Mitschrift
<p>Ich bin in Wien geboren, im Jahr 1925. Mein Vater war Ministerialrat, meine Mutter war Hauptschullehrerin. Mein Vater sollte nach Berlin versetzt werden und hat das abgelehnt – wir sind also in Wien geblieben. Meine Mutter war in der Dollfuß-Zeit nicht sehr gut angeschrieben und hat zuerst – ihre erste Stelle als Lehrerin war bei den tuberkulösen Kindern im Allgemeinen Krankenhaus mit denen sie also lernen musste. Und dann ist sie in die Krim gekommen. Und die Krim ist gar nicht die russische Halbinsel sondern ist ein Bezirksteil von Döbling zwischen der Krottenbachstraße und der Sieveringer Straße und das war damals ein sehr armes Viertel. Ich erinnere mich daran, dass ich in der Mittelschule immer zwei Gabelfrühstücke mitnehmen musste, weil eins wurde abgesammelt und mit einem großen Lastwagen in die Krim geführt und den Kindern gegeben. Weil die haben oft zu Hause kein Frühstück gekriegt. Und meine Mutter war also in der Krim und dort hat sie ein wunderbares Wienerisch gelernt und wenn sie zu Mittag mit uns Mittag gegessen hat, hat sie uns dann immer die neu gelernten Sachen gesagt – die wir alle sehr geschätzt haben.</p>
<p>NIEDERÖSTERREICHISCHE LANDESMUSTERKELLEREI.<br />
Wir haben in der Pyrkergasse gewohnt und zwar im Haus der Niederösterreichischen Landesmusterkellerei. Das war eine sehr große Kellerei, die von der Pyrkergasse bis zur Hofzeile durchgegangen ist und die Hausmeister-Mitzi und ich sollten natürlich im Garten spielen und haben es nie getan. Wir sind immer in den Keller hinunter gegangen. Erstens waren die Kellermänner unsere Freunde. Der Wein wurde damals in riesigen Bottichen noch mit Pferdefuhrwerken ausgeführt – es gab keinen Lastwagen. Ich glaube, im letzten Jahr, wo wir dort gewohnt haben – 1937 – hat es schon ein Lastauto gegeben, aber davor waren also Pferdewagen und die so genannten Kellermänner haben uns also auf die Pferde gesetzt. Das waren solche Viecher! Und wir sind also da oben gesessen und waren glücklich. Außerdem ging der Keller dreistock-tief hinunter, es waren flache Stiegen, aber neben den Stiegen war ein Platz für die Schläuche, für die Weinschläuche und wir sind natürlich immer die Weinschläuche hinuntergerutscht – die drei Stockwerke. Und im untersten Stockwerk war ein großes Fass in das ein Tisch und zwölf Sessel hineingegangen ist und das also zu besonderen Feierlichkeiten benützt wurde und da haben wir am liebsten gespielt. Ich bin also wirklich im Schwefeldunst von ausgeschwefelten Fässern und im Geruch von Wein aufgewachsen.</p>
<p>SCHULE.<br />
Die Schule war in derselben Straße – in der Pyrkergasse. Ich erinnere mich vor allem an die Lehrerin meiner ersten Klasse – das Fräulein Maier. Die hatte einen falschen Zopfkranz am Kopf und hat verlangt, dass wir so sitzen, mit ausgestreckten Händen ganz steif. Und wie ich das meiner Mutter, die ja auch Lehrerin war, erzählt habe, war sie entsetzt. Ich weiß nicht, ob sie das in der Schule bekannt gegeben hat – ich glaube nicht – aber jedenfalls hab ich das Fräulein Maier nur ein Jahr ausgestanden. Und dann haben wir einen Oberlehrer Taraba gehabt und der hat uns also politisch indoktriniert – der war ein strammer Sozialist. Und wie ich das einmal meinen Eltern erzählt hab, haben sie gesagt: "Nun ja. Man muss das nicht alles glauben." Aber das war alles, was sie dazu gesagt haben. <br />
Ich habe mich an viele Mitschülerinnen erinnert, vor allem aber die aus dem Waisenhaus, weil die hat man immer an ihren Kleidern erkannt. Und ich bin einmal – ich war ziemlich befreundet mit einer von ihnen... Es waren so bunt gemusterte - im Winter Bachent-Kleider und im Sommer Baumwollkleider. Und wir haben uns immer gefragt, was wir denn sind und haben gewusst katholisch oder evangelisch oder sonst was. Und ich hab meine Nachbarin gefragt: "Was bist denn Du?" Und sie hat gesagt: "Ich bin ein Nixerl!" Und das hat mir sehr imponiert – ich weiß nicht, hat sie ein Buch über eine Nixe gelesen. Jedenfalls hat sie die Frage durchaus anders beantwortet als ich erwartet habe – ein Nixerl.</p>
<p>TOURISTENROCK.<br />
Tja, in der Volksschule hab’ ich im Winter das getragen, was man einen Touristenrock genannt hat. Das war aus den alten Anzügen meines Vaters genäht, denn der Ministerialrat – sagte man immer – hat nichts, aber das hat er sicher. Und daher, war also von wegen Kleidung nicht sehr viel Aufwand getrieben. Wir hatten eine Hausschneiderin, die – ich weiß nicht – einmal im Monat gekommen ist. Und die hat also nicht bei uns am Tisch gegessen – wir haben mit meiner Großmutter gewohnt, Vater, Mutter, Kind und Großmutter - sondern sie hat im Nebenzimmer, wo die Nähmaschine gestanden ist, gegessen und ist immer durchgehuscht bei uns wenn sie mit Essen fertig war und hat gesagt: "G’speis z’hamm!" Und ich habe das als Kind nie verstanden. Das hat geheißen: "Ich wünsche wohl gespeist zu haben." Aber es war immer nur "G’speis z’hamm". Und sonst hat sie also Vaters Anzüge umgenäht für Touristenröcke für mich und Blusen – weiß ich nicht – haben wir gekauft oder ich glaube, nicht gekauft. Wir sind allerdings zu Schulbeginn immer in die Neustiftgasse zur Tante Bogen gefahren. Die Tante Bogen war das Geschäft "Baum & Bogen – billige Kinderkleider" und dort haben wir uns dann, hat meine Mutter mich versorgt für den Winter. Und da gab es einmal, wie ich vielleicht 7 Jahre alt war, einen wunderbaren Wintermantel. Er war knallblau und hat so lange Haare gehabt. Ich weiß nicht was es war, natürlich kein Pelz, kein falscher Pelz – nicht einmal das. Aber er war halt wunderschön und ich habe sehr darauf gehofft, dass meine Mutter ihn mir kaufen wird. Aber ich habe wieder nur einen Matrosenmantel gekriegt – und war also eher unglücklich darüber. Und daher hat mein Mann meiner kleinen Tochter in London einmal einen violetten, solchen haarigen gekauft, weil sie ihn so dringend wollte.</p>
