6.5 „Wie sieht der smarte Bürger der Zukunft aus?“
Wojciech Czaja im Gespräch mit Gianluca Galletto
Gianluca Galletto ist Direktor der Global Futures Group (GFG). Der international tätige Ökonom berät Großstädte in ihren sozialen, technologischen und stadtplanerischen Smart-City-Agenden – darunter etwa New York City. Wir haben ihn gefragt: Wie smart ist der Big Apple?
Smart City hat viele Definitionen. Was verstehen Sie darunter?
Galletto: Ich denke an eine Stadt mit viel Grün, guter Luftqualität, guter Verkehrsinfrastruktur, geringem Müllaufkommen, intelligenten Dienstleistungen, mit einer etablierten Sharing Economy und mit glücklichen Menschen mit unterschiedlichen sozialen Backgrounds, die alle gute Jobs haben und sich wunderbar verwirklichen können.
Klingt nach Utopie.
Galletto: Finden Sie? Ich finde, es klingt nach einem Happy Place.
Wo gibt es denn solche Happy Places bereits?
Galletto: Überall dort, wo es gelingt, Innovation und neue Technologien mit Human Capital zu kombinieren und daraus Synergieeffekte zu erzielen.
Wie happy ist New York?
Galletto: New York City ist eine ziemlich glückliche Stadt, allerdings leider nicht für alle, denn viele Menschen sind einsam oder haben nicht das nötige Geld, um das Leben in dieser Stadt zur Genüge zu genießen. Das ist leider der Knackpunkt.
„Ziemlich glücklich“ bedeutet wie viel auf einer Prozentskala?
Galletto: 70 Prozent. Mit Luft nach oben.
Und wie smart ist der Big Apple?
Galletto: Ziemlich smart. Aber auch hier mit Luft nach oben.
Sie sind Smart-City-Berater für diverse Stadtverwaltungen sowie für die Privatwirtschaft. Wie genau kann man sich Ihre Beratertätigkeit vorstellen?
Galletto: Genau so! Ich berate die öffentliche und private Hand in der Konzeption, Entwicklung und Implementierung von Smart-City-Strategien.
Eine der Städte, die Sie seit langer Zeit beraten, ist New York City. Was sind die wichtigsten Themen auf der Smart-City-Agenda dieser Stadt?
Galletto: New York City hat in der Tat einige dringliche Themen zu meistern. Dazu zähle ich die Wohnungsfrage, denn es mangelt massenhaft an leistbaren Wohnungen, sowie die soziale Gerechtigkeit zwischen den Bevölkerungsschichten, die wie überall in den USA viel stärker auseinanderklaffen als etwa in Europa. Das sind Themen, die werden New York als multikulturellen Melting Pot mit all den damit verbundenen Problemen und Spannungen wahrscheinlich ewig begleiten. Ein dringliches Thema jedoch, das keinerlei Verzögerung duldet, ist der Umgang mit der Klimakrise. Ich sage immer: Die Klimakrise ist die Mutter aller Probleme! New York liegt auf drei großen Inseln, ist damit eine von riesigen Wassermassen umzingelte Stadt, und der Hurrikan Sandy, der im Oktober 2012 über die Ostküste fegte, hat eindringlich bewiesen, dass auch eine globale und sich so unverwundbar präsentierende Metropole wie New York vor den Auswirkungen des Klimawandels nicht gefeit ist.
Was waren damals die Konsequenzen?
Galletto: Sandy verursachte eine Sturmflut mit bis zu sieben Meter hohen Wellen, die an der Küste zu Überflutungen führte. Im Battery Park an der Südspitze Manhattans erreichte der Wasserpegel einen historischen Höchststand. Zum ersten Mal seit über hundert Jahren wurden diverse U-Bahn-Tunnel überflutet. Darüber hinaus gab es etliche Brände, Stromausfälle und Evakuierungen. Rund 250.000 New Yorker waren ohne Strom. Ja, der Klimawandel ist real.
Eines der Projekte gegen den Klimawandel ist The Big U. Wie weit ist das Projekt?
Galletto: The Big U ist wahrscheinlich eines der größten New Yorker Stadtplanungsprojekte aller Zeiten. Im Grunde genommen handelt es sich um ein 13 Kilometer langes Schutzsystem, das sich von der West 57th Street am Hudson River über den Battery Park im Süden bis zur East 42nd Street am East River erstreckt – also genau dort, wo beim Hurrikan Sandy unter anderem auch viele Low-Income-Einwohner zu Schaden gekommen sind. Doch The Big U ist keine sichtbare Flutwand oder Flutbarriere, die die Menschen vom Wasser trennt, sondern eine multifunktionale Anlage, die bei Hochwasser schützt und die im Normalfall als öffentlicher Freiraum mit Rad- und Spazierwegen, mit Plätzen, Skateparks, Pavillons und einem Meeresmuseum den Menschen zur Verfügung steht. Insgesamt nimmt New York dafür 335 Millionen Dollar in die Hand. Das Projekt ist im Entstehen.
