Mitschrift
Dr. Maria Schaumayer, gebürtige Steirerin, Absolventin der Hochschule für Welthandel und der Universität Innsbruck, Praxis in der Industrie, im Bankenwesen tätig, in der Wiener Landesregierung als Amtsführende Stadträtin, verantwortlich für die Städtischen Unternehmungen, Vorstandsmitglied der Österreichischen Kommunalkredit-AG, anschließend Finanzvorstand der ÖMV-AG und schließlich weltweit erste Präsidentin der Österreichischen Nationalbank. Aus der Pension wurde ich wieder geholt als Regierungsbeauftragte für freiwillige Leistungen der Republik Österreich an Zwangsarbeiter des NS-Regimes.
ELTERNHAUS
Mein Elternhaus war eine sehr gebildete Beamtenfamilie, die Mutter Pädagogin mit Herz und Leidenschaft, der Vater Obst- und Weinbaufachmann, katholischer Couleur-Student, 1938, bei Hitlers Einmarsch, am nämlichen Tag enthoben als Direktor der Obst- und Weinbauschule Silberberg in der Steiermark.
KATHOLISCHER WIDERSTAND
Er gehörte zu dem Segment des katholischen Widerstands, der, wenn ich ein bisschen aufmüpfig sein darf, sicher das NS-Regime nicht zum Einsturz bringen konnte, der aber sehr wichtig war für das Wissen im Alltag, was menschenwürdig und was menschenunwürdig ist. Das galt es wach zu halten. Er hat es bezahlt mit mehreren Aufenthalten in Gestapo- Gefängnissen und mit einer Zwangseinziehung zur Deutschen Wehrmacht und in letzter Folge zum Volkssturm, wie der Name schon sagt, das letzte Aufgebot des NS-Regimes. Das war wieder im Bereich der Ostfront – die Sowjets waren schon im Burgenland.
MUTTER – PÄDAGOGIN
Meine Mutter war Pädagogin und in den dreißiger Jahren aufgrund des Doppelverdiener-Gesetzes zwangspensioniert. Es durfte im öffentlichen Dienst nur ein Ehepartner tätig sein. Als der Krieg ausbrach wurde sie hingegen zwangsverpflichtet, wieder Schuldienst zu leisten und hat die Volksschule für Knaben in Fürstenfeld übernommen, die einen sehr großen Hof mit Sportgelände hatte. Auf diesem Sportgelände habe ich selber gerne trainiert: Speerwerfen, Weitsprung usw.
Damit war es vorbei, als der Volkssturm den Platz übernahm, um dort die Übungen mit der Panzerfaust auszuführen. Da war kein sportlicher Wettbewerb möglich.
1945 – RICHTUNG WESTEN
Wir sind sehr lange in Fürstenfeld geblieben, weil meine Mutter glaubte, dass der Vater doch heim kommen werde. Vor Ostern 1945, vor der Karwoche, ist es mir gelungen, noch ein Kohlenauto aufzutreiben, das uns aus Fürstenfeld Richtung Westen wegbrachte. Auf gewissen Umwegen sind wir zu Freunden nach Mariazell gekommen, die dort das Elternhaus mit einer Bäckerei hatten. Dort haben wir Zuflucht gefunden und waren am 8.Mai 1945 einigermaßen überrascht, dass die einmarschierenden alliierten Truppen auch sowjetische Soldaten waren. Interessanterweise hat sich in Mariazell kaum ein Übergriff ereignet – außerhalb des Ortes reichlich.
Einige Wochen nach Kriegsende kam das Gerücht nach Mariazell, dass der Mann der Freundin meiner Mutter, Primarius in Fürstenfeld, von den Russen erschossen worden sei. Bei meinem Vater hat das Gerücht besagt, er sei noch von den Nationalsozialisten füsiliert worden. Verständlich, dass beide Frauen wissen wollten, was los ist. Es gab ja keine Telefonverbindung.
Man kann sich kaum vorstellen, wie das war. Die Nachrichten sind bestenfalls mit dem Fahrrad gereist, es gab keine anderen Informationswege. Wir sind mit einem Milchauto bis Kapfenberg gekommen. Der weitere Weg nach Fürstenfeld war eigentlich ein Fußmarsch. Eine umgekehrte Wallfahrt, wenn ich so sagen darf. Ich hatte einen Rucksack voller Tabakblätter mit und einige Koffer. Das hat uns auf dem schwarzen Markt einiges an Lebensmitteln in den Nachkriegsmonaten gebracht. So sind wir marschiert. Wir haben immer wieder übernachtet in Bauernhäusern oder Stadeln.
