Mitschrift
Erich Lessing, geboren 13.07.1923, erstes Wiener Gemeindebau-Kind. Meine Eltern sind in dem Gemeindebau in der Albertgasse, der der erste echte Wiener Gemeinde- bau war, der Ludo-Hartmann-Hof, drei Monate nach meiner Geburt eingezogen. Und so bin ich im Gemeindebau und der Umgebung der Albertgasse im Wiener Bürgertum aufgewachsen. Volksschule auf derselben Seite wie der Ludo-Hartmann-Hof, Ecke Josefstädter Straße, damals die progressive Volksschule, Glöckelschule. Ein Versuch, eine neue Art von Volkschule zu machen, der sicher gelungen ist. Denn selbst als wir in die eigentlich verhasste Mittelschule vis-à-vis dem Ludo-Hartmann-Hof übersiedelt sind, sind wir in der ersten und zweiten Klasse Mittelschule am Nachmittag in die Volksschule gegangen, mit unserer Lehrerin das Programm durchzugehen. Die Volkschule war ein wichtiger Teil der Erziehung, nicht nur der sozialistischen Erziehung, auch der Kindererziehung. Denn ich erinnere mich noch daran: Im Gegensatz zu vielen anderen Schülern ... Als ich eines Tages in der Früh Fieber hatte und mir meine Mutter ein Thermometer in die Achsel steckte und ging, hab ich das Thermometer ganz schnell heruntergeschüttelt, damit ich nur in die Schule gehen kann. Nach der Volksschule: Mittelschule. Mein Vater starb gerade in diesem Jahr. Religiöse Erziehung: eigentlich fast gar keine. Ja, man ging von Zeit zu Zeit in den Kinder-Gottesdienst in der Neudeggergasse. Der Tempel, den gibt es nicht mehr. Und da wollte vor einigen ... vor zehn Jahren, etwa im Jahr 2005, irgendeine Gedenkgruppe am Tempel, am Haus, das heute dort steht, eine Gedenktafel für den Tempel anbringen. Da haben sich die Einwohner so sehr dagegen gewehrt, dass die Gedenktafel dann am Nebenhaus angebracht werden musste. Das nur, wie Geschichte 40, 50, 60 Jahre lang noch immer mitspielt. Der Familienhintergrund war ja wohl ein typischer Wiener. Mein Vater war in Stanislaus geboren, war im Ersten Weltkrieg Fähnrich. Kriegsgefangenschaft in Sibirien als Lagerarzt. Und da niemand anderer da war, ist er bis zur Auflösung des Lagers geblieben. Und erst 1922 ist er nach Wien zurückgekommen, wo er sofort meine Mutter geheiratet hat. Die Großeltern mütterlicherseits: Meine Großmutter kam aus einem Dorf in Karpato-Russland, Karpato-Ukraine. Ihr Vater war dort der Rabbiner, aber hat dann irgendwann um die Jahrhundertwende ... Kam nach Wien, lebte in einer kleinen Wohnung neben der Tabakregie in der Porzellangasse. Meine Mutter wurde in Wien geboren. Ihr Vater war Bankbeamter aus Temeswar, sprach Deutsch genauso wie Ungarisch. Sie war ein Wunderkind am Piano, Meisterklasse in der Akademie. Erster Preis der Meisterklasse. Aber als sie geheiratet hat, hat der Chef der Familie, der Onkel David, Besitzer der ersten Wiener Dampfmühle Pracht-Lessing, dekretiert, dass sich eine Lessing nicht vor Publikum produziert. Das heißt, sie durfte nicht öffentlich auftreten. Die Jahre, die ich mit ihr verbracht habe nach dem Tod meines Vaters, in Kapelln, hat sie mit Dr. Stegel, Prof. Stegel, dem Sexualforscher, in einem Quartett gespielt und ist in anderen privaten Gruppen aufgetreten. Hat dann eine Zeit lang durch den Prof. Stegel einen indonesischen Plantagenbesitzer betreut, der durch die Psychoanalyse geheilt werden sollte, aber der sich als Komponist versucht hat. Und so erinnere ich mich, dass bei uns zu Hause immer nur Klavier getöst wurde und ich eigentlich ein sehr schlechter Klavierspieler war und geblieben bin. Die Ereignisse im Gemeindebau sind schon ein bisschen wichtig. Armut, Arbeitslosigkeit ... Bei uns stand neben dem Eingang in die Wohnung eine kleine Schüssel mit Ein-Groschen-Stückerln für die ständig wachsende Anzahl von Bettlern, die an die Türe klopften. Februar '34, mitten in der Nacht, wurde ich aufgeweckt und hinter meinem Kinderbett die Wand aufgerissen. Und es kamen einige dann schon sinnlose Gewehre zum Vorschein, die aber dann nie benutzt wurden. Über uns wohnte Karl Hans Sailer, der Vorsitzende der Revolutionären Sozialisten, der aber an diesem Tag schon verhaftet war. Seine Mutter und seine Frau Erna, spätere Botschafterin in der Zweiten Republik, haben sich durchgebracht, dass Sie Hemden genäht haben für den ganzen Gemeindebau und ein bisschen von der Roten Hilfe unterstützt wurden. 