Gemeinderat,
56. Sitzung vom 24.05.2005, Wörtliches Protokoll - Seite 68 von 104
Ein Patient verstarb in der
Tivoli Residenz, vom Personal unbemerkt, und wurde erst 48 Stunden später
von seinem Sohn aufgefunden.
Die Gattin des Verstorbenen,
ebenfalls Bewohnerin, war von ihrem Mann aufopfernd versorgt worden und bekam
seit dessen Ableben ihr Frühstück erst um 13 Uhr! Grund: Personalmangel.
Die Lungenentzündung eines
Patienten wurde wochenlang nicht erkannt und die notwendige Spitalspflege daher
nicht veranlasst. Er bekam lediglich Sauerstoff verabreicht. Trotz seiner
Atemnot wurde Nahrung oral verabreicht, der Patient erbrach und erstickte in
einem qualvollen Tod.
Pflegeombudsmann Dr Vogt erhebt
in der Sachverhaltsdarstellung den Vorwurf, dass aufgrund der Missstände in der
KURSANA Residenz Wien-Tivoli ,eine un-mittelbare Gefahr für die Gesundheit und
das Leben der Patienten' bestünde.
,Es ist’ - so Dr Vogt -
,evident, dass der dringende Verdacht der Verwirklichung der fahrlässigen
Körperverletzung gemäß § 88 StGB, des Quälens und Vernachlässigens
wehrloser Personen gemäß § 92 StGB sowie hinsichtlich des
Patienten... sogar der fahrlässigen Tötung gemäß § 80 StGB vorliegt.'
Unseren Informationen zufolge hat die behördliche
Aufsicht (MA 15, vormals MA 47) in den vergangenen Jahren wiederholt
geprüft und ernsten Pflegenotstand bei der KURSANA Residenz Wien-Tivoli
festgestellt. Der eklatante Mangel an kompetentem Personal, fehlende und
mangelnde Dokumentation, hygienische Mängel und das Auftreten von
Dekubitalgeschwüren wegen unsachgemäßer Lagerung waren also schon vor der
Einschaltung des Staatsanwaltes durch den Pflegeombudsmann amtsbekannt.
Mehrmals erteilten Auflagen seitens der MA 15
wurde bei der KURSANA Residenz Wien-Tivoli nur kurzzeitig nachgekommen,
Personal wurde für einen begrenzten Zeitraum aus anderen Heimen der KURSANA
nach Wien versetzt und wieder abgezogen, nachhaltig geschah allerdings nichts.
(Tätigkeitsbericht 2004 des Pflegeombudsmanns.)
Die GRÜNEN Wien stellen fest, dass sich durch diesen
Anlassfall einmal mehr zeigt, wie schwach und gefährdet die Position der
pflegebedürftigen Menschen und deren Angehörigen ist. Umso mehr ist die Politik
der roten Stadtregierung zurückzuweisen, sich mittels Förderverträgen noch
weiter aus der Verantwortung für die Altenpflege davonzustehlen.
Die unterfertigten GemeinderätInnen stellen daher
gemäß § 16 WStV und § 36 GeO-GR folgende Dringliche Anfrage:
1. Warum haben Sie als politisch Verantwortliche keine
wirksamen Maßnahmen gegen die Missstände im KURSANA Pflegeheim angeordnet,
obwohl Sie von zahlreichen alarmierenden Prüfberichten der MA 15 (vormals
MA 47) aus den letzten beiden Jahren über die unerträglichen Zustände
informiert waren?
2. Warum haben Sie, nachdem der Pflegeombudsmann Dr
Vogt im März 2005 die Staatsanwaltschaft eingeschaltet hat, nicht endlich Ihre
Pflicht zu handeln, wahrgenommen?
3. Warum haben Sie nicht längst eine Sperre des
Pflegeheims in der Residenz KURSANA-Tivoli wegen 'Gefahr in Verzug' angeordnet?
4. Warum verweigern Sie trotz mehrfacher Aufforderung
durch die Opposition dem Wiener Pflegeombudsmann die Rechtsgrundlage und
verantworten damit politisch, dass ihm und seinen MitarbeiterInnen derzeit die
Einsicht in Pflegedokumentationen und Krankengeschichten verwehrt werden kann,
was in privaten Pflegeheimen häufig geschieht. Die Handlungsmöglichkeit des
Pflegeombudsmanns ist dadurch, seinen eigenen Aussagen zufolge, massiv
beschränkt.
Gemäß § 37 GeO-GR wird beantragt, dass die
Anfrage verlesen und mündlich begründet werden kann und hierauf eine Debatte
über den Gegenstand stattfindet."
Vorsitzender GR Rudolf Hundstorfer:
Danke schön.
Wir kommen nun zur mündlichen Begründung der
Dringlichen Anfrage. Frau Dr Pilz, 20 Minuten ist Ihre Redezeit.
GRin Dr Sigrid Pilz (Grüner Klub im
Rathaus): Danke, Herr Vorsitzender.
Ich habe darauf bestanden, diese Anfrage hier
vorzulesen, weil ich finde, der Hohe Gemeinderat soll informiert sein, was
Gegenstand der Sachverhaltsdarstellung und was Gegenstand der Vorwürfe ist, mit
denen wir uns heute hier beschäftigen müssen.
Und ich glaube, dass das ein Testfall ist, ein
Testfall, und ich bin über die Erledigung dieses Testes eigentlich sehr
pessimistisch. Ein Testfall, Frau StRin Brauner, wie Sie mit der
Pflegeombudsstelle umgehen. Ein Testfall, in dem Sie hätten zeigen können, dass
Sie die Pflegeombudsstelle ernst nehmen, dass Sie sie wichtig nehmen und dass
Sie sie in ihren Ergebnissen nicht im Stich lassen.
Die Art und Weise, wie Sie gestern im Landtag meinen
Antrag kommentiert haben, dem Pflegeombudsmann endlich die notwendige
Rechtsgrundlage zu geben, die Art und Weise Ihres Kommentars zeigt mir, dass
Sie eigentlich Ihren eigenen Pflegeombudsmann desavouieren, dass Sie ihm nicht
die nötigen Rahmenbedingungen für seine Arbeit geben wollen. Denn wäre es anders,
Frau Stadträtin, dann hätten Sie den Tätigkeitsbericht des Pflegeombudsmanns,
in dem dieser konkrete Fall ausführlich dokumentiert ist, anders bewertet. Sie
hätten sich also gar nicht auf die Sachverhaltsdarstellung beziehen müssen, von
der Sie zu Recht sagen, der Staatsanwalt soll seine Arbeit machen. Und in der
Tat sind jene Fälle, die hier mit dem Verdacht der fahrlässigen Tötung oder des
Quälens in Zusammenhang zu bringen sind, Sache des Staatsanwalts.
Aber, Frau Stadträtin, das, was in der
Sachverhaltsdarstellung drinnen steht und was vor allem Dr Vogt in seinem
Tätigkeitsbericht zusammengetragen hat, ist Ihre Kompetenz, ist Ihre Kompetenz
im Sinne der Aufsicht, der Kontrolle, der Wahrnehmung Ihrer politischen
Verantwortung für Pflege in dieser Stadt. Wenn Sie diese Aufgabe, Frau
Stadträtin, ernst nehmen und wenn Sie
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