DURCH MINENFELDER
Als wir uns Fürstenfeld näherten, dem sogenannten Dreikreuzberg, sahen wir vor einem befreundeten Bauernhaus die alte Tante, die die Hände über dem Kopf zusammenschlug, als sie uns daher wanken sah. Meine Mutter fragte sie, was los sei. Sie erklärte uns, dass wir mitten durch die Minen gegangen seien. Wir hatten Glück, wir sind auf keine Mine getreten. Das waren damals die Verhältnisse. Wir fanden zerbombte Häuser vor, konnten uns bei Tag auf den Dachböden verstecken vor der russischen Besatzung. Es hat immer wieder Einbrüche in Häuser und Übergriffe gegeben.
SCHULBETRIEB – KRIEGSENDE
Das Maturajahr war 1949, es war eigentlich mit Einschränkungen zu versehen. Der reguläre Mittelschulbetrieb hörte im Spätherbst 1944 auf. Es gab kein Heizmaterial mehr. Es wurde Unterricht gemacht, soweit noch Professorinnen vorhanden waren, und er wurde in den Wohnungen der Kinder abgehalten.
1945, als Frieden war und Besatzung, mussten wir das Gymnasium, das in einem schrecklichen Zustand der Verwüstung war, selber aufräumen und benützbar machen. Das begann damit, dass im Herbst 1945 wieder Schulbetrieb war. Es war Kohlemangel, und wir wurden gefragt, ob wir die letzte abgebrochene Klasse wiederholen oder aufsteigen wollen. Wir haben uns für das Aufsteigen entschieden, und haben daher gewisse Wissenslücken mitgenommen zur Matura.
Außerdem muss man sich vor Augen führen, dass es keinerlei Lehrbücher gab und Skripten. Das galt auch für die Hochschule. Ich habe noch die Lehrmittel meiner Eltern benützt. Bei den Atlanten war es sehr kritisch, denn die waren aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg. Da waren die neuen Grenzen schon zu Hitlers Zeit eingezeichnet, da haben wir noch einmal umzeichnen müssen.
Ich war in Geografie eigentlich sehr schwach. In Geschichte nicht minder, denn in der NS-Zeit haben wir hauptsächlich den Teutoburger Wald gelernt, aber niemals europäische Geschichte.
AUF NACH WIEN!
Trotzdem: Matura mit Auszeichnung 1945, Maturazeugnis im Rucksack. Aufbruch nach Wien, zur Hochschule für Welthandel, der heutigen Wirtschaftsuniversität.
Wien, eine zerstörte Stadt: Zerbombt durch die Kämpfe, hinhaltender Widerstand, die Deutsche Wehrmacht gegen die anrückenden sowjetischen Truppen. Burgtheater, Oper, Stephansdom, alles beschädigt, die Gleise der Straßenbahnen, Bombenschäden.
Das hat mich übrigens bei der Regelung der Zwangsarbeiterfrage wieder eingeholt. Es wurden damals Zwangsarbeiter eingesetzt vom NS-Regime, um Bombenschäden zu beseitigen, und die Straßen wieder passierbar zu machen.
Es war Hunger, Wohnungsnot, Bombenschäden, und noch ein erheblicher Anteil von Substandardwohnungen, die noch aus der Zwischenkriegszeit waren. Wasser am Gang, Klo am Gang.
STUDIENZEIT – NACHKRIEGSWIEN
Eigentlich triste Zustände. Wir Studenten hatten damals keine Studentenheime. Wir haben uns Untermietzimmer suchen müssen. Wichtig war, dass es einen Ofen drinnen gab. Große Schwierigkeiten bereitete auch der Badezimmer- Benutzungsplan. Es ist alles gelungen. Damals habe ich mir angewöhnt, in der Früh Tee zu trinken. Es ging schneller und war leichter erhältlich.
An der Hochschule für Welthandel, die damals in der Franz-Klein-Gasse im neunzehnten Bezirk beim Währinger Park war, kamen Professoren aus dem Krieg zurück. Es war eigentlich ein schon ansehnlicher Lehrkörper und eine gute Mischung aus Wissenschaft und Praktikern. Ich habe mich für Industriepolitik entschieden bei Professor Bouvier. Davon habe ich in weiterer Folge stark profitiert.
STUDENTEN – VERSORGUNG
Die Versorgungslage war elendig. In der Mensa hat man eventuell ein Glas Milch bekommen, wenn man essen wollte, musste man das Gasthaus Binder Ecke Nußdorfer Straße – Währinger Gürtel aufsuchen. Der Wirt war aus dem Waldviertel, hatte nicht viel, aber immer Erdäpfel. Erdäpfelsalat, Erdäpfelsauce, Erdäpfelgulasch. Wir haben von Erdäpfeln gelebt, ich liebe Erdäpfel heute noch. Ich habe mich nie satt gegessen an ihnen. Es war immer großartig, eine bessere Qualität als heute. Die Versorgung war insofern kritisch, als wir zwar Lebensmittelmarken hatten, aber man konnte nicht rechnen, dass man es kriegt. Man hatte die Marken, aber man kam nicht unbedingt zum Produkt. Es war für alles ein Reglement da, das heißt, es wurde der Mangel verwaltet. Bürokratisch perfekt, aber nicht immer effizient.