1936, 1934: Dollfuß. Eigentlich hat sich in der Schule im RG 8 nicht viel geändert. Der Direktor, Hofrat Klieber, ein enger Freund von Dollfuß, war aber eigentlich ein sehr liberaler Mann, der in der Schule sehr viel gewähren ließ, der genau wusste, wo die Roten Falken Fußball gespielt haben, in welchem Turnsaal. Und eigentlich war das noch eine ganz angenehme Zeit. 1938 ist dann unsere einfache Welt zusammengebrochen. Aber schon '36 war es ganz klar: Hier wird auf die Dauer keine Bleibe sein. Die Idee natürlich für ein Wiener Kind, überhaupt auszuwandern, Wien zu verlassen, war eine Unmöglichkeit, an die man gar nicht gedacht hat. Aber einer zionistischen Jugendbewegung beizutreten, ja, das war noch vereinbar mit dem Spielen und mit den Freunden am Amerlingpark und in der Schule. Eine sonderbar zusammengewürfelte Schule, in derselben Klasse ein anderes jüdisches Kind. Der Vater: Strickwaren-Erzeuger. Der andere: ein begeisterter Fotograf, uneheliches Kind, und ein Stiefvater. Ein Stiefvater, der begeistert war von Fotografie und uns zweien, den zwei jüdischen Kindern und seinem eigenen Stiefsohn, Fotografie beigebracht hat. 1938 kam dann eine sehr große Überraschung. Er fuhr in einem kleinen Hanomag immer durch die Gegend und war Vertreter für Futtermittel für Vieh in Niederösterreich, aber 1938 war er plötzlich ein illegaler Sturmbannführer. Trotzdem hat er die zwei Judenkinder weiter unterrichtet, und eigentlich hat sich für ihn in der Welt SA überhaupt nichts geändert. 1938: zionistische Organisation, keine Schule. Zweite Überraschung: Wir waren plötzlich eine jüdische Schule, und die Lehrer konnten es sich überlegen, ob sie in der jüdischen Klasse unterrichten wollten. Wir hatten einen Klassenvorstand in meinen ersten vier Jahren der Schule, '33 bis '38, der unser Deutschlehrer war. Aber nebenbei war er der Musikkritiker der "Reichspost", doch wohl ein sehr Dollfuß-treues Blatt. Friedrich Funder, einer der Gründer der Christlichsozialen Gesellschaft. Der Herr Prof. Rempf war der Musikkritiker der "Reichspost" und saß viele Jahre im Abonnementkonzert der Philharmoniker neben meiner Mutter. Als die Schulen wieder aufgemacht haben im Frühjahr 1938, erschien unser Klassenvorstand mit dem illegalen Parteiabzeichen, zur Überraschung aller. Der schnelle Wandel vom Christlichsozialen zum Illegalen war doch etwas sonderbar. Aber das waren nicht die einzigen Ereignisse. Prägende Ereignisse dieser Zeit: das ganze Jahr 1938. Dann waren die anderen Sachen in der Schule. Die Lehrer, die uns in der jüdischen Klasse wohl unterrichteten, aber vorbeigingen ohne jeden Kontakt. Aber: als Ausnahme der Klassenvorstand, illegales Parteimitglied, und der Mathematik-Professor, gefürchtet vor allem wegen seiner Stimme und seiner Strenge, der am ersten Tag, wo die Schulen aufmachten, bei uns erschien in der Klasse, sich vor das Podium stellte und sagte: "Ich begrüße die neuen Schüler, alle die, die jetzt in dieser Schule versammelt sind." "Und ich hoffe, dass diese Zeiten, die sich sehr geändert haben, bei Ihnen zu einem glücklichen Ende und zu einer glückliche Zukunft führen werden. Ich begrüße alle." "Der Pythagoreische Lehrsatz lautet ..." Wenn damals jemand gesprochen hätte, wäre er sofort in Dachau gewesen. Dann kam das Jahr '38. Und da war schon ein großer Teil der Lehrer im ersten Transport, zusammen mit dem Schuldirektor, guter Christlichsozialer, Freund von Dollfuß, im ersten Transport nach Dachau. Dann war die Welt zusammengebrochen. Keine Schule mehr im Frühjahr. Ich wartete auf ein Schüler-Zertifikat nach Palästina, das nicht wirklich daherkam, aus irgendwelchen Gründen. Und als es dann in Dezember 1939 endlich in Wien einlangte und ich offiziell ausreisen und in Palästina auf die Schule gehen konnte. Da musste ich zwei Ausweise haben. Das ist die Juden-Vermögensabgabe für das Legat meines Onkels, von dem ich lebte, und gleichzeitig, dass alle Steuererklärungen völlig bezahlt waren für mich von meinem Vormund. Nur, wie die Gestapo so gerne scherzte, waren beide von verschiedenen Daten ausgestellt und hatten verschiedene Ablaufdaten. Als das eine abgelaufen war, hat das andere angefangen. Das heißt, es musste irgendetwas geschehen und beide irgendwie auf denselben Stand gebracht werden. Das wurde dann ... Da das eine am 9. abgelaufen war, musste man versuchen, einen Einser dazu zu machen. Und wieder hat sich der innere