<p>ÜBERSIEDELUNG.<br />
Wir sind dann 1937 übersiedelt in die Peter Jordan Straße. Das war also eigentlich ein großer Sprung nach vorne weil die Pyrkergasse war eine schäbige Wohnung, eigentlich über einem Pferdestall. Für mich war es herrlich weil, wie gesagt, der Keller und die Pferde und die Kellermänner waren wunderbar. Aber es war eine größere Wohnung in der Peter Jordan Straße, also zu Beginn vom Cottage-Viertel. Außerdem war meine nachmalige Mittelschule nur um’s Eck. Ich hab’ also gar nicht sehr früh weggehen müssen.</p>
<p>GENUG ZU ESSEN.<br />
Wir hatten immer eine Hausgehilfin. Die letzte war eine Rumänin und die hat aus den paar Erdäpfeln, die wir gehabt haben und dem Kaffeesud irgendeine Süßspeise gemacht, die uns allen furchtbar geschmeckt hat. Mein Vater hat ein Hungerödem gehabt aber ich nicht. Ich habe – Donnerstag haben wir lang Turnen gehabt, da bin ich erst um 14:00 Uhr nach Hause gekommen und habe allein gegessen. Und da hat’s immer irgendwelche Erdäpfelnudeln gegeben und herrliche Sachen. Fleisch hat’s wenig gegeben, das hat mich gar nicht gestört. So wie ja in der früheren Kindheit der Tag wo die Wäscherin gekommen ist, für mich ein Feiertag war. Denn für die Wäscherin wurde natürlich kein Fleisch gemacht, nicht einmal Schinkenfleckerln, sondern eine dicke Suppe und eine süße Mehlspeis – und das war mein Lieblingsessen.<br />
LEBENSMITTEL-KARTEN.<br />
Gleich zu Beginn des Krieges hat es dann Lebensmittel-Karten gegeben. Und das schien zuerst ganz reichlich und dann ist es halt immer weniger geworden. Ich erinnere mich, nicht wirklich Hunger gelitten zu haben. Meine Mutter hat nicht kochen können und sie hat es dann gelernt, wie wir keine Hausgehilfin mehr gehabt haben. Aber sie war anscheinend eine gute Köchin oder hat es so gut gelernt, dass wir keinen Hunger gelitten haben. Die Mutter und ich sind auch manchmal hamstern gefahren und haben bei Bauernhöfen um Erdäpfeln gebeten und haben gezahlt. Wir haben kein Klavier hergegeben dafür, aber wir haben... Ich glaub’ drei Mal waren wir hamstern und dann haben wir uns nicht mehr getraut. Denn die Kontrollen in den Zügen – man musste ja mit dem Zug fahren, Auto haben wir natürlich keines gehabt – und die Kontrollen in den Zügen sind immer strenger geworden und Rucksäcke sind also kontrolliert worden. Und da sind wir dann nicht mehr... Mein Vater durfte es gar nicht wissen, dass wir hamstern gefahren sind, denn das war unmöglich. Er war einer von jenen Beamten, der einen Bleistift für seine privaten Notizen hatte, nicht? Weil den Dienstbleistift wollte er dafür nicht abnützen. So ungefähr hat man sich erzählt. Aber jedenfalls war er also "um Himmels Willen" man konnte also nicht über die Lebensmittel-Karten hinaus etwas erwerben. Und daher haben die Mutter und ich immer gesagt: "Wir machen einen Ausflug."</p>
<p>PATASEK-GESPRÄCHE.<br />
Ja die Lebensmittel-Karten wurden in einer Volksschule ausgeteilt, in der Panzergasse, von dazu bestimmten Mitarbeitern. In späteren Kriegsjahren ist meine Mutter dazu eingezogen worden und hat Lebensmittel-Karten verteilen müssen. Am Anfang war das ganz lustig, denn sie hatte einen Kollegen, Lebensmittelverteiler, der der Herr Patasek war. Und der Herr Patasek hat Gespräche geführt, die dann bei uns in der Familie »die Patasek-Gespräche« geheißen haben. "Jo, jo na, i waaß ned. Man könnt’ sagen..." So gingen die Patasek-Gespräche. Es war nie ein Inhalt herauszufinden. Und meine Mutter hat auch ein trauriges Erlebnis gehabt: Die Mutter vom Fritz Molden, von den Brüdern Molden ist gekommen und hat die Buben abgemeldet, weil sie eingesperrt waren und hat uns das dann zu Hause am Abend erzählt. Wir waren mit ihnen wage bekannt, weil die Grüneis daneben gewohnt haben, neben ihnen, und so. Und ich hab die Buben also vom Sehen gekannt.</p>
<p>1934.<br />
Ich erinnere mich an 1934, weil ich damals unter den Speiszimmertisch geschlüpft bin. Man hat das Beschießen des Marx-Hofes gehört und da hab ich mich sehr gefürchtet. Meine Eltern sind am Tisch sitzen geblieben aber ich bin unter dem Tisch geblieben bis es vorbei war. Das ist alles, was ich noch davon weiß.</p>
<p>1935.<br />
1935 bin ich dann in die Mittelschule gegangen – sehr gerne. Ich bin immer gern in die Schule gegangen. Ich war immer eine gute Schülerin, vielleicht eine Streberin? Nein, ich hab’ nicht viel gelernt. Aber ich bin also gerne auch in die Mittelschule gegangen. Die Direktorin war die Frau Dr. Much, Frau Professor Much, Direktor Much, an die ich mich vor allem deshalb erinnere, weil alle Schülerinnen sich immer im Hof versammelt haben zu Schulbeginn – wenn die Schule wieder angefangen hat. Und da wurde dann eine Rede geredet und die Frau Direktor hat gesagt: "Und eines muss ich Euch noch mitteilen. Die Lehrerin für evangelische Religion hat geheiratet und heißt jetzt Anders." Wir haben alle gelacht und haben gesagt: "Natürlich heißt sie anders." Aber sie hat tatsächlich einen Herrn Anders geheiratet. Und das haben wir uns ewig gemerkt und das hat uns sehr amüsiert.</p>