ENERGIEVERSORGUNG – NACHKRIEGSWIEN
Es war ein großes Problem im Nachkriegswien. Es war nur stundenweise Strom und Gas verfügbar. Die Ein- und Ausschaltzeiten wurden immer im Radio bekannt gegeben. Man musste sich darauf einstellen, dass man dann, wenn es Strom gab, lesen oder studieren konnte, und kochen, wenn es Gas gab. Diese Mangelsituation hat ziemlich lange angehalten. Das Grundlegende war gestört, zerstört: die Produktionsstätten.
ÖFFENTLICHER VERKEHR
Die Verkehrsmittel in Wien waren Vorkriegsgefährte. Es waren die Straßenbahnwagen grundsätzlich offen. Alles Holz, kalt. Es hat lange gedauert, bis man nach dem Staatsvertrag zur Erneuerung des Wagenparks gekommen ist. Was gut gefahren ist, war die Stadtbahn. Mit ihr bin ich auch zur Hochschule für Welthandel im neuzehnten Bezirk gekommen. Allerdings konnte man die Handschuhe oder die Fäustlinge nicht ausziehen, es waren die Hörsäle kaum oder gar nicht geheizt. Wir haben also mit Handschuhen mitgeschrieben. Es gab kein Papier und daher keine Skripten. Für Papier gab es Bezugsscheine und Zuteilungen. Das hat nicht ausgereicht, um einen wirklichen Betrieb damit aufzuziehen. Es war alles von Mangel gekennzeichnet.
In den Bundesbahnen gab es noch die dritte Klasse. Ich bin immer dritte Klasse gefahren, wenn ich zu den Eltern nach Hause gefahren bin oder in weiterer Folge zum Studium nach Innsbruck. Demarkationslinien als Gefahrenpunkte bei der Einreise, bei der Ausreise immer ein unbehagliches Gefühl, langsames Fahren, Holzbänke. Auch das hat länger gedauert, bis modernisiert werden konnte im Land.
UNIVERSITÄT INNSBRUCK – DOKTORAT
An der Universität Innsbruck galt an der juridischen Fakultät noch die reichsdeutsche Studienordnung für Wirtschaftswissenschaften. Die habe ich bevorzugt, weil damals in Innsbruck alle Kapazitäten der Rechtswissenschaften lehrten. Die Rechtsfächer waren an der Welthandel ein bisschen unterbelichtet. Daher habe ich mich für Innsbruck entschieden und konnte im Zusammenhang mit meiner Berufstätigkeit bei den AGA-Werken, die eine Filiale in Innsbruck hatten, das recht gut bis zum Doktorat im Jahr 1954 kombinieren.
GLAUBE AN ÖSTERREICH
Es war in meinen Jahrgängen eines der wirklich kritischen Themen, ob wir in diesem Land Österreich, das damals kein wirklicher Begriff war, eine Zukunft finden könnten. Wer die Möglichkeit hatte, hat sich überlegt, ob er nach Beendigung des Studiums irgendwie ins Ausland kommen könnte. Bei mir war durch eine Freundschaft meiner Mutter in der Schweiz der Gedanke, dass ich nach Uruguay zu einer Bank auswandern könnte.
Um mich auf das Bankgeschäft vorzubereiten habe ich mich um meinen Eintritt in die Creditanstalt-Bankverein beworben. Ich habe mich erfolgreich bemüht, hatte schon alle Papiere für die Ausreise und die Einreise in Uruguay, das damals als die Schweiz Südamerikas gegolten hat. Da wurde meine Mutter schwer krank. Einzelkind, da überlegt man sich so etwas. Man lässt sie nicht im Stich, also bleibt man da.
1955 – STAATSVERTRAG
Wir waren eine sehr skeptische Generation, die meinte, es werde ohnehin nie zum Staatsvertrag kommen. Als im April 1955 Kanzler Julius Raab aus Moskau am Flugfeld Vöslau landete und sagte, wir kriegen den Staatsvertrag, haben wir es auch noch nicht geglaubt. Aber es kam der 15. Mai näher und ich habe im vierten Bezirk gewohnt, in der Nähe des Belvedere. Es war die Abschlussunterschrifts-Zeremonie für das Belvedere vorgesehen. Ich habe mir gedacht, ich höre es ja im Radio, ob es kommt, und war sehr skeptisch. Dann hat es begonnen, und auf einmal habe ich mir gedacht, das kann man nicht vorbei gehen lassen und bin hinübergelaufen. Die 94. Reihe bei der Ligusterhecke hinten links, aber trotzdem: (Leopold) Figl auf dem Balkon mit dem Staatsvertrag war sichtbar.