Widerstand, wenn man ihn so nennen kann, bewährt. Denn ich war im Palästina-Amt, und einer unserer Älteren hat gesagt: "Dann tun wir vor dem Neuner einen Einser dazu." "Das wird hoffentlich niemand bemerken." Also hatte ich zwei Dokumente, die am 19. ausgestellt waren und mir die Möglichkeit gaben auszureisen. Und dann musste ich in die Naglergasse gehen, zu Lichtbildstelle Altmann, und den Herrn Harand bitten, mir eine Fotokopie zu machen. Der Herr Harand hat sich das angeschaut und gesagt: "Also sehr gut wird die Fotokopie nicht mehr sein." "Das können wir noch nicht. Ein bissl verwaschen wird's sein." Er kam nach einer halben Stunde mit zwei Fotokopien zurück und sagte: "Jetzt gehst du ins Haus vom Café Wöst auf der Ecke von der Alser Straße und Lange Gasse." "Der dortige Notar wird dir die Echtheit der Fotokopien bestätigen." "Aber das Original wird er einbehalten." Und so geschah es auch. Ich hatte zwei echte Ausweise, Fotokopien, die dann aber leider oder glücklicherweise niemand angeschaut hat. Die letzten Tage in Wien waren eigentlich so, da war noch eine Vorladungen zum Tempel in der Seitenstettengasse für ein Sommerlager. Ein Sommerlager in Lublin. Und da hatte ich mich einzufinden am Westbahnhof, an irgendeinem Tag in der Früh, mit einem Koffer. Das war im November '39. Da ging ich auf den Westbahnhof mit meinem Koffer, mit einem Kollegen, mit einem Freund. Aber mir war nicht sehr wohl dabei zumute, ich hab mir gedacht: "Is das wirklich g'scheit?" Da uns aber niemand bewacht oder kontrolliert hat am Westbahnhof, sind wir in Hütteldorf wieder ausgestiegen und nach Hause gegangen. Dann hat sich aber niemand um uns gekümmert, denn die deutsche Schlamperei war bis Wien noch nicht durchgedrungen, die Ordnung war noch nicht da. Dann fuhr ich legal weg und musste meine Mutter, die nicht mit einem illegalen Transport mitgehen wollte, weil sie ihre Mutter nicht alleinlassen konnte, in Wien zurücklassen. Und hab sie nie wieder gesehen. Und ich wusste, dass sie nicht mehr lebt, als plötzlich die Rot-Kreuz-Briefe Ende 1943 aufgehört haben. Die Zeit in Haifa war wunderbar. Schule, Technische Schule. Radiotechnik, von der ich nichts verstanden hab. Eine Vielfalt von Lehrern. Der Hochfrequenz-Lehrer, Prof. Bonfiglioli, war aus Bologna, der Niederfrequenz-Lehrer, der Prof. Schodiniski, aus Riga. Der große Professor für Elektrizität, der Prof. Ollendorf, war aus Berlin, der Prof. Karfunkel war aus Wien. Man kann sich vorstellen, wie dieses Konglomerat in Haifa auf der Schule doch ungeheuer anregend und lehrreich war. Kibbuz, mit der Gruppe, die ich in Wien schon kannte, mit der ich seit 1936 in der Zionistischen Jugendbewegung war, einer gutbürgerlichen Gruppe. Diese Jahre, um zurückzugehen, '38, '39: Da ich schon 15 war, musste ich mich um die Zehnjährigen, die keine Schule mehr hatten, kümmern und habe unterrichtet - jüdische Geschichte. Aber sonst haben wir uns eigentlich bis auf ein paar Raufereien sehr zurückgezogen. Und für mich war eigentlich diese Zeit eine noch immer beschützte Zeit. Auswanderung: Westbahnhof am Abend, Zug nach Triest. Ganz allein im Zug. Fast kein Verkehr, keine Kontrollen, Passkontrolle, Ausweiskontrolle in Tarvis. Aber eigentlich Normalität. Keine Uniformen, außer die Bundesbahn, die Reichsbahn. Ankunft in Triest. Jugendlager. Und dann mit einem Schiff, der "Galiläa", nach Haifa. Ankunft in Haifa am 31. Dezember 1939. Der Kapitän wusste, dass Italien am 1. Jänner 1940 den Krieg erklären wird, hat in Haifa nicht einmal angelegt. Wir wurden ausgeschifft, alle Fahrgäste, und das Schiff hat sofort umgedreht und Haifa verlassen, um nicht am nächsten Tag von den Engländern beschlagnahmt zu werden. Technion ... In der Umgebung von Haifa in einem Jugendlager mit Wiener, österreichischen und deutschen Burschen. Lehrgang auf der Schule. Nach der Schule, eineinhalb Jahre Schule, in denen ich sehr viel gelernt hatte mit einem deutschen Lehrer, dessen Bruder ich nachher in Paris als Leiter des Laboratoriums, wo wir die Magnum-Filme entwickelt haben, wiedergetroffen habe. Viel deutsche Literatur gelesen, eigentlichen meine gesamten Literaturkenntnisse am Nachmittag nach der Schule, die mich nicht sehr interessiert hat. Ich war kein begeisterter Radiotechniker, die Literatur war viel wichtiger. Eineinhalb Jahre gelebt dort in Haifa. Dann mit