<p>LEHRERINNEN.<br />
Wir haben viele Lehrer gehabt. Die Schrecklichste war Mathematik und Physik, weil sie also... Sie hat noch ein Reformkleid angehabt, das bis zu den Knöcheln gegangen ist. Und sie war dick und so in einem hinunter, wie eine Pyramide. Und es tut mir heute noch leid, dass sie Mathematik wirklich nicht unterrichten konnte, denn Mathematik hätte mich interessiert. Reizend war die Geschichtslehrerin, bei der ich viel gelernt habe. Deutsch war auch so eine ältliche Jungfrau, die durch die Klasse gegangen ist und gesagt hat: "Und a Tristan liebte a Isolde a wahnsinnig". Und das haben wir uns dann immer gemerkt. Und sonst ist nichts Besonderes zu merken, außer dass wie die Matura gekommen ist, ich durch die Reihe der Professoren gegangen bin – nach vorne, wo die Prüfung stattgefunden hat und meine von mir heiß geliebte Turnlehrerin gesagt hat: "Spring an mein Paradeross." Und das hat mir auch sehr geholfen.</p>
<p>JÜDINNEN IN DER KLASSE.<br />
Wir waren 21 Schülerinnen in meiner Klasse und davon waren mindestens zehn Jüdinnen. Ich war durch Zufall oder nicht Zufall – das weiß ich nicht – mit keiner von ihnen wirklich befreundet. Das heißt, ich war, wir waren in der Schule freundlich miteinander aber ich bin nie von ihnen eingeladen worden und habe sie auch nie eingeladen. Ich nehme an, dass war das wegen meines Elternhauses, denn mein Vater war... Sie waren beide nicht Parteimitglieder aber sie waren beide – mein Vater war Großdeutscher, als deutschsprechender Czernowitzer begreiflicherweise. Und meine Mutter war was mein Vater war. Und daher habe ich nicht mit Jüdinnen verkehrt.</p>
<p>POLITIK 1938.<br />
Wir haben Radio gehört – wir haben ein Radio gehabt, das ein Cousin von mir selbst gebastelt hat. Es war entsprechend schlecht, aber wir konnten hören. Und wir haben die Rede vom Schuschnigg gehört »Gott schütze Österreich« und daraufhin war ich sehr gerührt und bin, wie immer, auf’s Klo gegangen. Nämlich da konnte ich alleine sein, es hat einen gegossenen Steinboden gehabt mit verschiedenen Mustern, die ich mir erfunden habe. Und bin also auf’s Klo gegangen, hab mich auf die geschlossene Muschel gesetzt und habe geweint. Und dann bin ich wieder ins Zimmer gegangen und bin schlafen gegangen. Und am nächsten Morgen war ein wunderschöner Tag und die Sonne hat geschienen und ich hab auf die Straße hinaus geschaut – mein Schlafzimmer ging auf den Hof hinaus. Ich bin also ins Zimmer meiner Großmutter gegangen und hab auf die Straße geschaut und die Leute waren alle so fröhlich und haben weiße Stutzen angehabt und waren vergnügt. Und da hab’ ich mir gedacht: " Ja das ist ja gar nicht so arg gewesen. Wie dumm ich war, dass ich gestern geweint hab. Die sind ja alle so glücklich." Daran erinnere ich mich sehr genau.</p>
<p>JUNGMÄDCHENSCHAR 10–14 JAHRE.<br />
Ich bin immer verständigen gegangen. Man musste verständigen gehen zu allen Mitgliedern einer kleinen Gruppe von etwa zehn oder zwölf Mädchen und sagen: "Du, am Donnerstag ist wieder Heimabend. Kommst Du auch?" Und ich bin also brav verständigen gegangen. Und da war eine, die Heli Tietz, die hat – ich weiß den Namen noch heute – die hat im Gemeindebau gewohnt, an der Ecke, wo der 38er abbiegt vom G2 – Philipp-Hof. Und ich habe mir nach dem Krieg manchmal überlegt, dass ich... Ich hab’ mich geärgert, weil sie nie gekommen ist und dann gesagt, ja sie hat Grippe. Und dann hat sie keine Grippe gehabt, dann hat sie nachlernen müssen – sie ist nie gekommen. Und das hat mich geärgert und dann hab’ ich mir gedacht nach dem Krieg: Wenn ich mich so geärgert hätte, dass ich zur Tochter vom Ortsgruppenleiter gegangen wäre, die in meiner Klasse war, und ihr gesagt hätte: "Du, die Heli Tietz ärgert mich so. Kannst Du nicht was machen?" Und ich habe es nie getan und es hätte das größte Malheurs passieren können, weil der Vater, der Ortsgruppenleiter hätte seine Tochter gefragt: "Und wo wohnt Sie?" Und wenn er gehört hätte, sie wohnt im Philipp-Hof, war ihm schon klar, was das für eine war und weshalb sie nicht kommt. Also es hätte Schlimmes passieren können. Daran hab ich überhaupt nicht gedacht. Aber ich habe nur gedacht: "Ich vertrasch’ sie nicht. Und das ist lächerlich und das macht man nicht."</p>
<p>GALLITZINBERG.<br />
