Gemeinderat,
20. Sitzung vom 25.10.2002, Wörtliches Protokoll - Seite 20 von 106
Ich glaube, wenn ich jetzt persönlich drei Anforderungen an
ein Bildungssystem formulieren müsste, eine weiß ich sicherlich: Gelingt
unserem Bildungssystem der Zugang zum Lesen?
Jetzt gebe ich zu: Wir haben darauf nicht die Patentantwort.
Das hat sehr, sehr viel mit dem Elternhaus zu tun, und das hat auch damit zu
tun, welche Wichtigkeit das in einer Gesellschaft hat.
Eine weitere Zahl, die mich sehr erschreckt hat, worauf
die Politik aber unmittelbar keinen Einfluss hat. Auf die Frage in Österreich
"Welche Medien gehören dir persönlich, welche hast du in deinem Jugend-
und Kinderzimmer?" sagen 67 Prozent der Burschen - 67 Prozent!
-, sie haben einen Fernseher zu ihrer persönlichen Verfügung. Bei den Mädchen
sind es nur 53 Prozent.
Jetzt sage ich einmal - und ich habe keine Konsequenz,
denn die Politik hat da keinen unmittelbaren Einfluss -, ich halte das für
verheerend. Ich halte diese Selbstverständlichkeit für verheerend, im Kinderzimmer
einen Fernseher zu haben - wer Kinder hat, weiß das: wenn du einem Drei-,
Fünf-, Siebenjährigen den Fernseher aufdrehst ist, eine Ruhe -, denn dann ist
es in der Tat schwierig, einen Zugang zum Buch zu bekommen, weil Lesen immer
zumindest einiger Minuten der Konzentration und der Anstrengung bedarf.
Ich habe kein gestörtes Verhältnis zum Fernsehen. Na,
selbstverständlich ist die Erziehung nur mit dem Objekt Fernsehen möglich und
nicht dagegen, aber wenn in 67 Prozent der Kinderzimmer ein Fernseher
steht, meine Damen und Herren, dann müssen wir darüber nachdenken, ob wir
vielleicht über Wichtigeres als über die Container diskutieren sollten. (Beifall
bei der SPÖ.)
Ein anderes Thema: Wir wissen, welche Explosion Computerspiele
erleben. Sie sind notwendig - ich bin ein EDV-Freak, ich habe viel fürs
Internet über -, aber natürlich ist die unmittelbare Lust, ein Computerspiel
verfügbar zu haben versus ein Buch zu lesen, eins zu tausend.
Vor diesem Hintergrund möchte ich das diskutieren:
als Aufforderung an die Politik, sich etwas einfallen zu lassen. Denn - und das
zeigt die PISA-Studie erschreckend für das österreichische Bildungssystem -
dort, wo vom Elternhaus her das Buch eine Rolle spielt, wo im Kleinstkindalter
vorgelesen wird, Geschichten erzählen werden, Neugierde geweckt wird, gibt es
einen leichteren Zugang zum Buch, und dort, wo das im geringeren Ausmaß der
Fall ist, viel, viel weniger.
Die Frage an unser Bildungssystem ist: Kompensiert es
diese Startunterschiede oder werden sie durch das Bildungssystem verschärft? -
Antwort der PISA-Studie: Sie werden verschärft. Dort, wo die Voraussetzungen
gut sind, wird gelesen. Der Unterschied zwischen AHS und BHS kommt ganz klar heraus.
Im AHS-Bereich, wo auch die soziale Schichtung eine andere ist, wird mehr gelesen.
Das führe ich stark auf das Elternhaus zurück, worauf wir auch keinen
unmittelbaren Einfluss haben.
Ich sage ganz ehrlich - und wir wollen das auch diskutieren
-, wir haben jetzt nicht die Punkte 1, 2, 3 und sagen, hier hat die Regierung
versagt. Wir haben auch keine Wiener Daten, das sind österreichische Daten. Wir
sollten uns aber - und das ist einer unserer Anträge heute - die Wiener Daten
anschauen.
Meine Damen und Herren! Worum es geht, ist eine
wirkliche Kraftanstrengung, wenn es wichtig ist - mit fünf Rufzeichen -, Lesen,
Zugang zum Buch interessant zu gestalten. Da, glaube ich, sollten wir eine
Vielfalt von Instrumenten ausprobieren, da sollten wir auch Geld in die Hand
nehmen, da sollten wir Forschungen machen, da sollten wir international
schauen, wieso das in anderen Ländern besser gelingt. Da erhoffe ich mir nur
eines heute von den sozialdemokratischen Rednerinnen und Rednern: uns nicht zu
erklären, was sie eh alles in Wien machen - bitte, wenn das möglich ist - und
dass Wien eh super ist. Wenn das passiert, dann, muss ich sagen, ist der
Versuch gescheitert, einmal breiter ein wichtiges Thema durchaus abseits
parteipolitischer Zuordnungen zu haben. (Beifall bei der ÖVP.)
Wenn es hier einen Konsens gibt, dass Lesen und Literatur,
dass Neugierde auf Lesen, auf ein Fachbuch, auf ein Reisebuch, über eine
Kultur, eine Öffnung für etwas Neues wichtig ist, sollten wir einen gemeinsamen
Kraftakt setzen, der vom Presse- und Informationsdienst über die Ausbildung von
Kindergärtnerinnen und Kindergärtnern bis hin zu neuen Modellen der Benützung
von Bibliotheken - was kann dort spannend sein, wie kann man Lesen verstärkt
interessant machen - reicht.
Wenn das Ergebnis ist, dass nicht mehr in einem
derart hohen Ausmaß - da ist Österreich leider trauriger Weltmeister - nur eine
Zeitung gelesen wird, mit all der Macht, die daraus bezogen wird - ich empfehle
in diesem Zusammenhang, sich den Film über die "Kronen Zeitung"
anzuschauen; Sie glauben es nicht, was in diesem Film gezeigt wird -, wenn es
möglich wird, dass, wie in anderen Ländern, mehr Zeitungen, mehr Bücher gelesen
werden und Jugendliche - was auch aus der PISA-Studie herauskommt - auch in
ihrer Peergroup untereinander über Bücher zu diskutieren beginnen, dann haben
wir viel erreicht.
Als männlicher Mandatar muss ich sagen, es würde mich
freuen, wenn die österreichischen Schüler sich ein bisschen ein Beispiel an den
Schülerinnen nehmen würden, denn in wenigen Bereichen ist der Unterschied
zwischen Burschen und Mädchen derart signifikant wie im Bereich des Lesens.
Hier können die Burschen sehr viel von den Mädchen lernen. - Danke schön. (Beifall
bei den GRÜNEN.)
Vorsitzender GR Günther Reiter: Danke,
Herr Klubobmann. - Für die weiteren Wortmeldungen möchte ich nur daran
erinnern, dass die Damen und Herren des Gemeinderats sich einmal zu Wort melden
dürfen und ihre Redezeit mit 5 Minuten begrenzt ist.
Als nächster Redner hat sich Herr GR Walter Strobl
zum Wort gemeldet. Ich erteile es ihm.
GR Walter Strobl (ÖVP-Klub der
Bundeshauptstadt Wien): Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Meine Damen und
Herren!
Ich bin in der selten angenehmen Situation, alles,
Stadt Wien | Geschäftsstelle Landtag, Gemeinderat, Landesregierung und Stadtsenat (Magistratsdirektion)
Kontaktformular