In der Masse ist auf einmal ein Patriotismus in mir und in den Anderen gewachsen. Man hatte ein konkretes Gefühl. Ja, ich bin Österreicherin! Und dieses Österreich hat eine Chance, auch mit uns jungen Menschen und für uns junge Menschen. Ich bin damals wie viele andere zur Patriotin geworden, und habe mich ein Leben lang gefreut, dass ich mitwirken durfte am Werden dieser neuen Republik.
WEG IN DIE POLITIK
Als dann Jahre später die Gemeinderatswahlen 1964 waren, hat man mich gefragt, ob ich bereit wäre, auf einer Liste Döbling zu kandidieren. Ich habe zugesagt, wollte aber kein Mandat, weil ich Karriere in der Wirtschaft machen wollte. Ich dachte, es wäre keine Gefahr, dass ich ein Mandat kriege. Die Gefahr wurde ausgeräumt durch eine Abstimmung in der Kreiswahlbehörde, wo jemand auf dem Listenplatz durchgefallen ist und jemand mich vorgeschlagen hat. Ich war gerade bei Gesprächen mit der Montanunion in Luxemburg für die CA, als diese Entscheidungen in Wien fielen. Ich habe geglaubt, mir stockt der Atem. Das hat einen Karriere-, bzw. Berufswechsel bedeutet, mit dem ich nicht gerechnet hatte.
AMTSFÜHRENDE STADTRÄTIN
Auf einmal war ich, ohne es angestrebt zu haben, Amtsführender Stadtrat, und musste mich ohne Bezüge karrenzieren lassen. Ich habe mir nur eine Rückfahrkarte erbeten, weil die Entwicklung, die Zukunft, immer noch ungewiss war. Ich war so jung, dass ich wusste, ich kann nicht in der Politik in Pension gehen. Damals waren ja noch Frühpensionen möglich, die 1972 über mein Zutun geändert wurden. Ich wusste, ich will etwas leisten, etwas arbeiten, und das in der Wirtschaft. Daher habe ich die Politik als Zwischenspiel betrachtet. Allerdings eines, das mir unendlich viel Freude gemacht hat, weil es mir die Chance gab, an der Modernisierung Wiens tatkräftig mitzuwirken. Wir sind weit über den Wiederaufbau hinausgegangen.
INTENSIVE ARBEITSPHASE
Es war eine ungeheuer intensive Arbeitsphase, und ich hatte das Glück, hervorragende Mitarbeiter sowohl in der Generaldirektion der Stadtwerke wie auch in den Direktionen der einzelnen Betriebe (Verkehrsbetriebe, E-Werke, Gaswerke) zu haben. Wir waren alle beseelt von dem Wunsch, Wien zu modernisieren.
Ich habe es schon als Studentin mitbekommen, dass die ÖVP schon im Jahr 1948 einen Antrag gestellt hat, in den neuen Flächenwidmungsplänen künftige U-Bahntrassen auszuweisen. Wir hätten uns Ablösen erspart, wenn das geschehen wäre. Es ist nicht geschehen. Letztlich war es dann doch im Jahr 1968 möglich, einen Schritt ins Moderne im öffentlichen Verkehrswesen, in die U-Bahn, zu machen. Die SPÖ war endlich bereit, zuzustimmen. Es wurde im Jänner 1968 der Baubeschluss für die erste U-Bahnlinie Reumannplatz gefasst.
STADTGAS – VERSORGUNG
Wir haben bei den Gaswerken modernisiert. Nicht nur, dass wir die Stadtgasversorgung verbessern konnten, wir haben auch den europaweit ersten Erdgas-Liefervertrag für eine Dauer von 25 Jahren mit der Sowjetunion geschlossen – die ÖMV, und die Landesgesellschaften von Wien, Oberösterreich, Niederösterreich und das Burgenland. Die Russen wollten so viel Gas liefern, dass wir gar nicht gewusst haben, was wir damit machen.
Da ist dann auch die Bevorratung gekommen mit Speichern, die uns heute noch zugutekommt bei Kälteperioden oder Lieferengpässen. Wir haben den gesamten Tarif bei den Verkehrsbetrieben modernisiert und haben das Schwergewicht auf Vorverkauf und Monatsnetzkarten gelegt, haben die Menschen befreit vom Anstellen bei den Vorverkaufs-Hütterln. Mit den Trafiken Wiens haben wir ein Abkommen geschlossen, den Vorverkauf auch in die Trafiken zu legen. Das war gar nicht so einfach zu verhandeln, aber es ist gelungen.