Es wurden damals alle Leute, die auf der Universität waren – ich war schon auf der Uni – wurden, sofern sie nicht schon im Doktoratsstudium waren, einberufen: zum Teil in Rüstungsfabriken, zum Teil zu Sozialdiensten, alles Mögliche. Und ich bin zum so genannten Gau-Befehlsstand einberufen worden. Das war ein Platz, wo die hochmögenden Goldfasane – haben wir sie genannt – also der Schirach und seine Adjutanten und alle möglichen, auf Besuch befindlichen Leute hingekommen sind durch die Thaliastraße, die dann die Helden-Avenue geheißen hat. Und da sind sie also hinaufgekommen und dort war ein tiefer Bunker. Und in diesem tiefen Bunker waren Mädchen der 7. Klasse von zwei Wiener Mittelschulen eingesetzt als Funkmelderinnen, Telefonistinnen usw. Es ging also tief hinunter in den Graben, also in einen Kellerraum – es waren drei Kellerräume – und es war eine Milchglasscheibe und hinter der saß eine und hat gezeichnet, was sie über Telefon gehört hat von einer Luftschutz – nein nicht Luftschutz – sondern von einer Heereseinheit: Wo die Flieger herkommen und wo sie hinfliegen usw.. Und ein Mädchen musste auch Drahtfunksprecherin sein. Es wurde das normale Radio ja immer abgeschaltet und der so genannte Drahtfunk wurde eingeschaltet – ich kann heute nicht mehr sagen, was der Drahtfunk war. Jedenfalls hat man in allen Kellern die Luftlagemeldungen gehört. Und sie haben also eine Zeit lang von je sieben Mädchen, die dort oben Dienst gemacht haben, eine als Sprecherin benützt und das ging nicht. Die wurde heiser und konnte es nicht und so. Und dann hat man sich eine Schauspielerin aus der Josefstadt geholt – ihren Namen sollt Ihr nie erfahren. Und sie hat derartig dramatisch gesprochen, dass es zum fürchten war. Da haben sie auch gesagt, das ist nix. Und dann – ich weiß nicht wer die Idee gehabt hätte, ich hätt’ eine tiefe Stimme, man könnt’s doch einmal mit mir probieren – ich wär’ eh schon da. Und das ist dann – ich bin’s dann geworden. Ich habe dann etwas tiefer gesprochen als jetzt oder vielleicht so tief wie jetzt. Ich hab jedenfalls meine Stimme ein bisschen tiefer gestellt und habe also dann von Anfang Oktober bis zum Mai 1945 jeden Tag gesprochen – also von der Karte von der Milchglaskarte abgelesen, wenn’s schon recht nah war, wo sie sind. Und habe mir nach dem Krieg oft überlegt wenn ich Straßenbahn gefahren bin: "Was ist, wenn ich jetzt sage: Achtung, Achtung wir bringen in kürze Luftlagemeldungen." Ob alle den Hut nehmen und hinaus springen? Aber es ist – ich hab’ es nicht ausprobiert.</p>
<p>GAU-BEFEHLSSTAND.<br />
Ja, da muss ich vom Gau-Befehlsstand anfangen. Ich war, wie gesagt, auf dem so genannten Gau-Befehlsstand und meine Eltern waren in der Peter Jordan Straße im Keller. Es war kein sehr sicherer Keller und ich durfte in den ganzen Monaten ein Mal einen Tag frei nehmen und zu meinen Eltern fahren. Und bin im Keller gesessen mit ihnen weil wieder Alarm war und habe mich entsetzlich gefürchtet, denn es ist nebenan ein Haus bombardiert worden, unser Haus ist bombardiert worden – aber es ist nicht bis in den Keller gegangen. Ich habe ja noch – bis gut zwei Jahre nach dem Krieg ist man in unsere Wohnungstür hineingegangen und dann lagen Bretter auf dem Boden über einem tiefen Loch. Und über diese Bretter ist man balanciert und ist dann erst in die unzerstörten Zimmer gekommen. Also das war sehr häufig damals. Man ist auch über die Bretter in die Küche balanciert. Aber, wie gesagt, damals hab’ ich mich sehr gefürchtet und auch sehr geschämt, dass ich meinen Eltern das zumute. Was soll ich machen? Und dass ich selbst so sicher bin. Aber sie waren anscheinend ganz beruhigt, dass ich wenigstens sicher bin.</p>
<p>LUFTANGRIFFE MELDEN.<br />
Ich hab nichts Schreckliches erlebt, weil ich auch zu der Zeit des Kriegsendes im so genannten Gau-Befehlsstand war. Die letzten Tage habe ich dann nicht mehr aus dem tiefen dritten Keller gemeldet – die Luftangriffe – sondern war mit einem Herrn Ingenieur Zischka, der unser Techniker war, mit dem war ich auf dem Aussichtsturm, der dort war. Es war ein Aussichtsturm auf dem Berg, auf dem Gallitzinberg und da haben wir von oben gesehen, wo’s ist und wo die Flieger einfliegen und haben das dann direkt gesprochen. Das heißt, ich habe es direkt gesprochen. Und dann hab’ ich mich einmal umgedreht und da sah ich so einen kleinen schwarzen Panzer durch den Wald herauf kommen, habe nicht gesagt: "Leopold wir gehen", wie im Rosenkavalier – aber habe es mir gedacht. Und dann sind wir ziemlich schnell hinunter und sind mit einem vorhandenen Schwimmwagen durch die Thaliastraße, die schon unter Beschuss war – nicht Artillerie, sondern Tiefflieger. Wir sind drei Mal aus dem Wagen herausgesprungen und in Haustore hinein. Und dann sind wir in die Hofburg. Und wie dann die Russen durch die Mariahilfer Straße hinunter gekommen sind, sind wir wieder in den Schwimmwagen hineingesprungen und sind über die Donau hinüber und sind dann – sollten ins Hochlandlager kommen. Das Hochlandlager war so eine Phantasie Idee, die war in Bayern und da sollten sich also die letzten Reste von SS und HJ und sonstigen Verlässlichen sammeln. Und ich habe dort am ersten Tag... Ja, da wurden wir noch – mein Gott, ich weiß es nicht mehr wie dieses schreckliche Gewehr geheißen hat, das man auf der Schulter getragen hat. Das war kein Gewehr, das war eine Panzerfaust. Da wurden wir noch in der Panzerfaust ausgebildet – einen Tag lang. Und dann habe ich einen blonden Polen kennengelernt, der über, weiß Gott wie, eingezogen wurde, weil er war – er hat Wache geheißen, Walter Wache – und war offensichtlich ein Deutsch-Pole. Und da haben wir uns gesagt: "Das mit den Panzerfäusten, das ist nicht gut und das wollen wir nicht machen." Und haben unsere Rucksäcke genommen und sind in einen wunderbaren Frühlingswald gegangen und sind zu Fuß weitergegangen bis wir weg waren von allen. Und das war für mich das Kriegsende. Wir haben noch zur Sicherheit einen... Wir haben noch einen Apparat mitgenommen, weil wir gedacht haben: "Vielleicht können wir was machen damit." Es war keine Kamera, es war ein Aufnahmegerät und das haben wir dann in den Zellersee versenkt, weil wir gesagt haben: "Das kann nicht gut sein, wenn die Amerikaner uns mit sowas erwischen." Wir haben ihn in den Zellersee versenkt und dort ist er heute noch wahrscheinlich.</p>
