Mitschrift
Wenn ich an meine Kindheit und dann an meine Schulzeit denke, dann kann ich nie beiseite lassen, dass ich einen Krieg erfahren habe in meinen ersten Lebensjahren. Und das war sicher traumatisch. Also ich bin 1939 geboren. Mein erster Eindruck von Leben war sehr bald der, dass es Bomben gibt, dass es Angst gibt, dass es die Katastrophe gibt. Und wir wurden dann aufs Land evakuiert, wie das damals üblich war, meine Mutter und meine Schwestern. Und als ich dann nach Wien zurückkam, waren wir so quasi ausgebombt und haben eine neue Wohnung gesucht. Und meine Eltern haben eben nur eine Wohnung in Floridsdorf gefunden, jenseits der Donau. Und ich weiß noch, wie wir zum ersten Mal dort hingefahren sind über die große Brücke, über den Fluss und wirklich weit, weit hinaus, so ans Ende der Stadt. Das war am Anfang irgendwie fast ein bisschen bestürzend. Aber ich hab dann begonnen, dieses Vorstadtgebiet sehr zu lieben. Damals war die Brünner Straße zum Teil nicht einmal asphaltiert. Es gab zwar so eine Straßenbahnlinie, aber wir sind im Sommer barfuß auf der Brünner Straße herumgelaufen. Alles kann man sich jetzt überhaupt nicht mehr vorstellen. Brünner Straße 63-65. Wenn ich jetzt vorbeifahr mit Freunden, sag ich immer: Da, da hab ich gewohnt. Und da war daneben so ein Spielplatz und da war ein Misthaufen, so ein überwachsender Misthaufen. Rückblickend find ich's ja herrlich, dass unser wirkliches El Dorado der Misthaufen war, ja. Und auf dem hab ich schon Theater gespielt. Hab schon eine Bühne hingebaut und die Leute aus dem Gemeindebau sind gekommen mit Stockerln, haben sich hingesetzt, haben uns zugesehen. Ich bin dann in die Volksschule gegangen in Jedlersdorf, zwei Jahre noch und dann in das Gymnasium in der Franklinstraße. Und ich bin sehr dankbar für diese Kindheit in dieser ... Damals war das eine Arbeitergegend, was man heutzutage von einer Gegend nicht mehr sagen kann. Also es ist jetzt alles sehr bürgerlich geworden. Aber damals war dort wirklich die Lokomotivfabrik gleich in der Nähe. Da gab es so Baracken, wo die Angestellten auch gewohnt haben. Da war ich dann immer und hab dort auch Freunde und Freundinnen gehabt. Und dieses Wahrnehmen einer, wie soll ich sagen, einer nicht elitären Gesellschaft, in der ich da gewohnt hab, ich glaub, das hat mir auch menschlich sehr gut getan. Und was mir vor allem gut getan hat, in all der Zeit war, dass keine Bomben mehr gefallen sind. Dass es Frieden gab, dass ich friedvoll zur Schule gehen konnte. Ich bin sehr gern zur Schule gegangen, ich hab sehr gern gelernt, eben in diesem kindlichen Lebensgefühl: Jetzt hab ich für mich Zeit und Möglichkeit ohne ständig katastrophisch vom Entsetzen umgeben zu sein. Meine große Oma, wir hatten zwei Großmütter. Die eine war die Omama. Das andere war die Oma, die große Oma. Und sie war in ihrer Jugend öfter im Burgtheater und war eigentlich eine sehr musisch interessierte Frau, obwohl sie das nie ausleben konnte. Und dann im Rathauspark eben, wo sie halt mit mir so hingegangen ist, wenn man halt mit kleineren Kindern irgendwann einmal in den Park geht, dann hat sie gesagt: Schau, das ist das Burgtheater. Und das war damals noch nachkriegs- mäßig mit Brettern vernagelt. Das war eine Art Ruine. Und dann hat sie mir eben erzählt, was sie dort für Sachen gesehen hat und was ihr das bedeutet hat und so. Und ich weiß ganz genau, ich hab dieses Burgtheater fixiert und hab mir gedacht ... Also ob ich mir genau gedacht hab, ich werde dort spielen, das weiß ich nicht, aber ich hab mir gedacht: Mit diesem Gebäude werde ich was zu tun haben. Und als ich dann, Sprung, nach zwei Jahren Schauspielschule dorthin engagiert wurde, hab ich gedacht an meine große Oma. Und an meinen Blick aufs Burgtheater und an meinen Gedanken, der schon fast so was war, als hätt ich einen Wunsch ausgeschickt. Einer von den Wünschen, der sich halt erfüllt hat. Ich muss gestehen, ich hab dieses Nachkriegswien geliebt. Diese Schutthaufen, diese Bombentrichter und das Durcheinander, das war für mich eben so. Das war sehr geeignet für Kinder da herumzulaufen und sich durch den Schutt Wege zu bahnen. Das Ganze war eigentlich sehr geheimnisvoll. Dann war da irgendwo so ein ruinöses Haus. Da hat man am Abend gesehen hinter einem Fenster, da wohnt ja doch wer. Ich höre immer so viele Klagen über dieses zerschlagene und kaputte Wien. Da der Krieg vorbei war, mochte ich das. Und natürlich hat es sich dann gezeigt, dass man das wieder aufbaut und das wieder aufbaut. Und dass das alles wieder wird. Zum Beispiel bin ich zum ersten Mal wirklich so in einem Taxi gefahren, zum ersten Mal Auto gefahren durch diese Stadt. Ich meine, das sind Erinnerungen. Da braucht man mein Alter, um die zu haben. So wirklich eine Autofahrt am Ring. Jö! Und das ist auch noch kaputt und das ist auch noch kaputt. Dann hat man mir gesagt, das wird schon aufgebaut, das auch. Aber zusammenfassend muss ich sagen, dass ich eigentlich dieses kaputte Wien, das sich wieder gefestigt hat, dass ich das sehr mochte. Und auch dann dieses dunkle und graue