Gemeinderat,
14. Sitzung vom 22.03.2002, Wörtliches Protokoll - Seite 31 von 81
daran erinnern, wie damals die Gefahr von Gebührenerhöhungen
einfach abgeleugnet wurde. Und es sind uns damals ja insgesamt sehr, sehr viele
Märchen erzählt worden. Ich meine daher, auch weil diese Debatte heute zur
Schwerpunktdebatte an diesem Gemeinderatstag erklärt worden ist, sollten wir
den Versuch unternehmen, die Änderung der politischen Meinung im Zeitablauf ein
bisschen näher zu untersuchen. Wir sollten uns einmal die Haltbarkeit von so manchen
politischen Aussagen ansehen und wir sollten vor allem auch manche Aussagen vor
unserer Wiener Wahl den jetzigen politischen Aussagen gegenüberstellen. Denn es
ist ja, meine Damen und Herren, vor allem vor unseren Wiener Wahlen, besonders
die Regierung, also die Bundesregierung, für alles Böse in diesem Land
verantwortlich gemacht worden.
Da hat unser StR Rieder etwa kritisiert die
Gebührenerhöhungen. Er hat kritisiert, dass die untersten Einkommensschichten
dadurch zum Handkuss kommen. Er hat damals kritisiert, dass das unterste
Einkommensdrittel doppelt so stark belastet wird wie das obere
Einkommensdrittel, also die besser Verdienenden. Und man hat damals
wortwörtlich von einer kaltschnäuzigen Umverteilungspolitik gesprochen zu
Lasten der Schwächeren. Landtagspräsident Hatzl hat von einem unverschämten
blau-schwarzen Griff in die Brieftaschen gesprochen und Klubobmann Oxonitsch -
damals war er noch nicht Klubobmann - hat sogar zu Straßendemonstrationen gegen
die Bundesregierung vor unserer Wiener Wahl aufgerufen, eben mit dem Argument
Gebührenerhöhungen und Sozialdemontage.
Meine Herren - und es ist ja von den Angesprochenen
nur der Herr Stadtrat anwesend -, Sie müssen sich daher heute im Rahmen dieser
Debatte schon auch den Vorwurf gefallen lassen, mit zweierlei Maß zu messen,
nämlich mit zweierlei Maß, wenn es einerseits um Maßnahmen des Bundes geht und
andererseits um Maßnahmen hier bei uns. Beim Bund spricht man von einer
kaltschnäuzigen Umverteilungspolitik auf Kosten der sozial Schwächeren, man
ruft sogar zu Demonstrationen auf. Das ist also die böse Budgetsanierung auf
Bundesebene. Bei uns gibt es nach dieser Dialektik die gute Budgetsanierung.
Man spricht bei uns davon, dass alle Rationalisierungspotenziale ausgenützt
werden müssen, dass alle Sparpotenziale ausgereizt werden müssen, dass nicht
gleich der Steuerzahler einspringen darf für jede Kostenunterdeckung, und man
spricht immer wieder davon, dass unsere Wiener Tariferhöhungen natürlich
betriebswirtschaftlich gerechtfertigt sind, weil eben die Sparpotenziale
angeblich bereits ausgereizt sind. Es gibt daher nach dieser Dialektik auch
zwei Arten von Tariferhöhungen: Böse Tariferhöhungen, die von der
Bundesregierung kommen, blau-schwarze, böse Tariferhöhungen, und gute rote
Tariferhöhungen bei uns hier in Wien.
Und, meine Damen und Herren, weil hier immer das
Ausreizen der Sparpotenziale als Argument verwendet wird, möchte ich doch auch
diese Sparpotenziale ein bisschen näher untersuchen, denn es sind in
Wirklichkeit in dieser Stadt viele Sparpotenziale überhaupt noch nicht einmal
angegangen worden, Sparpotenziale, mit denen wir ohne Tariferhöhungen, ohne
neue Gebühren, die Budgetsituation in Wien verbessern könnten. Man kann
langfristig ein Budget natürlich nur ausgabenseitig sanieren, durch
Strukturreformen, die die Dynamik, die die Steigerungsraten der Ausgaben
herunterdrücken.
Meine Damen und Herren! Es wird hier immer wieder bei
uns, vor allem von den Sozialisten, die Bundesebene ins Spiel gebracht, sobald
es um Tariferhöhungen geht. Ich meine daher, wir sollten diesen Vergleich
tatsächlich einmal anstellen. Wir sollten in dieser Schwerpunktdebatte auch den
Vergleich anstellen: Welche Sparmaßnahmen, welche Strukturreformen hat es denn
wirklich beim Bund in diesen letzten zwei Jahren gegeben und welche
Sparmaßnahmen, welche strukturellen Reformen hat es im Vergleich dazu in der
Stadt Wien gegeben?
Es ist die Regierung gerade dabei, die erste
umfassende und durchgehende Verwaltungsreform in dieser Zweiten Republik
umzusetzen. Es sind die Meilensteine dabei die Bezirkshauptmannschaft neu, die
Totalreform der Gerichtsorganisation, der Finanzämter und die Einsparung von
insgesamt 17 Sektionen in den Ministerien. Das bringt halt immerhin über
20 Milliarden S pro Jahr.
Was ist bei uns passiert? - Es hat die alte
Stadtregierung zwar noch Gutachten über eine mögliche Verwaltungsreform in
Auftrag gegeben, aber nicht einmal diese alten Studien wurden umgesetzt,
sondern ganz im Gegenteil, es hat sich die Zahl der Beamtenposten bei uns in
der letzten Periode um 2 000 erhöht.
Im Detail betrachtet: Die Regierung will die
Nationalbibliothek ausgliedern. Bei uns gibt es keine Denkansätze in die
Richtung. Bei uns sind für die Bibliotheken sogar drei Magistratsabteilungen
zuständig: das Stadtarchiv, die Landesbibliothek und die städtischen
Büchereien. Eine Zusammenlegung etwa, die Erzielung von Synergieeffekten wird
nicht einmal diskutiert.
Die Bundesregierung reformiert auch die
Erwachsenenbildung. Es soll das Bundesinstitut für die Erwachsenenbildung
ausgegliedert werden, effizienter gestaltet werden. Bei uns gibt es
vergleichsweise die Volkshochschulen. Bei den Volkshochschulen passiert
überhaupt nichts. Die Volkshochschulen, meine Damen und Herren, werden
weiterhin betriebswirtschaftlich ineffizient auf Vereinsbasis geführt, weil man
so ihre Abhängigkeit ein bisschen absichern will.
Oder nächster Punkt: die öffentlichen Gärten. Die
Regierung will die Bundesgärten ausgliedern. Bei uns gibt es so wie vor
100 Jahren das Stadtgartenamt. Niemand macht sich Gedanken über eine
Reform.
Auf Bundesebene wird die gesamte Verwaltung nach
Effizienzsteigerungen, nach der Möglichkeit von Ausgliederungen durchleuchtet.
Bei uns wird vieles nicht einmal andiskutiert, etwa das Kanal- und Wasseramt
oder die öffentliche Beleuchtung.
Nichts weitergegangen ist bisher bei den städtischen
Friedhöfen, bei den Bädern, beim Marktamt oder auch zum Beispiel bei der
elektronischen Datenverarbeitung. Meine Damen und Herren! Auf Bundesebene gibt es
eine Rechenzentrum GmbH. Bei uns in Wien ist für unsere
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