der Gruppe aus Wien, die in der Zwischenzeit in einem Kibbuz im Beit-She'an-Tal, 200 Meter unter dem Meeresspiegel bei der Ortschaft Beit She'an, lebte. Zu ihnen gezogen, mit Vermessungsgeräten herumgegangen, um Fischteiche auszumessen, die heute das ganze Tal von Beit She'an bedecken. Mit Theodoliten herumgegangen, um die kommenden Fischteiche auszumessen. Fische, Karpfen gezüchtet. Dann im Dan die Stromschnellen der Danquellen gebaut. Und noch heute, wenn ich am Dan bin, wundere ich mich über die wunderbaren Forellen, die es dort gibt im Restaurant, und muss immer winken, weil ich weiß: Die sind über meine Stromschnellen geschwommen. Kindergarten-Fotografie, wunderbare Zeit am Strand. Zeit in Jerusalem, Strandfotograf, bisschen Fotografie. Und dann der Versuch, nach Paris zukommen, um auf die Hochschule zu gehen, schon wissend, dass meine Mutter und meine Großmutter nicht mehr am Leben sind. Kein Visum nach Frankreich, also auf nach Wien, um zu versuchen, aus Wien ein Visum nach Paris zubekommen. In Wien: Suche nach den Möbeln. Denn wir wurden ja selbstverständlich aus der Wohnung herausgeworfen im Gemeindebau. Meine Mutter hatte dann zwei Jahre, '38 bis '40, eine kleinere Wohnung gefunden. Und dann wurde sie auch in diese Sammelwohnungen deportiert oder verwiesen in der Malzgasse im 2. Bezirk. Aber das wusste ich nur mehr und habe es später erfahren. Ich war da schon nicht mehr dabei, nicht mehr in Wien. Also zurück nach Wien, um zu schauen, wer eigentlich ... wo meine Möbel sind. Der Hauswart des Ludo-Hartmann-Hofes, unseres Gemeindebaus, der eigentlich der Vertreter der Sozialistischen Revolutionäre war, war nicht mehr da, aber seine Frau war da. Denn er ist im KZ Dachau umgekommen. Und sie hat mir genau gesagt, wo meine Möbel sind und wer hier in der Albertgasse die Anständigen und die Nicht-Anständigen waren. Und ich hab sie alle abgeklappert und habe nur aus Prinzip, denn ich konnte und wollte mit den Möbeln nichts anfangen, habe die Möbel wieder eingesammelt und in ein Depot gelegt. Ich wartete auf ein französisches Visum, das auch wieder nicht kam. Dann ging mir langsam das Geld aus. Und dann versuchte ich, mit meiner in Haifa gekauften Speed Graphic irgendwo bei einer amerikanischen Presseagentur Arbeit zu finden. Hab alle abgeklappert, und niemand wollte einen Fotografen, niemand brauchte einen Fotografen. Außer bei der Associated Press saß ein junges Mädchen, die gesagt hat: "Lassen Sie Ihre Adresse da." "Vielleicht brauchen wir doch einen Fotografen, irgendwann einmal." Ich dachte mir: "Was mach ich jetzt? Das Geld ...". In der berühmten Pension Nossek konnte ich nicht mehr wohnen, das war mir zu teuer. Bin dann in eine kleine Pension in der Schubertgasse im 9. Bezirk übersiedelt Und dort war ich drei, vier Tage, als plötzlich die Vermieterin etwas schreckensbleich kam und sagte: "Die Polizei sucht Sie, Sie sollen sofort aufs Kommissariat kommen, weil man sucht Sie." Das war der 9. Bezirk, ich hab mir gedacht: Amerikanische Zone, kein Problem, geh ich hin. Da wurde mir gesagt: "Bitte, es sucht Sie die ameri- kanische Agentur Associated Press." "Sie sollen sich sofort in der Seidengasse melden." Gut, das tat ich, und da saß wieder dasselbe Mädchen, die hat gesagt: "Wir haben ein Telex bekommen aus Amerika, New York, warum wir keine Fotografen haben." "Dann habe ich Sie gesucht in der Pension Nossek." "Die haben mir hochnäsig gesagt, Sie wären nicht mehr da, hätten kein Geld mehr gehabt, ich müsse Sie woanders suchen." "Dann hab ich Sie mit der Polizei gesucht." Dann hab ich dort gearbeitet. Und da es sich nicht gehört in bürgerlichen Gesellschaften, auch in sozialistischen Gesellschaften, im Büro ein Verhältnis zu haben, hat dann das Mädchen, das mich angestellt hat, gekündigt und ist zu Reuters und zum "Telegraf" übersiedelt. Und dann haben wir, weil es sich so ausgegangen ist mit Weihnachten und Neujahr, am 31. Dezember geheiratet, weil wir dann zwei Tage Urlaub gehabt haben. Es wird ja immer wieder die Frage gestellt: Warum bin ich nach Wien zurückgekommen, und warum bin ich hier geblieben? Wien war damals für uns Journalisten, Fotografen eine aufregende Frau. Eine aufregende Frau ... eine aufregende Stadt! Meine Frau war schon sehr verhaftet in österreichischen Journalismus: Bundeskanzleramt, Außenamt, Freunde im Journalismus. Und das