Gemeinderat,
14. Sitzung vom 21.11.2006, Wörtliches Protokoll - Seite 25 von 91
lösen, weil sie über die Dinge auch gar nicht
nachdenken können und keine Problemlösungen finden können.
Was bitte tun Sie? Welche Maßnahmen setzen Sie ganz
konkret, um diesem Problem, diesen Problemen beizukommen? Es wurde zumindest
bislang kein schlüssiges Konzept vorgelegt. Wie gibt es das, dass Schülerinnen
und Schüler, die bereits 15 sind und die Schulpflicht abgeschlossen haben an
Jahren, in der 2. oder 3. Klasse die Hauptschule verlassen und keinen
Hauptschulabschluss haben? Wie gibt es das? (GR
Mag Wolfgang Jung: Die Sprache ist das Ausschlaggebende!) Das sind sowohl
Kinder aus österreichischen Haushalten als auch Kinder mit
Migrationshintergrund. Und, Herr Jung, es ist mir wurscht, es ist mir wirklich
wurscht, welchen Pass dieses Kind hat und welche Sprache das Kind als erste
oder als zweite gelernt hat. (Beifall bei den GRÜNEN.) Niemand darf auf
der Straße herumgehen ohne jegliche Zukunftsperspektive, nur deshalb, weil –
und ich sage es ganz deutlich – die Schule versagt.
Ich möchte es auch ein bisschen konkretisieren, wie
das abläuft. Man hält sich pingelig an Lehrpläne und zunehmend an Standards und
vergisst auf die Kinder. Da steht im Lehrplan und in Standards drinnen, dass
jetzt der Zahlenraum 1 000 dran ist, und der wird gemacht, vollkommen
wurscht, ob die Kinder sich vielleicht in ihrer Gesamtentwicklung, in ihrem
Verständnis, in ihren Kenntnissen und Fähigkeiten leider erst im Zahlenraum 100
aufhalten. (GR Mag Wolfgang Jung: Das
spricht ja dafür, dass sie die Sprache verstehen sollten!) So geschieht es,
dass ab der 3. Klasse Volksschule die Kinder permanent irgendwo sind und
der Lehrplan sonst wo, aber jedenfalls woanders ist. So geschieht es, dass die
Kinder und Jugendlichen, die irgendwann einmal einen Nachteil aufgerissen
haben, diesen auch nie mehr wieder aufholen können.
Während wir ganz selbstverständlich zur Kenntnis
nehmen, dass es Kinder gibt, die mit 10 Monaten zu laufen beginnen, mit
11 Monaten, mit 12 Monaten, mit 13 Monaten, mit 14 Monaten,
mit 15 Monaten, mit 16 Monaten, mit 17 Monaten, mit 18 Monaten,
ganz egal, wir nehmen zur Kenntnis, sie sind in der Entwicklung so weit, wie
sie eben sind. Kaum kommt ein Kind in die Schule, wird das nicht mehr zur
Kenntnis genommen. Haben Sie je irgendwo feststellen können, dass ein Kind, das
erst mit eineinhalb Jahren zu sprechen begonnen hat und ganz gesund ist, mit
30 Jahren immer noch schlechter spricht als der, der mit 12 Monaten
zu sprechen begonnen hat? Nein! Weil es nämlich wurscht ist.
Überall dort, wo sich Kinder und Jugendliche ihrer
Entwicklung entsprechend entwickeln dürfen, bilden dürfen, lernen dürfen, gehen
die Dinge gut, und überall dort, wo man meint, genau zu wissen, was der mit 6,
7, 8 Jahren können muss, dort gehen die Dinge schief. Dann finden viele
den Anschluss nicht mehr. Außer – jetzt kommt das große Außer – man hat zu
Hause Eltern, die an Bildung interessiert sind, die sich am Abend mit dem Kind
hinsetzen, die mit dem Kind lernen, fragen, wie ist es dir bei der Hausübung
gegangen, hast du deine Hausübung schon gemacht, die, wenn die ganze Familie eh
schon Kopf steht und sich alles nur noch um Mathematik dreht, weil das arme
Kind in Mathematik schlecht ist, dann auch vielleicht, weil die Familie schon
völlig aus dem Häusel geraten ist, einen Nachhilfelehrer nehmen und so weiter
und so fort.
Das ist die eine Hälfte der Kinder, die zur Matura
getragen, geschleppt, gezogen und gestoßen werden, weil die Eltern wissen,
Bildung ist wichtig, und da geht es um Zukunftschancen und
Zukunftsperspektiven. Dann gibt es die andere Hälfte, wo die Eltern
möglicherweise weniger Interesse haben an Bildung, vielleicht selbst
Analphabeten sind, den Kindern nicht helfen können und ihnen auch nicht helfen,
und die bleiben über. Die kommen dann in die Hauptschule, dann kommen sie
vielleicht auch in der Hauptschule nicht mit. Fragen Sie doch einmal
Hauptschullehrer in der 1. Klasse, die sagen Ihnen, die können ja nicht
einmal lesen und schreiben und rechnen. Und dann geht es weiter, wie der
Lehrplan es vorgibt. Fragen Sie einmal einen Lehrer in der Polytechnischen
Schule, und der sagt Ihnen immer noch, ja, die kommen zu uns und können nicht
lesen, schreiben und rechnen. Da ist doch etwas vollkommen faul an der Sache!
Die Schule hat die Aufgabe, die Politik in Wien hat
die Aufgabe, Kindern zu helfen, die zu Hause niemanden haben, der ihnen hilft.
Das ist doch eine politische Selbstverständlichkeit. Da muss die Politik
Lösungen finden, da muss die Politik Konzepte anbieten.
So. Das war das, was ich Ihnen aus ganzem Herzen
heute auch wieder einmal gesagt habe. Sollte ich je die Chance bekommen,
irgendwo mitzuarbeiten, wo man derartige Konzepte gemeinsam erarbeitet, stelle
ich selbstverständlich meine Arbeitszeit zur Verfügung.
Für heute aber bringe ich erst einmal nur einen
Antrag ein, und zwar den Beschlussantrag:
„Die amtsführende Stadträtin wird beauftragt, ein
Konzept zur schulischen Förderung von Kindern und Jugendlichen aus
sozioökonomisch benachteiligten Familien vorzulegen. Ziel des Konzeptes soll
die Herstellung von Chancengerechtigkeit in der Pflichtschule für alle Wiener
Schülerinnen und Schüler sein.
In formeller Hinsicht hätte ich gerne die sofortige
Abstimmung.“
Mein zweiter Antrag, den ich heute einbringe, ist
einer, der sich auf die KlassenschülerInnenhöchstzahl bezieht. Da hätte ich
gerne, dass diese Höchstzahl auf 25 in den Pflichtschulen, dort, wo bislang 30
steht, gesenkt wird.
Dazu brauche ich keine Änderung des
Finanzausgleiches, das kann man machen. Niederösterreich hat es auch gemacht,
und der Herr Landeshauptmann hat auch angekündigt, dass er einer derartigen
Maßnahme wohlwollend gegenübersteht.
Meinen dritten Antrag bringe ich besonders gerne ein. Ich
öffne eines Tages die Zeitung. Was steht da? Die Stadtschulratspräsidentin
fordert mehr SchulpsychologInnen, sodass an jeder Schule auch eine
Schulpsychologin tätig sein kann. Ich denke mir, wach ich oder träum ich? Den Antrag
habe ich doch eingebracht, und Sie haben ihn doch abgelehnt. Dabei habe ich
etwas gefordert, was so formuliert war, dass es Wien nicht
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