Gemeinderat,
22. Sitzung vom 25.06.2007, Wörtliches Protokoll - Seite 13 von 140
Rathaus): Sehr
geehrter Herr Vorsitzender! Frau Vizebürgermeisterin! Sehr geehrte Damen und
Herren!
Die gute Nachricht, und ich glaube, darin werden mir
alle wahrscheinlich hier im Haus beipflichten, ist, dass wir finanziell gut
dastehen. Die Kassa ist prall gefüllt, und es gibt kein Defizit. Das ist die
gute Nachricht. Die weniger gute Nachricht ist, dass wir uns nicht einig sind,
und auch bis auf Weiteres nicht einig sein werden, welche Prioritäten hier zu
setzen sind, denn ein ausgeglichener Haushalt ist noch lange kein Beweis dafür,
dass die richtigen Entscheidungen getroffen wurden, und es ist auch kein Beweis
dafür, dass die richtigen Prioritäten gesetzt wurden.
Und wenn ich von falscher Prioritätensetzung spreche,
dann kommt es nicht von ungefähr. Ich meine, dass jene Herausforderungen, die
sich seit einigen Jahren in Wien stellen, und die sich vermehrt stellen werden
in den nächsten Jahren, von den finanziellen Entscheidungen der Stadt
weitgehend unangetastet bleiben.
Welche Herausforderungen und welche Schwerpunkte
meine ich, sind es, die sich die Stadt in den nächsten Jahren geben sollte?
Nun, das sind die Dinge, über die wir seit Jahren hier in diesem Haus sprechen.
Es hat etwas zu tun mit unserer Energie- und Verkehrspolitik, es hat etwas zu
tun mit dem Klimawandel, es hat etwas zu tun mit der Bekämpfung der Armut und der
wachsenden Arbeitslosigkeit, es hat etwas zu tun mit der nach wie vor
ungelösten Herausforderung der Pflege, der Pflege vor allem zu Hause, es hat
etwas zu tun mit der Bildung, der Schulfrage und auch der Kinderbetreuung in
dieser Stadt, und es hat, last but not least, auch etwas zu tun mit der Frage
Migration, die in einer Stadt wie Wien, wo inzwischen etwa ein Drittel der
Bevölkerung einen, sagen wir, anderen kulturellen Background hat als den rein
deutschsprachigen, sehr wohl auch eine Kernfrage ist, die die Politik in den
nächsten Jahren angehen und auch lösen muss.
Nun möchte ich beginnen mit dem Thema Armut, denn die
Armut steigt in Wien dramatisch. Wir wissen, dass jahrein jahraus immer mehr
Menschen entweder unter die Armutsschwelle rutschen oder knapp an der
Armutsgrenze leben. Und, nachdem auch mehrere Familien sich über mehrere Jahre
hinweg an der Armutsgrenze halten, können wir hier in vielen, vielen Fällen von
verfestigter Armut sprechen. Und wir wissen alle, wie schwer es ist, wenn sich
einmal Armut verfestigt hat, aus dieser Situation wieder herauszukommen.
Mein Kollege, StR Ellensohn, wird hier einiges
in seinem Beitrag bringen, deshalb möchte ich insofern hier nicht ins Detail
gehen. Ich möchte nur so viel herausgreifen, um es vielleicht erneut zu
unterstreichen: Wien braucht die Schaffung einer Grundsicherung, und zwar einer
Grundsicherung, die nicht nur armutspräventive Wirkung hat, sondern darüber
hinaus den Menschen, die einmal in Armut geraten sind, ermöglicht, aus dieser
Situation wieder herauszuwachsen. Jene Konzepte, die bislang seitens des
Sozialministers vorgestellt worden sind, sind zwar ein Schritt in die richtige
Richtung, denn die Mindestsicherung ist sicher etwas besser als die derzeitige
aktuelle Situation in der Sozialhilfe, aber sie hatten keine armutspräventive
Wirkung, und sie sind auch nicht geeignet, um Menschen, die in Armut leben,
wieder aus ihr heraus zu helfen. Einerseits ist der Betrag so gering, dass es
wieder einmal zuviel zum Sterben, wie es so schön heißt, und zu wenig zum Leben
ist.
Zweitens halte ich es für absolut verfehlt, dass man,
wenn die Armutsgrenze steigt - dass der Betrag, der die Armutsgrenze definiert,
von Jahr zu Jahr steigt und steigt -, hier eine Verweigerungspolitik betreibt
und eine politische Armutsgrenze festlegt. Das heißt in Österreich neuerdings,
wer arm ist und wer nicht, besagt nicht die Statistik, das besagen auch nicht
die Expertinnen und Experten, das entscheidet der Sozialminister, indem er eine
politische Armutsgrenze verordnet.
Das, meine Damen und Herren, ist nicht der richtige
Weg, das ist Vogel-Strauß-Politik. Es bringt wenig, und es bringt noch weit
wesentlich weniger, wenn man Menschen, die ein kleines Vermögen beiseite
geschafft haben - das ja dazu dienen könnte, um aus der Armutssituation wieder
herauszukommen -, dazu zwingt, dieses auch noch auszugeben, das heißt,
definitiv und unwiderrufbar arm zu werden, bevor sie Sozialleistung erhalten,
die sozusagen eine armutspräventive Wirkung haben sollte. Das sind Fehler in
dem System, wie wir es planen, und ich finde das auch ein bisschen
verwunderlich, dass seitens der Stadt bis jetzt keinerlei Kritik zu hören war.
Ich habe zuvor noch von der steigenden
Arbeitslosigkeit gesprochen. Hier hat die Stadt mit der Schaffung des WAFF
richtige Akzente gesetzt. Das ist eine gute Einrichtung, es ist eine
Einrichtung, die hier vor allem neue Wege, auch experimentelle, beschreitet im
Zusammenhang mit der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die gute Programme hat,
und die hier auch vielfach den Menschen jene individuelle Betreuung angedeihen
lässt, die man vermissen kann, wenn wir vom Arbeitsmarktservice sprechen.
Leider aber sind die finanziellen Mittel für den WAFF seit Jahren nicht mehr
erhöht worden. Das heißt, der WAFF ist eine Einrichtung, die gut ist, die aber
Lücken hat, und die vor allem auch einen finanziellen Mehrbedarf hat, wenn es
darum geht, diesen Weg so auszubauen, dass wir tatsächlich von einer aktiven
Arbeitsmarktpolitik in Wien sprechen können.
Ganz besonders wären hier die Initiativen für
geringfügig Beschäftigte auszubauen. Sie wissen auch, dass der überwiegende
Teil von ihnen Frauen sind, und ich denke, dass gerade hier, wenn unserer
Vizebürgermeisterin auch aus eigenem Bekunden die Frauenpolitik besonders am
Herzen liegt, eindeutig der Schwerpunkt zu setzen wäre, und genau dieser
Bereich wäre auch mit wesentlich weit mehr Mitteln zu dotieren.
Was auch im Übrigen in Wien nach
wie vor fehlt, ist ein Lehrlingsfonds. Vorarlberg hat einen solchen, in welchen
Firmen, die keine Lehrlinge ausbilden, ihren Beitrag zahlen, aus dem wiederum
Lehrlingsplätze und Lehrlingsausbildungen finanziert werden können. Ich glaube,
dass das ein fairer Weg ist. Ich stelle fest, dass sich das auch im Programm
der Sozialdemokratie wiederfindet, und es findet sich auch bei den
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