Wien, als ich dann schon, was weiß ich, zur Matura und zur Schauspielschule hin ... Ich mochte es wirklich gern, dieses dunkle, geheimnisvolle Wien. Alle anderen haben gemeint, jetzt ist Wien so schön. Es ist so belebt. (lachend:) Ich hatte wirklich, nachträglich besehen, Glück. Alle Menschen meiner Generation und auch jüngere sagen mir, sie hätten in der Schule überhaupt nichts über das Tausendjährige Reich, über Hitler nichts erfahren. Der Geschichtsunterricht hat irgendwann aufgehört und darüber wurde nicht gesprochen. Ich hatte eine ganz wunderbare Ge- schichtsprofessorin im Realgymnasium, Dr. Eleonore Zimmermann, ihr Name sei gesegnet. Die hat uns mit allem konfrontiert, bis hin zu Schmalbildfilmen. Wir haben also Bilder aus KZs gesehen und haben alles gewusst. Es herrschte in meiner Schulklasse damals wirklich das blanke Entsetzen. Mit diesem Entsetzen bin ich dann auch zu meinen Eltern nach Hause gegangen. Ich hab gebrüllt und geschrien und hab sie zur Schnecke gemacht. Ich hab gesagt: "Wie konntet ihr das zulassen?" Also ich war sehr, sehr informiert. Und ich glaube, diese frühe Kenntnis, also meine ganz frühe Vergangenheitsbewältigung, hat mein späteres politisches Denken, Handeln, Fühlen sicher sehr bestimmt. Obwohl es ja in dem Sinn nicht meine Vergangenheit war. Aber ich hab dann auch, weil ich so viel wusste, zum Beispiel von meiner Mutter erfahren, dass sie auch alles wusste. Es wurde nur einfach nicht darüber gesprochen und es wurde verdrängt. Gerade dieses Phänomen der Verdrängung hab ich durch dieses Wissen so sehr erfahren, dass ich immer dafür plädiert habe, die Gegenwart wahrzunehmen. Das war auch in späteren Jahren so, wenn ich politisch angesprochen wurde. Man soll nichts Gegenwärtiges verdrängen. Nur dann kann man auch die Vergangenheit bewältigen. Ich habe sehr viel Vergangenheitsbewältigung ohne wirkliche Achtsamkeit auf das, was jetzt passiert, erlebt. Ich finde, das muss Hand in Hand gehen. Aber ich war sehr früh und eben in der Schule total informiert. Es hat sich zufällig so ergeben, dass dieser Jahrgang im Reinhardtseminar, in dem ich drin war ... Man muss ja erst mal eine Aufnahmeprüfung bestehen. Und damals waren diese Prüfungen im Schlosstheater. Der ganze Platz vorm Schloss war schwarz vor Menschen. Mein Eindruck war, die wollen alle aufgenommen werden und so weiter. Von den vielen, die gerne ins Seminar gegangen wären, sind wirklich nur wenige aufgenommen worden, aber ich war dabei. Ich war begabt genug, dass es auffiel. Ich war dann in einem Jahrgang, der nachträglich als der tolle Jahrgang gegolten hat. Ich mein’, da war die Marisa Mell, die Senta Berger, die Maria Perschy und der Wildbolz. Also, da waren sehr viele, die dann auch ihren Weg gemacht haben. Aber es waren auch einige dabei, die sehr nett und lustig waren und die den Beruf dann doch haben bleiben lassen. Aber geführt oder quasi bewacht waren wir natürlich von einer Person, die mir bis zu ihrem Tod vor nicht allzu langer Zeit eine wunderbare Freundin war. Das war die Susi Nicoletti. Das war eine unserer Professoren an der Schauspielschule. Sie war so ambitioniert und sie war so präzise. Sie hat auch diese Aufnahmeprüfungen damals sehr bestimmt. Sie hat schon gewusst, wenn sie da aufnimmt und wen nicht. Sie hat damals an der Schauspielschule eingeführt, dass man auch Musicals mit den Schauspielschülern macht. Das war noch ganz unüblich. Ich hab in "Kiss me Kate" die Kate gesungen, tief transponiert. (tiefe Stimme:) Weil damals war meine Stimme wirklich noch so. Ich hatte einen wunderbaren Sprechlehrer, Zdenko Kestranek. Der hat gesagt, ich hab eine isolierte Bruststimme. Er hat mit mir gearbeitet. Immer wenn ich wieder eine Höhe erklommen habe mit der Stimme, hat er mir Benstorp-Schokolade geschenkt, um einen Schilling. War mir auch ein sehr hilfreicher Mensch. Man hat so Menschen, vor allem in jüngeren Jahren, die das Leben doch sehr bestimmen. Das war die Geschichtsprofessorin, das war Zdenko Kestranek, das war Susi Nicoletti. Und diesen befruchtenden Menschen bin ich natürlich auch sehr, sehr dankbar geblieben. Man hat mich dann, als Frieden war und als das möglich war, einmal in ein Kinderballett gebracht. "Ich werde Tänzerin", habe ich mir daraufhin gedacht. Der nächste Eindruck war aber ein Kinderstück. Ah, hab ich mir gedacht, man spricht auf der Bühne. Man hat da Dialoge ... Dann wurde ich auch einmal ins Kino geführt. Da hab ich "Krambambuli" gesehen und hab geheult und geschrien, als dieser arme Hund auf dem Grab beim Herrchen, das tot ist, lag. Also all diese erfundenen Lebensbereiche haben mich schon ganz früh so fasziniert. Dass der Wunsch, damit etwas zu tun zu haben, bei mir ganz schnell wach geworden ist. Ich hab auch, als ich Lesen und Schreiben gelernt hab, viel gelesen, aber auch geschrieben, kleine Geschichten illustriert. Aber immer mit all meinen Spielgefährten Theater gespielt. Die mussten das mit mir machen, ob sie wollten oder nicht. Damals war ich eine wirklich sehr autoritäre Person. Das Wienerisch ist ja so lustig. Ich hab gesagt: "Du