war eine sehr angenehme Gruppe. Das war das andere Österreich, das hier wieder gebaut wurde. Und dieses andere Österreich ... Meine Frau hat damals den Spruch geprägt, oder das war vielleicht der Hellmut Andics: "Wir sind umgeben von lauter Radau-Philosemiten." Und das hat gestimmt. Man hat sich im Bundeskanzleramt zu Hause gefühlt. Man hat sich in Österreich in dieser Gesellschaft, in der Gesellschaft, die die Kaffeehäuser bevölkert hat ... Die jungen Maler, die jungen Musiker, auch die jungen Politiker oder die älteren, die gerade aus Dachau zurückgekommen waren, da hat man sich eigentlich sehr zu Hause gefühlt. Und darum sind wir beide, meine Frau und ich, dageblieben. Bis wir 1950 gesagt haben: "Genug, jetzt schauen wir uns die Welt an", und das getan haben. Nach einigen Jahren in Paris und dann einigen Jahren in Genf, wo meine Frau die Bildabteilung der Weltgesundheitsorganisation geleitet hat, haben wir gesagt, nach der Ungarischen Revolution: "Kinder, Zuhause." Und das war dann wieder Wien. Nachdem ich wegging von Associated Press und reisen wollte, mit meiner Frau reisen wollte: Versuch, bei Zeitschriften irgendwo Arbeit zu finden oder die Möglichkeit zu finden, im Ausland zu fotografieren. Österreichischer Pass: Es war eigentlich leichter für mich zu reisen als für deutsche Staatsbürger. 1949 bis 1950: Hab in München ein bisschen was fotografiert für die amerikanische Zeitschrift in Deutschland, das "Heute", das eine Zeitschrift war, nachgebildet dem amerikanischen "Live". Und dann, nach einigen Reisen in Italien, für die "Quick" in München. In dieser Zeit, wo es leicht war zu arbeiten, wenn man die Kamera hatte und reisen wollte. Denn als man mich fragte bei der Redaktion von "Quick", wo ich gern hinfahren wollte, und meine Frau und ich sagten: Spanien, hieß es: "Gehen Sie zur Kassa, holen Sie sich etwas Geld, fahren Sie weg und kommen Sie in drei Monaten wieder", und das taten wir auch. Dann kam der große Moment bei der ersten Europaversammlung in Straßburg, da kam ein anderer Fotograf auf mich zu und sagte: "Ich bin David Seymour, man nennt mich Chim." Ich sagte: "Ich weiß, du bist von Magnum." Hat er gesagt: "Ja. Und ich hab Bilder von dir gesehen." "Wollt ihr nicht nach Paris kommen?" Da haben wir gesagt: "Ja, wir wollen eigentlich." Dann sind wir im Auto, das wir bekommen hatten durch einen Bezugsschein von Leopold Figl, ein alter, guter Aero Minor, sind wir dann nach Paris gefahren. Und dann waren wir drei Jahre in Paris. Und von dort aus waren wir in der Welt: in Persien, in den Kohleminen, sehr viel für den Marshall-Plan. Eineinhalb Jahre gelebt in der Türkei. Das war eine sehr große Reisezeit für uns beide, von 1950 bis 1956. '56 war dann die Traudl, meine Frau, Bildchefin der Atombehörde in Wien. Und wir haben beschlossen, Kinder zu kriegen. Und seit damals sind wir wieder da und sind mit unseren Kindern eigentlich sehr zu frieden. Das Leben in Wien war ja damals in den kurzen Nachkriegsjahren, '46, '47, nicht sehr einfach. Die Stadt war zerstört. Wir dachten, sehr zerstört. Aber als wir nach Berlin kamen, haben wir gewusst, was wirkliche Zerstörung ist. Aber wie gesagt, es war eine sehr aufregende Zeit, weil die politische Zeit so aufregend war. Man hat sich in der russischen Zone nicht unbedingt zu Hause gefühlt und sicher gefühlt als Journalist. Man war auch nicht sicher, ob man ein gefährliches Leben führt oder nicht. In Wien konnte man sich ja frei bewegen. Auch in Berlin damals noch, '46, '47, '48. Man wusste nur, wo man sei, wo man ist, weil dort eine große Tafel stand: "Sie betreten jetzt den russischen Sektor", und die Reichsbrücke hieß Tolbuchin-Brücke. Da war es ganz klar, dass man nicht in der amerikanischen Zone war. Aber ... es war Bewegungsfreiheit. Dennoch war man als Journalist nicht sehr sicher, ob man wirklich noch innerhalb des Erlaubten ist oder schon unangenehm der Kommandantur aufgefallen ist. Das galt nicht nur für uns, sondern auch für die Politiker. Jedes Mal, wenn wir im Bundeskanzleramt waren und es hieß: "Der Kanzler ist auf der Kommandantur", waren wir beunruhigt, ob er wieder zurückkommt. Manche Leute kamen von Besuchen bei der Kommandantur nicht zurück und wir haben sie erst zehn Jahre später, nach Abschluss des Staatsvertrags, wieder gesehen. Ich möchte die Zeit aber nicht missen, weil wir sehr viel