VERDIENSTE FÜR DIE STADT WIEN
Es ist eigentlich jener Bereich meiner Tätigkeiten, wo ich sagen kann, die große Genugtuung besteht darin, das Leben, der Alltag der Wienerinnen und Wiener ist wirklich moderner, zukunftssicher geworden. Diese Maßnahmen haben über die Jahrzehnte gehalten. Das Team, das am Werk war, hat sich Verdienste für die Stadt erworben.
WIEN – HOCHWASSERSCHUTZ
Es war mittlerweile, Anfang der Siebziger Jahre, jenes Stadium erreicht, wo man nicht nur Modernisierung, sondern auch Neugestaltung überlegen konnte. Damals war auch eine Bedrohung durch Hochwasser. Der Handelskai war immer wieder überflutet, wir haben schreckliche Hochwässer gehabt in der Stadt. Es kam die Überlegung der Donauregulierung, wie sie in den Siebziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts durchgeführt worden waren, neu ins Bewusstsein, und es wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben. Der führte dazu, dass es zu einer Donauinsellösung kommen könnte, also zwei Flussbette mit der Insel dazwischen.
SPAGHETTI – INSEL
Diese Insel ist im Rathaus, bürokratisch im Zeichensaal entstanden. Das führte dazu, dass der damalige Vizebürgermeister Dr. Drimmel sie als Spaghetti-Insel bezeichnet hat.
Es war das Langweiligste vom Langweiligen. Die Kritik der ÖVP hat dazu geführt, dass die Überlegungen in der Stadt auch auf eine Gestaltung der Insel hinausliefen. Aus der ursprünglichen Spaghetti-Insel wurde eine sehr ansehnliche Freizeitinsel mit Badebuchten, Bootsanlegestellen usw. Das war ein sehr erfolgreicher Beitrag zum Stadtbild Wiens.
Kontrovers war das Konferenzzentrum jenseits der Donau. Die Gestaltungsüberlegungen haben sich über die Donau hinaus erstreckt. Das Konferenzzentrum war strittig zwischen den Koalitionsparteien. Die SPÖ wollte es lustigerweise, die ÖVP blöderweise nicht. Sie hat sich daran gestoßen, dass es als Großmannssucht empfunden wurde bei nicht gesicherter Finanzierung über arabische zinsenlose Darlehen – das war ein bisserl problematisch. Aber die UNO, und Waldheim war damals Generalsekretär, war außerordentlich daran interessiert, dieses großzügige Konferenzzentrum in Wien anzusiedeln.
Die SPÖ hat den Beschluss alleine gefasst, wofür man ihr heute dankbar sein muss.
WIEN – HOLDING
Ich hatte die glückliche Chance, dass Bürgermeister (Leopold) Gratz 1973 (Felix) Slavik ablöste, und bereit war, in den wirtschaftlichen Belangen der Stadt weiter zu arbeiten. Er hat mir anvertraut, an der Gründung der Wiener Holding als Gemeinderat mitzuwirken. Außerdem hat er mir anvertraut, den Kontrollausschuss zu führen.
Beides machte mir wieder Freude, machte gleichzeitig die Rückkehr in die Wirtschaft möglich. Ich bin in die Kommunalkredit gegangen, und als sie das erreicht hatte, was ihre Zielsetzung war, ist mir fad geworden, und ich habe gebeten, eine neue Aufgabe zugeteilt zu bekommen. Das war der Finanzvorstand der ÖMV.
1982 – ÖMV FINANZVORSTAND
Zu modernisieren gab es eine ganze Menge, denn die ÖMV war einer jener großen Betriebe, der in der Besatzungsmacht für Reparationen herangezogen wurde, aber schon vor dem Staatsvertrag als sowjetische Mineralölverwaltung ausgebeutet wurde. Aus dieser Besatzungszeit haben sich eine Menge schlechter Faktoren erhalten. Es war viel zu reformieren, und es gab auch die Möglichkeit zu internationalisieren. Der Generaldirektor kam von dem internationalen Unternehmen „Total“ und wusste, wie das geht.
Wir haben in dieser Zeit der ÖMV, als die ÖIAG noch zu hundert Prozent ein Staatsbetrieb war, zwei wesentliche Schritte setzen können im Vorstand. Erstens ist es uns gelungen, Beteiligungen in Libyen zu erwerben. Dr. Kreisky war sehr hilfreich bei Gaddafi, die amerikanischen Sanktionen konnten auch beruhigt werden. Die zweite Großtat war, dass ich fest davon überzeugt war nach deutschen Beispiel, dass die ÖMV international nur dann reüssieren wird, wenn sie nicht mehr hundert Prozent im Staatsbesitz, sondern privatisiert ist. Es kam also im Jahr 1987 zur ersten Teil-Privatisierung eines staatlichen Betriebes in Österreich. Leicht war es nie. Man muss Glück haben oder mit Unglück fertig werden. Im Oktober 1987 war die Emission der ÖMV-Aktien angesetzt.