waratst des und du waratst des und du bist das." Dann haben wir immer, wenn es eine Erhebung gab bei Schulausflügen und es war eine Rast, sofort haben wir Theater gespielt. Die anderen haben zugeschaut. Das hat mein Leben sehr schnell begleitet. Nachträglich weiß ich, dass ich trotzdem nicht so ein Schauspielmensch geworden bin, dem die Bretter die Welt bedeuten. Da sag ich dann immer: Mir hat immer schon die Welt die Welt bedeutet und nicht diese Bretter. Es ging mir um diese göttliche Fähigkeit des Erfindens. Das war bei mir mit der Schauspielerei verbunden, aber auch mit dem Schreiben. Das war immer schon für mich so eine Einheit. Natürlich war ich dann ganz lange Schauspielerin und hab da auch wirklich meine Hochzeiten erlebt mit wirklich schönen Aufgaben. Aber das erfundene Leben, das Leben der eigenen Kreation, das hat mir auch im Laufe meines Lebens sehr geholfen. Ich war so überhaupt nicht, wie das heute so gang und gäbe ist, ich war überhaupt nicht in dem Sinn karrierebewusst. Ich hab das nur einfach gern getan. Meine Mentorin Susi Nicoletti hat dann schon den Herrn Häussermann, der ja ihr Gatte war und der dann Burgtheaterdirektor wurde, dem hat sie schon gesagt: "Schau dir die an." Dann wurde ich nach zwei Jahren Schauspielschule auch gleich ans Burgtheater engagiert. Ich hab am Anfang diese tragenden Rollen gespielt, wo man etwas trägt. Entweder als Hofdame irgendein Gewand oder als Marketenderin einen Krug aus Pappmaché. Da hab ich dann geübt, so zu tun, als wäre er schwer, obwohl er leicht war. Ich hab das halt immer alles als Möglichkeiten des Erlernens und Übens und mich Weiterbringens gesehen. Ich hab einfach das Theater dann sehr, sehr geliebt. Ich bin schön langsam dorthin gekommen, dass ich eine Protagonistin am Burgtheater wurde. Zum Beispiel hat der Leopold Lindtberg Schillers "Räuber" inszeniert. Diese großen Schauspielerinnen wollten diese Wurzen, wie man dazu sagte, zu diesen Rollen, die nicht gut sind, nicht spielen. Zur Amalia haben alle Nein gesagt und wollten das nicht spielen. Dann kam ich also dran und ich wollte das spielen. Dann hat der Lindtberg das mit mir so schön erarbeitet, dass die Amalia keine Wurzen mehr war und ich damit meinen wirklich ersten großen Erfolg hatte. Man muss das ja in so Stufen sehen. Dann wurde ich wahrgenommen als Schauspielerin, die man sehr wohl auch in großen Rollen besetzen kann. Also zu Beginn meiner Burgtheaterjahre hab ich natürlich Kraut und Rüben auch durcheinander gespielt oder bin oft eingesprungen. Damals war das ja noch so üblich, wenn jemand krank war, musstest du das mit einer Probe übernehmen. Aber ich hab auch gar nicht so viele Rollen wirklich gespielt, sondern es kam alles sehr logisch auf mich zu, würde ich sagen. Und ich wurde dann eine Schauspielerin, und ich würde sagen zu Recht, die die Russen sehr gut spielen konnte. Also ob das jetzt Tschechow oder Gorki war, da war ich richtig zu Hause. Also mir unvergesslich ist die Achim Benning-Inszenierung von den "Sommergästen". Da hab ich die Warwara gespielt und die hat natürlich wunderbare Sachen zu sagen. Ich hatte da so mit dem Kurt Sowinetz, er war noch am Leben, einen Dialog, bei dem sie richtig in ihrem Zorn ausbricht. Wie verlogen, wie faul, wie träge, wie nicht achtsam diese ganze Sommergästeschar lebt. Da war ich so in meinem Element, dass ich da fast immer auch, mitten in einem Stück, einen Applaus hatte. Es war fast ein Monolog. Also das zum Beispiel hat mir sehr viel bedeutet. Ich glaub, es war auch eine sehr schöne Aufführung, die vor allem auch zu etwas geführt hat, was es vorher nicht gab. Dieses große Haus des Burgtheaters, ich hab es sehr geliebt. Aber im Akademietheater, das ja auch zum Burgtheater immer gehört hat, waren die Aufführungen immer publikumsnäher. Da konnte man also Sachen spielen, auch ein bisschen mehr im Kammerton und so. Während das Burgtheater immer ein "Senden", so nennt man das unter Schauspielern, gefordert hat. Man muss immer senden und sich bewusst sein, dass das so ein großes Haus ist. In den "Sommergästen" hat der Benning die Bühne einfach ein bisschen in den Raum hinausbauen lassen. Da war ich zum ersten Mal in dem großen Haus auch dem Publikum ganz nah. Also das war eine meiner schönsten Aufführungen, würde ich fast sagen. Na gut, als ich ans Burgtheater kam, war es natürlich noch so, dass die Schauspieler knapp nicht mehr die weißen Handschuhe bei der Probe anhatten. Und knapp nicht mit der Droschke zum Bühneneingang kamen. Da herrschte wirklich noch dieses alte Burgtheater sehr vor. Es gab einen Tisch in der Kantine, da saßen nur die Honoratioren. Als kleiner junger Schauspieler hat man sich in eine Ecke gedrückt und es aus der Ferne bewundert. Also wie das dann später wurde, dass Jung und Alt, Kollegen, Kolleginnen und dass es da so ein Miteinander gibt, das war ganz am Anfang noch gar nicht der Fall. Aber unter Häussermann wurde es dann schon menschlicher, würde ich sagen. Ich komme noch mal auf den Leopold Lindtberg zurück. Es gab dann sehr, sehr gute Aufführungen, glaub ich auch