Gemeinderat,
3. Sitzung vom 25.6.2001, Wörtliches Protokoll
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weil jetzt etwa sogar
die Wertpapierankäufe unter diesen Investitionsbegriff fallen. Sogar fiktive
Ausgaben, die gar nicht geflossen sind, gelten auf Grund dieses neuen Begriffs
jetzt als Investitionen. So hat es im Vorjahr - und darauf ist ja bereits
hingewiesen worden - in hohem Ausmaß begünstigte Rückzahlungen bei der
Wohnbauförderung gegeben. Die Stadt gewährt auf Grund der Gesetzeslage hohe
Darlehensnachlässe bei diesen begünstigten Tilgungen. Es sind daher in Wahrheit
nur unsere Darlehensnachlässe gestiegen, weil diese Darlehensnachlässe als
fiktive Ausgaben dem Investitionsbegriff jetzt erstmals hinzugerechnet werden.
Die eigentlichen baulichen Investitionen der Stadt jedoch sind weiter gesunken
und natürlich sind nur diese für den Beschäftigungseffekt entscheidend, denn
fiktive Ausgaben sind nicht dazu geeignet, tatsächlich unsere Wiener Wirtschaft
anzukurbeln.
Meine Damen und
Herren! Da schließt sich der Kreis bei der Schwarzweißmalerei. Insbesondere die
Sozialdemokratische Fraktion hat heute geradezu ein Lehrbeispiel dieser
Schwarzweißmalerei geliefert. StR Rieder hat in der Früh gleich damit begonnen:
Gebührenerhöhungen in Wien sind gut, betriebswirtschaftlich kalkuliert und
durchgerechnet. Gebührenerhöhungen beim Bund hingegen sind asozial, sind böse Gebührenerhöhungen.
Herr GR
Driemer hat dann in seinem Beitrag diese Schwarzweißmalerei sehr würdig
fortgesetzt. Sparmaßnahmen beim Bund heißen bei ihm "Kaputtsparen".
Die Bundesregierung spart also "kaputt", sie spart böse und die
Bundesregierung ist schuld an den vielen Arbeitslosen am Bau.
Wenn in Wien
gleichzeitig die baulichen Investitionen der Stadt einen historischen Tiefstand
erreichen, im Jahr 2000 weiter gekürzt werden, dann ist das nicht böse, dann
sind die Kürzungen der Bauinvestitionen in Wien nicht schuld an den
Arbeitslosen am Bau. Dann veranstalten wir eben eine Märchenstunde und erzählen
von der Rekordinvestitionsquote. (Beifall
bei der FPÖ.)
Meine Damen
und Herren! Damit kommen wir schon zum vierten und letzten Punkt dieser Märchenstunde,
die heute auch ein bisschen von der ÖVP angereichert worden ist. So hat etwa
Klubobmann Görg auch gleich ganz in der Früh gemeint, dass die langjährige
Abwanderung der Industrie aus Wien so gut wie gestoppt werden konnte.
Finanzstadtrat Rieder hat sogar von einer Technologieoffensive gesprochen, die
seit dem Jahr 1997 stattgefunden hat. Und GR Tschirf hat sich zu der Formulierung
verstiegen, dass Wien seit der Regierungsbeteiligung der ÖVP eine pulsierende
Industriestadt ist.
Meine Damen
und Herren! Wie sieht denn hier die Wahrheit aus? - In diesen letzten vier
Jahren ist die Anzahl der Produktionsbetriebe in der Industrie von 1 117
auf 812 zurückgegangen - auch das sind unangreifbare Zahlen des
Wirtschaftsforschungsinstituts. In der Verantwortungsperiode der letzten
Regierung ist also die Anzahl dieser Industriebetriebe in Wien sogar um mehr
als ein Viertel geschrumpft! Das erklärt wohl auch, warum der
Handelskammerpräsident Nettig diese Zahlen des WIFO bis zuletzt immer wieder in
Abrede gestellt hat. Er hat versucht, diese Daten in Zweifel zu ziehen, weil
eben die ÖVP in diesen vier Jahren mitverantwortlich für die Politik in dieser
Stadt war und Nettig ja offenbar sogar noch immer mitverantwortlich ist - als
einziges Regierungsmitglied der Welt, das zugleich auch Mitglied der Opposition
ist! (GR DDr Bernhard Görg: Das sind Frau
Rothauer und Herr Marboe auch! - Heiterkeit des GR DDr Bernhard Görg sowie des
StR Dr Peter Marboe.)
Meine Damen
und Herren! Diese langjährige freiheitliche Kritik, dass Wien immer mehr zum
Schlusslicht wird, ist ja jetzt auch vom Wirtschaftsforschungsinstitut in
dieser Studie bestätigt worden. Darin steht eben, dass die Wiener Wirtschaft
nur halb so schnell gewachsen ist wie die Wirtschaft im Bundesdurchschnitt und
dass wir damit eben wortwörtlich das Schlusslicht unter allen Bundesländern
sind. Nach diesen unangreifbaren Zahlen der Wissenschafter heißt es hier - ich
zitiere wörtlich -: "Blieb Wien im Boom-Jahr 2000 das einzige Bundesland
ohne nennenswerten Beschäftigungsaufbau."
Und da sind
wir wieder, meine Damen und Herren, bei der Märchenstunde: bei der
Märchenstunde der Sozialdemokratie von den neu geschaffenen Arbeitsplätzen, bei
der Märchenstunde der "höchsten Beschäftigung in Wien" - so ein
wörtliches Zitat von heute vom Kollegen Driemer.
Meine Damen
und Herren! Was sagt diese Wifo-Studie wirklich? Was heißt denn das, dass Wien
im Jahr 2000 das einzige Bundesland ohne Beschäftigungsaufbau war? - Das heißt
genau das, was wir nicht müde geworden sind, von dieser Stelle aus zu
kritisieren, dass nämlich in Wien als einzigem Bundesland im Vorjahr keine
neuen Arbeitsplätze geschaffen worden sind, dass Wien das Schlusslicht ist. Das
Wifo mahnt ja nicht zuletzt daher auch uns Politiker, dass wir uns -
wortwörtlich - nicht selbst über die Tatsache hinwegtäuschen sollten, dass das
größte Konjunkturhoch der letzten zehn Jahre an Wien eigentlich vorbeigegangen
ist.
Meine Damen
und Herren! Eine Märchenstunde ist das Letzte, was wir in dieser Situation
brauchen. Wir brauchen eine neue, engagierte Wirtschaftspolitik, um den
Anschluss an den Bundesdurchschnitt, an die anderen Bundesländer wieder zu finden.
Unser erster
Vorschlag dazu ist ein Favoritner Technologie- und Gründerzentrum beim
geplanten Hauptbahnhof. Es ist ja heute in der Generaldebatte von unserer
Fraktion bereits dieses Projekt für einen neuen Südgürtel insgesamt vorgestellt
worden. Wir wollen mit diesem Projekt neuer Südgürtel aber nicht nur neuen,
hochwertigen Wohnraum schaffen, sondern wir wollen damit gleichzeitig auch
5 000 neue, hochwertige Arbeitsplätze und 2 000 Studienplätze an
Fachhochschulen schaffen.
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