6.2 Der smarte Weg ist das smarte Ziel
Die Ursprünge der Smart City Wien liegen in den frühen Neunzigerjahren. Allerdings bedurfte es mehrerer Etappen und vieler g’scheiter Ideen, bis 2014 die erste Fassung der Smart City Wien Rahmenstrategie vorlag. Diese wurde bis 2019 nochmals vertieft und erweitert. Eine Analyse, von der Genese bis zur Gegenwart.
Ina Homeier, Gerlinde Mückstein
Im Jahr 2009 wurde der Begriff „smart“ in einem räumlichen Bedeutungszusammenhang in die offizielle Kommunikation der EU eingeführt. Um Treibhausgas-Emissionen zu verringern, sollten die Voraussetzungen für die Übernahme energieeffizienter Technologien durch den Massenmarkt geschaffen werden. Die Initiative Smart Cities & Communities war geboren. Man verstand den Klimawandel als Chance zur Ergreifung der Weltmarktführerschaft auf dem Energiesektor.
Bereits seit den 1970er-Jahren formten sich die Agenden von Smart City im internationalen politischen Diskurs. Spätestens 1992 in Folge der UNO-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro wurde Nachhaltigkeit auf der Tagesordnung internationaler Politik verankert. Auch die EU unterzeichnete die dort verabschiedete Klima-Rahmenkonvention. Auf der dritten Konferenz aller Teilnehmenden dieser UN-Klimarahmenkonvention 1997 in Kyoto wurde das Kyoto-Protokoll verabschiedet. An diesem orientierte sich die EU in ihren Zielen zur Treibhausgasreduktion.
2000 folgte mit der Lissabon-Strategie ein Wirtschaftsentwicklungsprogramm des Europäischen Rates. Dieses ist ein direkter Vorläufer jener Dokumente, die zehn Jahre später die Smart City auf den Tisch brachten, und trug damit unmittelbar zur Genese des Smartness-Konzepts bei. Die Lissabon-Strategie vereint die Handlungsfelder Innovation, Wissensgesellschaft, soziale Kohäsion und Umweltschutz – ein Prinzip, das zehn Jahre später im Nachfolgeprogramm Europa 2020 unter den Begriffen „intelligent/smart“, „integrativ“ und „nachhaltig“ fortgeführt wurde.
Vom Kyoto-Protokoll zur Zero Emission City
Im November 2007 wurde von der europäischen Kommission schließlich "Ein europäischer Strategieplan für Energietechnologie. Der Weg zu einer kohlenstoffemissionsarmen Zukunft", der SET-Plan, herausgegeben. Teil dieses SET-Plans war die Smart-Cities-Initiative. Diese sollte europäische Städte dabei unterstützen, energieeffiziente Technologien aufzugreifen, um zu „demonstrieren, ob beziehungsweise dass es möglich ist, sich Ziele zu setzen, die weiter gehen als die aktuellen Energie- und Klimaziele der EU“.
Im selben Jahr beschloss der österreichische Ministerrat eine Klimastrategie mit Maßnahmen zur Erreichung der Ziele des Kyoto-Protokolls. Zur Unterstützung der Umsetzung der Strategie richtete die Bundesregierung den österreichischen Klima- und Energiefonds ein. Mittels des Programms Smart Energy Demo. FIT 4 SET schrieb dieser ab 2010 jährlich Projektförderungen aus. So wurde die erstmalige Umsetzung einer „Smart City“ oder einer „Smart Urban Region“ gefördert. Darunter war ein Stadtteil, eine Siedlung oder eine urbane Region zu verstehen, in der Nachhaltigkeit gelebt wurde und die durch den Einsatz intelligenter grüner Technologien zu einer „Zero Emission City“ oder „Zero Emission Urban Region“ wird. So wurden österreichische Projekte für die künftige Teilnahme an Förderungen durch die Industrieinitiativen des SET-Plans vorbereitet.
Was bedeutet es, smart zu sein?
Wien erreichte das Thema „Smart City“ aus zwei Richtungen: Einerseits waren es große Energie- und Elektronikkonzerne, die die g’scheite Stadt als Verkaufsargument für ihre Produkte bewarben. Auf die strategische Agenda der Gemeinde Wien kam Smart City andererseits durch den SET-Plan. Man sah hier eine Gelegenheit, die Möglichkeiten der Stadt Wien, EU-Mittel zu lukrieren, zu verbessern. Für Wien steht seit jeher der Mensch im Mittelpunkt der Stadtpolitik. Smart City soll dabei helfen, die Stadt als lebenswerten und sozial inklusiven Ort für zukünftige Generationen zu bewahren und zu entwickeln.
Im Rahmen von FIT 4 SET sollten Energieeffizienz- und Klimaschutzziele mit der Wiener Stadtentwicklung verknüpft werden. Also führte die Abteilung für Stadtentwicklung und Stadtplanung – gemeinsam mit einem multidisziplinären Konsortium – einen Stakeholder-Prozess durch. Im Zuge dessen zeigte sich, dass eine Dachstrategie sinnvoll wäre, um Kräfte zu bündeln und Kooperationen zu fördern. Als gemeinsame Klammer für alle relevanten Politikfelder sollte diese Dachstrategie politische Entscheidungen ebenso anleiten wie jene der Stadtverwaltung. Somit war die Smart City Wien Rahmenstrategie geboren, die im Juni 2014 vom Wiener Gemeinderat beschlossen wurde.