1987 – BÖRSENCRASH
Eine harte Sache, würde ich sagen, denn das Publikum war von den Schlagzeilen der Zeitungen beeinflusst. Und da zu sagen, es gäbe eine großartige österreichische Aktie, in die sie ruhig investieren können, worüber sie sich in Zukunft werden freuen können, ist nicht ganz einfach. Wir haben die Roadshows in ganz Österreich durchgezogen.
Das ist nicht ganz einfach. Mittlerweile hat sich New York beruhigt, und wir sind auch in Deutschland und England zu den Roadshows, und die ÖIAG ist nachgekommen. Man hat also auch gesehen, dass man nicht sofort den Hut draufhauen kann. Wir haben eine, so glaube ich, gute Platzierung hingekriegt. Ich habe immer gesagt, dass mich jeder, der ÖMV-Aktien gezeichnet hat, auch noch die folgenden Jahrzehnte gegrüßt hat.
ÖSTERREICHISCHE NATIONALBANK
Ich ging in Pension Ende 1989, habe mich auf den Tennisplatz und in die Konzertsäle begeben, habe gebucht für Edinburgh-Festival, Van Gogh-Ausstellungen etc. Im April fahre ich vom Tennisplatz nach Hause, schalte die Mittagsnachrichten ein im Auto, und höre, dass der Präsident der Österreichischen Nationalbank, Dr. Hellmut Klauhs, gestorben ist bei einer Operation im AKH.
Ich war erschüttert. Wir waren persönlich befreundet, bin in der Pokornygasse mit dem Auto stehen geblieben, um mich zu erfangen. Dann habe ich nachgedacht, wer jetzt für die Nachfolge in Betracht kommen könnte. Ich habe der ÖVP einige Ratschläge gegeben, und war höchst überrascht, dass nicht allzu lange nach der Beerdigung eines Morgens bei mir das Telefon läutete, und der Vizekanzler Riegler, ÖVP, am Apparat ist und mir sagt, dass mich die Partei vorschlagen möchte für die Nationalbank. Ich bat, mir das überlegen zu dürfen. Auf die Idee bin ich überhaupt nicht gekommen.
KURZE BEDENKZEIT
Ich bin im Vorzimmer auf und ab gegangen, das Telefon in der Hand. Er sagt, dass ich mir das nicht lange überlegen könne, denn er flöge um elf Uhr nach Berlin und müsste es dem Bundeskanzler Vranitzky vorher sagen. Ich versprach, mir das rasch zu überlegen. Habe überlegt, zwei, drei Anrufe gemacht, ob man es mir zutraut an kritischer Stelle.
Es war positives Echo. Dann habe ich mir gedacht, es ist eigentlich eine tolle Herausforderung. Wenn ich nein sage, wird nie wieder eine Frau gefragt werden. Das ging mir durch den Kopf. Ich habe also Vizekanzler Riegler angerufen, und ihm gesagt, dass ich bereit wäre und mich geehrt fühle.
PHASE DER GESTALTUNG
Ich hatte das Glück, auch in der Nationalbank wieder in eine Phase zu kommen, wo man gestalten konnte. Mein Traum nach Kriegsende war Europa und Europa war greifbar nahe, im Jahr 1990 nicht mehr von den Russen beeinsprucht. Wende, Eiserner Vorhang gerade gefallen, daher kein Widerstand mehr beim Sozialdemokratischen Regierungspartner. Sie hatten Angst, dass die Sowjets den Schritt nach Europa übelnehmen würden.
Was Dr. Vranitzky in seiner Partei gelungen ist, nämlich die vorherrschende Meinung auf Europa umzustellen, das ist in der Bevölkerung insgesamt gelungen. Es war für die Nationalbank eine tragende Aufgabe, nicht nur durch alle Währungskrisen der frühen 90-er Jahre – die italienische Lira, die schwedische Krone, die finnische Mark, das englische Pfund etc. – die unseren Export erfassten und ständig Schwierigkeiten auslösten, zu überwinden.
EUROPA – VISION
Es war möglich, den Menschen die Vision eines friedlichen, am Wohlstand interessierten und orientierten künftigen Europa vor Augen zu führen, mit jener Stabilität, die wir aus der Schilling-Politik mitgebracht haben. Präsident Delore hat mir gesagt, er sei nicht für einen Beitritt Österreichs, es sollte zuerst vertieft werden, bevor erweitert wird. Ich sagte ihm, mit Österreich hätte er beides. Die Vertiefung – wir sind eines der stabilsten Länder – und die Erweiterung. Also solle er sich nicht gegen uns sträuben.