<p>EBENSEE.<br />
Ich bin in die amerikanische Zone, die damals noch keine amerikanische Zone war. Ich bin nach Haus im Ennstal zur Tante Putzi. Und dann sollten die Russen nach Haus im Ennstal kommen – es sind aber die Engländer gekommen. Nur haben wir gedacht, wir gehen lieber vorher, bevor irgendeiner kommt und sind dann zu Fuß – wieder der Walter Wache und ich; und das war keine Liebesgeschichte, das war einfach eine... Wir haben uns gekannt von dort und haben gewusst, zu zweit kommt man leichter durch. Wir sind dann auf den Gmundener Berg gegangen – ich hab’ nicht gewusst, wo meine Eltern sind; ich konnte sie auch nicht verständigen; die Tante Putzi hat’s auch nicht gewusst – sind auf den Gmundener Berg gegangen und haben uns dort bei einer Bäuerin einquartiert, so zu sagen. Und da war der Mann natürlich eingerückt und sie war froh um die Hilfe. Und es ist immer einer ins nächste Tal um ein Brot gegangen und dann die anderen haben also Schwammerl gesucht und Schwammerl gekocht – es hat auch nicht viel zu Essen gegeben. Aber die Bäuerin war auch deshalb froh, weil sie gewusst hat, dass in Ebensee ein Lager ist – ein KZ. Und die KZ-Insassen sind natürlich überall hingekommen und haben um Brot gebettelt und sonst was – wenn sie freigelassen waren. Und sie hat sich gefürchtet vor denen, dass die also auf Brot kommen und so. Und dann kamen die Amerikaner auf den Gmundener Berg. Ich habe von Ebensee nichts gewusst damals. Und damals hat ein amerikanischer Leutnant, der nicht bei uns gewohnt hat im Bauernhof – ich weiß nicht – aber der herauf gekommen ist, hat mich also furchtbar angekiffen, dass ich davon nichts weiß und hat mich mitgenommen. Und hat mich nach Ebensee geführt und hat mir gezeigt, wie es dort ausschaut. Und dann ist mir Vieles klar geworden. Aber bis dahin war ich – also hab es für Arbeitslager gehalten, aber nicht für Todeslager und sonstige Sachen. Ich weiß nicht wie er geheißen hat. Ich weiß nicht von welcher Truppe er war. Er ist dann weiter gezogen – ich weiß nicht wohin. Aber mich hat er zuerst nach Ebensee geführt und mir das KZ gezeigt.</p>
<p>ERINNERUNG AN GRAZ.<br />
Dann bin ich zuerst einmal – hab’ ich meine Eltern gesucht von denen ich geahnt habe, dass sie auf einem Schiff an der Donau sind. Und hab’ meine Eltern gefunden, hab ein paar Tage bei ihnen gelebt. Meine Mutter hat mich entlaust – ich weiß nicht, wie ich zu Läusen gekommen bin, aber ich habe sie gehabt. Und dann bin ich zu Fuß nach Graz gegangen, weil ich in Graz studieren wollte. Unsere Wohnung in Wien war noch gebombt und ich bin also zu Fuß über die Demarkationslinie und nach Graz. Das ging ganz gut und hab’ in Graz eine Freundin aus dem Arbeitsdienst getroffen – die Herta Himmelbauer – die dort Medizin studiert hat. Ich hab mich einquartiert bei einer Postmeisterswitwe, die sehr streng war und sehr viel zu Essen gehabt hat, von dem sie mir nicht einen Bissen gegeben hat. So wie ich eine Tante dort hatte, die mir ihre Vorräte gezeigt hat und ihre Marmeladen und mir nicht ein Glas Marmelade gegeben hat. Also, das sind die Erinnerungen an Graz. Aber ich hab dann in Graz selbst viel Geld verdient: Erstens habe ich studiert – also Germanistik – und habe auch Volkskunde studiert. Und der Volkskunde-Professor hat eine Theorie entwickelt über den Urschroa der in sämtlichen Alpentälern usw. der Selbe ist – von der Schweiz, von Frankreich usw.. Und da konnte man ihn aufhalten in seinen Vorlesungen, indem man gesagt hat: "Bitte Herr Professor, der Urschroa!" Und er hat sich also wie ein Glockenfrosch aufgebläht und hat einen schrecklichen Laut von sich gegeben. Solange bis der Koziol – Englisch nebenan – gekommen ist und gefragt hat, ob die Volkskunde wirklich so laut sein muss. Daran erinner’ ich mich lebhaft. Sonst hab ich nicht sehr viel gelernt. Oja, Altenglisch und Altnordisch und Althochdeutsch und hab’ alle immer durcheinander gebracht, weil es war immer sehr schwierig. Sie konnten einander sicher verstehen.</p>
<p>BEI ASSOCIATED PRESS ANGEHEUERT.<br />