nachträglich sagen zu dürfen. Es gab vor allem einen Oskar Werner. Der damals eben noch nicht so suchtkrank war, dass er es nicht mehr mit sich selbst gepackt hat. Sondern es war einfach ein großer, charismatischer Schauspieler. Da hat sich sehr vieles so getan, dass es mich tief beeindruckt hat. Und ich hab auch unter Häussermanns Regie eine Dramatisierung von "Fräulein Else" gespielt. Ich hatte zum ersten Mal einen nackten Rücken dem Publikum gezeigt. Weil die lässt ja vor diesem alten Mann die Hüllen fallen. Da standen aber die ganzen Schauspieler vor mir und haben bei der ersten Probe, als ich das fallen ließ so gelacht, weil ich war verklebt mit Tüchern. Man war damals noch sehr keusch. Und trotzdem war das auch schon eine, wie soll ich sagen, mutvolle Tat. Der Häussermann war ja ziemlich lang. Dann kam Paul Hoffmann, ein netter Mann, der das Theater einfach weiter geführt hat. Dann kam Klingenberg, mit dem ich sehr befreundet mittlerweile bin. Der hat mich aber zur Raserei gebracht, weil er "200 Jahre Burgtheater" so gefeiert hat, dass er so viele Aufführungen in diesem Jahr bringen wollte. Ich weiß nicht, wie viele. Da musste ich die Maria Stuart spielen. Im Abstand von ein paar Monaten ohne Probe. Also ein klassischer Text und so weiter. Das war die einzige Zeit, in der ich vor einer Vorstellung Angst hatte. Da wollte ich eigentlich schon kündigen. Ich wollte nie Angst haben. Ich war auch nicht angstgeprägt und ich war nie textunsicher oder so. Einzig und allein Premieren hatte ich weniger gern als eine normale Vorstellung, weil man da so gut sein muss. Der Zwang, es soll so gut sein wie nie. Das hat mich eher immer schlechter gemacht. Aber dieses, dieses Jahr mit diesen wenigen Aufführungen in einer so schwierigen und schweren Figur ... Dann kam aber der Achim Benning und der hat dann gesagt: "Beruhig dich, bleib nur." Damals fing es auch an, dass ich ein bisschen zum Fernsehen gefordert wurde. Er hat auch möglich gemacht, dass ich meine Urlaubszeiten hatte während der Saison und auch was anderes machen konnte. Ich finde halt, die Jahre, die der Achim Benning, ich würde sagen, dem Burgtheater ge- schenkt hat, waren die wunderbarsten. Weil er hat wirklich aus diesem Koloss von Theater ein lebendiges Theater gemacht. Und dass dann so ein Claus Peymann das auch gerne machen wollte und an dieses Theater gerne kommen wollte, wäre ohne diese Vorarbeit gar nicht möglich gewesen. Ich konnte deswegen auch immer diese Hinweise, wie furchtbar, altmodisch und verkommen das Burgtheater davor gewesen sei, einfach nicht dulden. Der Achim Benning hat zum Beispiel den Václav Havel heimlich besucht, der ja dann inhaftiert war. Er hat seine Stücke gebracht, eines nach dem anderen. Also meiner Meinung nach war das wirklich politisches Theater in seiner Zeit. Und nicht umsonst gab's damals die wunderbare Sache, die ich und Achim uns immer wieder lächelnd in Erinnerung rufen. Da stand nämlich so überall: Pluhar und Benning zurück nach Moskau! Also bitte, wenn das keine politisch geprägte Zeit war, was dann. Also die war für mich auch die wichtigste Zeit. Der Bazillus, der dann in das Theater eingebrochen ist, den ich jetzt nicht nur mit Peymann in Verbindung bringen will, sondern mit einer anderen Form von Theaterlandschaft. Wo einfach Regie-Gurus das Schauspielermaterial für sich nutzen, das war nicht mehr meines. Und genau nach 40 Jahren Burgtheater, an meinem 60. Geburtstag, haben wir Gorkis "Kinder der Sonne" gespielt. Und ich hab gesagt: Burgtheater, ciao. Also bei Klingenberg, jetzt abgesehen von diesem letzten Jahr mit diesen schrecklichen, verein- zelten "Maria Stuart"-Aufführungen, war toll. Er hat nämlich den Peter Wood, den Peter Hall, den Strehler ans Theater gebracht. Und ich habe wirklich, auch unter seiner Ägide, mit dem Peter Hall arbeiten dürfen. In einem Pinter-Stück, "Old Times", "Alte Zeiten", mit Maximilian Schell und Annemarie Düringer. Wir haben das zum Teil auch in England geprobt. Das hat mir ein bisschen die Welt eröffnet. Das war wunderschön und spannend für mich. Und ich habe Harold Pinter wirklich als einen grandiosen Theaterautor erfahren können. Als er dann eben diesen Nobelpreis bekommen hat und viele gesagt haben: Wieso der Pinter? Da war ich ziemlich wütend, weil das wirklich ein großer Mann war. Ein großer Schreiber und ein großer Theatermensch, der wusste, wie man fürs Theater schreibt. Sein Vorbild zum Beispiel war Tschechow. Und das hatte wirklich diese Gleichzeitigkeit, die man bei den Autoren, als Schau- spieler, so wunderbar finden kann. Dass das Gesagte nur die oberste Schicht von dem ist, was eigentlich in einem vorgeht. Also jetzt nicht, was oft jetzt in der Theaterlandschaft für meine Gefühle so simpel gemacht wird, dass man, wenn man wütend ist, brüllt man. Sondern wenn man sagt, was weiß ich, die Sonne scheint, dann sagt man nicht: Die Sonne scheint. Sondern man meint vielleicht: In mir ist es ganz schwarz. Diese Ungleichzeitigkeit von Innenleben und Äußerung. Das hat Peter Hall uns wunderbar, ich würde sagen, beigebracht, während