6.1 Auf der Suche nach der wirklich smarten Smart City
Der Begriff Smart City ist in aller Munde. Doch was zeichnet eine g’scheite Stadt eigentlich aus? Warum sehen die einen darin einen technologischen Katalysator, während sich die anderen eine sozial nachhaltige Stadt der Zukunft erhoffen? Beobachtungen zu unterschiedlichen Definitionen zwischen schöner Zukunft und totalem Überwachungsstaat.
Gudrun Haindlmaier
Vor einigen Jahren fand in Berlin ein hochkarätig besetztes Symposium unter dem Titel Beware of the Smart People statt. Doch, ganz ehrlich, warum sollte man sich vor smarten Menschen in Acht nehmen? Bei näherem Hinsehen wird deutlich, dass sich die aktuelle Diskussion um smarte Technologien oder gar smarte Städte in einem Spannungsfeld zwischen utopischem Heilsversprechen (nachhaltige Stadtentwicklung durch effiziente neue Informations- und Kommunikationstechnologien) und dystopischen Überwachungsszenarien bewegt. Was ist also dran am Konzept der Smart City? Welche Versprechungen sind damit verbunden? Und welche davon kann es halten?
Die Smart-City-Idee beschäftigte im letzten Jahrzehnt einerseits viele Architekten, Stadtplanerinnen und politische Entscheidungsträgerinnen, andererseits ganze Industrien sowie die riesige Branche der Immobilienentwicklung. Der Begriff entfachte visionäre Zukunftsszenarien und fand bald Einzug in den alltäglichen Sprachgebrauch elitärer Kreise, später auch in jenen der breiten Öffentlichkeit. Imposante und schillernde Modewörter und Bezeichnungen wie etwa autonom, innovativ, intelligent, effizient, flexibel, vernetzt und sogar selbstregulierend werden mit dem Begriff der Smartness assoziiert. So gesehen ist es wenig verwunderlich, dass sich der Begriff recht rasch zu einem Must-have als Label für Städte entwickelt hat. Wer kann es sich schließlich erlauben, nicht smart zu sein?
Doch woher kommt der Begriff Smart City? Die g’scheite Stadt leitet sich aus der technologischen Entwicklung der „Informational City“ der 1980er-Jahre ab und zeichnet sich demnach durch die innovative Nutzung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien sowie durch den Fokus auf eine vernetzte, IKT-gesteuerte Form der Stadtentwicklung aus. Diese geht mit dem Versprechen einher, Entscheidungsfindungen kurz- und langfristig zu optimieren sowie die Verwaltung und Kontrolle der Stadt durch detaillierte Echtzeit-Informationen effizient zu gestalten.
Wie smart ist der Rebound-Effekt?
Eines der Hauptrisiken bei der Annäherung an die Smart City aus rein technologischer Sicht sind sogenannte Rebound-Effekte. So führt beispielsweise die Senkung der Energiekosten durch technische Innovationen zu einer Erhöhung des Energieverbrauchs oder anderer Güter und treibt somit auch die klimawirksamen Emissionen weiter nach oben. Darüber hinaus werden so manche propagierten Verbesserungen durch die Nutzung der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien nicht erfüllt. Beispiel gefällig? Teleworking hat nicht die erhoffte Verkehrsentlastung mit sich gebracht, sondern – ganz im Gegenteil – durch die mit der Digitalisierung einhergehende zunehmende Flexibilisierung zu erhöhter Mobilität und verschlimmerten Transportproblemen geführt. Fußnoten
Grundsätzlich ist es ja begrüßenswert, dass technische Innovationen in Städten dazu beitragen, angesichts begrenzter Ressourcen die Effizienz zu steigern oder durch datengetriebene Forschungsanstrengungen die besten Lösungen zu ermitteln. Sie reduzieren die Stadt jedoch auf ein rein technisches Produkt sowie auf den Aspekt wirtschaftlichen Interesses und ignorieren unterschiedliche lokale Gegebenheiten oder gar soziale Widerstände gegen Technologien. Stellt sich also die Frage: Wie smart geht die Smart City auf die Kultur und Mentalität der Bevölkerung ein?
