Gemeinderat,
46. Sitzung vom 23.09.2004, Wörtliches Protokoll - Seite 30 von 119
heutzutage in der zeitgenössischen Kunst, in der Gegenwartskunst produziert und hergestellt wird, genau diese Zukunft darstellt, die in 100, 200 und 300 Jahren den Ruf und den Ruhm der Stadt ausmachen wird. Und wenn wir jetzt nicht in die Gegenwart investieren, dann werden wir in 200, 300 Jahren nichts mehr haben, worauf wir dann stolz sein können.
Mit diesen Entscheidungen gehen wir genau in die falsche Richtung: Wir
fördern nicht das, was gegenwärtig, spannend, interessant ist, wir fördern
nicht jene, die jetzt am Leben sind und jetzt produzieren, sondern wir fördern
das, was vergangen ist. Wir musealisieren uns selbst.
Wir von den GRÜNEN glauben nicht, dass das die Kulturpolitik ist, die
Wien braucht und die einer Sozialdemokratie würdig ist.
Die Entscheidungen für die Oper im Theater an der Wien und die
Aufwertung des Musicals sind keine Zukunftsentscheidungen, sind rückwärts
gewandt. Sie blicken in eine Vergangenheit und nicht in die Zukunft.
Im Musicalbereich haben wir in den letzten Jahren eher mit Besorgnis
wahrnehmen müssen, dass sich das Genre immer mehr selbst überlebt. Das hat auch
Gründe: Es gibt Konkurrenz. Wenn ich mich wirklich gut unterhalten will, dann
ist unter Umständen ein Hollywood-Blockbuster wirklich unterhaltsamer als das
Falco-Musical. Ich glaube, ich hoffe, ich vermute, dass es möglich ist,
Musical-Produktionen auch so zu produzieren, dass sie vielleicht diese
Strömungen, diese Entwicklungen besser aufgreifen als bisher. Ich hoffe, dass
Frau Zechner da etwas anzubieten hat, aber ich weiß es nicht. Ich muss ehrlich
sagen, wenn ich mir die internationale Entwicklung anschaue, dann bezweifle
ich, dass der Weg des Musicals der richtige ist.
Das Wort, das mir zu diesem Ronacher-Umbau einfällt, ist eigentlich nur
jenes, dass es hier zynisch zugeht: Das ist eine zynische Entscheidung! Lassen
Sie mich ausführen, wieso:
Die Summen, um die es sich hier handelt - immerhin
46,8 Millionen EUR für den Umbau -, sind disproportional mehr als
das, was wir in alle anderen Kulturbereiche in den letzten Jahren investiert
haben. Es ist eine gewaltige Schwerpunktsetzung - eine gewaltige
Schwerpunktsetzung auf tönernen kulturpolitischen Füßen, wie ich schon
ausgeführt habe. Um Ihnen die Proportionen darzustellen: Nur die Zinsen, nur die
Kosten des Kredits, der heute beschlossen werden soll, sind so viel Geld, wie
wir jährlich für die freien Theater in dieser Stadt ausgeben. Da muss es all
jenen Initiativen, all jenen Organisationen, all jenen Vereinen, die in dieser
Stadt wichtige zeitgenössische, spannende Arbeit machen, als zynisch
erscheinen, wenn immerhin 12 Millionen EUR nur in Kreditkosten
fließen. Und das ist nicht wegzuleugnen!
Es ist ebenso zynisch, dass der Herr Stadtrat in der Öffentlichkeit ganz
offensichtlich nichts dabei findet, diese in die Irre zu führen, denn er
spricht von 34 Millionen EUR und unterschlägt damit
12 Millionen EUR Kreditzinsen.
Sehr geehrte Damen und Herren! Das ist sicherlich nicht die
Informationspolitik, die sich die Menschen in dieser Stadt verdient haben. Es
ist eine zynische Herangehensweise, so nach dem Motto: Machen Sie sich keine
Sorgen, es sind ja eh nur 34 Millionen EUR!
Sehr geehrte Damen und Herren! Es sind 46,8 Millionen EUR -
das wissen Sie alle, Sie haben den Akt vor sich liegen, Sie haben ihn gelesen.
Jede andere Zahl ist ein Verschwindeln von 12 Millionen EUR - und das
kommt irgendwie nicht so gut.
Mindestens so zynisch an dem vorliegenden Antrag auf Umbaukosten ist,
dass er im Verhältnis zu dem, was andere Menschen abliefern müssen, wenn sie
nur 5 000 EUR von dieser Stadt wollen, wirklich und wahrhaftig ein
Witz ist! Sehr geehrte Damen und Herren, der Akt für 48 Millionen EUR
hat 8 Seiten! Er hat 8 Seiten, und die ersten 4 Seiten sind die
Geschichte des Ronacher, nacherzählt - was ja an sich ganz interessant ist,
denn ich gebe zu, dass ich nicht wusste, dass Herr Helmer 1886 die
ursprüngliche Fassade umbauen hat lassen, aber es sagt nichts darüber aus, was
in diesem Haus in Zukunft passieren soll. Es wird in diesem Akt Bezug genommen
auf allgemeine Zahlen, die um immerhin 300 000 Personen schwanken.
Hier steht nämlich: „Durch die großen Erfolge des Musicals und die vorhandene
Nachfrage - so besuchen zwischen 500 000 und 800 000" - das
ist immerhin ein Unterschied von 300 000! – „Menschen pro Jahr die
Musicalhäuser der Stadt ..." - Hier wird also eine Faktenlage
konstruiert, die es in dieser Form nicht gibt.
Hier wird auch angesprochen, dass es Studien über die Neustrukturierung der
Häuser gäbe. - Sehr geehrte Damen und Herren! Auf den 8 Seiten finden sich
diese Studien nicht, und sie sind allen Beteiligten bis dato nicht vorgelegt
worden.
Mindestens so empörend ist, dass diesem Akt auch keine Kalkulation
beigelegt ist. Es steht auch nicht dabei, wofür man das Geld ausgibt oder warum
man das Geld ausgibt. Auf Nachfragen haben wir die durchaus interessante Studie
des Herrn Koßdorff erhalten, der vorrechnet, warum man verschiedenste Dinge
angeblich braucht. Aber diese Studie unterscheidet sich um gewaltige
12 Millionen EUR von dem, was wir heute an Kosten beschließen. Das
heißt, es ist weiterhin völlig unklar, was mit diesem Geld passieren soll. Um
es deutlich zu machen: In der Studie von Herrn Koßdorff wird von einem Finanzbedarf
von 48 Millionen EUR für einen Umbau in zwei Phasen ausgegangen. Wenn
Sie sich recht erinnern, beschließen wir heute aber 34 Millionen EUR
- plus jene 12 Millionen EUR für die Kreditkosten. Das heißt, es
klafft hier eine riesengroße Spanne, die nicht erklärt ist. Wir wissen nicht,
was anderes passiert, wenn man nur 34 Millionen EUR hat.
Sehr geehrte Damen und Herren!
Niemals - niemals! - würde man in einem anderen Bereich dieser Stadt so mir
nichts, dir nichts derartig viel Geld beschließen, ohne zu wissen, was man
damit tut. Das glaube ich einfach nicht! Ich halte das auch für eine zynische
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