"Den Stein ertüchtigen" - Interview mit den Bauverantwortlichen der Rathausfassaden-Sanierung

Die Fassaden des Wiener Rathauses werden seit September 2012 unter der Leitung der Abteilung Bau- und Gebäudemanagement (MA 34) erneuert. Die Verantwortlichen der Sanierung, DI Klaus Zimmel und Ing. Stefan Novotny, erklären im Interview die Komplexität dieses Unterfangens.

"Originalgetreue Restaurierung"

Klaus Zimmel, Leiter der Abteilung 34 - Bau- und Gebäudemanagement

wien.at: Herr DI Zimmel, Sie sind Chef der für die Sanierung verantwortlichen Magistratsabteilung 34. Wir stehen hier vor der sogenannten Musterachse, ein Bereich des Rathauses an der Ecke Friedrich-Schmidt-Platz/Lichtenfelsgasse, der sich schon hell von der grauen Gesteinsfläche abhebt. Hat die Sanierung schon vor dem offiziellen Start begonnen?

DI Klaus Zimmel: Ja, denn wir haben uns natürlich auf dieses Vorhaben sehr intensiv vorbereitet. So wurde im Zuge der umfassenden Bauvorbereitungen auch eine Musterachse saniert, um möglichst viel an Wissen, Methoden und konkreten Erfahrungen für das Gesamtprojekt der Fassadensanierung mitnehmen zu können.

wien.at: Die MA 34 gehört der Geschäftsgruppe für Wohnen, Wohnbau und Stadterneuerung an, betreut rund 1.600 Gebäude mit einem umfassenden Facility Management-Leistungsangebot und zeichnet für viele wichtige Bauprojekte der Stadt Wien verantwortlich, wie etwa das bereits fertiggestellte Bildungszentrum Simmering oder den neuen Technologiecluster TESTBASE. Bedeutet so ein aufwendiges Projekt wie die Restaurierung der Fassaden des Wiener Rathauses auch für das erfahrene Projektmanagement der MA 34 eine große Herausforderung?

Zimmel: Ja, denn die Fassaden eines herausragenden historischen Gebäudes erfordern auch eine ganz besondere Sanierung. Wesentlich für das Gelingen eines solchen Vorhabens ist aber vor allem auch das optimale Zusammenwirken zwischen allen Projektbeteiligten, zu denen insbesondere auch die Kolleginnen und Kollegen im Rathaus, externe Fachleute und ausführendende Unternehmen zählen. Erfolg können wir nur gemeinsam haben. Man darf nicht außer Acht lassen, dass das Wiener Rathaus auch ein wichtiger Veranstaltungsort für die Wienerinnen und Wiener und Arbeitsplatz für mehr als tausend Kolleginnen und Kollegen ist. Daher haben wir gemeinsam mit Expertinnen und Experten im Rathaus umfangreiche Maßnahmen konzipiert, um die Sicherheit zu gewährleisten und Beeinträchtigungen durch die Sanierungsarbeiten so gering wie möglich zu halten.

wien.at: Stichwort Sicherheit: Kann eine Eingerüstung nicht auch einen Risikofaktor für Einbrüche darstellen?

Zimmel: Wir haben auch hier bestmöglich vorgesorgt. Alle Gerüste werden auf den ersten vier Metern ab Gehsteigkante mit glatten Holzfaserplatten verkleidet, um einen unerwünschten Zutritt zu verhindern. Zusätzlich ist das Gerüst alarmgesichert, mit einer direkten Verbindung zur Rathauswache.

wien.at: An den Fassaden des Wiener Rathauses befinden sich viele kunstvolle Figuren und Ornamente. Wie wirkt sich das auf die Bautätigkeiten aus, wenn man so viele Details berücksichtigen muss?

Zimmel: Die herausragende Detailliebe und Exaktheit an den Wiener Rathausfassaden ist für mich sehr beeindruckend. Dieser Detailreichtum stellt natürlich auch eine Herausforderung dar. Wir haben uns daher vorgenommen, bei der Sanierung ganz individuell auf die einzelnen Bauteile, auf die einzelnen Gesteinsarten und selbstverständlich auf die sehr differenzierten Schadensbilder einzugehen. Unser Ziel ist eine möglichst originalgetreue Restaurierung aller Details im Sinne der ursprünglichen Gesamterscheinung.