Der Wiener Smart-City-Ansatz beruht auf der Überzeugung, dass eine nachhaltige Entwicklung nicht im Gegensatz zu hoher Lebensqualität in der Stadt steht, sondern die Voraussetzung deren langfristigen Erhalts und Weiterentwicklung ist. Kleine Nachbesserungen reichen hierfür nicht aus. Eine Smart City im Wiener Verständnis stellt die Bedürfnisse der Wienerinnen und Wiener in ihrer ganzen Vielfalt in den Mittelpunkt. Smarte Lösungen müssen daher beileibe nicht nur technischer Natur sein. In der Smart City Wien dient umfassende Innovation in allen Bereichen immer dem Menschen und seiner Lebensqualität.
Klimakrise? Nachschärfen!
Im Jahr 2017 wurde erstmals ein Monitoring zur Überprüfung der Erreichung der Wiener Smart-City-Ziele durchgeführt. Die Stadt Wien führte das Monitoring mit rund 120 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus 50 Einrichtungen und Unternehmen der Stadt selber durch. Die Ergebnisse zeigten zweierlei – dass Wien sich bei zwei Drittel der Ziele auf gutem Kurs befand, aber auch, in welchen Bereichen verstärkte Anstrengungen zur Erreichung der gesteckten Ziele notwendig sein würden. Um den veränderten Rahmenbedingungen wie dem Übereinkommen von Paris und den Nachhaltigkeitszielen der UN-Agenda 2030 gerecht zu werden, die verstärkte Anstrengungen zur Eindämmung der fortschreitenden Klimakrise erfordern, war eine deutliche Nachjustierung in mehreren Bereichen erforderlich. Daher wurde ein breiter Prozess zur Aktualisierung der Rahmenstrategie in die Wege geleitet.
Im Zuge eines einjährigen Verfahrens, in das mehr als 150 Personen aus nahezu allen Bereichen der Stadtverwaltung und den städtischen Unternehmen sowie zahlreiche Fachleute aus Forschung, Wirtschaft und Interessenvertretungen eingebunden waren, wurden alle Zielbereiche kritisch durchleuchtet, bestehende Ziele nachgeschärft und neue Ziele formuliert. Im Juni 2019 – fünf Jahre nach Beschluss der ersten Fassung – wurde die Smart City Wien Rahmenstrategie 2019–2050 als das Wiener Programm für eine nachhaltige Entwicklung vom Gemeinderat beschlossen.
Für Stadt, Mensch und Biodiversität
Zwölf Zielbereiche bündeln sämtliche Themen- und Handlungsfelder der Stadt. Sie tragen in unterschiedlicher Intensität zu den drei Leitthemen der Rahmenstrategie – Lebensqualität, Ressourcenschonung und Innovation – bei. Besonderes Augenmerk wird auf die Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Zielen gelegt. Ein Beispiel dafür ist die Neuorganisation des Straßenraums zugunsten des Umweltverbunds – mit Pflanzungen und unversiegelten Bodenflächen. Dies steigert die Luftqualität, führt zu geringerer Hitze- und Lärmbelastung, fördert aktive Bewegung und Gesundheit, erhöht die Sicherheit auf den Straßen und öffnet den wohnungsnahen öffentlichen Raum für vielfältige, barrierefreie Nutzung durch alle Bevölkerungsgruppen.
Ein weiteres Exempel ist die Nutzung von Gebäuden für Begrünung und Energiegewinnung. Diese wiederum führen zur Senkung des Energieverbrauchs für Heizen und Kühlen, zu einer Reduktion von Kosten und Emissionen, zur Erhöhung des Anteils an erneuerbaren Energiequellen, zur Senkung der Schadstoffbelastung und der Lärm- und Hitzebelastung, aber auch zu Gesundheit, Wohlbefinden und zur Steigerung der biologischen Vielfalt.
Mit den Zieljahren 2030 und 2050 ist die Smart City Wien Rahmenstrategie ein langfristiger Orientierungsrahmen für die nachhaltige Entwicklung der Stadt. Der weit vorausgerichtete Blick ermöglicht es, über die Dauer von Legislaturperioden hinaus langfristige und weit reichende Entwicklungspfade abzustecken.
Ina Homeier,
geboren 1965 in Wien, ist Architektin und Stadtplanerin. Von 1998 bis 2001 war sie in der Generaldirektion Forschung der Europäischen Kommission in Brüssel tätig, zuständig für das Projekt „Die Stadt von morgen und das kulturelle Erbe“. Sie lebte einige Jahre in Portugal und leitete die Firma Innovation Point SA mit dem Schwerpunkt Entwicklung städtischer Strategien und Technologien. Seit 2011 ist sie in der Stadt Wien Leiterin der Projektstelle „Smart City“ sowie der Smart City Wien Rahmenstrategie 2016. Außerdem ist sie Mitglied des Ökostrombeirats und der Steuerungsgruppe MoU Smart City zwischen Stadt Wien und bmvit.
Gerlinde Mückstein,
geboren 1986 in Wien, studierte Raumplanung und Landschaftsarchitektur und schrieb eine Diplomarbeit zum Politischen der Stadtentwicklungsplanung am Beispiel der Smart City Wien Rahmenstrategie. Sie war Redakteurin für den Klima- und Energiefonds und arbeitet seit 2018 in der Smart-City-Projektstelle der Stadt Wien.