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Gemeinderat, 35. Sitzung vom 24.06.2008, Wörtliches Protokoll  -  Seite 91 von 118

 

Genau das gleiche Problem haben die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter dieser Stadt. Nahezu alle klagen darüber, dass sie sich von ihrer Arbeit kaum erholen können. Und das ist nicht ihr Fehler, sondern der Fehler des gesamten Systems. Halten wir uns daher jetzt nicht damit auf, wie viel wir für welche Position ausgegeben haben, wie viel Personal die MA 15 gern zusätzlich hätte und wie viele Leute man dort noch brauchen würde, sondern reden wir einmal insgesamt darüber, warum wir trotz steigenden Reichtums in dieser Stadt und in diesem Land nicht in der Lage sind, die Armut in den Griff zu bekommen! Da ist die Politik gefordert, und das sind wir.

 

Es wird immer nur herumgedoktert. Es wird jedem ein bisschen etwas zugeschoben, und damit hat es sich. Und die Zahlen sehen jedes Jahr schlimmer aus. Jeder Vierte, der arm ist, ist ein Kind, und jedes fünfte Kind in Österreich lebt in einem Haushalt, der manifest arm oder armutsgefährdet ist. Das ist ein Wahnsinn! Das ist eine erschreckende Zahl. Und in Wien ist sie leider noch ein bisschen höher. Hier haben wir noch mehr SozialhilfeempfängerInnen.

 

Der ORF bringt heute eine Schlagzeile: „77 000 Millionäre in Österreich“. In der aktuellen Ausgabe des „Trend“ ist von den „1 000 reichsten Menschen in Österreich" die Rede. Und das ist nicht der Feind! Ich meine, es ist schön für jeden und für jede, wenn er oder sie zu dieser Gruppe gehört. Es sind ein bisschen weniger Frauen, der Reichtum ist nicht gerade gender-gerecht verteilt; die Armut allerdings im umgekehrten Sinn auch nicht. Wir empfinden die Reichen nicht als Feinde, aber wir Grüne meinen, dass diese Menschen einen höheren Beitrag für die soziale Sicherheit in diesem Land leisten sollten, als es momentan der Fall ist. (Beifall bei den GRÜNEN.)

 

Das ist in Österreich das Verdienst der verschiedenen Bundesregierungen, und zwar nicht nur von Schwarz-Blau. So ist zum Beispiel für die Streichung der Schenkungssteuer und der Vermögenssteuer die aktuelle Bundesregierung verantwortlich. Die Stiftungsgeschenke wurden unter einer früheren großen Koalition eingeführt und jetzt unter der großen Koalition noch einmal verbessert.

 

Diese Geschenke für die Reichen und Superreichen müssten ein Ende haben, wenn man ernsthaft über Armutsbekämpfung reden möchte! Das kann man nicht oft genug sagen. Österreich hat die niedrigsten Vermögenssteuern in der OSZE, und Sie stellen den Bundeskanzler und haben in den letzten 20 Jahren in der Regierung relativ oft wichtige Funktionen gehabt. Seit 1970 war die Sozialdemokratie bis auf ein paar Jahre – und die Schieflage ist nicht allein in dieser Zeit entstanden – in den österreichischen Bundesregierungen vertreten und in führenden Positionen, und das trifft auch auf dieses Haus zu.

 

Ich sehe in diesem Bereich überhaupt keinen Mut. Es ist mir klar, dass das mit der Volkspartei nicht leicht geht. Das sehe ich schon ein. Die ÖVP ist in dieser Frage einmal mehr gegen alles. Es gibt zwischendurch zwar auch glaubwürdige Anträge betreffend Armutsbekämpfung. Das werden wir heute auch noch hören. Es gibt in dieser Partei auch Menschen mit einem sozialen Gewissen, aber das spießt sich halt in einer so großen Partei wie der Volkspartei, denn da gibt es auch die knallharten Lobbyisten für diejenigen, die nicht nur genug, sondern viel zu viel haben. Und diese Lobbyisten bestimmen leider den Kurs in der Österreichischen Volkspartei.

 

Reden wir einmal über die minimale Vermögenszuwachssteuer von 100, 200 oder 300 Millionen EUR. Das sind lächerliche Beträge! Nach dem Durchschnitt der OECD müssten es bei uns 5 Milliarden EUR jährlich sein! Und da wären wir noch nicht weit vorne bei den USA, Japan oder der Schweiz, sondern nur beim Durchschnitt der OECD! Ich nehme aber keine Initiative der Sozialdemokratie wahr, dass sie daran etwas ändern möchte! Es wird zwar immer wieder davon geredet, dass die Vermögenssteuer sehr gering ist. Es steht aber keine Sozialdemokratin und kein Sozialdemokrat auf und sagt: Das Problem in dieser Frage ist die Lobbyistenpartei der oberen 10 Prozent, nämlich die Volkspartei, und wir wollen jetzt etwas ändern!

 

Daher frage ich mich: Wollen Sie dasselbe wie die Volkspartei? Das wäre schade, denn dann müsste ich Sie auch zu den Lobbyisten rechnen! Ich glaube das aber nicht, denn irgendwo muss mir ja auch noch Hoffnung bleiben, dass es irgendwann besser wird. Aber wieso spricht das dann niemand an? Wieso höre ich das nicht? – Ich höre immer nur, dass der aktuelle Zustand verteidigt wird. Die Armut wird verwaltet. Man bemüht sich halt darum, dass man das Problem mit karitativen Mitteln noch ein bisserl eindämmt. Wenn’s aber ans Eingemachte geht, zum Beispiel beim Glücksspiel oder bei den Vermögenssteuern, dann ist die Sozialdemokratie leider sehr leise oder stumm.

 

Das tut mir wirklich leid, denn auf diese Weise wird den armen Menschen in Österreich und in Wien nicht geholfen. Ich möchte, dass man das Wort Armutsbekämpfung nicht nur im Mund führt und am Sonntag bei der Predigt erwähnt, sondern dass man Armutsbekämpfung engagiert angeht. Und dazu gibt es viele Möglichkeiten. Das Geld ist da. Das Land ist reich. Die Stadt ist reich. Die Leute sind reich. Man muss den Reichtum nur anders, nämlich gerecht, verteilen, um Armut effizient zu bekämpfen. – Danke. (Beifall bei den GRÜNEN.)

 

Vorsitzender GR Günther Reiter: Frau GRin Praniess-Kastner hat sich zu Wort gemeldet. Ich bitte sie zum Rednerpult.

 

GRin Karin Praniess-Kastner (ÖVP-Klub der Bundeshauptstadt Wien): Herr Vorsitzender! Sehr geehrte Frau Stadträtin! Meine Damen und Herren!

 

Das Angenehme an der Rechnungsabschlussdebatte ist, dass, wenn man relativ spät drankommt, VorrednerInnen schon einiges vorweggenommen haben. Deswegen kann ich mich jetzt gleich auf meinen Vorredner, Herrn StR Ellensohn, beziehen – Er hat gesagt, dass die Armut verwaltet wird. Ich gehe noch einen Schritt weiter und sage: „Verwalten statt gestalten.“ scheint das Motto in dieser Stadt zu sein, meine Damen und Herren! (Beifall bei der ÖVP.)

 

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