Sie haben vorhin den leistbaren Wohnbau als Smart-City-Thema angesprochen. Welche Strategie verfolgt New York City?
Galletto: In den frühen Siebzigerjahren drohte die Stadt bankrott zu gehen. Seit damals lassen die Gelder der öffentlichen Hand in vielen Bereichen zu wünschen übrig. Zwar hat Bill de Blasio, den ich für einen der fortschrittlichsten Bürgermeister halte, die diese Stadt je hatte, angekündigt, sich während seiner Amtszeit für die Errichtung von leistbaren Wohnungen einzusetzen, doch Fakt ist: Die New York City Housing Authority (NYCHA) besitzt rund 400.000 soziale Wohneinheiten, in den letzten Jahren aber ist der Bestand kaum gewachsen. In der Stadtkasse fehlt dafür das Geld. Das heißt: Die Stadt ist auf die Zusammenarbeit mit Privaten angewiesen.
Wie sieht diese Zusammenarbeit aus?
Galletto: In bestimmten Regionen verpflichten sich die Investoren, um eine Parzelle in ihrer Dichte und Höhe maximal ausschöpfen zu dürfen, einen Teil der Wohnungen als günstige, leistbare Sozialwohnungen zu errichten. In manchen Lagen beträgt dieser vorgegebene Sozialanteil bis zu 50 Prozent.
Wie reagiert die private Bauträgerschaft darauf ?
Galletto: Nicht immer glücklich, wie Sie sich vorstellen können. Eine gute Zukunft verlangt uns allen Opfer ab.
Welche Opfer bringen Sie persönlich?
Galletto: In meiner Tätigkeit als Smart-City-Berater setze ich mich vor allem in New York für eine Verbesserung des öffentlichen Verkehrs ein, denn das Subway-System ist veraltet, voller Barrieren und den heutigen Menschenmassen kaum noch gewachsen. Die New Yorker Subway wurde 1904 eröffnet und zählt damit zu den ältesten U-Bahnen der Welt. Leider wurde in den kommenden Jahrzehnten kaum etwas in das unterirdische ÖV-System investiert. Wenn sich das nicht bald ändert, wird New York City im Bereich Verkehr eines Tages den absoluten Kollaps erleben.
Wie soll das gelingen?
Galletto: Ich habe keine Ahnung. Meine Aufgabe ist es, auf Handlungsfelder hinzuweisen und mein Know-how im Bereich Smart City zur Verfügung zu stellen. Wie eine Stadt wie New York City diese immensen Herausforderungen zu meistern beabsichtigt, ist mir schleierhaft. Da haben es Städte wie etwa Barcelona, für die ich ebenfalls als Berater tätig bin, aufgrund ihrer Struktur, ihrer Geschichte und ihrer verhältnismäßig homogenen Bevölkerungsbedürfnisse weitaus leichter.
Wie sieht die Smart City der Zukunft aus?
Galletto: Fragen Sie mich lieber, wie der smarte Bürger der Zukunft aussieht! Unser Verhalten muss sich radikal ändern. Wir müssen endlich wieder unser Hirn einschalten. Wir müssen lokaler und regionaler denken, wir müssen in Wirtschaftskreisläufen denken, die uns helfen und nicht schaden, wir müssen Synergien nutzen und bereit sein zu teilen, wir müssen wieder den Mensch in den Mittelpunkt stellen, wir müssen aufhören, immer überall alles haben zu wollen, wir müssen uns vielleicht sogar mit einem kleineren Aktions- und Mobilitätsradius begnügen, und wir müssen – und da spreche ich vor allem für mich – endlich damit aufhören, jeden Tag Spaghetti alle Vongole essen zu wollen.
Gianluca Galletto,
geboren 1969 in Taranto, Italien, studierte Internationale Wirtschaft in Mailand und Yale. Seit 1997 lebt er in New York City. Er war Director of International Business in der New York City Economic Development Corporation (NYCEDC) und lange Jahre im Finanzsektor tätig, u. a. bei Muzinich & Co. Heute ist er Managing Director der Global Futures Group (GFG) und berät Städte, Regionen und Institutionen in ihren sozialen, technologischen und stadtplanerischen Smart-City-Agenden – darunter etwa New York City, Barcelona, das kroatische Ministerium für Regionalentwicklung sowie die Weltbank.
Gianluca Galletto war auf Einladung der Stadtakademie der ÖVP in Wien. Das Interview fand im Rahmen der Veranstaltung „Wirtschaftsfaktor Urban Tech“ statt.