Planung und Koordination natürlich nicht durch eine Einzelperson zu regeln sind, sondern durch den regionalen Strukturplan Gesundheit, der auch ausgeschrieben ist.

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte abschließend noch einmal – obwohl wir bereits mehrfach über diese Thematik diskutiert haben – auf das Thema Befragung von Patienten und Angehörigen zu sprechen kommen, weil ich es wirklich für unerträglich halte, dass auch heute wieder die Kollegin Korosec und die Kollegin Pilz versucht haben, hier einen Anlauf zu unternehmen, betroffene kranke Menschen öffentlich vorführen zu wollen, bloßstellen zu wollen. Das ist ein Sittenbild für diese ÖVP und auch für die Grünen.

 

Lassen Sie mich einen sehr drastischen Vergleich bringen, der das besonders gut beschreibt. Vor rund 200 Jahren wurden psychisch Kranke zur Volksbelustigung auf Jahrmärkten vorgeführt. Das, was Sie heute hier vorschlagen, ist, dass Sie psychisch erkrankte Menschen öffentlich bloßstellen wollen, vorführen wollen vor dieser Untersuchungskommission. (Zwischenrufe bei den GRÜNEN, insbesondere von GRin Dr Sigrid Pilz.) Das widerspricht der Würde des Menschen, das wird es mit uns nicht geben. (Beifall bei der SPÖ.)

 

Und wir lassen die Unterstellung, dass Vorwürfe unter den Tisch fallen sollen, nicht auf uns sitzen. Sie wissen ganz genau ... (GRin Dr Sigrid Pilz: Sie wollen es nicht hören!) Frau Pilz, hören Sie zu, damit Sie wissen, was ich meine. Wir haben hier einen ganz klaren Vorschlag gemacht, um zu verhindern, dass allfällige Missstände beziehungsweise Beschwerden unter den Tisch fallen. Dieser Vorschlag gründet sich auch auf die Expertise des Verfassungsrechtlers Prof Mayer, der gesagt hat, ein öffentliches Vorführen, so wie Sie es vorhaben, kranke Menschen dieser öffentlichen Befragung auszusetzen, sei abzulehnen. Abgesehen davon, dass wir vorher noch Gutachten zustande bringen müssten, wie die jeweilige Zurechnungsfähigkeit während der Aussage beziehungsweise zum Zeitpunkt der Wahrnehmung gegeben war. (Zwischenruf von GRin Dr Sigrid Pilz.) Das wollen Sie kranken Menschen antun, doch das wird es mit uns nicht geben! (Beifall bei der SPÖ.)

 

Unser Vorschlag ist ein klarer, und wir haben uns hier eigentlich nie auf die Frage des Datenschutzes, die auch wichtig ist, reduzieren lassen. Unser Vorschlag war, dass zum Schutz der Patienten und Patientinnen und auch der Angehörigen – und Sie wissen genau, dass auch Angehörige Mitbetroffene sind (GRin Dr Sigrid Pilz: Jeder ist ein Betroffener!) auf Grund einer besonders schwierigen familiären Situation – diese sich an die Patientenanwaltschaft wenden sollen, eine weisungsfreie, unabhängige Institution – die Sie anscheinend auch öffentlich bekämpfen wollen –, sodass sichergestellt ist, dass jeder Beschwerde nachgegangen wird, dass nichts unter den Tisch fällt und damit der Patientenanwalt in anonymisierter Form auch in der Kommission über die einzelnen Beschwerden Auskunft geben kann.

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich komme zum Schluss. Die psychiatrische Versorgung im 21. Jahrhundert beruht auf dem Vertrauen der Betroffenen und ihrer Angehörigen in die moderne Psychiatrie, ein Vertrauen, das Sie mit Skandalisierung erschüttern,

 

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