Es wurde der Widerstand mühsam, aber doch bei den Verhandlungen Februar 1994 gebrochen. Dafür gibt es noch genügend Zeugen. Aber wir waren nicht wirklich willkommen. Die Österreicher waren letztlich überzeugt davon, dass dieser Schritt eine wichtige, zukunftspolitische Entscheidung ist. Es gab eine Zwei Drittel-Mehrheit beim Referendum im Juni 1994. Ich bin dankbar dafür, dass ich da mitwirken konnte und auf diesem Gebiet noch 1995 feststellen konnte, dass Österreich mit seiner Währung neun Tage nach dem Beitritt zur Union auch dem sogenannten Wechselkursmechanismus beitreten konnte, der die Vorstufe für den Euro darstellte. Das sind Glücksgefühle, wenn man die Chance hat, an solchen Entwicklungen mitwirken zu können.
DIE EISBRECHERIN
Ich war die erste Notenbank-Präsidentin weltweit. Es war interessant, zu sehen, dass in zwei Jahren zwölf Kolleginnen in vergleichbare Funktionen kamen. Dann wieder weniger, dann wieder mehr, mit einem Wort, das Eis war gebrochen. Ich habe mich immer als Eisbrecherin verstanden. Das heißt, ich mache die Fahrrinne frei für das, was nachkommt. Ich wünsche mir, dass Vieles nachkommt. Eine Journalistin hat mich gefragt, ob ich stolz darauf bin, die einzige zu sein. Ja, ich bin stolz und dankbar, aber ich möchte nicht lange die Einzige sein. Ich möchte, dass nachkommt, und es ist etwas nachgekommen.
Ähnlich war die Überlegung bei meinem sechzigsten Geburtstag in der Nationalbank. Da habe ich mir gedacht, wenn einem das Schicksal so hold ist, dass man herausragende Chancen im Leben vorfindet, muss man eigentlich solidarisch sein, und dieses nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten unterlegen.
FRAUEN IN DER WIRTSCHAFT
Ich habe im Einvernehmen mit einer befreundeten Rechtsanwältin und der damaligen Ministerin Maria Rauch-Kallat die Maria-Schaumeier-Stiftung gegründet zur Förderung von Frauen-Karrieren in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik. Ich bin sehr stolz, dass zwanzig Jahre später fast tausend Stipendiatinnen, Förderpreisträgerinnen von dieser Stiftung bedacht werden konnten. Ich habe die Stiftung aus privaten Mitteln errichtet, habe aber dann um Sponsoren, also Hilfe gebeten. Es waren immer die Geburtstage, der Achtziger wird der letzte gewesen sein, die diese Hilfsersuchen auslösen. Das ist ein Akt der Solidarität, und ich glaube, dass ich in meinem Leben alles gesehen habe.
FRAUENRECHTE SIND MENSCHENRECHTE
Ich habe Feminismus im militanten Sinn nie gepflegt, weil ich der Meinung war, Frauenrechte sind Menschenrechte. Gleichberechtigung ist ein Menschenrecht. Wir sind vor Gott die gleichen Geschöpfe, und unsere persönliche Würde und unsere persönlichen Fähigkeiten sind gleichwertig. Das haben wir erzielt.
Wenn ich mir heute die Abschlussquoten bei Hochschulstudien anschaue, überragen schon fast die Frauen die Männer – die paar technischen Belange ausgenommen: Technische Universität, Montanuniversität. Entweder gleichwertig oder sogar ein leichtes Plus für Frauen.
Auch da konnte ich ein bisschen mitwirken. Man konnte nicht jahrelang vom Stipendium leben, aber es war eine Ermutigung. Die Preisträgerinnen meiner Stiftung haben das auch so verstanden und mir beim Achtziger zum Ausdruck gebracht, da bin ich sehr dankbar.
ANGEBOT – NS-ZWANGSARBEIT
Schüssel übernimmt Anfang 2000 die Bundesregierung. Eines Tages läutet wieder bei mir das Telefon. Schüssel sagt: „Maria, ich brauch was von dir. Heute kannst du nicht sagen, du bist zu alt.“ Er wollte, dass die Restitutionen und die Zwangsarbeit angegangen werden, und ich sollte das übernehmen.
Ich sagte nicht, dass ich zu alt wäre, im Gegenteil, ich hatte gerade noch bewusst gesehen, wie Zwangsarbeiter auch in Fürstenfeld Friedhofsgräber ausgeschaufelt hatten, im Krankenhaus die Heizung bedienen mussten, bei den Bauern eingesetzt waren. Ich hatte persönliche Erinnerungen an diese Zeit, Bilder.
