4.5 Produktionssektor (Industrie, Gewerbe, Landwirtschaft)
Die Industrieproduktion erwirtschaftet über ein Fünftel der Wertschöpfung in Wien1 und ist dabei im Mittel der Jahre 2014 bis 2018 für etwa sieben Prozent der leitzielrelevanten Treibhausgasemissionen2 verantwortlich. Langfristig mit abnehmendem Trend liegen sie in den letzten Jahren relativ konstant bei knapp 400.000 Tonnen CO₂-Äquivalent. Rund 85 Prozent davon gehen auf die Nutzung fossiler Energie zurück, die größten Emittenten sind die Bauwirtschaft (vor allem der Einsatz von Diesel), die Nahrungs- und Genussmittel- sowie die chemische Industrie.
Für eine Großstadt hat Wien auch eine hohe landwirtschaftliche Produktion innerhalb der Stadtgrenzen, die nicht unwesentlich zum nachhaltigen Ernährungssystem der Stadt beiträgt.3 Die klimarelevanten Emissionen aus dem Sektor Landwirtschaft spielen aber traditionell eine untergeordnete Rolle, nicht zuletzt, da die Wiener Landwirtschaft vor allem aus Gartenbau- und Dauerkulturbetrieben besteht und kaum Viehbestände aufweist (siehe Kapitel 4.7.2). Sie machen rund 0,5 Prozent der leitzielrelevanten Emissionen aus und liegen seit Jahrzehnten recht stabil bei rund 30.000 Tonnen CO₂-Äquivalent, von denen knapp zwei Drittel auf den Einsatz fossiler Energie zurückgehen (z. B. landwirtschaftliche Fuhrparks und Gasheizungen in Glashäusern). Längerfristig bietet sich durch einen aus vielen Gründen vorteilhaften und wünschenswerten Humusaufbau auf land- und forstwirtschaftlich genutzten Böden auch die Chance, Kohlenstoff zu speichern und damit der Atmosphäre zu entziehen.4 Auch durch die langfristige Nutzung von Holz z. B. für Gebäude oder Brücken können weitere Kohlenstoffsenken in der Stadt gebildet werden (siehe Kapitel 4.7.1).
Wien möchte auch künftig eine „produzierende Großstadt“ sein.5 Produktionsstandorte in der dichten Stadt müssen gut in ihr Umfeld eingebunden sein. Der Umgang mit Lärm, Luftverschmutzung, Betriebsverkehr und der ansässigen Wohnbevölkerung ist entscheidend. Auch die Dekarbonisierung ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Denn Ölprodukte und Erdgas machen nach wie vor mehr als die Hälfte des Energieverbrauchs der Produktion6 aus, sie zu ersetzen ist demnach die größte Herausforderung in diesem Sektor. Das bedeutet:
- Elektrifizierung weiter Teile der Produktionsprozesse. Umstellung von Gas auf Fernwärme für Niedertemperaturprozesse (z. B. Trocknung, Glashausbeheizung).
- Ausbau der Fernkälte als effiziente Infrastruktur für die Kühlung von Gebäuden.
- Umstellung mobiler Arbeitsgeräte (z. B. Baufahrzeuge, landwirtschaftliche Geräte) auf klimafreundliche Energieträger.
- Bereitstellung von (exergetisch) hochwertigen erneuerbaren Energieträgern für die Deckung des verbleibenden Bedarfs an Hochtemperaturwärme.
- Nutzung von Abwärme aus Hochtemperaturanwendungen und aus der Kühlung insbesondere von Datencentern für Fern- oder Nahwärme.
- Anpassung der dafür notwendigen Leitungsinfrastruktur (z. B. Verstärkung des Stromnetzes; Adaptierung des Gasnetzes).
Unsere Ziele
Es ist strategisches Ziel der Stadtregierung, die industrielle und landwirtschaftliche Produktion in der Großstadt zu halten und sie nachhaltig und ressourcenschonend zu gestalten. In der Smart City Strategie Wien werden dazu folgende Ziele festgelegt:
- Die Materialeffizienz der Wiener Wirtschaft steigt bis 2030 um 30 Prozent und bis 2040 um weitere 10 Prozent.
- Die in Wien hergestellten Produkte sind langlebig, einfach reparierbar, wiederverwend- und -verwertbar und werden weitgehend abfall- und schadstofffrei produziert.
- Wien ist 2030 als Standort für kreislauforientierte und ressourceneffiziente Wirtschaft global bekannt und zieht Investitionen und Talente in diesem Bereich an.
