Gemeinderat,
33. Sitzung vom 08.05.2008, Wörtliches Protokoll - Seite 42 von 89
Wien erhöhen. (Beifall
bei der ÖVP.)
Vorsitzender GR Günther Reiter: Zu Wort gemeldet ist der Herr GR Baxant. Ich erteile
es ihm.
GR Petr Baxant
(Sozialdemokratische Fraktion des Wiener
Landtages und Gemeinderates): Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Sehr geehrte Herr Vorsitzender!
Auch ich möchte mein tiefstes Bedauern und mein
Beileid Ihrer Fraktion, Ihrer Gesinnungsgemeinschaft und auch der Familie des
Opfers aussprechen und denke, dass sowohl der Anlassfall als auch das Thema,
über das wir heute sprechen, viel zu ernst sind, als dass wir uns im
politischen Parteienhickhack verheddern. Wir sollten unser politisches Profil,
das Profil unserer politischen Fraktionen heute in dieser Sitzung nicht auf
Kosten der anderen schärfen. Vor allem – das ist mir auch ein großes Anliegen
zu sagen – gebietet es der Respekt dem Opfer gegenüber und allen Opfern von
Gewalt gegenüber, dass wir dies eben nicht tun, und in dieser Hinsicht
erachtete ich die Wortmeldung des Kollegen Schock als höchst respektlos und
unangebracht. (Beifall bei der SPÖ.)
Er hat nämlich versucht, auf Kosten der Wiener Jugend politisches Kleingeld zu
schlagen und zu differenzieren und zu spalten. Das ist in dieser Hinsicht
absolut unangebracht.
Ich denke, die Aufgabe der Politik ist es, eine
ruhige Analyse des Diskurses und der Ursachen dieser Problematik durchzuführen.
Seit einiger Zeit oder eigentlich, seit ich politisch denken kann, wird die
Jugend in ein schlechtes Bild gerückt. Das fängt eben an bei der angeblich
hohen Gewaltbereitschaft, bei der Bereitschaft, Brutalität auszuüben,
demgegenüber steht aber im Widerspruch die Kriminalstatistik, wonach es keine
Steigerung der Jugendkriminalität gibt.
Vor einem Jahr, vor zwei Jahren haben wir die große
Diskussion darüber gehabt, dass die Jugendlichen anscheinend nichts anderes zu
tun hätten, als sich in Parks und Discos ins Koma zu begeben, als ob das ihr
einziges Hobby wäre. Weiters – ich kann mich noch erinnern, da war ich noch in
der Schule – hat es geheißen, die Jugendlichen hätten nichts anderes zu tun,
als sich satanistische Texte anzuhören und Musik anzuhören, die absolut
menschenfeindlich ist, sie würden am liebsten irgendwelche Satansmessen feiern
und so weiter.
Weiters – daran kann ich mich auch noch erinnern –
wären die Jugendlichen von heute absolut nicht in der Lage, mit ihrer eigenen
Sexualität umzugehen. Sie kennen angeblich keine Werte mehr, sie haben kein
Gefühl für den Generationenvertrag. Die jungen Menschen hätten angeblich
überhaupt kein Interesse mehr daran, für die ältere Bevölkerung da zu sein, und
die jungen Menschen seien extrem uninteressiert an Politik. Sie sind
uninteressiert an der Gesellschaft, an ihrer Umwelt, an ihrem Umfeld, sondern
interessieren sich angeblich nur mehr für sich selbst.
Weiters gibt es sehr viele Vorurteile und
Stereotypen. Da möchte ich ein bisschen von mir selbst erzählen, und ich habe
vorher auch gerade mit meiner Kollegin Wehsely darüber gesprochen. Hand aufs
Herz, als ich zum ersten Mal vom tragischen Fall in Währing gehört habe, habe
ich zuerst gedacht, das waren zwei 16-jährige Buben mit Migrationshintergrund,
und die hätten wahrscheinlich so lange auf das Oper eingeschlagen, bis es dann
letzten Endes im Krankenhaus verstorben ist. Und was war es? – Es waren zwei
Erwachsene, nicht mit Migrationshintergrund, sondern echte Österreicher,
alkoholisiert, und die haben einen Herrn, von dem sie nicht gewusst haben, dass
er Politiker ist oder dass er von der ÖVP ist, einfach niedergeschlagen, und
leider ist er sehr unglücklich gefallen. Das ist sehr traurig, aber auch ich
habe so gedacht.
Ich denke also, dass es sehr wichtig ist zu sagen,
dass diese Propaganda, dass die Jugendlichen heute eigentlich zu nichts mehr
fähig sind, uns alle erfasst hat und dass wir uns darüber Gedanken machen
sollten. (Beifall bei der SPÖ.)
Meine Damen und Herren! Aber es gibt nicht nur ein
Imageproblem, sondern ich möchte auch ganz kurz darstellen, in was für einer
Welt wir heute leben beziehungsweise in was für einer Welt die jungen Menschen
heute leben und welche Welt sie meistern müssen. Es gibt den so genannten
Wertewandel, es gibt Orientierungswandel. Das Sicherheitsgefühl nimmt ab, das
Sicherheitsgefühl vor allem im privaten Bereich. Heute ist die Familie nicht
mehr das, was sie einmal war. Heute muss man sich anders orientieren. Die
Perspektiven, die soziale Absicherung fehlen. Es wird uns überall eingeredet,
dass unsere Pensionen nicht mehr sicher sind. Das alles wirkt sich auf die
Jugendlichen von heute aus. Angeblich ist ein selbstbestimmtes Leben auch nicht
mehr möglich beziehungsweise nur sehr schwer, und einen Arbeitsplatz zu finden,
ist auch nicht mehr das Einfachste.
Die Politik kann die Probleme von heute angeblich
nicht lösen. Wer kann es dann sonst? Wenn man jungen Menschen nur suggeriert
und einredet, es gibt eigentlich niemanden mehr, der Probleme wie den
Klimawandel, den Welthunger, das Tiersterben oder die Ungerechtigkeit auf Erden
lösen kann – wer kann es dann sonst? Und die Armutsgefährdung ist auch ein ganz
großes Thema.
Ich sage jetzt ganz offen und ganz ehrlich, ich gehe
davon aus – und das ist meine feste Überzeugung –, die neoliberal geprägte
kapitalistische Gesellschaft belohnt den Egoismus und die Ellbogenmentalität,
sie fördert den Individualismus und auf keinen Fall den Zusammenhalt und die
Solidarität. Dessen sollten wir uns immer bewusst sein. Und – das muss auch
immer gesagt werden in diesem Zusammenhang – Kinder und Jugendliche sind
wesentlich öfter Opfer von Gewalt als umgekehrt.
Das heißt, junge Menschen scheinen
in einer ihnen feindlich gesinnten Welt aufzuwachsen. Bitte, mich nicht falsch
zu verstehen, das soll keine Rechtfertigung oder Entschuldigung sein für
kriminelle Handlungen, die geahndet werden sollen und auf Basis unserer
bestehenden Gesetze auch geahndet werden können. Wir brauchen keine
Verschärfung von Gesetzen, wir brauchen keine neuen Gesetze, sondern unsere
Gesetze sollen
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