5.4 Stadtentwicklung & -planung
Wien ist aufgrund seiner Topografie in stadtklimatischer Sicht gegenüber anderen Großstädten in Kessellagen vergleichsweise begünstigt. Insbesondere Wienerwald und Donautal sorgen für eine gute Versorgung mit Frisch- und Kaltluft.
Die Wiener Stadtklimaanalyse verdeutlicht allerdings die unterschiedliche Situation in den einzelnen Teilräumen der Stadt bei Hitze. Daraus und aus Thermalaufnahmen werden nicht nur jene Gebiete sichtbar, die aufgrund der dichten Bebauung und einer hohen Bodenversiegelung besonders stark mikroklimatisch belastet sind – insbesondere Lagen innerhalb des Gürtels und stark versiegelte Flächen in Industrie- und Gewerbegebieten. Besondere Bedeutung haben auch bebaute und unverbaute Räume, die eine hohe Wirksamkeit in Hinblick auf Luftaustausch bzw. thermische Entlastung haben (z. B. Frischluftschneisen, Kaltluftentstehungsgebiete).
Je nach Lage und Kategorie sind diese unterschiedlich empfindlich gegenüber Nutzungsänderungen: Weitere Bebauungen und Versiegelungen können teilweise zu erheblichen Beeinträchtigungen der klimatischen Bedingungen in der Stadt führen.
Darstellung: Stadt Wien – Stadtentwicklung & Stadtplanung (MA 18)
Strategiedokumente wie das aktuelle „Leitbild Grünräume Wien“ (2020) tragen diesem Umstand Rechnung, indem sie jene Bereiche ausweisen, die dauerhaft bzw. langfristig von der Siedlungsentwicklung ausgenommen sind oder wo Stadtentwicklung nur unter bestimmten Umständen möglich ist.
Vorausschauende Politik und kluge Konzepte haben Wien zu dem gemacht, was es heute ist: eine Stadt mit höchster Lebens- und Umweltqualität. Doch wir können uns nicht auf den Lorbeeren ausruhen – die Herausforderungen durch den Klimawandel sind groß. Rasche, mutige Entscheidungen und Weichenstellungen sind gefragt. Entsiegelung, mehr Grün in der Stadt, zukunftsweisende Mobilitätskonzepte, nachhaltige Stadtteile – mit der Smart City Strategie Wien als grundlegendes strategisches Dokument und dem Wiener Klima-Fahrplan als „Wegweiser“ sind wir dafür bestens gerüstet und der Klimamusterstadt Wien einen weiteren entscheidenden Schritt nähergekommen
Mag.a Ulli Sima
Amtsführende Stadträtin für Innovation, Stadtplanung und Mobilität
Gleichzeitig ist mit dem Bevölkerungswachstum der vergangenen Jahre – allein in den Jahren 2010 bis 2020 hatte Wien einen Nettozuwachs von 230.000 Personen zu verzeichnen – der Entwicklungsdruck deutlich angestiegen und beginnt erst seit 2018 langsam abzuflachen. Die Stadt Wien setzt daher auf die Konversion innerstädtischer Verkehrs- und Industriebrachen und in der Stadterweiterung auf die Entwicklung kompakter Stadtteile mit urbaner Dichte und qualitätsvoller Freiraumstruktur, hoher Nutzungsmischung und kurzen Wegen.
Unsere Ziele
Vor diesem Hintergrund hat sich die Stadt Wien in der Smart City Strategie Wien folgende Ziele gesetzt:
- Bau- und Stadtentwicklungsvorhaben in Wien werden hinsichtlich ihres Beitrages zur Anpassung an den Klimawandel geprüft und optimiert.
- Zum Schutz gegen die sommerliche Überhitzung werden stadtklimatisch wirksame Grün- und Freiflächen erhalten, geschaffen und strukturell verbessert.
- Alle Wiener*innen haben innerhalb von 250 Metern Zugang zu qualitätsvollem Grünraum oder einer grünen Straße.
- Bei der Errichtung neuer Stadtteile werden hochwertige, öffentlich zugängliche Grünräume frühzeitig gesichert und gestaltet.
- Wien realisiert und fördert die 15-Minuten-Stadt mit kurzen Wegstrecken, lebendigen, gemischt genutzten Stadtteilen und einer Neuverteilung des öffentlichen Straßenraums zu Gunsten von aktiver Mobilität (siehe auch Kapitel 4.1.3).