Die Inklusive und nachhaltige Smart City
So gesehen ist es wenig verwunderlich, dass der technisch beziehungsweise wirtschaftlich präformierte Kern der Smart-City-Idee mit Gedanken hinsichtlich einer inklusiven Gesellschaft, einer nachhaltigen Stadtentwicklung sowie einer Steigerung der Lebensqualität mit Verhaltensänderungen und moderner Governance aufgebrochen und erweitert wird, Fußnoten wie die folgenden Definitionen von Smart City zeigen:
„Smart Cities kombinieren verschiedene Technologien, um die Umweltbelastung zu verringern und den Bürgerinnen und Bürgern ein besseres Leben zu ermöglichen“, heißt es etwa auf der European Smart City Stakeholder Platform 2017. „Dies ist jedoch nicht einfach eine technische Herausforderung.“ Und in ihrem Buch Smart Cities in Europe schreiben Andrea Caragliu, Chiara Del Bo und Peter Nijkamp, dass „Investitionen in Human- und Sozialkapital sowie traditionelle Verkehrs- und moderne Kommunikationsinfrastruktur ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum und eine hohe Lebensqualität fördern, und zwar bei einem vernünftigen Umgang mit natürlichen Ressourcen sowie durch eine partizipative Governance.“ Dementsprechend sind mit städtischer „Smartness“ sehr unterschiedliche soziale, wirtschaftliche und technische Initiativen verknüpft. Dazu zählen etwa die Förderung sanfter Mobilitätskonzepte (Real-Time-Information, GPS-Ticketing- Systeme etc.), innovative Sanierung von Gebäuden, Flexibilisierung des Stromnetzes (Smart Grids), Partizipation 2.0 durch digitale Experimente in der Verwaltung (Urban Gaming, partizipative Stadtbudgets) sowie Nutzung von Potenzialen der „Smart People“ (Hackathons, interaktive Hitzekarten etc.) und vieles mehr. Im Vergleich zu alledem mutet die bequeme Erledigung aller Amtswege in digitaler Form von zuhause aus fast schon old-fashioned an.
Smart City ist nicht gleich Smart City
Weder in der Literatur noch in der Praxis gibt es eine einheitliche Definition und/oder Abgrenzung des Begriffs. Die verbale Schwammigkeit ist aus strategischer Sicht aber durchaus bequem, denn die Diversität des Begriffs bietet den Städten nicht zuletzt auch die Möglichkeit, sich weg von der reinen Technologiegläubigkeit hin zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung zu bewegen und neue Themen in den Fokus zu rücken, die in einem enger und rein technologisch gefassten Begriff von Smart City wohl keinen Platz hätten. Hier ein paar Beispiele, wie Städte ihren Platz in dieser begrifflichen Bandbreite finden:
In Wien (durchaus als einer der zentralen Player in Europa) hat die partizipativ-integrierte Stadtplanung die Smart-City-Diskussion recht bald als strategisches Instrument genutzt, um hier in Smart-City-Rahmenstrategien Nachhaltigkeit, Lebensqualität und soziale Anliegen zu kombinieren und damit in gewisser Weise ein Alleinstellungsmerkmal zu schaffen – mit dem Nebeneffekt, dass die ganzheitliche Betrachtungsweise den sonst oft vorherrschenden technologischen Kern der Smart City in den Hintergrund gestellt hat.
Dass sich Santander zur digitalen Musterstadt in Europa entwickeln konnte, ist dem Umstand geschuldet, dass hier zur richtigen Zeit am richtigen Ort mit der richtigen Technologie experimentierfreudige Akteure zusammenkamen und die relativ kleine Stadt in enger Zusammenarbeit zwischen Universität, Forschungsprojekt und Stadtverwaltung durch eine Vielzahl an Sensoren und Internet-of-Things-Plattformen zu einer der bekanntesten Forschungsplattformen der technologiegetriebenen Smart City avancierte.
Rotterdam setzt zwar ebenfalls auf eine „Real-Time-Smart City“, hier jedoch mit dem Fokus auf Nachhaltigkeit, was dem Vernehmen nach nicht unwesentlich für den Vorzug zur Ausrichtung des Eurovision Song Contest 2020 anstelle der niederländischen Hauptstadt Amsterdam gegeben hat.
Und in Singapur führte eine dienstleistungsorientierte IT-Revolution – also die massive, gezielte Förderung globalmobiler IT-Unternehmen – zur Automatisierung öffentlicher Dienste und in weiterer Folge zu Reichtum aufgrund technischer Infrastrukturen und der Exportorientiertheit der IT-Branche. Auch dies hat seinen Preis, denn die Entwicklung geht in diesem Fall mit hohen lokalen Armutsquoten einher.
Smart City und globale IT-Konzerne
Raumplanung ist ein politisches Geschäft. Anders als ein unabhängiges Gericht unterliegt sie politischen Überlegungen in Form von Zielen, Verfahren und Budgetbeschränkungen, deren Formulierung und Aushandlungsprozesse jeweils ein Ausdruck der vorherrschenden politischen Kultur sind. Die lokale Planungskultur in Wien beispielweise ist derzeit stark von einem partizipativen, kooperativen Paradigma geprägt. Die veränderte Rolle der staatlichen Institutionen – weg von Hierarchie und traditionellen (autoritären) Strukturen – führt zu einem neuen Verständnis von Politikgestaltung im Sinne einer Mediation unterschiedlicher Interessen und somit auch zu einem Beschreiten völlig neuer Wege. Dies bedeutet aber auch, dass das Bild einer dezentral vernetzten, jedoch zentral gesteuerten, top-down verwalteten Smart City wenig passend ist, um die aktuellen komplexen Herausforderungen meistern zu können.
