Gemeinderat,
57. Sitzung vom 27.06.2005, Wörtliches Protokoll - Seite 7 von 136
kleines Ereignis, und das ist die schon jetzt
erkennbare Landtags- und Gemeinderatswahl. Es wird der Wähler bestimmen, wie es
in Wien weitergehen soll. Wir werden die Entscheidung des Wählers voll
respektieren. (GR Dr Matthias Tschirf: Das möchte ich doch hoffen!) Ich
bin überzeugt davon, dass der Voranschlag 2006 dem Wählerauftrag
entsprechen wird, sollte sich der Wähler in der Wahl für uns entscheiden.
Was die Wahl selbst betrifft, bin ich eigentlich dem
Herrn Bundeskanzler für seinen Ausrutscher am Wiener Landesparteitag der ÖVP am
Freitag sehr dankbar: Nichts anderes hätte eigentlich die kalte Arroganz
gegenüber den einfachen Menschen und gegenüber einfacher Beschäftigung
deutlicher werden lassen als dieser peinliche Sager. Offen zu Tage getreten ist
für mich eigentlich eine erschreckende Wien-Feindlichkeit, die nichts mit
parteipolitischer Grobsprache zu tun hat. Die Wienerinnen und Wiener werden das
schon zu würdigen wissen!
Dem Herrn Bundeskanzler, der sich offensichtlich als
Hausherr am Ballhausplatz fühlt, möchte ich ganz gerne wienerisch ins Stammbuch
schreiben: „Es sind schon Hausherrn g’storben,“ – und wann immer die nächste
Nationalratswahl stattfindet – „Hausbesorger tun das nicht.“ (Beifall bei
der SPÖ.)
Vorsitzender GR Rudolf Hundstorfer: Ich
eröffne nun die Debatte.
Bevor ich der ersten Debattenrednerin, Frau GRin Mag
Vassilakou, das Wort erteile, möchte ich festhalten, dass wir uns in der
Präsidialkonferenz darauf verständigt haben, dass die Erstrednerin oder der
Erstredner jeder Partei 30 Minuten und die nachfolgenden Redner 20 Minuten
reden, also eine so genannte freiwillige Redezeitbeschränkung. (GR Dr
Herbert Madejski: Stimmt nicht!) Bei der Generaldebatte 30/20, bitte. (Aufregung
bei GR Dr Herbert Madejski.) Wir sind bei der Generaldebatte, Herr
Dr Madejski!
GRin Mag Maria Vassilakou (Grüner
Klub im Rathaus): Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Verehrte Damen und
Herren!
Ich werde
versuchen, mich freiwillig sogar noch weiter selbst zu beschränken und
vielleicht auch die vereinbarten 30 Minuten deutlich zu unterschreiten.
Herr StR Rieder hat erwartungsgemäß hier vorgetragen,
was alles im Jahr 2004 geschehen ist beziehungsweise auch ansatzweise in
den letzten Jahren. Meine Rolle hier ist, ebenfalls erwartungsgemäß, vielleicht
kurz darauf einzugehen, was alles nicht geschehen ist, insbesondere im
Jahr 2004, aber eigentlich auch insgesamt seit dem Jahr 2001. Das
werde ich auch tun, denn in der Tat ist einiges, nichtsdestotrotz, auch wenn
das alles so schön geklungen hat, was der Herr Stadtrat vorgetragen hat, im
Argen geblieben.
Meine Damen und Herren, insbesondere von der
Sozialdemokratie! 2001 sind Sie mit dem Anspruch und auch mit der Ankündigung
angetreten, aus Wien ein Vorzeigemodell für Österreich zu machen und zu zeigen,
wie es in dieser Stadt anders gehen kann, wie es vielleicht auch einmal in
Österreich anders gehen könnte.
2001 ist ein Zeitpunkt gewesen, wo Wien mitten in
einem Umstrukturierungsprozess gesteckt ist, vor allem was den Arbeitsmarkt
betrifft. Was ich hier vortrage, das sind weiß Gott keine Neuigkeiten. Wir
wissen, dass die Arbeitsplätze verloren gehen, vor allem im Bereich der
industriellen Produktion. Wir wissen, dass Standorte der Produktion verlagert
werden. Wir wissen jahrein, jahraus, dass immer mehr Menschen von der
Arbeitslosenunterstützung leben müssen beziehungsweise ihren Lebensunterhalt
sodann von der Sozialhilfe bestreiten müssen. Wir wissen außerdem seit Jahren,
dass die Zahlen der Sozialhilfebezieherinnen und -bezieher in dieser Stadt
explodieren. Wir haben auch das Phänomen der neuen Selbstständigen vor uns und
auch der kleinen Selbstständigen, sprich der vielen, vielen Menschen, die nicht
zuletzt auch als Ausweg aus der Arbeitslosigkeit heraus eine kleine Firma
gründen und so versuchen, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.
Vor wenigen Tagen war auch im “KURIER“ zu lesen, dass
wir gerade bei diesen kleinen Selbstständigen ein Rekordjahr an Insolvenzen
hinter uns haben und dass hier die Lage absolut nicht rosig aussieht.
Vielleicht auch noch ein Letztes zur Erinnerung:
Gerade vor ein paar Monaten ist der jüngste Armutsbericht veröffentlicht worden
– diesbezüglich haben wir auch diskutiert – und darin stand, dass die Zahl der
Menschen, die in Österreich unter der Armutsgrenze leben, sich innerhalb von
zwei Jahren verdoppelt hat und dass die Mehrheit dieser Menschen in der
Bundeshauptstadt lebt.
Was hätte Wien in dieser Situation
tun können? Man hätte natürlich sehr wohl überlegen können: Wie wollen wir
dieses Versprechen lösen, nämlich die VorreiterInnen für Österreich zu sein?
Wie gehen wir an die Sache heran und entwickeln neue soziale
Absicherungsmodelle, sodass sich in den nächsten Jahren sogar der Bund etwas
abschauen kann? Was ist passiert? Nichts dergleichen ist passiert. Man hat
einfach dagesessen, man hat zugeschaut, man hat zum Beispiel im Jahr 2004
gewartet, bis die große Finanzmisere im Sozialressort da war. Ich erinnere noch
an die Diskussionen, die wir hier gehabt haben, wo es zunächst einmal darum
ging, dass es überhaupt kein Loch in der Finanzierung der Sozialhilfe gibt.
Dann ist das Loch doch entdeckt worden. Dann war das Loch 30 Millionen EUR
groß, dann war das Loch 90 Millionen EUR groß, dann schrumpfte das
Loch wieder auf 60 Millionen EUR. Kein Mensch weiß bis heute, wie
groß denn dieses Loch tatsächlich war. Man hat einmal sozusagen zugeschaut, wie
das Geld nicht da ist und man hat nichts unternommen. Man hat auch weiterhin
und bis heute Menschen in dieser Stadt verurteilt, unter der Armutsgrenze zu
leben, ja sogar per Bescheid unter der Armutsgrenze zu leben, denn aufgerundet
630 EUR Sozialhilfe in dieser Stadt ist sogar unterhalb der Grenze der
akuten Armutsgefährdung. Das wissen Sie, meine Damen und Herren, genauso wie
wir. Aber was tun wir? Wir unternehmen nichts dagegen! Kein einziger Schritt in
Richtung Entwicklung einer Grundsicherung. Das heißt zum Beispiel Anhebung der
Sozialhilferichtsätze auf ein Mindestmaß von etwa 750 EUR, so
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