Die großen Hebel zur Zielerreichung
Als Leitprinzip der klimaresilienten Stadtentwicklung gilt, dass durch städtebauliche Vorhaben positive klimatische Wirksamkeiten möglichst erhalten oder verbessert bzw. negative Auswirkungen ausgeschlossen werden. Mit dem Urban Heat Islands Strategieplan [49] hat Wien auch sehr frühzeitig Maßnahmen definiert, mit denen der Überwärmung der Stadt auf unterschiedlichen Planungsebenen begegnet werden kann.
Hebel 1: Klimagerechte Stadtentwicklung als verbindliches Prinzip in allen Planungsphasen verankern
- Definition und Verankerung von konkreten Zielvorgaben einer klimaangepassten Stadtentwicklung in den relevanten übergeordneten Strategiedokumenten der Stadt, allen voran im Stadtentwicklungsplan, in Stadtteilentwicklungskonzepten und städtebaulichen Leitbildern.
- Einsatz der Klimacheckliste zur Umsetzung der klimarelevanten Leitziele für Stadtentwicklung, Gestaltung und Projektierung: Die Klimacheckliste umfasst zwölf „Klimakriterien für Stadtentwicklungs- und -gestaltungsprozesse“, welche die zentralen Aspekte des Klimaschutzes und der Klimaanpassung in künftige Planungsprozesse strukturiert einfließen lassen sollen. Mithilfe dieser Kriterien können die Mitarbeiter*innen der Stadt Wien überprüfen, ob die geplanten Veränderungen auch klimafreundlich sind. Dabei zielen die Kriterien auf alle Maßstabsebenen ab und sollen von der Stadtentwicklung bis zur Objektplanung (z. B. Straßen, Plätze, Gebäude) Anwendung finden.
- Festschreibung von Klimaanpassungskriterien in öffentlichen Ausschreibungen und Wettbewerben für städtebauliche und stadtentwicklungsbezogene Planungen sowie Umgestaltungen. Dazu zählen neben der Ausrichtung der Baukörper (im Hinblick auf Hitze und Durchlüftung) auch der Grad der Bodenversiegelung, das gewünschte Ausmaß der Begrünung oder die Wahl von Oberflächenmaterialien. Neue Bauvorhaben sollen keine zusätzlichen Hitzeinseln schaffen, sondern im besten Fall sogar Verbesserungen für das Stadtklima bringen.
- Methodische Entwicklung und Etablierung eines Wiener „Klimaanpassungschecks“: Dabei werden Bau- bzw. Stadtentwicklungsvorhaben auf Basis der Aussagen der Klimaanalysekarte darauf geprüft, welchen Effekt sie auf das Mikro- und Stadtklima haben, und entsprechend optimiert.
- Monitoring der Erreichbarkeit von öffentlich zugänglichen Grünflächen: Die Versorgung Wiens mit öffentlich zugänglichen Grünflächen wird in allen Kategorien (Nahversorgung, Versorgung mit größeren Flächen sowie Erreichbarkeit mit dem ÖV von (Halb-)Tagesausflugsgebieten regelmäßig erhoben und kontinuierlich verbessert.
- Verbindliche Durchführung von klimatologischen Detailuntersuchungen (z. B. zu Windkomfort, Durchlüftung, Kaltluftabfluss, Kaltluftproduktion vor Ort, Hitze untertags und Wärmeinseln in der Nacht) bzw. von interaktiven Simulationen auf Basis des entstehenden „digitalen Zwillings“ der Stadt.
Durch eine integrierte inter- und transdisziplinäre Bearbeitung über alle Planungsphasen hinweg wird der jeweils standortadäquate Umgang mit dem Stadtklima ausgearbeitet. Der lokal passende Maßnahmenmix ist unter Berücksichtigung der Stadtklimaanalyse, der natur- und stadträumlichen Gegebenheiten, der (zukünftigen) Nutzung und des zukünftigen Klimas zu entwickeln.
Die genannten Instrumente können bei einzelnen Vorhaben in unterschiedlicher Intensität und Tiefenschärfe zur Anwendung kommen. Hierfür ist ein Kriterienkatalog zu entwickeln, der neben dem Umfang des Vorhabens (Grundfläche, Bruttogeschoßfläche) und den sozialräumlichen Bedingungen (Kindergärten/Schulen, Pflege-/Altenheim etc.) auch die „Klimasensibilität“ (etwa im Hinblick auf die Lage im Stadtgebiet, Hitze, Durchlüftung, Versickerungsfähigkeit des Bodens und Überflutungsrisiko) berücksichtigt.