gelernt haben über Zusammenleben. Und vor allem über jene Bewohner dieser Stadt, mit denen man lebte. Man lebt ja immer nur mit einem ganz kleinen Kreis. Und das war der Kreis der Auslandsjournalisten und der Lokaljournalisten, amerikanische, französische, deutsche. Das war eine sehr aufregende Gruppe, wo man viel gelernt hat und viel erlebt hat, nicht nur beim Reisen, sondern auch in Wien. Und dann natürlich ein ungeheures Zugehörigkeitsgefühl bekommen hat, weil man mit teilgenommen hat an ... Nicht an Entscheidungen, aber wir wussten, wo Entscheidungen gefällt werden, österreichische Entscheidungen, und es war schön, dabei zu sein. Die Kooperative Magnum, heute noch immer die berühmteste der Welt, bei der ich seit 1951 Mitglied bin, hat sich selbstverständlich zur Aufgabe gemacht, auch auf das, was wir fotografiert haben, aufzupassen. Und so ist das Archiv völlig da. Ich hab heute noch alle Negative, die ich 1950 aufgenommen habe, in Paris lagern und hab jederzeit Zugriff dazu. Und wir machen Ausstellungen aus den Schwarz-Weiß-Negativen, die 1949 und 1950 aufgenommen wurden. Das wird heute in der digitalen Welt nicht mehr möglich sein. Dasselbe gilt für die Farbe. Wir haben alles ... Schwarz-Weiß nicht alles, aber Farbe, alle Farbbilder, alle Reproduktionen haben wir digitalisiert und hier in der Dornbacherstraße aufbewahrt. Vier Mitarbeiter kümmern sich darum, dass sie verwertet werden, dass wir sie jetzt ganz langsam auf Apps umarbeiten, aufs Internet geben, auf die Applications, und versuchen, Kunst, Literatur, Schwarz-Weiß und Farbe auf Apps zu bringen. Hier haben wir die Möglichkeit, falls sich jemand unsere Apps anschaut, ein weitaus größeres Publikum für das Archiv, für das Kunstarchiv, aber auch für das geschichtliche Archiv zu bekommen. Viel mehr: Millionen von Menschen können sich unsere Bilder anschauen. Im Gegensatz zu den paar Hunderten oder den paar Tausenden, die sie früher in Zeitungen oder Zeitschriften anschauen konnten. Selbstverständlich über das Medium, das ich heute schon langsam überlebt hat, haben wir sehr vieles von diesem Material verwendet. Wir haben sehr viel über Wien gemacht, sehr viel über Wiener Musik. Einige Bücher über Musik in Wien, ein Buch über den Wiener Musikverein, ein Buch über eine Biografie Beethovens, Haydn, Mozart und die moderne Wiener Musik. Wir verwenden jetzt als Untermalung für unsere Applications moderne österreichische Musik, Zweite Wiener Schule. Rainer Bischof, einige Stücke hat er uns zur Verfügung gestellt. Die sind die Untermalung für die Puzzles, die man bei uns auf den Applications sehen kann. Sehr viel Wien, Ausstellungen. Ausstellungen am Karlsplatz vor vielen Jahren. Wieder eine Ausstellung ... hier, da und dort. Alles das wurde vor ein paar Jahrzehnten mit einer Reihe von Preisen gekrönt. Goldene Medaille der Stadt Wien. Ich weiß nicht genau, welche - ich hab eine Rosette, aber ich weiß nicht genau, was sie bedeutet. Großer Österreichischer Staatspreis. Der Professor-Titel, der in Österreich sehr nützlich ist, wie mir die Hertha Firnberg bei der Überreichung gesagt hat, weil er sehr viele Türen aufmacht, wenn der Professor anruft und nicht nur der Herr Lessing. Und so in Österreich verwachsen: mit Ausstellungen, Titeln, Arbeit, Familie, Freunden. Highlights der Karriere: Sicher ist der Staatsvertrag 1955 ein österreichisches Highlight. Vielleicht die Ungarische Revolution ein anderes, auf einer anderen Basis, anderen Ebene. Aber der Staatsvertrag ... Es war ganz klar, dass ich damals aus Genf nach Wien komme musste, um dabei zu sein. Da der Bundespressechef Dr. Metznik unser Trauzeuge war, hatte ich eigentlich sehr einfachen Zutritt ins Bundeskanzleramt und wollte eigentlich fotografieren das Vorspiel, die Ankunft der Diplomaten, die Ankunft der Teilnehmer und auch die Besucher beim Bundeskanzleramt. Und war darum am Tag vor der Unterzeichnung des Staatvertrages den ganzen Tag im Bundeskanzleramt. Das war vielleicht der aufregendste journalistische Moment, weil im Marmorsalon standen der Bundeskanzler Raab, der Außenminister Figl, und schauten hinunter auf den Ballhausplatz. Und der Vizekanzler Schärf kam auch gerade vorbei. Was war? Man wartete auf den sowjetischen Außenminister Molotow, den ich schon auf dem Flugplatz fotografiert hab, der vom Flugplatz nicht ins Bundes- kanzleramt zum