4.1 Einleitung
Städte haben eine Schlüsselrolle in puncto Klimaschutz! Denn obwohl städtische Gebiete nur rund zwei Prozent der Landfläche bedecken, konzentriert sich das Leben in Städten. Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in urbanen Zentren. Ein Großteil der Wirtschaftstätigkeit findet in Städten statt. Städtische Strukturen verursachen aufgrund der Vielzahl an bereitgestellten Nutzungen wie Wohnen, Arbeit, Bildung, Erholung sowie Ver- und Entsorgung erhebliche Emissionen auf verhältnismäßig kleinem Raum. Städte sind dabei aber äußerst effizient. Dies zeigt sich insbesondere bei der Infrastruktur, die bestmöglich genutzt wird: Mit einem Meter Straße, Trinkwasserleitung, Kanal, Stromleitung oder Fernwärme können in Städten mehr Menschen als beispielsweise im suburbanen oder ländlichen Raum versorgt werden. Baustoffe werden damit effizient eingesetzt, Leitungsverluste gering gehalten, Versiegelungseffekte gebündelt und Kosten gespart.
Rolle von Stadt und Land im Klimaschutz
Während die Stärke von Städten im effizienten Angebot vielfältiger Nutzungen auf kleinem Raum liegt, bietet der ländliche Raum wertvolle Flächenreserven und bildet damit die Basis für unsere Grundversorgung, die Ressourcenbereitstellung und den ökologischen Ausgleich. Beide Rollen – jene von Städten und ländlichem Raum – sind somit wichtig und untrennbar miteinander verbunden, wenn es um Klimaschutz geht. Ein Spannungsfeld stellt der suburbane Raum im sogenannten „Speckgürtel“ dar. Was vielen immer noch als der große Traum vom guten Leben erscheint, ist aus Sicht des Klima- und Bodenschutzes zu hinterfragen: das Einfamilienhaus mit eigenem Garten und zwei Autos in der Garage, mit denen täglich zur Arbeit in die Stadt gependelt wird.
Besonders deutlich wird dieser Effizienzvorteil von Städten bei der Treibhausgasbilanz pro Kopf oder pro Wirtschaftsleistung – hier schneidet Wien im Bundesländervergleich jeweils mit Abstand am besten ab [17].
Ausgehend von dieser „guten Startposition“ gilt es, klimaneutral zu werden! Doch wo müssen wir genau ansetzen, um die Treibhausgasemissionen zu reduzieren und Wien zur klimaneutralen Stadt zu machen? Dazu lohnt sich ein Blick in die Treibhausgasbilanz [18] des Umweltbundesamts für Wien (siehe Abbildung 7). Hier werden alle Emissionen dargestellt, die in Wien in die Atmosphäre abgegeben werden, z. B. aus Heizungsanlagen, Fahrzeugen, Kraft- und Heizwerken, sonstigen Verbrennungsanlagen oder aus diffusen Quellen. Diese „produktionsbasierte“ oder „territoriale“ Inventur 1 ist in der internationalen und nationalen Klimapolitik üblich und folgt standardisierten Berechnungsvorschriften.
Abbildung 7 zeigt, wie sich der gesamte Treibhausgasausstoß in Wien seit 2005 entwickelt hat und welche Sektoren die Emissionen verursacht haben. Man sieht, dass die Emissionen einen abnehmenden Trend aufweisen und dass es insbesondere bei den Emissionen der Energiewirtschaft starke Schwankungen gibt. Diese lassen sich zum Teil mit den dynamischen Änderungen auf den europäischen Strom-, Gas- und Emissionshandelsmärkten erklären.