Ich bin nach Wien zurück gegangene, wie meine Eltern auch nach Wien gegangen sind. Und eines Tages kam zu uns der Herbert Krejci, der ehemalige Generalsekretär von der Industriellenvereinigung. Kam der Herbert zu uns – den Herbert hab ich von der Mittelschule her gekannt, denn er war der Freund von meiner Mitschülerin Hederl. Und er ist jeden Tag zu ihr gekommen und hat ihr die Schultasche getragen nach der Schule. Und wenn sie sich gekracht hatten, dann hat er ihr die Schultasche nicht getragen – dann hat er meine getragen. Ich hab gewusst, es hat gar nichts zu bedeuten, aber das Hederl ärgert sich. Und der tauchte eines Tages – 1945 oder Anfang 1946 – bei mir und meinen Eltern auf. Ich war erstaunt darüber, hab mich gefreut, aber weiter nicht gewusst, was er will. Er hat gesagt, ja, er hätte einen Job für mich. Ob ich was brauch? "Ja, na dringend, weil ich will ja studieren. Und ich brauch’ dringend ein Geld." Und darauf hin hat er mir gesagt, die Associated Press sucht jemanden, der ihre Fotos verkauft an die österreichischen Zeitungen. "Kannst Du das?" Ich hab gesagt: "Selbstverständlich kann ich das." Noch nie probiert was zu verkaufen, aber das macht nichts. Und da hat er gesagt: "Ja aber zu den Amerikanern kannst Du nicht gehen, wenn Du nicht geschminkt bist. Komm, wir kaufen jetzt einen Lippenstift." Und wir sind um’s Eck in die Drogerie gegangen und er hat einen Lippestift gekauft und hat mir dann gezeigt, dass man das so macht und dann so macht (Anm.: zeigt vor wie’s geht) und dann bin ich hin gegangen. Und dann hat mich der dortige Bürochef angestellt als Verkäuferin von Bildern. Und dann ist er mit der Zeit drauf gekommen – eigentlich nach relativ kurzer Zeit – dass ich keine gute Verkäuferin bin, aber dass mein Englisch eigentlich sehr gut ist. Und hat mich zuerst zum Übersetzen der Zeitungen und dann zum Reportieren gebracht. So bin ich also Journalistin geworden. Wie er dann weg gekommen ist – ich weiß nicht, wo er hin gekommen ist – und sein Nachfolger Gaillard K. Hoddenfield gekommen ist, hat der Lang, mein vorheriger Chef, mich vorgestellt und gesagt: " Und sie ist nicht, was Du glaubst." Also war klar, dass er weder mit mir geschlafen hat, noch dem Hodd erlauben würde, mit mir zu schlafen. Und ich habe also weiter...</p>
<p>AUF DER SUCHE NACH EINEM FOTOGRAFEN.<br />
Dann kam eines Tages ein Herr ins Büro mit einem viel zu großen Calabreser-Hut und hat gesagt, er ist ein Fotograf. Und ich hab’ gesagt: "Brauch ma nicht." Und danach war er aber so nett und hat nett ausgeschaut, dass ich gesagt hab’: "Lassen Sie die Adresse da." Und nun kommt das große Wunder: Am nächsten Tag – und ich weiß nicht ob es ein Telegramm war oder wie wir mit New York verkehrt haben; das hab’ ich vergessen – kam ein Telegramm: "Warum zum Teufel habt Ihr noch keinen Fotografen?" Da hab’ ich aufgezeigt und gesagt: "Ich kenn’ einen." Und hab ihn also angerufen, er hat als Adresse die Pension am Graben angegeben. Und ich sehe heute noch vor mir, obwohl ich sie am Telefon nicht gesehen habe, das Zuckermündchen, dass die Dame gemacht hat: Dem Herrn sei’s zu teuer gewesen. Er sei ausgezogen. Na was macht man jetzt? Kein Fotograf. Aber damals musste man sich ja noch viel strenger als heute anmelden, wenn man irgendwo war. Also bin ich zur Polizei gegangen und habe gesagt, sie sollen einen Herrn Lessing in Wien suchen, er ist sicher in einer Pension. Und dann war er in der billigeren Pension in der Schubertgasse und wurde angestellt. Ich hab’ ihn angestellt. Und dann hab ich gefunden, es gehört sich für eine höhere Tochter nicht im Büro ein G’spusi zu haben und bin zu Reuters gegangen. Und habe bei der Associated Press gekündigt und habe bei Reuters gearbeitet.</p>
<p>GEMEINSAMER AUFTRAG.<br />
Ich bin schon bei Associated Press als Journalistin verwendet worden. Und da war mein großes Erlebnis, dass ich mit dem Erich auf Tournee gegangen bin. Es war damals ein furchtbarer Mord in einem niederösterreichischen Kaff, wo die Russen eine ganze Bauernfamilie erschlagen haben. Und unser amerikanischer Bürochef hat gesagt: "Da müsst ihr hinfahren. Das müsst ihr fotografieren." Das war in der russischen Zone. Wir sind also in die russische Zone gefahren, sind in das Bauernhaus gegangen – wir haben nur Englisch gesprochen. Das Nette am Erich war, dass er damals bevor wir in diesen Keller gegangen sind, wo die gelegen sind, gesagt hat: "Brace yourself!" Das fand ich sehr hübsch von ihm. Und dann haben wir die gesehen, die haben also so gelblich ausgeschaut, wie halt Tote ausschauen. Und der Erich hat fotografiert und dann sind wir in unser Hotel zurückgegangen, dann sind die Russen gekommen und haben gesagt, sie nehmen den Film. Und der Erich hat ihnen einen neuen Film gegeben und da sind sie gegangen. War weiter gar nichts – kein Verhör, kein Nix. Und am nächsten Tag sind wir dann zum Bahnhof und sind wieder nach Wien gefahren. Und das war das.</p>
<p>AUF EIGENEN BEINEN.<br />
Wir sind dann nach Paris gegangen, der Erich und ich. Es wär’ »Magnum« gewesen und ich habe die ersten Stories mit ihm geschrieben und dann hat er ja immer für »Life« und »Paris Match« gearbeitet, die ihre eigenen Schreiber gehabt haben. Wir waren dann in der Türkei und dann hat er mir einmal gesagt: "Weißt Du, ich kenn’ so viele Ehepaare, wo sie schreibt und er fotografiert und dann schaut sie ihm so ähnlich wie der alte Hund dem Herrn. Das möcht’ ich nicht für Dich." Ich habe das für eine sehr elegante Art des Hinausschmisses gefunden und bin also – hab’ dann meine eigene Tour gemacht, bin wieder Journalistin im Eigenen geworden; nicht nur, dass ich für ihn geschrieben habe. Ich war dann in Wien – ich war zuerst nicht als Journalistin, sondern als Fotochef bei der Weltgesundheitsorganisation. Dann haben der Erich und ich gefunden, dass das eigentlich nicht geht. Denn er war großer Reporter, war ständig unterwegs und wenn er gekommen ist, bin ich um 09:00 ins Büro gegangen und um 18:00 zurückgekommen. Es war also eine Frage, ob