- Wien fördert eine nachhaltige Stadtwirtschaft durch rechtliche Rahmensetzungen, gezielte Förderprogramme, die Schaffung von Experimentierräumen und als öffentlicher Nachfrager.
Im Regierungsübereinkommen 2020 wird die „Transformation des Wirtschaftssystems in eine Kreislaufwirtschaft“ angekündigt; die Standortstrategie „Wien 2030 – Wirtschaft und Innovation“ hält fest:
- „Die konsequente Ökologisierung von Produktionsprozessen und Produkten aus Wien setzt globale Maßstäbe und wird so zu einer exportfähigen Standortqualität.“
- „Wien unterstützt gezielt Innovationen von Produktionsprozessen sowie Güter- und Dienstleistungsinnovationen, die zu relevanten Reduktionen der Treibhausgasemissionen oder zu Maßnahmen der Klimawandelanpassung führen“ [32].
Fahrplan zur Zielerreichung
Ziel ist die Reduktion der Treibhausgasemissionen bis 2030 gegenüber 2005 um mindestens 60 Prozent pro Kopf. Bis 2040 werden fossile Energieträger vollständig durch klimafreundliche ersetzt und es verbleibt nur noch ein geringer Rest prozessbedingter Emissionen.
Hebel zur Zielerreichung
Wien als Bundesland und Stadt hat zur Reduktion der Emissionen im Produktionsbereich nur beschränkte Kompetenzen und setzt vor allem auf folgende Maßnahmen:
Hebel 1: Fossile auf erneuerbare Energieversorgung umstellen
- Strategische Planung des Einsatzes von erneuerbarer Energie, unter anderem durch energieraumplanerische Instrumente und Standortpolitik beginnend mit der standortbezogenen Erhebung der Prozesswärmeerzeugung mit Gas, der Identifikation von Alternativen (Umstellung auf Fernwärme, Elektrifizierung, Grünes Gas). Ziel ist eine koordinierte Planung des Umbaus der Energieinfrastrukturen. Darüber hinaus ist der Einsatz von Fernkälte als energieeffiziente Alternative zur herkömmlichen Kühlung zu prüfen.
Hebel 2: Erneuerbare Energiepotenziale am Standort mobilisieren
- Förderungen, gesetzliche Regelungen und Beratungen zur Mobilisierung erneuerbarer Energiepotenziale am Standort produzierender Betriebe: z. B. Solarstromproduktion und innerbetriebliche Nutzung von Abwärme und Umgebungswärme.
Hebel 3: Mögliche grüne Gasversorgung planen
- Unterstützung der Wiener Unternehmen bei der Dekarbonisierung ihrer Prozesswärmeerzeugung: verstärkte Forschungs-, Innovations- und Umsetzungsförderung und ggf. Unterstützung bei einer Übersiedelung an einen Standort mit Anschluss an ein Grüngas-Netz, wenn Grünes Gas unverzichtbar ist (z. B. ab Prozesswärmebedarf über 700 Grad Celsius).
Zusammenspiel von Bund und Ländern
Darüber hinaus setzt sich Wien für ambitionierte und effektive Rahmenbedingungen auf Ebene des Bundes und der EU ein:
- Anpassungen bundesgesetzlicher Rechtsmaterien, um die Wärmewende zu ermöglichen. Darunter fällt insbesondere ein Ende der Anschlusspflicht im Gaswirtschaftsgesetz sowie eine Förderung des Fernwärme- und Fernkälteausbaus.
- Steuerrechtliche Maßnahmen zur Attraktivierung von Energieeffizienzmaßnahmen und zur Nutzung erneuerbarer Energieträger. Gezielte Förderprogramme, Unterstützung von Pilotprojekten.
Fußnoten
Zurück zu ReferenzInkl. produktionsorientierter Dienstleistungen sogar rund ein Drittel.
Seit 2013 sind keine Industrieanlagen im EU-Emissionshandel, damit ist der gesamte Sektor hier erfasst.
Diese Flächen rücken zunehmend in das Interesse von städtebaulicher Entwicklung. Optimale Lösungen sind im Sinne der Nachhaltigkeit zu wählen.
Allerdings darf der Beitrag von Kohlenstoffsenken in der Land- und Forstwirtschaft nicht überschätzt werden. Selbst auf globaler Ebene kann dadurch nur ein minimaler Anteil der fossilen CO2-Emissionen kompensiert werden. Dies gilt umso mehr für ein Stadtgebiet.
Siehe auch WIEN 2030 – Wirtschaft & Innovation und Fachkonzept Produktive Stadt.
Der Rest entfällt auf Strom und Fernwärme. Die damit verbundenen CO2-Emissionen sind dem EU-Emissionshandelssektor zuzuordnen.