Außerdem zeigt Abbildung 7, welche Emissionsanteile das Bundesland2 Wien im Sinne des Leitziels der Klimaneutralität 2040 aus der Smart City Strategie Wien unmittelbar adressiert und welche nicht. Der überwiegende Anteil der Emissionen findet sich in den städtischen Zielsetzungen im Rahmen der SCSW wieder und ist damit Kern unserer künftigen Bemühungen. Diese Emissionen verdienen unsere ganze Aufmerksamkeit. Etwa ein gutes Drittel der in Wien anfallenden Emissionen ist in den emissionsbezogenen Zielvorgaben nicht inkludiert. Die Erklärung hierfür findet sich im folgenden Erläuterungskasten, der unter anderem in die Tiefen der international bzw. EU-weiten Treibhausgasbilanzierungsregeln führt.
Wien wird klimaneutral – Definition der im Leitziel berücksichtigten Emissionen
Abbildung 7 zeigt, dass nicht alle Emissionen, die in der Bundesländer Luftschadstoff-Inventur des Umweltbundesamts Wien zugerechnet werden, auch tatsächlich im Wiener Leitziel der Klimaneutralität bis 2040 enthalten sind. Vielmehr wird der Großteil der Emissionen des Sektors „Energie“ und ein erheblicher Teil der Emissionen des Sektors „Verkehr“ im „Leitziel“-Indikator der Smart City Strategie Wien nicht berücksichtigt. Dazu folgende Erklärungen:
Im „Verkehr“ gibt es zwei Kategorien, die in Abbildung 7 „Verkehr in Wien“ und „Verkehr außerhalb Wiens“ genannt werden. In der Bundesländer Luftschadstoff-Inventur wird für die Verkehrsemissionen die Energiebilanz herangezogen, die ihrerseits wiederum auf den Treibstoffverkäufen in Österreich basiert. Diese Emissionen werden auf die Bundesländer aufgeteilt. Wien erhält dabei (deutlich) mehr Emissionen zugeteilt, als es der tatsächlichen Fahrleistung in Wien entspricht. Beispielsweise weil die aufgrund des „Tanktourismus“ in Österreich zugeordneten Treibstoffmengen und Treibhausgasemissionen in weiterer Folge auf die Bundesländer und damit auch auf Wien aufgeteilt werden. Daher wurde vom Umweltbundesamt eine präzisere Abschätzung, der sogenannte „Second Estimate“, entwickelt, welcher auf Basis vorliegender Zusatzinformationen eine territoriale Zuordnung der Emissionen annäherungsweise darstellt.
Wien greift auf diese Datenquelle, die jährlich in der Bundesländer Luftschadstoff-Inventur des Umweltbundesamts publiziert wird, zurück, um damit den „Verkehr in Wien“ – zumindest so gut wie derzeit möglich – bilanzieren zu können. Wien berücksichtigt im Rahmen des „CO₂-Leitziels“ und im Rahmen des „Wiener Treibhausgasbudgets“ (Abbildung 9) nur die Emissionen des „Verkehrs in Wien“. Damit wird dem in allen anderen Sektoren verfolgten Prinzip Rechnung getragen, dass nur Emissionen im Stadtgebiet betrachtet werden (territoriale Bilanzierungsgrenze).
Im Sektor „Energie“ entfallen über 95 Prozent der Emissionen auf Anlagen mit einer Leistung von mehr als 20 Megawatt (etwa Kraft- und Heizwerke bzw. sogenannte Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen), die in den Geltungsbereich des europäischen Emissionshandelssystems (EU-ETS) fallen (in Abbildung 7: „Energie (ETS)“ genannt). Ein geringerer Teil stammt aus kleineren Anlagen mit weniger als 20 Megawatt Leistung (in Abbildung 7: „Energie (NON-ETS)“ genannt). Die Emissionen aus Anlagen, die dem europäischen Emissionshandel unterliegen, werden in der engeren Bilanzgrenze für die Wiener Klimaschutz-„Leitziele“ nicht berücksichtigt; und zwar aus folgenden Gründen:
Gemäß der seit 2005 in der EU geltenden Trennung zwischen dem EU-ETS-Bereich für Großanlagen der Industrie, Energiewirtschaft und für den Binnenflugverkehr einerseits und jenen Sektoren, die in den nationalen Verantwortungsbereich (EU-Lastenteilungsverordnung) fallen andererseits, werden in Österreich keine THG-Zielpfade für die Emissionen der Großanlagen der Energiewirtschaft oder Industrie „vorgegeben“. Diesem „Prinzip“ folgen der Bund (siehe dazu auch das Klimaschutzgesetz des Bundes) und die anderen Bundesländer.