man die Ehe fortsetzt oder ob man das aufgibt. Da wir sie fortsetzen wollten, haben wir beide auf den Tisch gehaut und gesagt: "Also jetzt ist Schluss. Jetzt gehen wir nach Wien zurück und kriegen ein paar Kinder." Und dann bin ich also von Genf nach Wien gekommen und in Wien hab’ ich zuerst für’s »Life« gearbeitet. Wieso weiß ich nicht. Ich weiß es nicht mehr. Und dann kam »Time« und wollte was von mir und dann bin ich »Time«-Korrespondentin geworden. Wie gesagt, mein Englisch war gut. Sie haben alle nicht gewusst, ob ich eine gute Journalistin bin. Es war eigentlich das Englisch, das sie angestellt haben. Aber ich bin halt dann doch Journalistin geworden. Zuerst – solange die Kinder klein waren – nur in Wien und also in Österreich. Und dann eines Tages konnte ich sagen: "Children are grown. Can travel." Und dann bin ich noch einmal nach New York gefahren. Ich bin ja meistens zweimal im Jahr nach New York gefahren um ein liebes Gesicht zu zeigen. Damit die dortigen wissen, dass sie in Wien auch wen sitzen haben – weil da wird man leicht vergessen.</p>
<p>DIE ZEIT MIT KREISKY.<br />
Wir haben also zusammen, in Lech sind wir Ski gefahren – nicht miteinander, aber auf denselben Abhängen. Und ich bin einmal mit ihm einen Abhang runter gefahren und unten, am unteren Ende stand der Husslein. Und ich habe den Dr.Husslein dem Herrn Bundeskanzler vorgestellt, als den Mann, mit dem ich drei Kinder gehabt habe. Und sie haben alle beide sehr gelacht, weil sie gewusst haben, es kann nur ein Witz sein. Und ansonsten sind wir so zwei-, dreimal eingeladen worden zu seinem Tisch in der »Post«.</p>
<p>POLITIK UND VERÄNDERUNG.<br />
Selbstverständlich haben wir eine Veränderung bemerkt, zwischen Klaus und Kreisky und... Es waren, es war trotz der Koalition, war es plötzlich unsere Regierung. Es war also eine rein sozialistische Regierung und es war ein sozialistischer Bundeskanzler. Das war alles hocherfreulich gegen das, was vorher war. Aber nicht, dass wir gelitten hätten unter den früheren Regimes – keine Spur. Aber es war halt nicht so sympathisch.</p>
<p>DIE ZEIT BEI »TIME« MAGAZINE.<br />
In den 90er-Jahren, in den späten 90er-Jahren bin ich dann vom »Time« Magazine weg gegangen und zwar aus dem einfachen Grund – gar nicht aus irgendwelchen ideologischen Gründen oder weil’s mich nicht... Es hat mich nicht mehr so gefreut, seit es kein Abenteuer mehr war, in den Osten zu fahren. Denn ich war ja lange Zeit Ostkorrespondentin, bin also nach Ostdeutschland, nach Polen, nach Ungarn, nach Rumänien, nach Bulgarien gefahren und habe von dort berichtet. Und das ist so geschehen, weil ich ja, wie gesagt – das hab ich schon erzählt; macht nix – weil ich etwa zweimal im Jahr nach New York gefahren bin um mich zu zeigen, damit sie mich nicht vergessen. Und einmal hab ich in Paris keine Krimi gefunden – weil man musste in Paris umsteigen nach New York – hab ich keinen Krimi gefunden, sondern eine Publikation vom Laxenburger Institut, wo also alle großen, ehemals kommunistischen Politiker Artikel geschrieben haben, die wirklich gut waren und habe mich vertieft in eine Geschichte über Polen. Bin also dann ins Büro gekommen, ins »Time«-Büro in New York, habe, wie immer, meine Visitenkarte beim Henry Grunwald abgegeben, der nachher Botschafter hier in Wien wurde. Und der Henry hat mich dann zehn Minuten später rufen lassen und hat gesagt: "Ich weiß, es ist nicht Deine Angelegenheit, aber was weißt Du über Polen?" So geschehen. Ich habe es gerade gelesen und habe also gesprüht wie ein Polenspezialist. Und der Henry hat dann gesagt: "I think you know more about Poland than our anointed correspondent. Ich glaube, Du weißt mehr über Polen als unser üblicher Korrespondent." »Anointed« heißt: unser gesegneter Korrespondent. "Du solltest in den Osten gehen." Und ich hab gesagt: "Ja!" Und darauf hin wurde ich also zunächst nach Polen geschickt, wo ich den Walesa noch als tapferen Elektriker kennen gelernt habe und nicht als aufgeblasenen Wichtigtuer, der er dann sehr bald geworden ist. Er war der erste, den ich mit einem Bluejeans-Anzug gesehen habe. Das war das Erste, was er sich von seinem Geld gekauft hat. Seine Interviews hat er am liebsten gegeben in einem Kloster in Danzig, einem Nonnenkloster. Die Nönnlein haben ihn anscheinend – ich weiß nicht – die Wäsche gewaschen oder so was. Ich erinnere mich heute noch an den Duft dieses Klosters. Es war unbeschreiblich – so viele ungewaschene Weiber. Nein, furchtbar. Gut. </p>
<p>PEOPLE, TIME.<br />
