Gemeinderat,
11. Sitzung vom 01.2.2002, Wörtliches Protokoll - Seite 74 von 94
Zur Debatte über die Beantwortung der dringlichen Anfrage
hat sich Herr GR Mag Chorherr zum Wort gemeldet. Ich erteile es ihm, wobei ich
bemerke, dass die Redezeit mit 20 Minuten begrenzt ist. - Bitte, Herr Magister.
GR Mag Christoph Chorherr
(Grüner Klub im Rathaus): Meine Damen
und Herren!
Das war eine durchaus erhellende Beantwortung, wie
die Sozialdemokratie Abfallpolitik, aber auch, wie die Sozialdemokratie
Bürgerbeteiligung versteht. Ich habe jetzt genau mitgehört und das auch mitgeschrieben.
Wenn man gemeinsam ein Abfallkonzept sucht, wird - so
das naive Verständnis der GRÜNEN - von Anfang an die Bevölkerung miteinbezogen.
Jetzt habe ich ein neues Wort gehört, das ich bisher noch nicht bei der
Bürgerbeteiligung gehört habe, das heißt: Vorsicht Bürger! Hoher Abstraktionsgrad!
Also überall dort, wo ein hoher Abstraktionsgrad ist, da haben Bürgerinnen und
Bürger nichts verloren. Das heißt im Klartext bei der Müllverbrennung: So lange
man über die wesentlichen Dinge redet, zum Beispiel darüber, wo eine Müllverbrennungsanlage
hinkommt, haben Bürger dort nichts verloren. Hoher Abstraktionsgrad! Bei dem
hohen Abstraktionsgrad wird ein Standort festgelegt. Der Standort heißt
Simmering. Alles ist klar. Und was beginnt jetzt? - Jetzt beginnt die
Bürgerbeteiligung. Alles ist klar, die Müllverbrennung kommt dorthin. Oder vielleicht
auch nicht, wenn wir jetzt noch einige Diskussionen führen. Aber das ist eine
wichtige Geschichte.
Ein Zweites ist das Verhältnis der SPÖ zur Realität.
Sie haben zu uns gesagt: Nehmen Sie doch die Realitäten zur Kenntnis und haben
irgendwie dargestellt, dass Frauen und Männer in unterschiedlichen
Bundesländern ein unterschiedliches Lebensverhalten haben.
Ich bringe Ihnen jetzt einige Realitäten zur
Kenntnis, denn Sie vertreten doch immer die Ansicht: In Wien ist es doch eh so
toll mit dem Abfall. Übrig bleibt eines, und ich werde Sie darauf hinweisen:
Wir erhöhen jetzt die Müllgebühren, damit die SPÖ die Milliarden hat, um eine
große Müllverbrennungsanlage zu bauen, die Wien in der Dimension nicht braucht.
Das ist der Punkt, und das ist unser Beitrag zur Bürgerbeteiligung.
Warum braucht Wien diese Müllverbrennung in dieser
Dimension sicherlich nicht? - Ich erlaube mir, auf Städte einzugehen, in denen
vielleicht auch Frauen arbeiten. Wahrscheinlich arbeiten in Berlin oder in München
auch Frauen und wahrscheinlich auch wegen der Errungenschaften der dortigen
Regierungen, die sicherlich den Hauptanteil daran haben, dass in der städtischen
Bevölkerung höhere Frauenarbeitsquoten sind.
Diese irren Überlegungen gehen von einer Überlegung
aus und die Realität heißt: Der Wiener Restmüll muss steigen. Wenn der Wiener
Restmüll während der nächsten Jahre nicht steigt, kommen wir in 10 Jahren,
in 15 Jahren zu völlig anderen Abfallmengen und können mit geringeren
Abfallkapazitäten - wir haben schon Müllverbrennungsanlagen in Wien - auskommen.
Ist das eine völlig jenseitige Utopie oder ist das eine denkbare Strategie?
Das Wiener Restmüllaufkommen pro Kopf beträgt
316 Kilogramm und Sie gehen davon aus, dass das weiter steigt. Jetzt
vergleiche ich das mit Städten und nicht mit dem ländlichen Raum.
Also, Wien 316 Kilo, Berlin 306 Kilo pro
Kopf der Bevölkerung, und wenn es in den nächsten Jahren nur gelänge, dass Wien
aufs Berliner Niveau absenkt, wären das einige relevante Zigtausend Tonnen, für
die wir keine Kapazitäten herstellen müssen. Wenn Sie Abfallpolitik endlich so
verstehen würden, nicht ausschließlich Standorte für Müllverbrennungsanlagen zu
suchen, sondern sich mit derselben energischen Kapazität wirklich zu überlegen,
wie in Wien das Abfallvolumen reduziert werden kann - und nicht schon wieder
nur auf den Bund zu schimpfen -, dann könnte man möglicherweise über andere
Dimensionen reden.
Aber ich bin mit Berlin mit 306 Kilogramm noch
nicht am Ende. Wien 316 Kilogramm, Berlin 306 Kilogramm, München
232 Kilogramm. Das ist schon ziemlich viel weniger. Ich weiß nicht, ob in
München alle Frauen nur am Herd sind, oder ob alle Münchner Vorgärten haben, wo
sie ihre Karotten züchten, oder ob vielleicht das soziologische Verhalten in München
nicht anders ist.
Ich komme jetzt noch zu einer Stadt, nämlich zu Graz.
Also, Wien 316 Kilogramm - SPÖ-Strategie: das muss aber weiter steigen,
denn Realität ist, was wir sagen -, alle anderen Städte weniger.
316 Kilogramm in Wien, in Graz 185 Kilogramm. Also, signifikant
geringeres Restmüllaufkommen in vergleichbaren Städten. Ja, hallo! Was ist denn
da los? - Wenn ich richtig informiert bin, gibt es auch für Graz eine
schwarz-blaue Bundesregierung. Offensichtlich sind daher die Rahmenbedingungen
nicht anders als bei uns.
Und Linz, um das noch vollständig zu machen, eine
Industriestadt: 200 Kilogramm pro Kopf der Bevölkerung. Alles Städte, die
ein signifikant geringeres Restmüllaufkommen haben.
Ihre Strategie, Frau Stadträtin, müsste es jetzt
sein, nicht zu fragen, wie wir mehr Müll produzieren, für den wir dann eine
große Müllverbrennungsanlage errichten, sondern Sie müssten sich fragen: Wie
können wir es schaffen, durch eine intelligente Politik in dieser Stadt, durch
eine intelligente Abfall- und Umweltpolitik langsam und schrittweise durch
Maßnahmen das Abfallaufkommen zu reduzieren?
Und da haben Sie in einem einzigen Punkt Recht gehabt.
Sie haben Beispiele wie den Öko-Business-Plan angeführt und daraus ersieht man,
dass es dort, wo man etwas tut, möglich ist, Abfall zu vermeiden. Aber nicht
nur um 5 oder 10 Prozent - wir waren beide bei dieser Veranstaltung, bei
der die Betriebe ausgezeichnet wurden -, sondern um minus 50 bis 60, minus 70,
minus 80 Prozent Abfall durch intelligente Politik.
Das aber nicht nur in einigen wenigen Bereichen zu tun,
sondern flächendeckend umzusetzen, das wäre Ihre Aufgabe. Politik heißt,
Realität gestalten und nicht, Realität resignativ zur Kenntnis zu nehmen.
Aufgabe einer zukunftsorientierten, nachhaltigen Abfallpolitik ist es, das
Restmüllaufkommen zu reduzieren, dann zu bilanzieren
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