Antrittsbesuch fuhr, sondern in die sowjetische Botschaft. Er kam aus Warschau von der Unterzeichnung des Warschauer Pakts. Und da war die große Frage: Wird die Sowjetunion den Staatsvertrag unterzeichnen? Weil das war ja gar nicht so sicher und hing schon sehr davon ab, was sich in Warschau bei der Unterzeichnung des Warschauer Pakts abgespielt hat. Ob das Sicherheitsbedürfnis der Sowjetunion mit dem Warschauer Pakt in Ordnung gebracht wurde, besiegelt war. Und das war eigentlich ein spannungsgeladenes Bild, obwohl man fast niemanden sieht, außer einen etwas unscharf vorbeigehenden Vizekanzler Schärf. Denn Raab und Figl standen jeder an einem anderen Fenster. Und plötzlich drehte sich der Julius Raab um und sagte: "Da kommt er." Und damit war es ganz klar: Wir haben den Staatsvertrag. Denn wenn der sowjetische Außen- minister zum Antrittsbesuch kommt, wird er am nächsten Tag unterschreiben. Am nächsten Tag war's einfach. Ich hab dem Bundepressechef gesagt: "Ich möchte nicht hinaufkommen in den Saal, weil dort werden 50 Journalisten und Fotografen herumstehen und alle dasselbe Bild fotografieren." "Kommt der Kanzler, kommt Außenminister Leopold Figl auf den Balkon?" Da hat er gesagt: "Sicher." "Weil unten stehen schon Tausende Menschen und warten darauf." Ich weiß, dass jemand gesagt hat: "Nur nicht auf den Balkon!" "Was, wenn sie den Staatsvertrag fallen lassen?" Da soll Fritz Metznik gesagt haben: "Wenn er was in der Hand hat, lässt er es nicht fallen." Und so stand ich eben unten und hab gewartet. Und dann kamen alle auf den Balkon, und ich war der Einzige im weiten Umkreis, der unten stand und jenes ikonografische Bild machte, das heute noch immer jedes Jahr am 15. Mai verwendet wird. "Wir könnten doch eigentlich ein Buch über Karajan und seine Art des Dirigierens machen." Ich weiß gar nicht, ob ich irgendeiner Zeitschrift das damals angeboten habe, oder einfach zu Karajans Sekretär, zum Herrn Fomatoni gegangen bin und gesagt hab: "Ich möchte eine große Reportage machen." Herbert von Karajan hatte einen Hof-Fotografen, ein Schweizer, der alle seine Bilder, seine Ausstellungsbilder machte. Aber aus irgendeinem Grund sagte Karajan Ja. Das war dann einfach, und hier stellt sich der Unterschied sofort heraus zwischen dem Journalisten und Fotografen. Der Journalist setzt sich hin und fragt, stellt Fragen, möchte das oder jenes wissen. Der Fotograf kommt und sagt "Guten Morgen" und beginnt zu fotografieren. Und wenn keine Filme mehr hat, sagt er: "Auf Wiederschauen, ich komme morgen wieder". Und wenn ich gefragt wurde: "Wie war das mit Karajan?", sag ich: "Das weiß ich nicht, ich hab fotografiert." Wir haben uns sehr höflich jeden Tag begrüßt. Einmal hab ich gesagt: "Ich fahr weg." "Sie sind nächste Woche in Berlin, ich seh Sie am Montag in Berlin." "Auf Wiederschauen, gute Reise." Und daraufhin ... Damit hat sich eigentlich mein Verhältnis zu Herbert von Karajan erledigt. Ich hab wochenlang immer wieder in Abständen in Wien, in Berlin, in Salzburg, in Luzern fotografiert. Aber es hatte sich immer gehandelt um: "Guten Morgen" und "Auf Wiederschauen". Interessant war natürlich auch, dass Karajan ein ungeheurer Schauspieler war und er für mich sehr gut gespielt hat. Die Bilder, wie er über die Brüstung des Orchestergrabens in Salzburg drüberspringt ... Ich hab nachher gefragt: "Hat er das jemals sonst bei den Proben gemacht?" "Nein", war die Antwort, "nie!" Aber er hat geschaut, er ging auf der Brüstung spazieren, hat geschaut, wo ich bin. Und als er sah, ich steh richtig, dann sprang er. Dann war's schon vorbei, dann ist ihm was anderes eingefallen. Zu dieser Zeit ist der ... .. damalige Generalsekretär der Festspiele, glaub ich, ständig am Schlaganfall vorbeigegangen. Denn Karajan spazierte am Orchestergraben entlang, oben auf der Brüstung, die Brüstung hat ein bissl gewackelt. Wenn der Karajan herunterfliegt oder sich beim Sprung was verknackst, kann er mit den Festspielen einpacken. Aber es ist nichts passiert. Karajan wusste genau, was er tut. Es war an sich ein sehr angenehmes, stilles Zusammenarbeiten. Er hat sich nie die Bilder angeschaut. Alle haben mich gefragt: "Was hat er zu den Bildern gesagt? Was hat er zensuriert?" Nichts. Er hat anscheinend ... Wie auch andere, Wissenschaftler, Politiker, die durch meine Art des Auftretens Vertrauen zu mir