dieser Arbeit bei Pinter. Und ich hab das dann auch allemal bei Tschechow und auch bei Gorki erlebt. Ich muss gestehen, dass ich mich, nachdem ich Abschied genommen hab, wie soll ich sagen, mich sehr wenig ums Burgtheater gekümmert hab. Ich kümmere mich überhaupt sehr wenig um Theater. Ich liebe Film. Das ich auch ein Bereich, in dem ich immer wieder mal ein bisschen tätig bin. Hätte ich früher damit begonnen, wäre ich gerne eine Filmregisseurin geworden. Filmemachen ist mir viel näher. Ich wär nie auf den Gedanken gekommen, am Theater etwas zu inszenieren. Aber Filme, sowohl das Drehbuch zu schreiben, als auch zu inszenieren, das wäre noch viel mehr in meinem Sinn gewesen, als ich es im Laufe meines Lebens ausüben konnte oder werde können. Aber für mich war einfach das Weggehen vom Theater wirklich ein Weggehen vom Theater. Ich glaube, es wird immer wieder gute Aufführungen geben. Man kann dem Theater immer wieder ein Bein ausreißen. Es wird trotzdem weiter wandern. Außerdem ist Theater immer Spiegel seiner Zeit. Unsere Zeit ist eine sehr oberflächliche, eine werbeclipartige Zeit. Und das prägt natürlich zurzeit auch weitgehend das, was das Theater produziert. Aber ich glaube, ich spüre, ohne dass ich es genau weiß, dass das auch wieder einer Veränderung unterworfen ist. Theater wird nicht sterben. "Moos auf den Steinen" war sicher mein erster Film. Aber ich hab davor schon gedreht, aber fürs Fernsehen. Da hat man wirklich den Versuch gestartet. Der Georg Lhotzky hat versucht, aus diesem Roman einen Film zu machen. Das wäre so Nouvelle Vague, eine österreichische Nouvelle Vague-Richtung gewesen. Ist nur dann wieder im Sand verlaufen. Und der André Heller hat es zum Teil finanziert mit seinem schmalen Erbe. Ich sag immer: Sein Geld hat er verloren, mich hat er gewonnen. Das war das Resultat dieses Filmes, den ich aber nachträglich schätze. Ich hab ihn dann in einer Retro- spektive, vor nicht zu langer Zeit, über mein filmisches Schaffen, noch einmal gesehen. Der hat seinen Reiz, der hat seinen Reiz. Zum österreichischen Film kann ich eigentlich nicht allzu viel sagen. Meine filmischen Arbeiten haben wenig in Österreich stattgefunden. Und überhaupt war ich eher so in den wirklich guten Fernsehfilmen, die ja dazumal mindestens so gedreht wurden wie eine Kinoproduktion. Ich war eher in dieser Landschaft beheimatet. Man hat mich zwar in den Medien immer wieder mal nach Hollywood geschickt, aber das waren Enten. Ich bin sehr versiert über meine Männer zu sprechen. Diese Fragen erhalte ich ja stets. Ich habe schon begonnen, zu mir selber zu sagen: "Erika, es ist ja nicht verwunderlich." Dass die zwei Ehen, die ich geführt habe in meinem Leben, dass das ausgerechnet der Udo Proksch und der André Heller waren, ist natürlich schon seltsam, wenn man's von außen sieht. Wenn man's nicht von außen sieht, sondern lebt, dann hab ich beide zu einem Zeitpunkt kennengelernt, als sie noch unbeschriebene Blätter waren. Ich habe in ihnen nur etwas geahnt, was mich fasziniert hat. Beide hatten sie eine große, große Affinität. Der eine hatte es, weil er nicht mehr lebt. Der andere hatte es auch, weil er sich doch auch sehr verwandelt und sehr menschlich verändert hat. Aber dieses Machtgefühl und auch diesen Umgang mit den Medien im Hinblick auf Bemächtigung, das hab ich bei beiden sehr stark kennengelernt. Wenn man etwas so nahe kennenlernt, dann ist das auch nicht ungünstig, dann kann man sich wirklich davon distanzieren. Bei aller Liebe, bei beiden, konnte ich mir irgendwann sagen: "So nicht, Erika. So nicht." Das ist sehr gut, wenn man Lebensgefährten findet, die einem etwas sehr anschaulich machen, wovon man dann weiß, dass man es für sich selber lieber lassen sollte. Mit dem d'Almeida war ich nicht verheiratet. Der hat mich aber musikalisch unerhört geprägt. Ich kann ja keine Noten lesen und spiele kein Instrument. Aber er hat aus mir wirklich eine Art Musikerin gemacht. Durch ihn bin ich dann drauf gekommen, dass ich eigentlich ein absolutes Gehör habe. Ich wollte ja als Kind immer Klavierspielen lernen. Alle meine Freundinnen mussten Klavierstunden haben. Wir hatten Geld für ein Klavier und auch kein Geld für eine Klavierlehrerin. Aber ich konnte dann durch den d'Almeida wirklich eine Musikantin werden. Das ist etwas, was ich bis heute sehr, sehr genieße. Außerdem hat er mir ein Land und eine Stadt sehr nahe gebracht, die bis heute irgendwie zu meinem Leben gehören, also Portugal und Lissabon. Ich bin keine Weltreisende. Ich will keine Touristin sein und ich mach keine Reisen, wenn es nicht sein muss. Aber da ich in Portugal immer musizierend unterwegs war und eher beruflich unterwegs war und nie Touristin war, liebe ich dieses Land sehr. Ich habe dort Filme gedreht. Dadurch habe ich es von Norden bis Süden ganz anders kennengelernt, als das irgendein Tourist könnte. Ich liebe diese unendlich lange Nähe zum Atlantik. Das Land liegt ja direkt am Meer. Das ist mir ganz wichtig. Da fahre ich auch immer wieder mal hin. Und ich bin sehr froh, dass ich durch den d'Almeida Portugal