Gemeinderat,
28. Sitzung vom 10.12.2007, Wörtliches Protokoll - Seite 7 von 23
massiv gestärkt wird, unter anderem durch ein
Subsidiaritätsprotokoll: Die nationalen Parlamente bekommen wesentlich mehr
Mitbestimmungsrechte, und die Bürger- und Bürgerinnenbeteiligung erfährt eine Aufwertung.
(Zwischenruf von GR DDr Eduard Schock.) Aber dafür haben nicht Sie
gekämpft, denn Ihr Europaabgeordneter im Europaparlament ist nur als
rechtsnationaler Rabauke bekannt! (GR
DDr Eduard Schock: Sie müssen den Vertrag einmal lesen!)
Für all diese Fortschritte im EU-Reformvertrag haben andere
Parteien gekämpft! Sie holen sich jetzt sehr leicht verdientes politisches
Kleingeld: Sie schlagen ultranationalistische Antieuropatöne an und richten
damit großen Schaden an! Auch deshalb lehnen die Grünen den heutigen populistischen Antrag auf eine
Volksabstimmung ab! Es geht Ihnen nämlich nicht um Demokratie, sondern
eigentlich um die Abschaffung derselben! (Beifall bei den GRÜNEN.)
Zum Thema selbst: Die Grünen stehen dem EU-Reformvertrag positiv kritisch
gegenüber. Wir anerkennen die Fortschritte des Reformvertrags im Vergleich zum
Status quo, dem Vertrag von Nizza, der mühsam vom Verfassungskonvent auf
breiter Basis, aber auch mit NGOs und mit Jugendvertretern und –vertreterinnen
erkämpft wurde. Neben der Aufnahme der Grundrechte – was ich am Tag der Menschenrechte, den wir am heutigen 10.
Dezember feiern, besonders betonen möchte –
wird das Europäische Parlament wesentlich aufgewertet und mit wesentlich
mehr Mitbestimmungsrechten ausgestattet. Durch die Verkleinerung ihrer Organe,
durch die Ausweitung von qualifizierten Mehrheiten, durch die Einführung der
doppelten Mehrheit bei Abstimmungen, wofür wir auch lange gekämpft haben, und
durch ein gemeinsames Auftreten in außenpolitischen Fragen wird die Europäische
Union insgesamt handlungsfähiger.
Es wurden auch viele Forderungen der
Globalisierungskritiker und -kritikerinnen in diesen Reformvertrag aufgenommen.
So ist es zum Beispiel dem Druck, den Frankreich ausgeübt hat, zu verdanken,
dass der unverfälschte Wettbewerb endlich aus den Zielbestimmungen eliminiert
und durch das Ziel der Vollbeschäftigung ersetzt wird. Auch die
Daseinsvorsorge, ein für Wien besonders wichtiger Bereich, wird mit diesem
EU-Reformvertrag substanziell gestärkt.
Weiters wird die Europäische Zentralbank nicht länger
ausschließlich dem Ziel der Preisstabilität unterworfen sein, sondern sich
endlich auch auf Ziele wie Nachhaltigkeit, Vollbeschäftigung und
wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhang konzentrieren können.
Wie ich schon erwähnt habe, werden die nationalen
Parlamente massiv gestärkt. Die Alternative zu diesem Reformvertrag wäre die
Fortführung des Status quo, des Vertrags von Nizza, mit erheblichen
sozialpolitischen und auch demokratiepolitischen Mängeln. Für uns GRÜNE ist
dieser Reformvertrag eine deutlich bessere Basis für künftige Veränderungen der
Europäischen Union und für einen Kurswechsel beziehungsweise eine Kurskorrektur
in Richtung Sozialpolitik, in Richtung europäischer Raum für Demokratie und
auch in Richtung friedenspolitischer Dimension. Auch die Dimension der
Konfliktprävention wird durch den Reformvertrag deutlich gestärkt.
Wir Grüne
sind auch deshalb für das Inkrafttreten dieses Reformvertrages, weil wir
denken, dass angesichts der politischen Konstellation in Europa im Moment nicht
mehr erreichbar wäre. Bei einer Ablehnung dieses Reformvertrages würde das so
genannte „Window of Opportunity“ nicht offen bleiben, und ohne eine
verbindliche Verankerung der wirtschaftlichen und sozialen Grundrechte, wie sie
nun im Vertrag vorgenommen wurde, wäre ein entsprechender Fortschritt in den
nächsten Jahren nicht möglich.
Dieser Reformvertrag hat aber – und das darf man auch nicht verschweigen – auch viele Schwächen. Er ist für die Grünen kein Grund zum Jubeln. Der
Vertrag ist immer noch bürgerInnenfern. Wie Sie wissen, war es eines der
prioritären Ziele nach den negativen Referenden, den Vertrag bürgerInnennäher
zu machen. Allerdings ist dieser Reformvertrag nun schlechter lesbar und
unübersichtlicher als der so genannte EU-Verfassungsvertrag. Auch vom Geist des
Verfassungsprozesses und des Konvents ist in diesem EU-Reformvertrag nicht mehr
viel übrig. Statt einer breiten Debatte unter Einbeziehung von NGOs,
Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen gab es im Vorfeld dieses
Reformvertrages erneut ein peinliches nationales Tauziehen und Feilschen um
nationale Mitbestimmungsrechte unter den Staats- und Regierungschefs. (GR
Mag Wolfgang Jung: Warum sind Sie dann dafür?)
Das Europäische Parlament ist noch immer nicht in
alle Bereiche der Gesetzgebung der Europäischen Union mit einbezogen,
insbesondere der gesamte Bereich der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik
ist noch immer vollkommen der demokratischen Kontrolle entzogen. (GR
Mag Wolfgang Jung: Sie akzeptieren das aber mit Ihrem Ja!)
Und auch das Opting-out zweier Staaten in Bezug auf
die Grundrechte ist aus grüner Sicht natürlich vollkommen inakzeptabel. Der
Landtag hat im Juni auf Antrag der Grünen
bekräftigt, dass eine Stärkung der Grundrechte in Europa wichtig ist und die
Menschenrechte unteilbar sind. Auch das will ich an diesem heutigen Tag der
Menschenrechte betonen.
Mit diesem EU-Reformvertrag werden –
da gebe ich allen Kritikern und Kritikerinnen recht – die Zukunftsprobleme der Europäischen Union nicht gelöst. Er
ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, der wirtschaftliche und soziale
Zusammenhalt der Europäischen Union ist damit aber keineswegs sichergestellt.
Dieser Reformvertrag bietet keine ausreichenden Alternativen zur neoliberalen
Verfasstheit in der Europäischen Union. Wettbewerb und Binnenmarkt sind immer
noch die prioritären Instrumente europäischer Politik. Zudem sind wenig
Fortschritte in Richtung Sozialunion erkennbar, denn die Sozialpolitik unterliegt
noch immer dem Einstimmigkeitserfordernis. Es gibt keine ernsthafte Debatte
über europäische Mindestlöhne. Es gibt keine ernsthafte Debatte über eine
gerechte Verteilungspolitik in Europa, obwohl diese im Hinblick auf 72
Millionen von Armut bedrohten
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