Gemeinderat,
51. Sitzung vom 17.12.2004, Wörtliches Protokoll - Seite 73 von 89
Zur Nachmittagsbetreuung an den Wiener Pflichtschulen möchte ich noch ein paar Worte sagen. Das aktuelle Angebot der Wiener Pflichtschulen an Nachmittagsbetreuung hinkt weit hinter dem vorhandenen Bedarf nach. In Summe werden von 99 414 Wiener Schülern an 385 Wiener Standorten der allgemeinen Pflichtschulen nur rund 29 500 ganztätig betreut. Das entspricht einem prozentuellen Anteil von lediglich 29,7 Prozent. Ein ausreichendes Angebot an Ganztagsbetreuung ist jedoch im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf notwendig. Das Angebot an den Wiener Pflichtschulen muss dringend ausgeweitet werden.
Ihr Argument, dass in Wien durch die angeblichen
Kürzungen des Bundes keine Lehrer für die Nachmittagsbetreuung zur Verfügung
stehen, ist nicht korrekt, weil Fakt ist, dass Wien beim Einsatz der Pflichtschullehrer
sehr großzügig ist. Viele Lehrer werden mit schulfremden Aufgaben betraut wie
zum Beispiel Psychologenförderlehrer, Beratungslehrer, Tätigkeiten, die man den
kommunalen Wohlfahrtseinrichtungen übertragen könnte.
In der Frauenstudie 2004, in der 1°000
wahlberechtigte Frauen zwischen 18 und 40 befragt wurden, gaben 84 Prozent
der befragten berufstätigen Frauen unter 40 an, dass sie gerne arbeiten. Für
Frauen jedoch, die Familie und Beruf vereinbaren wollen, fehlen in Wien die
ausreichenden Nachmittagsbetreuungsplätze für Kinder zwischen dem 6. und
14. Lebensjahr.
Ein weiteres Manko stellt ein Familienservice für
ungewöhnliche Not- und Zwischenfälle dar, wie zum Beispiel plötzliche Krankheit
oder Verhinderung oder Auslandsaufenthalte von Betreuungspersonen. Dieser
Bedarf muss gestillt werden, um berufstätigen Müttern eine Chance zu geben, und
zwar in pädagogisch hochwertiger Qualität und zu leistbaren Preisen. Die
Lebensbedingungen von Familien haben sich europaweit in den letzten Jahren einfach
verändert. Darauf muss eingegangen werden, auf die neuen Formen des
Zusammenlebens, Ansprüche der Arbeitswelt und zunehmende Erwerbstätigkeit von
Müttern, was eine permanente Weiterentwicklung und Bewusstseinsbildung
erfordert.
Die individuelle Freiheit von Frauen ist durch ihre
ökonomische Unabhängigkeit gesichert. Es ist traurig, dass durch fehlende
Rahmenbedingungen die Frauen vor die Wahl gestellt werden, Karriere oder
Familie oder einen Kompromiss. Dazu sage ich nur zum Thema Kompromiss: 92 Prozent
der Teilzeitbediensteten sind Frauen. Bei Akademikerinnen führt das oft dazu,
dass sie auf das Kind verzichten oder auf ihre Karriere, was auch nicht gerade
von Vorteil ist, wenn man wirtschaftlich bedenkt, dass ein Ausbildungsplatz
einer Akademikerin 175 000 EUR kostet.
Ich verweise wie immer auf das Beispiel der
skandinavischen Länder, Frankreichs, vor allem Schwedens. Das sind Länder, die
zeichnen sich durch eine Vereinbarkeitspolitik aus und es ist eine Politik, wo
die Kinderbetreuung Anliegen der öffentlichen Politik ist und ein wichtiger
Bereich in der Familienpolitik. Durch die derzeitige Politik in Wien ist eine
Frau vor die Entscheidung gestellt, entweder auf Kind und Familie verzichten zu
müssen oder das Kind ab dem 6. Lebensjahr als Schlüsselkind mangelnd
betreut zu wissen.
Ich sage Ihnen, dass die Frauenpolitik nicht
funktionieren kann, wenn nicht für die zeitgemäße Betreuung der Kinder gesorgt
ist und dieser Mangel muss dringend in Zusammenarbeit mit dem Frauenressort
behoben werden.
Ich bringe gemeinsam mit Herrn GR Walter Strobl einen
Antrag betreffend Ausbau der Ganztagsbetreuung in öffentlichen Wiener
Pflichtschulen ein:
„Die Frau amtsführende Stadträtin für Bildung,
Jugend, Information und Sport möge darauf hinwirken, dass im zuständigen
Kollegium des Stadtschulrates für Wien die entsprechenden zusätzlichen
Standorte mit ganztägiger Schulbetreuung beschlossen werden. Darüber hinaus ist
Vorsorge zu treffen, dass die entsprechenden Ressourcen dafür bereit gestellt
werden.
In formeller Hinsicht wird die sofortige Abstimmung
verlangt."
(Beifall bei der ÖVP.)
Ein weiterer Antrag betrifft die Möglichkeit der
Vorverlegung der Schuleinschreibung:
„Der Wiener Gemeinderat spricht sich für die
Möglichkeit der Vorverlegung der Schuleinschreibung zwecks Behebung von
eventuellen sprachlichen Defiziten aus.
In formeller Hinsicht wird die sofortige Abstimmung
beantragt."
(Beifall bei der ÖVP.)
Unser nächster Antrag betrifft die Überarbeitung und
Optimierung des Beitragssystems für städtische Kinderbetreuungseinrichtungen:
„Die Frau amtsführende Stadträtin wird aufgefordert,
zum Zweck einer optimierten sozialen Verträglichkeit das Beitragssystem für
städtische Kinderbetreuungseinrichtungen grundlegend zu überarbeiten und die
Beiträge abzusenken. Darüber hinaus wird die Frau amtsführende Stadträtin
aufgefordert, ein von sämtlichen Gebühren befreites letztes Kindergartenjahr
für alle Kinder einzuführen.
In formeller Hinsicht beantragen wir die sofortige
Abstimmung."
Danke. (Beifall bei der ÖVP.)
Und unser letzter Antrag betrifft
Schwerpunktprogramme zur sprachlichen Frühförderung:
„Die Magistratsabteilung 11A möge in Zusammenarbeit
mit der Magistratsabteilung 17 und gemeinnützigen Leistungsträgern zum
Zwecke der sprachlichen Frühförderung von Kindern mit nichtdeutscher
Muttersprache ein umfassendes und allgemein gültiges pädagogisches
Schwerpunktprogramm ausarbeiten und in Kinderbetreuungseinrichtungen zur
Anwendung bringen. Darüber hinaus möge die Magistratsabteilung 11A in
Zusammenarbeit mit der MA 17 und gemeinnützigen Leistungsträgern ein
begleitendes Programm zur stärkeren An- und Einbindung der Mütter von Kindern
mit nichtdeutscher Muttersprache entwickeln und anwenden.
In formeller Hinsicht wird die
Zuweisung dieses Antrages an den Gemeinderatsausschuss der
Stadt Wien | Geschäftsstelle Landtag, Gemeinderat, Landesregierung und Stadtsenat (Magistratsdirektion)
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