und Lissabon so gut kennenlernen konnte. Der gute Heller, der dann selber begonnen hat, Lieder zu schreiben und zu singen, hat sich mal gedacht: Warum soll nicht die Pluhar auch einmal eine Platte aufnehmen mit meinen Liedern? Ich hab mir gedacht: Warum soll ich nicht auch mal eine Platte aufnehmen, für die Biografie? Diese Platte wurde dann aber gleich ein großer Erfolg. Ich wurde also so was, was ich eh nicht gerne mag, eine Chansonsängerin. Ich sag immer: Ich bin eine Liedsängerin. Weil Chanson heißt Lied auf Französisch und nur die rauchige Stimme, das war eh nicht meines. Ich bin dann in das Singen durch ihn hineingeraten. Ich hab immer mehr Lieder gesucht, hinter denen ich stehen kann. Ich habe wahrgenommen, dass ich mit den Liedern fast mehr identifiziert wurde als mit Rollen, die ich als Schauspielerin gespielt hab. Ehe es dann endlich soweit war, dass ich mir gedacht hab: Du schreibst eh immer, schreib doch deine Texte selber. Das hat gedauert. In der Zusammenarbeit mit dem d'Almeida und dem Peter Marinoff, wir waren ein Trio ... Peter Marinoff war ein wunderbarer Gitarrist und Musiker, der leider nicht mehr lebt. Die zwei haben mich dazu gebracht oder mich dazu ermutigt, meine eigenen Texte zu schreiben, meine eigenen Lieder zu singen. Die mir gemäße oder die von mir gewollte Musikalität für mich selbst zu verwirklichen. Da war ich dann nicht mehr Interpretin, sondern da war ich Schöpferin der Lieder. Ich mag nicht diese Präpotenz, die es überall gibt in Begriff auf: Ich bin ein Künstler. Ich schreibe Lyrik. Das mag ich für mich selber nicht, weil ich immer der Meinung war, ich will professionell in Ordnung sein, es soll stimmen. Es soll weder therapeutisch noch dilettantisch sein. Also professionell soll es in Ordnung sein. Aber sobald es sich in einen weiteren Bereich entwickelt, wo man sagen kann, das ist jetzt Lyrik, dann sag ich gerne: Gut, ja. Wenn zum Beispiel etwas als Liedtext gedacht ist oder als kleine Skizze und wenn dann gesagt wird: "Meine Liebe, das ist ja Lyrik." Aber ich will es nicht von mir aus angehen. Ich hab da eine in mir wohnende Scheu. Scheu ist das falsche Wort. Bescheidenheit ist auch das falsche Wort. Ich möchte, dass die Dinge wirklich das sind, was sie dann wurden. Ich möchte nicht etwas mit Absicht anpeilen. Vielleicht hab ich das auch bei der Schauspielerei gelernt. Wenn man absichtsvoll spielt, ist man schon schlecht, obwohl man eine Wirkung erzielen muss. Also das ist ja auch das Schöne in dem Beruf oder den Berufen, die ich in meinem Leben ausgeübt habe, dass das Lebensparabeln sind. Dass man mit Absicht nichts gewinnt, sondern mit der Absichtslosigkeit trotzdem einen Weg gehen kann, der etwas erreicht. Klingt kompliziert, ist für mich aber ganz einfach. Als ich begonnen hab Bücher herauszugeben, hab ich unter meinen ersten kleinen Roman drunter geschrieben: Eine Geschichte. Dass die Sigrid Löffler mich dann doppelseitig verrissen hat mit diesem Buch, hat mich zwar bestürzt, aber auch nicht entmutigt. Es war dann ein besonders großer Verkaufserfolg. Deswegen war ich auch nie zu entmutigen, weil ich ja von mir selbst nie so etwas verlangt habe wie Kunst oder Lyrik oder Literatur. Wenn es dann etwas davon wird, dann bin ich gar nicht dagegen, dass es das geworden ist. Ich weiß nicht, ob ich mich jetzt richtig ausgedrückt habe, aber ich hab's versucht. Ich hab überhaupt keine Scheu oder Verhaltenheit über Menschen zu sprechen, die ich geliebt hab und die ich verloren hab. Im Gegenteil. Der Peter Vogel, das war wirklich eine ganz, ganz schöne und liebende Beziehung in meinem Leben. Die nur leider auch einer Tragik unterworfen war. Das war seine Suchtkrankheit. Wir konnten die eine Weile lang in unserer Gemeinsamkeit irgendwie verhindern, die hat dann aber wieder zugeschlagen. Er hat dann irgendwann gemerkt, dass er dem nicht entkommt und hat Hand an sich gelegt. Das war sehr, sehr schwer und schmerzhaft für mich. Hat andererseits aber auch meine Einstellung zum Beispiel den Medien gegenüber völlig verändert. Das vergesse ich in meinem ganzen Leben nicht, wie das war. Ich bin mit seiner Ehefrau Gertraud Jesserer am Bogenhausener Friedhof in München hinter seinem Sarg gegangen - was da Journalisten aufgeführt haben. Oder wie sie vor meiner Tür standen. Oder dass man ihn tot im Leichenschauhaus fotografiert hat und "Die Bunte" das doppelseitig gezeigt hat, sein sehr schönes totes Gesicht. Wobei er kleine Söhne hatte, die das sehen mussten. Das war so grausam und hässlich, dass ich mich dann sehr aus medialem "Bestimmtwerden" und Vermarkung rausgezogen hab. Ich nehme das bis heute alles sehr ernst, auch noch mit Havels Verantwortungsgefühl dabei. Wenn ich mit Medien zusammenarbeiten, dann arbeite ich mit ihnen zusammen. Für Information bin ich zu haben. Ich hab dann auch nach dem Tod meiner Tochter, die mit 37 Jahren, jetzt schon vor fast 12 Jahren, sehr plötzlich gestorben ist, durch meiner Offenheit verhindert, dass mich die Medien gequält haben. Ich hab mich einfach nicht so zurückgezogen, dass man mich irgendwo