geschöpft haben, wollte er gar nicht wissen, was ich mache. Konrad Adenauer hat sich nie ein Bild angeschaut. Bruno Kreisky hat sich nie ein Bild angeschaut. Sondern sie haben eben zur Kenntnis genommen, dass es hoffentlich gute Bilder sein werden. Die geistige Revolution oder das neue Österreich hat sich ja in Wien im Kaffeehaus abgespielt, oder in ... .. kaffeehausartigen Nachtlokalen. Strohkoffer, wo ich Hundertwasser zum ersten Mal getroffen habe, in der Marietta Qualtinger, Gerhard Bronner, im Café Raimund, wo Hans Weigel thronte und die neue österreichische Literatur kritisiert hat und Malerei kritisiert hat. Absalom, Artman, Hackl, mit meiner Frau, Jeannie Ebner, H.C. Artmann. Das waren eigentlich die Revolutionäre in der Malerei. Hausner ... Obwohl sie gemalt haben, na ja, wie man im 17. Jahrhundert versucht hat zu malen, waren sie aber trotzdem Revolutionäre, die Musiker genauso. Rainer Bischof, Gottfried von Einem. Wenn man in diesem Kreis nicht nur aufgewachsen ist, sondern Freunde gehabt und darin gelebt hat, war diese Zeit eigentlich eine sehr schöne. Ich habe sehr viele Portraits gemacht. Politische Portraits, Künstler, Menschen auf der Straße. Aber immer Portraits, die aus dem Moment entstanden sind, nie in Sitzungen. Das hab ich den Malern überlassen. Und da fällt mir eigentlich eine Geschichte ein, die für unseren Beruf so bezeichnend ist. So um die 1860er Jahre kamen in Paris die ersten Fotostudios auf, wo sich die gesamte gute Gesellschaft traf, um sich portraitieren zu lassen. Und es entspannt sich über die Fotografie ein Dialog in der "Gazette des Arts". Einer der klassischen Maler, Paul Delaroche, schrieb in einem Artikel, dass die Portraitmalerei hiermit mit der Fotografie begraben wurde. Denn die Fotografie ist die Möglichkeit, in vier Sekunden oder vier Minuten, wenn man ruhig hält, ein tadelloses Bild von sich selber zu haben und nicht gemalt zu werden. Außerdem sieht man am Zulauf, den die Fotostudios haben, dass die Portraitfotografie und nicht die Portraitmalerei das Medium der Zukunft ist. Daraufhin erschien eine Brand-Entgegnung von Delacroix, damals genauso ebenbürtig in der Bekanntheit. Delaroche ist der Maler Napoleons über den St. Bernard, zu Pferd, zu Fuß, zu Pferd. Und Delacroix, der Maler der Revolution '48, schrieb: "Mein Lieber Paul, das ist völlig sinnlos, was du sagst." "Im Gegenteil: Die Portraitmalerei ist der Fotografie nicht nur ebenbürtig, sondern weit überlegen." "Denn das Fotografische kann nur einen kurzen Moment den Charakter oder den Menschen, der portraitiert wird, erfassen." "Der Portraitmaler, du und ich, wir lassen uns Zeit, tagelang, stundenlag, immer den Menschen wirklich in allen seinen Breiten und Tiefen zu erkennen." "Und so ist das Portrait, das gemalte Portrait, das viel wichtigere Ausdrucksmittel eines Menschen, viel mehr wert als die ephemere Fotografie." Diese Diskussion zwischen Fotografie und Malerei, nicht nur Portraitmalerei und Portraitfotografie, ist heute, 100 Jahre später, noch immer nicht beendet. Zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt. Wenn man den Unterschied zwischen Sehen und Schauen erkennen will, dann sieht man, was unsere Aufgabe ist. vielleicht nicht kritisieren, Vielleicht nicht Dozieren oder Klären, sondern Schauen. Und so schauen, dass man es einer anderen Generation oder seinem eigenen Publikum zeigen kann und dass aus dem Schauen das Sehen oder aus dem Sehen das Schauen wird.
Archiv-Video vom 12.08.2014:
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Erich Lessing (Fotograf)
Wir und Wien - Erinnerungen Beschreibt man das Leben eines berühmten Fotografen, dann sollte man mit Bildern beginnen. Es ist der 15.Mai 1955. Leopold Figl zeigt vom Balkon des oberen Belvedere den österreichischen Staatsvertrag. Vor dem Gebäude eine jubelnde Menge. Unter ihnen der Fotograf Erich Lessing. Sein " Österreich ist frei"- Bild geht um die Welt. Ein Jahr später - 1956 : Revolution in Ungarn. Dieser Volksaufstand wird ebenfalls von Erich Lessing in zahlreichen Bildern festgehalten - auch mit diesen Fotos wird Geschichte " sehend " geschrieben und international publiziert. Mehr als 30.000 Bilder hat Lessing in seinem Archiv gesammelt. Diese Fotos werden weltweit von Agenturen und Verlagen genutzt.
Länge: 49 Min. 43 Sek.
Produktionsdatum: 2013
Copyright: Stadt Wien