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Gemeinderat, 7. Sitzung vom 31.03.2006, Wörtliches Protokoll  -  Seite 31 von 52

 

Berichterstatterin GRin Inge Zankl: Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren!

 

Auch hier bitte ich um Zustimmung.

 

Vorsitzender GR Günther Reiter: Die Debatte ist eröffnet. Herr Mag Stefan hat sich zum Wort gemeldet. - Bitte.

 

GR Mag Harald Stefan (Klub der Wiener Freiheitlichen): Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Sehr geehrte Damen und Herren!

 

"Eine Stadt. Ein Buch": Die PISA-Studie hat gezeigt, dass gerade in Wien die Leseleistungen sehr schlecht sind. Die Stadt Wien scheint auch insofern reagieren zu wollen, als in Wien ein Buch hunderttausendfach aufgelegt wird. Der Bürgermeister schreibt das Vorwort, wir können also davon ausgehen, dass er sich sehr genau überlegt hat, welches Buch der Bevölkerung der Stadt Wien unterbreitet wird und was hier zur Verteilung gebracht wird.

 

Man hätte natürlich annehmen können, hier wird österreichische Literatur gebracht, oder vielleicht gar Wiener Literatur. Denn für Wien - "Eine Stadt. Ein Buch" gäbe es, meine ich, genug Auswahl. Aber nein, es wird ein Buch eines englischsprachigen Autors genommen, und damit ergibt sich bereits das erste Problem. (GR Ernst Woller: Ein Ausländer...!) Na, es ergibt sich das Problem der Übersetzung, das ist in der Literatur immer so. Das ist dann schon ganz amüsant, dass hier die Übersetzung in etwa nach "Berlin synchron" abläuft: Wir haben hier die "Pfütze" statt der "Lacke", wir haben die "Schnaken" statt der "Gelsen", wir haben den "Pflaumenkuchen" statt des "Zwetschkenkuchens" - und das alles in Wien, das alles, wenn Wien ein Buch hunderttausendfach auflegt und es unter die Leute bringen will! Das ist das Problem dabei.

 

Es gibt also sehr wohl ein Problem, und Sie brauchen sich hier nicht darüber lustig zu machen, dass es ein Ausländer ist. Sie müssten sich eben ein bisschen genauer überlegen, was Sie unter die Leute bringen. Vielleicht soll das auch ein Beitrag zur Vereinheitlichung der deutschen Sprache sein, um die Gemeinsamkeit herauszukehren - interessanter neuer Aspekt bei der SPÖ, ich nehme das gerne zur Kenntnis.

 

Interessant ist natürlich auch die Diktion, die in diesem Buch herrscht. Was hier politisch korrekt... (GR Heinz Hufnagl: Sie fühlen sich eh als deutscher Österreicher, habe ich gelesen in "NEWS"! Fühlen Sie sich nicht angesprochen?) Ich sage ja, ich finde diesen Aspekt der SPÖ sehr interessant. (GR Heinz-Christian Strache: Ist ja spannend! Muss man zuhören! - Weitere Zwischenrufe.) Es ist ja Ihr Buch, das Sie auflegen. Ich finde, wenn Sie "Pflaumenkuchen" so gut finden, ist das interessant, ja. Sie müssen es nur sagen.

 

Interessant ist auch, dass hier politische Korrektheit keinen Niederschlag findet. Wir sehen da also Ressentiments, die verbreitet werden, wie etwa: „er sieht irgendwie balkanisch aus"; „raffiniert, diese Balkanesen"; „das ist ein Foto aus Amerika von einem deutschen Schäferhund, der einer Negerin das Kleid zerreißt"; „die Negerin"; „habe ich nicht gesagt, wie raffiniert diese Balkanesen sind?" - so geht es in einer Tour fort. „Bloß gab es im fernöstlichen kleinstädtischen Jugoslawien keine Trambahnen, als er ein kleiner Junge war, da gibt es vielleicht heute noch keine Trambahnen" - solche Ressentiments werden hier also ganz locker verbreitet. Ja, die Stadt Wien wird sich schon überlegt haben, was sie da aussucht!

 

Dann ist natürlich besonders interessant, weil das ja ein Buch ist, das in Österreich und in Wien spielt - vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg -, wie diese Zeit gesehen wird, wie sie politisch beleuchtet wird. Immerhin hat es die Stadt Wien ausgesucht, und der Bürgermeister schreibt ein Vorwort; er hebt hervor, dass sich "ein blutjunger amerikanischer Autor so eindringlich mit der österreichischen Geschichte beschäftigt" hat.

 

Wie schaut das also aus, wenn sich dieser mit der Geschichte beschäftigt? Da schreibt er: „Die Sowjets sollten die Stadt eigentlich befreien. Doch für eine Befreiungsarmee leisteten sie sich erstaunlich viele Vergewaltigungen und dergleichen." Oder: „Und als eine Woche später die Briten via Italien ins Land kamen, wunderten sie sich, dass jugoslawische Partisanen in Kärnten und der Steiermark Amok liefen.“ „Österreich wurde überschwemmt, und die Wiener blieben zu Hause, lernten, dass es nicht klug war, die Befreier mit offenen Armen willkommen zu heißen." - Interessant, interessant!

 

Es geht dann noch weiter: „die befreite Stadt" - "befreit" schräg geschrieben, also offenbar unter Anführungszeichen. Also was jetzt? Ist "die befreite Stadt" nicht befreit worden von der Roten Armee? Interessant, was uns die Stadt Wien da vorlegt!

 

„Allein schon die Berichte von der russischen Okkupation hätten genügen sollen, um sie von einer so frühzeitigen Rückkehr abzuhalten." (GR Dr Kurt Stürzenbecher: Haben Sie schon einmal was von Literatur gehört?) Ich habe schon was von Literatur gehört! Aber haben Sie schon einmal gehört, dass hunderttausend Bücher ausgewählt werden und dann zufälligerweise ein derartiges Geschichtsbild vertreten wird? Ich finde es sehr interessant. Vielleicht soll das eine späte Rechtfertigung für Ewald Stadler durch die SPÖ sein. (Heiterkeit bei der FPÖ und den GRÜNEN. - Beifall bei der FPÖ.)

 

Sie haben sich sicher etwas überlegt. Es ist ja doch etwas Besonderes, wenn man ein Buch herauskehrt, ein Buch fördert und ein Buch hunderttausendfach unter die Leute bringt. Das gibt es ja sonst nicht. Da wird sich also die Stadt Wien ganz bewusst etwas überlegt haben, und sie wollte uns damit etwas sagen. Ich finde es wirklich toll. (Heiterkeit bei der FPÖ und den GRÜNEN.)

 

Wir lehnen diesen Akt allerdings ab, weil wir es an sich nicht für eine besonders sinnvolle Aktion halten, ein Buch herauszukehren, ein Buch zu nehmen und zu verteilen. Wenn man die Lesefreudigkeit der Wiener fördern wollte, dann könnte man Gutscheine verteilen, das wäre natürlich auch im Sinne der Wahlfreiheit der Bevölkerung sinnvoll. Denn warum muss man gerade mit einem Buch zwangsbeglückt werden? Es gibt ja durchaus verschiedene Geschmäcker. Ich hätte mir vielleicht keinen Irving John genommen (Heiterkeit bei den GRÜNEN. - Ruf bei

 

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