erwischen musste. Sondern ich hab über den Tod meiner Tochter gesprochen. Ich war da in einer Talk-Show. Das werd ich ihm auch immer sehr hochhalten. Der Biolek hat mich eingeladen, der hatte damals so eine Talk-Sendung. Er hat mich sehr bald nach Annas Tod gefragt. Ich konnte sehr würdevoll und offen mit ihm über Annas Tod sprechen. Es hat mir das eine unerhörte Welle von Briefen und Mails beschert, von so vielen Menschen, die auch Verluste dieser Art erleiden. Und Schluss war, dann hat niemand mehr vorm Türl gewartet, ob ich weine und man mich vielleicht dabei fotografieren könnte. Und über meine Anna zu sprechen, ist mir fast ein Bedürfnis. Denn sie war ein so grandioser Mensch. Das sag ich nicht nur als Mutter. Das sag ich auch als ihre Freundin oder vielleicht sogar als ihre Tochter. Sie war so lebensbejahend und so großzügig. Was man irgendwo in einem Eckerl an Rassismus oder an Fundamentalismus vielleicht noch hortet, das ist bei ihr weggebrannt worden. Im Nebenhaus, da wo sie gewohnt hat, wo jetzt mein Enkelsohn wohnt, da gab es alle Hautfarben, alle Religionen, alles. Vor dem Gesetz ist Ignaz mein Sohn, weil ich ihn adoptiert hab. Sie hat ihn wirklich als Mutter aufgezogen. Ignaz Mohammed Jakob. Da hat sie ihm quasi schon gleich alle drei Religionen als Namen geschenkt. Sie war eine große Gestalt. Sie hatte viele Freunde. Denen bleibt sie ebenso unvergessen wie mir. Wir waren ja jetzt bei den Sahauris, mein Enkelsohn ist ein Sahauri. Ich werde diese komplizierte Situation jetzt nicht erklären. Wir, Anna und ich, waren auf algerischen Boden, in dem Exil, Flüchtlingslager der Sahauris. Dadurch kam Ignaz in unser Haus. Da wurde so über die Anna gesprochen, dass der Ignaz, der dort nie vorher war, wirklich mit Tränen in den Augen von seiner Mutter erfahren hat. Sie ist dort hoch geachtet bis heute. Sie war ein großartiger Mensch. Und das zu sagen und über sie zu sprechen und sie nicht zu vergessen, das ist wohl sicher eine der wichtigsten Motivationen meines jetzigen Lebens. Um ihren Tod schreibend zu bewältigen, ohne jetzt blöd therapeutisch ... Das mach ich im Tagebuch. Ich will dieses Schreiben, das man herausgibt, nie mit Therapie verwechselt sehen. Aber ich habe vor Annas Tod ein Buch zu schreiben begonnen. Da war schon eine Figur angelegt und da ich mir die Bücher immer erzählen lasse, hab ich mir gedacht: Was ist mit der Helene? Was ist mit ihr? Ich glaub, die wird sterben. Dann starb meine Tochter und ich habe dieses Buch nach einiger Zeit weitergeführt. Ich habe schreibend Annas Tod durchwandert, aber in anderer Form, bei einem anderen Menschen und habe diesen Tod auch in die Wüste verlegt. Dieses Buch trägt den Titel: "Verzeihen Sie, ist das hier schon die Endstation?" Es war eines meiner erfolgreichsten Bücher, es ist ein Dialogroman, der wurde von Werner Schneider für die Bühne bearbeitet. Wir haben es dann gemeinsam gespielt. Das Leben hat wirklich oft Fügungen parat, die man nicht glauben kann. Er hat mir dann quasi Annas Tod erzählt im Dialog, während seine eigene Frau starb. Das war eine ganz zugespitzte, aber doch irgendwie auch bewundernswerte Zeit. So dass sich das so ergeben konnte. Das war die eine schreibende Möglichkeit, etwas zu durchwandern. Als ich dann begonnen hab in dem Buch "Die Wahl" ... Diese Aufforderung, die an mich wirklich ergangen ist, ob ich nicht kandidieren möchte als Bundespräsidentin. Da hab ich natürlich Nein gesagt. Das hätte mir zu viel mit Partei- zugehörigkeit und so zu tun gehabt. Das wäre nicht eine Möglichkeit meines Lebens. Aber fiktiv hab ich eine Frau meines Zuschnitts in einem Buch diese Aufforderung annehmen lassen. Dann habe ich das aber außerdem stilistisch im Dialog mit einer Tochter geschehen lassen. Und da habe ich meine Anna mit mir reden lassen oder hab ich mit meiner Anna gesprochen. Und hab immer in den Dialogen, natürlich in der Fiktion, ihre Antwort so geschrieben, wie sie von ihr gekommen wäre. Das war sie. Dieses Buch zu schreiben, war mir auch eine ganz wesentliche Möglichkeit mit meinem Kind noch einmal einen wirklichen Dialog zu führen. Ich hab in diesem Dialog dieser Frau, die also da jetzt politisch einen Weg gehen will, mit dieser Tochter ... Die hab ich ganz einfach querschnittsgelähmt sein lassen. In einem Rollstuhl leben müssend in einer Wohnung, also nicht mit der Möglichkeit umgeben, ihr eigenes Leben sehr auszuweiten. Diese Tochter wurde während des Schreibens der weite Mensch. Und die ältere Frau, die Mutter, die einen weiten Weg vor sich hatte, wurde beim Schreiben eine von Skrupeln immer wieder überkommene Frau. Und zwar nicht in ihrem politischen Weg, in ihrem öffentlichen Weg, sondern in ihrem privaten Sein. Das hatte sicher, weil es sich so ergeben hat, absolut etwas mit mir und meiner Tochter zu tun. Meine Tochter war nicht berühmt. Meine Tochter war nicht in diesem, eigentlich eh blöden Sinn erfolgreich. Meine Tochter hat gelebt mit Freunden. Gelebt, ohne jetzt daran zu denken: The winner takes it all, wo ist meine Karriere, wo ist mein Leben. Sondern das hat sie nicht