Gemeinderat,
5. Sitzung vom 21.9.2001, Wörtliches Protokoll
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Solidarisch zu sein
heißt, alle politischen Anstrengungen auf eine gemeinsame langwierige und viele
Mittel erfordernde Bekämpfung von Terrorismus und Gewalt zu unternehmen.
Die hinter der
gelegentlich martialisch anmutenden Wortwahl stehende bisherige politische und
militärische Haltung der USA und der mit den USA in Bündnis befindlichen
Staaten deutet darauf hin, dass die Ereignisse des 11. September 2001
nicht mit blinder Vergeltung beantwortet werden. Bei einer konsequenten,
gemeinsamen Aktion gegen die Urheber der Anschläge vom 11. September 2001
kann es allerdings keinen Zweifel an der Mitwirkung aller demokratischen
Staaten und Gesellschaften dieser Welt geben.
Gegenüber dem
Terrorismus ist man nicht neutral!
Wien und
Österreich ist heute, zehn Tage nach den entsetzlichen Ereignissen in den USA,
mit seinen Gedanken und Gefühlen bei den Hinterbliebenen und gedenkt der
Tausenden Opfer.
Vorsitzender
GR Rudolf Hundstorfer: Ich
danke dem Herrn Bürgermeister für die Erklärung und darf den Gemeinderat um
eine Gedenkminute ersuchen.
(Die Mitglieder des Gemeinderates erheben sich von den
Plätzen, um eine Gedenkminute abzuhalten.)
Ich danke
schön.
Zum Wort
gemeldet haben sich die Klubvorsitzenden der hier im Haus vertretenen Fraktionen.
Ich darf nun
als erstem Redner Herrn GR Mag Chorherr das Wort erteilen. - Bitte.
GR Mag
Christoph Chorherr (Grüner Klub im Rathaus): Herr
Vorsitzender! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Bürgermeister!
Ich finde es
gut, dass wir hier darüber sprechen, dass wir darüber diskutieren, weil bei
aller Betroffenheit, die wir alle gespürt haben und spüren, halte ich es für
notwendig, über Konsequenzen zu diskutieren. Wenn es darum geht, die Ursachen
von Terrorismus und Gewalt zu bekämpfen, dann können und dürfen wir nicht
primär unsere Gefühle ansprechen lassen, sondern müssen zu Analysen kommen.
Die meisten
von uns haben die USA besucht, waren in New York, sind selber auf dem World
Trade Center gestanden und können insofern die Emotionen, die da geweckt
werden, nachvollziehen und Verständnis für diese Emotionen haben. Ich möchte
aber ganz bewusst hier jetzt auch meine Sorge formulieren, angesichts dessen,
was seit diesem schrecklichen Terroranschlag passiert. Um meine Zweifel äußern
zu dürfen, möchte ich von diesem Pult aus auch sagen, dass die Form der
Reaktion, die von der Führung der Vereinigten Staaten kommt, nach meinen und
den Befürchtungen vieler das Gegenteil dessen bewirken wird - wenn es eintritt
-, als man zu tun vorgibt.
Das
unstrittige Ziel - darum haben sich so viele solidarisiert - war, dass die gesamte
Welt sich vor so etwas schützen muss und elementares Handeln erforderlich ist.
Wenn ich jetzt Kritisches zur Reaktion der Führung der Vereinigten Staaten äußern
möchte, dann nicht um in einem Schwarz-Weiß, Gut-Böse die Vereinigten Staaten wesentlich
zu kritisieren, sondern um zu einem gemeinsamen Handeln der gesamten Welt zu
kommen, dass so etwas nicht möglich wird.
Ich habe es
bis vor kurzem nicht für möglich gehalten, dass ein Hurrapatriotismus Krieg vorbereitet,
dass eine Rhetorik gewählt wird - ich sage das hier bewusst in aller Schärfe -,
die genau das Gegenteil dessen bewirken wird, was sie zu bewirken vorgibt, nämlich
nicht die Ursachen zu bekämpfen, sondern im Grunde den Zielen des Terrorismus
vielleicht sogar in die Hände spielt.
Wenn heute der
amerikanische Präsident gesagt hat, entweder mit den Vereinigten Staaten oder
mit den Terroristen, dann ist das grundfalsch! Mit allen Opfern fühlen wir mit.
Aber war es nicht unter anderem das Ziel dieser Terroranschläge, ein weites
Feld von jenen, die der amerikanischen Außenpolitik sehr kritisch
gegenüberstehen, und das in vielem aus verständlichen Motiven, mit dem
Schlachtruf - ich sage bewusst "Schlachtruf" -: "Entweder mit
uns oder mit den Terroristen!", sehr viele, die das nicht unterstützen,
vor die Frage stellt, sich eigentlich gegen die Vereinigten Staaten zu stellen?
Wenn ich jetzt
nur einiges dieser Rhetorik aufgreife, greife ich es nicht deswegen auf, um
primär die USA zu kritisieren, sondern um zu einem aufgeklärten Denken zu
kommen, das zu Handlungen führt, die wirklich an der Wurzel ansetzen und nicht
das Gegenteil bewirken.
"Der
Kampf des Guten gegen das Böse." - Gleichzeitig mit "Wir, die USA
sind das Gute und wer nicht mit uns ist, ist das Böse!" schwingt mit, hier
die westlich abendländische Kultur, dort eine Kultur des Islams. Ich halte eine
derartige Strategie für verheerend!
"Der
Angriff auf die zivilisierte Welt", wieder sich selbst meinend und
unterstellend, weite Teilen der Welt seien, ja was denn, nicht die zivilisierte
Welt, die unzivilisierte Welt?
Verheerend
halte ich, wenn ich das hier in aller Zurückhaltung formulieren darf: "Der
Kreuzzug gegen das Böse". Meine Damen und Herren, wie muss der Begriff
"Kreuzzug" in der moslemischen Welt aufgenommen werden, wissend, was
der Kreuzzug war?
Noch etwas,
an, wenn man so will, die Fundamentalisten beider Seiten gerichtet, immer
wieder hier Allah missbrauchend, dort "God bless America". Bitte,
lassen wir den lieben Gott aus dem Spiel! Immer dort, wo der liebe Gott zur
Legitimation von Krieg, von Rache, von Vergeltung aufgerufen wurde, hat das in
der Geschichte verheerend gewirkt!
Das
"Ausräuchern": In einem Atomstaat wie Pakistan, wo man nicht gewesen
sein muss - ich war nie in Pakistan -, aber wo man intelligente Kommentatoren
und Kommentatorinnen lesen kann, bewirkt diese Rhetorik jetzt eine
Solidarisierung mit genau der falschen Seite.
Man muss darüber
nachdenken können, ohne in den Geruch des Antiamerikanismus zu kommen, warum so
etwas möglich ist und nicht einfach sagen:
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