"Beste fachliche Kompetenz"

Mann mit Brille, in Hemd und Sakko

wien.at: Herr Ing. Novotny, als Fachbereichsleiter für die Infrastruktur des Rathauses sind Sie mit allen Details der Sanierung vertraut. Das Rathaus ist ein europaweit einzigartiges Natursteinbauwerk. Was ist das Besondere an dieser Fassade?

Ing. Stefan Novotny: Der Name des Gesamtprojektes des Bauwerks hat ursprünglich "Steine, die sprechen" gelautet. Architekt Friedrich Schmidt wollte damals mit der Vielfalt der Steine etwas aussagen. Er hat durch den Einsatz verschiedener Steine der Fassade ihre einzigartige Charakteristik gegeben. Die Fassade des Wiener Rathauses ist steinsichtig, das bedeutet, sie ist ohne jede Fassung. Wenn man den gereinigten Teil betrachtet, sieht man, dass die Gesimse viel heller sind als die Natursteinfläche. Die Gesimse sind aus Mannersdorfer Kalksandstein, die gelben Flächen sind Steine aus St. Margarethen, die Säulen kommen teilweise aus Zogelsdorf und aus Deutsch-Altenburg und die Figuren sind aus französischem Savonnières-Kalkstein gearbeitet. Der wurde gerne verwendet, weil er sehr weich ist. All diese Steine erfordern eine individuelle Behandlung.

wien.at: Haben wir dafür genug Expertinnen und Experten bei der Stadt Wien?

Novotny: Wir bedienen uns sämtlicher Einrichtungen, die über beste fachliche Kompetenz verfügen, wie die Werkstätten des Bundesdenkmalamtes und die Denkmalpfleger. Zusätzlich zur magistratseigenen örtlichen Bauaufsicht haben wir eine restauratorische Fachaufsicht eingerichtet. Und wir haben auch die Technische Universität Wien - das Institut für Geotechnik mit eingeschaltet, namentlich Herrn Prof. Mag. Dr. Rohatsch, einen international anerkannten Experten, dessen Unterstützung auch bei der Schadensgradfeststellung und den festzulegenden Maßnahmen im Vorfeld sehr wertvoll war.

wien.at: Die Dauer der Bauarbeiten von mehr als zehn Jahren hat damit vermutlich auch zu tun.

Novotny: Ja. Die Bauetappen wurden so gewählt, dass einerseits der Betrieb des Hauses möglichst in vollem Umfang aufrechterhalten werden kann, dass man andererseits aber auch der Vielfältigkeit und reichgegliederten Steinfassade gerecht werden kann. Wir wollten uns keine zu großen Baulose vornehmen, damit wir uns um die einzelnen Steine wirklich kümmern und in einem für die Besucherinnen und Besucher und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Rathauses erträglichen Ausmaß von zwölf bis 14 Monaten jeden Abschnitt fertigstellen können. All diese Überlegungen haben dazu geführt, das Bauvorhaben in elf Bauetappen zu gliedern, wobei zehn die Fassade betreffen.

wien.at: Gibt es in Wien oder in Österreich noch andere so aufwändig zu sanierende Bauwerke?

Novotny: In der Gründerzeit, als die Stadtmauer geschliffen wurde, wurde bei vielen großen Neubauten sehr viel Stein verwendet. Ich behaupte aber, dass die Qualität des Rathauses, auch bei der Ausführung, bei den Ausführungsdetails, insofern hervorsticht, dass sich der Zustand der Fassade auch nach 130 Jahren der Bewitterung positiv von einigen anderen Bauwerken aus der Gründerzeit abhebt. Unter der Schmutzschicht sind die Steine teilweise in einem sehr guten Zustand. Chemische und physikalische Prozesse, die eingewirkt haben, können heute kaum rückgängig gemacht werden. Ziel ist es daher, den Stein nach allen Regeln der Kunst wieder zu ertüchtigen, damit er künftig möglichst lange der Witterung standhalten kann.
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