nötig gehabt. Das hat sie auch nicht angestrebt. Meine Tochter hatte Eltern, wo sie einmal zu mir gesagt hat: "Hearst, du sollst Bundespräsidentin werden und mein Vater sitzt im Häfn." "Was hab ich nur für Eltern?" Das war wirklich etwas, das sie leben musste. Der Vater lebenslänglich als Mörder inhaftiert. Die Mutter aufgefordert, ob sie nicht doch Bundespräsidentin werden will. Ich will wirklich noch einmal auf Václav Havel zurückkommen. Ich hab meine Öffentlichkeit mehr und mehr als eine Verantwortung gesehen. Aber ich hab mit meinen weiblichen, menschlichen Unsicherheiten gelebt. Vielleicht tu ich das sogar bis heute. Gelassenheit in vielen Fragen, bedeutet nicht, dass man nicht immer wieder ein kleines, unsicheres Kind ist, so alt kann man gar nicht werden. Das hat schon der Musil beschrieben: Wir werden immer das Kindchen bleiben. Und in dem Buch "Die Wahl" spricht das "Kindchen" Mutter mit der "weisen Frau" Tochter. Die Schönheit des Bergabgehens, wenn die höchste Steigung überwunden ist, ist natürlich nicht immer nur rosig. Das Altern hat ganz viel mit Abschiednehmen zu tun. Auch wenn man noch gesund ist und es nichts mit einer Todesgefahr zu tun hat. Man muss von Attributen Abschied nehmen, von körperlichen, von seelischen. Aber wenn man es irgendwie schafft, in dieser Veränderung auch etwas zu finden, das Bereicherung ist, dann ist Altwerden nix Schlimmes. Es kann manchmal etwas Trauriges sein. Und im letzten meiner Bücher, dieses späte Tagebuch, "Spätes Tagebuch" heißt dieser Roman, hab ich mich sehr damit auseinandergesetzt. Das ist ein Tagebuch, das eine 70-jährige Frau zu schreiben beginnt. Darin habe ich mich schreibend damit auseinandergesetzt, wie wesentlich es ist, sich der Endlichkeit auch zu stellen. Also im Älterwerden, im Altwerden, im Altsein, wenn man bei Trost bleibt und wenn man einigermaßen gesund bleibt, ist trotzdem eines unvermeidbar. Man weiß, dass die Zukunft nur mehr so klein ist. In der Jugend kann man sagen: Jetzt ist das nicht, aber dann wird das schon noch. Und hinter der nächsten Biegung, da kommt das Glück. In meinem Alter ist es nicht mehr möglich, so zu denken. Deshalb ist es mir so wesentlich, und ich glaube, das wäre auf für jeden älter werdenden Menschen wichtig, die Gegenwart unglaublich anzunehmen und zu achten. Zu wissen, ich lebe jetzt. Heute ist ein schöner Tag. Jetzt geht es mir gut. Jetzt freue ich mich. Jetzt schau’ ich mich im Spiegel an und find mich ganz nett. Und nicht sagen: Was wird morgen sein? Oder was kann ich noch machen? Schon Pläne haben: Aber ja, mach ich noch einen kleinen Film. Mach ich noch eine CD, ja. Schreib ich noch ein Buch, ja. Aber mit dieser Lockerheit, des in der Gegenwart "Beheimatetseins". Und sehr verderblich, glaube ich, ist, wenn man zu verdrängen versucht, dass man eines Tages sterben wird. Man kann sich's zwar nicht vorstellen, soll man auch gar nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Welt existiert, ohne dass ich sie sehe. Das können wir alle nicht. Aber trotzdem zu wissen, dass es so sein wird, das relativiert auch unerhört die Gewichtungen, die man den einzelnen Aspekten des Lebens verleiht. Plötzlich kann man dann sagen: Na ja, das ist ja. Aber anderes nimmt man umso wichtiger. Also, wie weit liebt man wirklich. Wie weit genießt man wirklich. Das wird viel wesentlicher, als - was werd ich sein in 10 Jahren? Tot! Wien ist mit Sicherheit meine Stadt. Ich hab mein ganzes Leben in dieser Stadt verbracht. Meine Kindheit, meine Jugend, meine Schulzeiten, mein Berufsleben, meine Ehen, mein Kind. Aber in dieser Verflochtenheit mit dieser Stadt muss ich immer sagen, dass es vor allem dieses Haus hier ist, das auch irgendwie auf mich zugekommen ist. Ich habe mal eine Wohnung am Anfang gehabt. Das ist ein Haus mit einem großen Garten, das ich mir in dieser Form nie hätte leisten können, wenn das Haus nicht mich gewollt hätte. Das waren alte Leute, die dann so mit Leibrente mich fast gebeten haben, das Haus zu übernehmen. Das ist Mittelpunkt meines Lebens. Dieses Haus steht in Wien. Meine schreibende Arbeit werd ich auch immer in Wien machen wollen und in diesem Haus machen wollen, nicht auf Reisen, nicht beim Anblick des Meeres. Wenn ich beim Meer bin, schaue ich mir das Meer an. Und, in dem Wien so sehr zu meinem Leben gehört, liebe ich es auch, ohne es hassen zu müssen. Ich hab diese Stadt einfach gern.
Archiv-Video vom 12.08.2014:
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Erika Pluhar (Schauspielerin)
Wir und Wien - Erinnerungen Erika Pluhar hat sich immer wieder neu erfunden : als Schauspielerin, Regisseurin, Autorin, Schriftstellerin, Sängerin. Eine der außergewöhnlichsten Frauen Österreichs erinnert sich an ihr bewegtes Leben. Sie spricht über ihre Kindheit im zerbombten Wien der Nachkriegszeit, das sich ihr damals als einziger großer, geheimnisvoller Abenteuerspielplatz präsentierte. Die Schutthaufen waren ihre Bühne, auf denen sie mit ihren Spielkameraden selbst erfundene Stücke vortrug.
Länge: 50 Min. 08 Sek.
Produktionsdatum: 2013
Copyright: Stadt Wien