Um die dem ETS unterworfenen Großemittenten dennoch zu adressieren, werden aber in der Smart City Strategie Wien und im Wiener Klimafahrplan sehr wohl ambitionierte Ziele formuliert. Diese beziehen sich aber „nur“ indirekt auf die Treibhausgasemissionen, indem Fahrpläne für den Ausbau erneuerbarer Energien zur Dekarbonisierung der Strom- und Fernwärmeaufbringung formuliert werden (siehe Kapitel 4.6).
Eine „Deckelung“ der THG-Emissionen des ETS-Sektors mittels eines maximalen Treibhausgasbudgets wäre auch hinderlich für die Ansiedlung bzw. den Ausbau von Industrieanlagen in Wien und würde eine Barriere für den Einsatz der Gas-KWK-Anlagen darstellen, die angesichts des Atom- und Kohleausstiegs in Deutschland aus Gründen der mitteleuropäischen Netzstabilisierung vorübergehend sogar vermehrt zum Einsatz kommen könnten. Letzteres wäre aus Sicht der gesamteuropäischen CO₂-Reduktion sogar vorteilhaft.
Der jährliche Treibhausgasausstoß, der in den „Geltungsbereich“ des in der Smart City Strategie Wien festgelegten „CO₂-Leitziel-Indikators“ fällt, liegt somit in den letzten Jahren bei etwa fünf Millionen Tonnen CO₂-Äquivalent. Abbildung 8 zeigt die Aufteilung dieser Treibhausgasemissionen auf die Verursachersektoren im Jahr 2019 und versucht, innerhalb dieser Sektoren wesentliche „Sub-Verursacher“ deutlich zu machen.
Im Mittel der letzten fünf Jahre stammten rund 43 Prozent der für das Wiener CO₂-Leitziel relevanten Treibhausgase aus Verbrennungsmotoren in Kraftfahrzeugen, knapp 30 Prozent aus Heizanlagen in Gebäuden und zehn Prozent aus der Abfallwirtschaft. Jeweils rund sieben Prozent entfielen auf den fossilen Energieeinsatz für die Produktion in Betrieben und auf fluorierte Treibhausgase (F-Gase), die etwa in Kühlanlagen zur Anwendung kommen. Der Rest (drei Prozent) stammt aus den kleinen Strom- und Fernwärmeerzeugungsanlagen, die nicht dem EU-Emissionshandel unterliegen. Der Anteil der Landwirtschaft in Wien ist mit 0,5 Prozent minimal. Rund 90 Prozent der dargestellten Treibhausgasemissionen fallen in Form von CO₂ an und stammen aus der Verbrennung von Mineralölprodukten oder von Erdgas.
Dieser, in Abbildung 8 aufgeschlüsselte, „leitzielrelevante“ Treibhausgasausstoß soll – gemäß dem Regierungsprogramm der Wiener Stadtregierung und dem Leitziel der Smart City Strategie Wien – bis 2040 auf Netto-Null reduziert werden.
In der Smart City Strategie Wien wurden daraus abgeleitete Ziele für die Entwicklung der Treibhausgasemissionen in Wien, für für den Energieverbrauch und für das verbleibende „Wiener Treibhausgasbudget“ (siehe Abbildung 9) festgelegt:
- Wien senkt die lokalen Treibhausgasemissionen pro Kopf bis 2030 um 55 Prozent gegenüber dem Basisjahr 2005 und ist ab 2040 klimaneutral.
- Wien senkt seinen lokalen Endenergieverbrauch pro Kopf um 30 Prozent bis 2030 und um 45 Prozent bis 2040 gegenüber dem Basisjahr 2005.