Ich habe auch für »People« Magazine gearbeitet. Das ist eine unwahrscheinliche Zeitung, die also ganz schrecklich nur über Filmstarletts und so, schreibt und ich habe mich – also am Anfang – geweigert. Und dann haben sie gesagt, ja ich kann ja für sie auch Politik schreiben. Sie würden auch Politik nehmen. Hab ich gesagt: "Gut, ist in Ordnung." Und dann haben sie mir eine Geschichte aufgetragen über einen rumänischen Pfarrer, der eingesperrt war und jetzt wieder herausgelassen wurde. Und die hat ihnen also sehr gut gefallen und dann hab’ ich noch ein paar andere Sachen für »People« Magazine geschrieben. Außerdem habe ich für »Sports Illustrated« und »Time« Magazine die Olympiade in Sarajevo gemacht, weil ich die einzige Skifahrerin unter sämtlichen Korrespondenten von »Time Magazine« war. Und ich hab also gewusst wie’s geht. Aber ich habe niemals ein richtiges Interview machen können, denn wir Journalisten – nur die Fotografen wurden vorgelassen. Es hat mir einmal ein österreichischer Fotograf – ich weiß es nicht mehr, wer es war. Er war reizend – seine Kamera umgehängt und hat gesagt: "Geh vor." Und – zum Zielraum, nicht? Dann hab’ ich gemerkt wie unmöglich es ist, ein Zielraum-Interview zu machen, weil die kommen also herunter (Schnaufen): "I think I brought the Leistung" (Schnaufen). das ist alles was sie sagen können. Mehr können sie nicht reden. Jetzt sind sie ja schon wunderbar trainiert, aber in Sarajevo haben sie also nur gesagt: "I think I brought the Leistung." Und dann haben’s geschnauft. Es war eine großartige, italienische Skifahrerin, die oben ihren Stock verloren hat – sie ist hängen geblieben. Und sie ist mit einem Stock runter gefahren und hat dann eine eiskalte Hand gehabt. Und auf dem Stock ist der Handschuh geblieben – sie war also ganz blau, die Hand. Aber sie hat’s gemacht – toll!</p>
<p>BILDTEXTE.<br />
Ich hab’ für meinen Mann, Erich Lessing, wahrscheinlich rund 30.000 Bildtexte geschrieben, denn in seinem Archiv befinden sich 40.000 Bilder und ich glaube, dass ich die Texte für die meisten dieser Bilder geschrieben habe – na, sagen wir 20.000. Aber das hab’ ich sicher getan. Die Bildtexte zu schreiben ist lustig. Wir haben ein Archiv, das auf Englisch ist, damit es also überall verstanden wird. Und so hab’ ich mein Englisch also behalten und habe die Texte auf Englisch geschrieben.</p>
<p>FAMILIE.<br />
Wir waren sesshaft – na ja vom ersten Kind an. Die Dani ist 1957 geboren – wir sind also 1956 zurück nach Wien und haben zuerst bei den Eltern gewohnt, mit der Dani. Da hast Du sie kennengelernt in der Peter Jordan Straße – und haben dann unser eigenes Haus gebaut.</p>
<p>KINDER SOLLEN IN WIEN AUFWACHSEN.<br />
Wir sind 1956 nach Wien zurückgekommen weil meine Eltern noch gelebt haben und wir bei ihnen sein wollten. Und wir wollten auch unsere Kinder eigentlich in Wien haben. Das war eine Idee – es wäre auch Paris möglich gewesen – aber wir wollten gern, dass sie in Wien aufwachsen. Und dann haben wir sie in die französische Schule geschickt, damit sie wenigstens das Französisch nicht verlernen, das wir ihnen beigebracht hatten. Und dann habe ich für »Time« gearbeitet – hab’ ich schon erzählt. Dann habe ich am Ende der 90er-Jahre »Time« aufgegeben und zwar aus einem ganz normalen Grund: Ich war niemals »Time«-Korrespondentin, sondern immer nur Stringer. Als Korrespondentin wird man wie eine Diplomatin von da nach dort geschickt und das konnte ich und wollte ich nicht, weil ich in Wien bleiben wollte. Und da hab ich also nicht so viel verdient und hab mir ausgerechnet, dass wenn ich für den Erich seine Bildtexte schreibe und auch seine Artikel schreibe, dann verdien’ ich für unsere gemeinsame Zukunft viel mehr, als wenn ich bei »Time« bleibe – und habe also »Time« fallen lassen.</p>
<p>HEURIGER.<br />
In der Landesmuster..., Landeskellerdirektion von Niederösterreich habe ich also eine große Zuneigung zum Wein und auch eine große... Ich kann ihn leicht vertragen. Und daher gehen wir oft zum Heurigen und wir haben immer wieder Heurige, die wir besonders gern haben. Und.. Wir machen eigentlich nichts Besonderes dort: Wir trinken genau jeder ein Viertel und ein Achtel – dann ist Schluss, weil sonst spüren wir’s. Und dann essen wir unter Umständen eine Schweinsstelze – also da geben wir mit Essen nicht sehr viel Acht. Aber das find ich an Wien besonders schön und das habe ich also in Paris, wo ich lang gelebt habe und wo wir auch eine Wohnung hatten – habe ich sehr bedauert, dass man eigentlich nicht zum Heurigen gehen kann. Man kann in Kaffeehäuser gehen, aber die sind in Wien genauso schön. Aber zum Heurigen kann man nicht gehen. Na London ist ganz ausgeschlossen und in Italien gibt’s nette so Schinkenrestaurants, wo die große Kurbel gedreht wird und der Schinken dünn aufgeschnitten wird. Aber einen Heurigen gibt’s nirgends.</p>
<p>WOHLFÜHLEN IN WIEN.<br />
Ja, wir haben es nie bedauert, dass wir damals nach Wien zurückgegangen sind, denn unsere Kinder leben auch gerne in Wien. Mein Sohn Adam war jahrelang in London und kommt jetzt auch wieder nach Wien zurück. Sie haben alle gute Berufe und wir selbst fühlen uns durchaus sicher in Wien. Die Kinder sind zum Beispiel den Weg über den Schafberg herauf jeden Tag vom Schulautobus gegangen. Es hat sie nie jemand gestört, erschreckt – gar nix. Es ist also eine sichere Stadt – so viel wir wissen.<br />
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Archiv-Video vom 11.08.2014:
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Traudl Lessing (Journalistin)
Wir und Wien - Erinnerungen Hinter einem starken Mann steht eine starke Frau: Auf kaum ein Paar trifft dieser Spruch besser zu als auf Traudl und Erich Lessing. Als Osteuropa-Korrespondentin des "Time Magazine" katapultierte sie sich an die Spitze des österreichischen Journalismus, während er zu den bedeutendsten heimischen Fotografen zählt. 1947: Beginn eines kongenialen Arbeits- und Lebenswegs.
Länge: 49 Min. 30 Sek.
Produktionsdatum: 2013
Copyright: Stadt Wien