Zu diesen Bildern gehörte auch, dass ich eines Tages in der Abenddämmerung unterwegs zu einem Milchbauern war, mit der Milchkanne in der Hand. Da sehe ich einen Zug von traurigen Gestalten, begleitet von uniformierten Gewehrträgern. Ich bin sicherheitshalber in den Straßengraben abgetaucht. Das war Ende 1944. Ich konnte mir kein Bild machen, was ich da eigentlich gesehen habe. Im Jahr 2000 war mir klar, dass ich jenen Zug ungarischer Juden bei Fürstenfeld verbeigetrieben gesehen habe, die bestimmt waren für Mauthausen.
RESTITUTION – ZWANGSARBEIT
Ich hatte also die Möglichkeit, Dr. Schüssel „Ja“ zu sagen. Nur habe ich ihn angesichts meines Alters und meines Gesundheitszustandes, der nicht der allerbeste war, gebeten, die Dinge zweizuteilen. Ich habe auch die Nachrichten aus der Schweiz und der Bundesrepublik Deutschland verfolgt, und habe gesehen, dass die amerikanischen jüdischen Anwälte den größten Wirbel bei Restitutionen, also bei Vermögensfragen, entfacht haben. Die menschlichen Schicksale der Zwangsarbeit kamen eher zu kurz.
Da habe ich um Trennung gebeten. Ich übernehme die Zwangsarbeit, und für die Restitution, die Vermögensfragen fühle ich mich nicht so sehr zuständig. Da sollte er sich eine geeignete andere Persönlichkeit suchen. Das wurde dann Botschafter Ernst Sucharipa, der leider Gottes den Abschluss nicht mehr erlebt hat.
EVERYBODY`S GUESS
Wir konnten davon ausgehen, dass es zu Kriegsende über eine Million Zwangsarbeiter auf österreichischem Gebiet gegeben hat, aber wie viel davon noch am Leben sein könnten, das war everybody‘s guess. Man hat internationale Historiker, Statistiker herangezogen. Ich habe immer gesagt, wir dürfen uns eher nach oben irren als nach unten. Der Gedanke, dass man irgendeinen zu Schaden Gekommenen abweisen müsse, weil der Topf leer ist, war mir schreckhaft.
VERHANDLUNGEN – ERFOLG
Es war uns also möglich, in relativ kurzer Zeit die Verhandlungen so zu führen, dass wir im Mai 2000 bereits eine Konferenz aller Partnerorganisationen in den Herkunftsländern mit Stuart E. Eizenstat als Regierungsbeauftragtem der USA hatten. Die Anwälte mussten draußen bleiben, weil ich gesagt habe, wir zahlen nicht die Anwälte, sondern das Geld, das wir erst auftreiben müssen, wollen wir den geschädigten Zwangsarbeitern zuwenden.
Wir konnten uns damals in dieser Konferenz auf die Zahl der potenziellen Leistungsempfänger und auf die Entschädigungshöhen einigen. Damit war der Weg frei, dass wir zu einem raschen Abschluss kamen. Wir haben – ich weiß nicht, wie viele Jahre – nach der Bundesrepublik Deutschland zu verhandeln begonnen. Abgeschlossen haben wir nur ein paar Wochen nach ihr. Darauf sind wir, mein Team und ich, stolz.
GLÜCKSGEFÜHL
Vor allem war es für mich auch menschlich beglückend, dass man unendliches Leid, unendliche Not aus den politischen Wirren des Nationalsozialismus, des Kommunismus noch mit einer Geste der Republik Österreich bedenken konnte. Es ist keine Gutmachung, das ist nicht möglich bei beeinträchtigten und vernichteten Leben. Aber es war mir eine große menschliche Genugtuung, dass wir 135.000 vom NS-Regime geschädigte Zwangsarbeiter als Österreich bedenken konnten, und dass ich daran mitwirken durfte, habe ich als ein Glücksgefühl empfunden.
Archiv-Video vom 11.08.2014:
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Maria Schaumayer (Managerin)
Wir und Wien - Erinnerungen Sie gilt als Grand Dame der Zweiten Republik: Maria Schaumayer, Österreichs erfolgreichste Managerin und Eisbrecherin für den Erfolg von Frauen in der Wirtschaft. Was immer sie anfasste, brachte sie erfolgreich zu Ende. Jahrzehnte hindurch prägte sie die wirtschaftliche und politische Landschaft Österreichs, aber auch die Geschicke Wiens, entscheidend mit. Sie war die erste Frau an der Spitze der Nationalbank und auch die erste Frau, die zum Ehrenmitglied der Akademie der Wissenschaften ernannt wurde.
Länge: 51 Min. 15 Sek.
Produktionsdatum: 2013
Copyright: Stadt Wien