Gemeinderat,
41. Sitzung vom 26.03.2004, Wörtliches Protokoll - Seite 34 von 87
anzuwenden. - Zustände im Jahre 1998, die wir in der Untersuchungskommission über Lainz auch im Jahre 2003 vorgefunden haben.
Begleiten Sie mich auf dieser Zeitreise noch ein paar
Jahre zurück! Blenden wir zurück ins Jahr 1995, schauen wir uns
Schlagzeilen von Zeitungen aus dem Jahr 1995 an:
"Kurier" vom 27.2.1995: "Patienten
wurden gequält, geschlagen, zum Windeltragen gezwungen." - Wie konnte es
sechs Jahre nach den Morden von Lainz wieder so weit kommen?
"Kurier" vom 7.2.1995: "Pfleglinge in
zwei Anstalten der Stadt Wien geschlagen. Direktoren abgesetzt, Justiz
ermittelt."
"Krone" vom gleichen Tag: "Patientin
im Rollstuhl an den Haaren von einem Raum in den anderen gezerrt." –
Schlagzeilen, die uns bekannt vorkommen.
Schauen wir uns auch die Reaktion der
Verantwortlichen aus dem Jahre 1995, der verantwortlichen Spitalsmanager
im Jahre 1995 an, stellvertretend für viele die Reaktion der damaligen und
heutigen Generaloberin Charlotte Staudinger.
Charlotte Staudinger hat damals gesagt: "Es
stimmt. In zwei Pflegeheimen, in St Andrä und in Liesing, ist es zu
Übergriffen von Pflegern auf Patienten gekommen - Pflegefehler, verbale Aggression,
Beschimpfungen -, aber das waren schwarze Schafe, und es wurden Maßnahmen
dagegen gesetzt." Und Staudinger dann weiter: "Die Altenpflege gehört
sicher zu den schwierigsten Aufgaben. Wer jemals mit alten Menschen zu tun
gehabt hat, weiß - und das ist auch in der Literatur nachzulesen -, dass man
Aggressionen entwickeln kann."
Die Reaktion der Frau Generaloberin lässt sich wie
folgt zusammenfassen: Entdramatisieren, herunterspielen, darauf hinweisen, dass
es ja nur um Einzelfälle geht, schwarze Schafe identifizieren, in weiterer
Folge argumentieren, dass ja alles getan wird, um dem Einhalt zu gebieten, und
weitere Maßnahmen folgen werden.
Eine weitere Argumentationslinie der Frau Staudinger
aus dem Jahre 1995 ist da schon spannender - und ich würde sagen, noch
perfider. Sie ortet nämlich Verantwortlichkeiten für diese Pflegemängel nicht
im Bereich der Pflegeheime, sondern bei den Angehörigen. Frau Staudinger hat
damals eine eindeutige Schuldzuweisung ausgesprochen, als sie gesagt hat:
"Im Umgang mit Schwerstkranken und mit
Sterbenden gibt es wenige Erfolgserlebnisse." - So weit, so gut. Und jetzt
kommt es: "Die, die aber jetzt mit erhobenem Zeigefinger aufstehen und auf
die bösen Institutionen schimpfen, sind auch Leute, die versuchen, ihre Angehörigen
abzuschieben. Die wollen ihr schlechtes Gewissen beruhigen, indem sie fordern,
dass in der Institution das Optimale geschehen muss."
Ich halte diese Vorwürfe eigentlich für
Ungeheuerlichkeiten! Das sind Zeitbomben im KAV, im Management des KAV, die
seit damals ticken und die das Führungsverhalten der Verantwortlichen im KAV
sichtlich bis heute beeinflusst haben.
Ähnlich wie im Jahr 1995 auch die Argumentation
von Frau Staudinger im Jahr 2003 vor der Untersuchungskommission: Auch vor
der Untersuchungskommission hat Charlotte Staudinger die immer wiederkehrenden
Vorfälle im Pflegeheim Lainz mit gleichen unzureichenden Argumenten
zurückgewiesen wie im Jahre 1995. Auch heute verweist sie auf Einzelfälle,
entdramatisiert, spielt herunter, identifiziert schwarze Schafe und verliert
kein Wort des Bedauerns über unhaltbare Einzelschicksale und macht keinerlei
Vorschläge für strukturelle Änderungen auf dem Gebiet der geriatrischen Pflege
in Wien.
Schauen wir uns das Verhalten und die Argumentation
der politisch Verantwortlichen im Jahre 1995 an! Die Argumentation des
Herrn Bürgermeisters nach den Skandalen in St Andrä und im Pflegeheim
Liesing: Herr Bürgermeister Häupl - damals war er bereits im Amt - garantiert
im Jahre 1995 eine lückenlose Aufklärung der Pflegeheimaffäre. Er
berichtet, dass die magistratsinterne Revision alle Vorwürfe prüft, und sagt
der Öffentlichkeit, dass es in diesem Fall kein Pardon geben wird. Und dann
erklärt er sehr grundsätzlich: "Das kulturelle Niveau unserer gesamten
Gesellschaft wird nicht zuletzt daran gemessen, auf welche Weise wir mit
unseren Alten umgehen. Das schmerzt jetzt natürlich ganz besonders," sagt
der Landesvater, "wenn solche Vorfälle bekannt werden, und es ist mehr als
schmerzlich, wenn die Würde des alten Menschen im wahrsten Sinne des Wortes mit
Füßen getreten wird."
Weniger grundsätzlich, aber umso vordergründig
dynamischer war der Herr Bürgermeister in seinen Aussagen rund um die Sitzung
des Kontrollausschusses. Von einem völligen Umdenken hat der Herr Bürgermeister
gesprochen, das im Pflegebereich notwendig wäre, und über die "Kronen
Zeitung" ließ er uns ausrichten, dass er ein Drei-Säulen-Modell plant, das
bis Juni fertig sein soll: Zu Hause, in einem Seniorenheim und im
Geriatriespital sollen in Zukunft alte Menschen versorgt werden. Wer rüstig
genug ist, soll mit entsprechend geringem Aufwand zu Hause betreut werden; wenn
die Hände oder Füße nicht mehr so recht wollen, wird er in einem Seniorenheim
gepflegt; schwere Krankheitsfälle sollen in speziellen geriatrischen Spitälern
ihren Lebensabend verbringen. – Das soll gemeinsam beziehungsweise in
Zusammenarbeit mit Caritas und Kolping realisiert werden. Und dann steht hier,
dass von der Opposition durchwegs Lob für Häupls Drei-Säulen-Modell kam. - Also
ich kann mich nicht erinnern, dass ich Häupls Drei-Säulen-Modell gelobt hätte!
Ich habe seine Bereitschaft zur Diskussion gelobt, das war aber auch schon
alles.
Lassen Sie mich daher ganz offen Folgendes sagen:
Dieses Drei-Säulen-Modell hätte der Herr Bürgermeister bereits vor zehn Jahren
einführen können! (Beifall bei der FPÖ.)
Die Verantwortung für dieses
politische Versäumnis trägt niemand anderer als der Herr Bürgermeister
persönlich. Daher ist es gut und richtig, dass sowohl der Herr Bürgermeister
als auch die Oppositionspartei Anträge an das Kontrollamt gerichtet haben und
heute zwei Berichte des Kontrollamts vorliegen, die die Situation in
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