Hebel 2: Sparsam mit unversiegelten Böden umgehen und grüne Infrastruktur sichern bzw. ausweiten
- Realisierung kompakter Stadtstrukturen durch konsequente Bestandsentwicklung und Stadterweiterung entlang des Prinzips qualitätsvoller Dichten und mit klaren Siedlungsgrenzen. Verdichtungen in der Bestandsstadt müssen mit einer ausreichenden Grünraumversorgung einhergehen, die bei Neuwidmungen zu berücksichtigen ist (und die bauliche Ausnutzbarkeit gegebenenfalls reduziert).
- Umgang mit stadtklimatisch hochwirksamen Flächen (z. B. Kaltluftentstehungsgebiete sichern, Frischluftschneisen berücksichtigen und gegebenenfalls freimachen) laut Stadtklimaanalyse bzw. Leitbild Grünräume Wien.
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Klimasensible Planung von neuen Stadtteilen
im Hinblick auf unter anderem
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Bebauungsstruktur & Gebäudetypologie: Gebäudehöhe, -anordnung und -typologie, die eine gute Durchlüftung und Beschattung, aber auch Belichtung ermöglichen;
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Straßenquerschnitte mit einer adäquaten Dimensionierung und Verteilung des Straßenraums zugunsten von aktiver Mobilität und öffentlichem Verkehr sowie einbautenfreien/unversiegelten Bereichen, die auch eine (nachträgliche) Bepflanzung zulassen;
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frühzeitige Ausstattung mit großzügigen, klimawirksamen Grün- bzw. Wasserflächen, die bereits bei Besiedelung als Erholungsräume zur Verfügung stehen und mikroklimatische Wirkung entfalten („frühes Grün“) bzw. Erhalt des bestehenden Baumbestands. In besonders hitzesensiblen Gebieten sind Grün- und Freiflächen vorzusehen, die nach Möglichkeit über die Kennwerte des Fachkonzepts Grün- und Freiraum hinausgehen;
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Grün- und Freiflächen sollen so gering wie möglich versiegelt sein und jedenfalls die festgelegten Mindestqualitäten aufweisen bzw. über diese hinausgehen.
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Umsetzung von strukturellen Maßnahmenprogrammen
zur Reduktion von
Überhitzung in Bestandsgebieten, insbesondere im Hinblick auf-
Erweiterung, Vernetzung, qualitative Verbesserung, Zugänglich-Machen von Grün- und Freiräumen, insbesondere in dicht bebauten Gebieten mit hohem Nutzungsdruck. Potenzial bieten hier die Auflassung von Verkehrsflächen oder Entsiegelung, die Begrünung, die Öffnung und Durchwegung von Innenhöfen und die Mehrfachnutzung von Freiflächen (z. B. als Sport- und Retentionsflächen).
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Vernetzung von Freiräumen und Schaffung von gewässerbegleitenden Grünräumen zur Erhaltung und Schaffung von Kaltluftströmen [50].
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Bei der Planung und Umsetzung der Maßnahmen sind vor allem sozialräumliche Bedingungen zu berücksichtigen und entsprechende Prioritäten zu setzen.
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- Implementierung einer Regelung zur Ausgestaltung von Grün- und Freiflächen im Sinne der Klimaanpassung. Wirksame Maßnahmen zur Festschreibung und Durchsetzung eines maximal zulässigen Versiegelungsgrades im Neubau bzw. zur Erzielung von Entsiegelung im Bestand (ggf. unter Berücksichtigung von Kompensationsmaßnahmen) sollen entwickelt werden. Eine möglichst präzise Operationalisierung ist dabei essenziell (etwa im Hinblick auf konkrete Gestaltungskriterien und die Regelung der Unterbauung von „gärtnerisch auszugestaltenden Flächen“). Ein möglicher Lösungsansatz könnte hierbei ein sogenannter Grün- und Freiflächenfaktor als Maßzahl für die Freiraumversorgung auf Parzellenebene sein.
Ab rund 2,5 Hektar haben Parks einen messbaren Abkühlungseffekt auf das städtische Umfeld. Große Grünflächen ab 50 Hektar haben im Gegensatz zu kleineren Maßnahmen eine erhöhte Fernwirkung und beeinflussen auch das stadtweite Mesoklima.