- „Wiener Treibhausgasbudget“: Wien legt sein ab 2021 verbleibendes Treibhausgasbudget mit 60 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalent fest. 8
Klar ist, dass diese Ziele nicht nur durch Maßnahmen im Wiener Kompetenzbereich erreicht werden können. Vielmehr braucht es zur Klimaneutralität in Wien auch Maßnahmen, die aufgrund der Kompetenzverteilung vom Bund oder der Europäischen Union zu setzen sind. Wie die folgenden Kapitel zeigen, gilt diese Aussage auch für jeden einzelnen der „Verursachersektoren“.
Für die Wiener Klimapolitik lassen sich aus den oben genannten Zielen folgende Kernprioritäten ableiten:
-
Der Fokus liegt insbesondere auf Maßnahmen zur Reduktion der Treibhausgasemissionen in Wien, die nicht vom aktuellen Europäischen Emissionshandelssystem (ETS) erfasst werden. Hier dominieren die Emissionen von
fossil betriebenen Verbrennungsmotoren
und
Gasheizungen,
weswegen Wiens Klimapolitik hier prioritär ansetzen muss:
- Raus aus fossilen Antrieben im Verkehrsbereich durch die Umstellung auf Elektroantriebe und durch die Änderung des Mobilitätsverhaltens bzw. den Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel sowie der Infrastruktur für Rad- und Fußverkehr.
- Raus aus Gas in der Wärmeerzeugung durch die Reduktion des Wärmeverbrauchs von Gebäuden und durch die Umstellung auf Fernwärme und auf die Nutzung von Umgebungswärme mit Strom-Wärmepumpen.
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Darüber hinaus treibt Wien die
Dekarbonisierung stadtnaher oder stadteigener Infrastrukturen
auch im Emissionshandelssektor (ETS) voran.
- Die Dekarbonisierung der Strom- und der Fernwärmeerzeugung soll durch den Ausbau erneuerbarer Energien in Wien und Österreich ermöglicht werden. Grünes Gas soll in Wien künftig für Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen oder andere energetisch hochwertige Verwendungszwecke, nicht aber für Heizung und Warmwasser zur Verfügung stehen. Atomenergie wird weiterhin nicht als Teil der Lösung verstanden.
- Die oben genannten Schwerpunkte bedeuten nicht, dass die Dekarbonisierung der sonstigen Treibhausgasverursacher nicht auch wichtig wäre. Im Gegenteil: Angesichts des Ziels der „Klimaneutralität 2040“ ist klar: Jeglicher Einsatz von fossiler Energie in Wien (Kohle, Öl, Gas) muss ebenso wie die Entstehung anderer Treibhausgasemissionen (z. B. in der Abfallwirtschaft, F-Gase) auf null oder nahezu null reduziert werden. Dementsprechend werden für alle Sektoren im Folgenden Maßnahmen festgelegt.
Fußnoten
Zurück zu ReferenzVon der „produktionsbasierten“ ist die „konsumbasierte“ Bilanzierungsmethode zu unterscheiden. Mit ihr sollen die gesamten mit dem Produkt(lebenszyklus) verbundenen Emissionen den „Endverbraucher*innen“ zugeordnet werden und zwar unabhängig davon, wo diese Emissionen anfallen. Diese Methode ist mit großen Datenunsicherheiten bzw. -lücken verbunden, ist aber für bestimmte Fragestellungen von Relevanz: z. B. wenn Individuen oder Gesellschaften („die Wiener*innen“) den globalen „CO2-Fußabdruck“ ihres Konsums abbilden wollen (siehe dazu auch Kapitel 4.7).
In Sachen Treibhausgasbilanzierung ist Wien als Bundesland und nicht als Stadt zu betrachten, weil es den (aus internationalen bzw. europaweit einheitlichen) Bilanzierungsregeln und -methoden von Bundesländern zu folgen hat, wie sie vom Umweltbundesamt in der „Bundesländer-Luftschadstoffinventur“ umgesetzt werden.