Der Hype um die smarte Stadt erscheint aus zwei Gründen nachvollziehbar: Einerseits geht es um Macht und Kontrolle, andererseits um einen internationalen Wettbewerb zwischen den Städten – um Investitionen, Einwohnerinnen und Touristen. Dabei ist gerade im Smart-City-Diskurs die Beteiligung multinationaler Konzerne maßgeblich. Fußnoten Auch wenn das Engagement privatwirtschaftlicher Akteure aus Stadtperspektive in finanzieller und organisatorischer Hinsicht begrüßenswert ist, darf man im Hinblick auf die Bereitstellung technologischer Infrastrukturen durch privatwirtschaftliche Akteure zwei kritische Fragen dennoch nicht außer Acht lassen: Wem gehört die Stadt? Und wie kann die soziale Fragmentierung der Stadt zu technologischen Enklaven einerseits und marginalisierten Gebieten andererseits unterbunden werden?
Hat die Smart City eine Zukunft?
Über die Zukunft der Smart City gibt es je nach Interessenlage der Akteure unterschiedliche Mutmaßungen. Ohne sich nun der ominösen Kristallkugel hinzugeben, lässt sich Folgendes festhalten: Zum einen bedeutet Smart City und das Internet of Things bei Weitem nicht das Ende der Stadt. Auch wenn alle mit allem jederzeit vernetzt sind oder zumindest sein können, sind persönliche Face-to-Face-Kontakte für bestimmte Vorgänge nach wie vor zentral. Zudem ist aktuell eine Renaissance der Innenstädte und der lokal-regionalen Wirtschaftsvorgänge beobachtbar. Weiters werden Urbanität und die Dichte an städtischen, sozialen Funktionen wieder verstärkt nachgefragt – sei es in Form von Bobo-Greißlern, Grätzeloasen oder Nachbarschaftsnetzwerken.
Megatrends und deren Interdependenzen werden die Zukunft der Smart City (oder mit welchem Etikett auch immer wir sie dann bezeichnen werden) in Form veränderter sozialer Interaktionen und technologischer Entwicklungen gestalten. Die zunehmend beschleunigte technologische Entwicklung von autonomen Fahrzeugen gekoppelt mit Carsharing, um nur ein Beispiel zu nennen, könnte aufgrund geänderter Platzansprüche zu einer massiven Umstrukturierung im Stadtbild führen – wenn nicht sogar zur Neugestaltung von Städten.
Im Zeichen der Digitalisierung werden auch Fragen der Privatsphäre, der Datenkontrolle und der transparenten Handhabe mit Datenmengen im Zentrum stehen. Dem gegenüber steht nach wie vor das Interesse an Daten seitens internationaler Konzerne und Unternehmen wie etwa IBM, Google, Facebook oder Amazon. Die zentrale Frage der wie auch immer gearteten, wirklich g’scheiten Smart City wird also sein, welche aktive Rolle Stadtplanung beziehungsweise Stadtplanungspolitik dabei spielen kann und wie dabei zwischen Politik, Industrie und Zivilgesellschaft eine nachhaltige „Balance of Interests“ ausgehandelt werden kann.
Fußnoten
Zurück zu Referenz- Vgl. z. B. Graham 2005, Hajer/ Zonneveld 2000 und Castells 2000.
- Eine Studie der TU Wien rund um Rudolf Giffinger aus dem Jahr 2007 unterscheidet dabei sechs „smarte“ Bereiche: Wirtschaft, BewohnerInnen, Governance, Mobilität, Umwelt und Wohnen. Dieses Konzept wurde u. a. auch von der Europäischen Kommission aufgegriffen und von zahlreichen ForscherInnen weiterverfolgt (vgl. z. B. Caragliu et al. 2011, Vanolo 2014, Meijer/Bolívar 2016, Bassi 2017, Libbe 2018).
- So hat beispielsweise Cisco Ende der 1990er ein Public-private-Partnership zur Finanzierung einer IKT-Infrastruktur in Mailand zuwege gebracht. IBM ist im Rahmen von Smart-City-Projekten in Städten wie New York, Chicago, Madrid und in Italien im Sicherheitsmanagement, dem Gesundheitswesen und der Energieverteilung involviert.
Gudrun Haindlmaier,
geboren 1982 in Linz, studierte Soziologie und Geografie und dissertierte in Sozial-und Wirtschaftswissenschaften. Sie ist Lektorin am Institut für Soziologie sowie Senior Lecturer am Institut für Geografie und Regionalforschung an der Universität Wien. Nachdem sie in der Vergangenheit am Center for ICT&S der Universität Salzburg, an der TU Wien (Fakultät für Raumplanung) sowie bei FACTUM OHG Verkehrs- und Sozialanalysen tätig war, arbeitet sie heute am AIT Austrian Institute of Technology im Center for Innovation Systems and Policy. Ihre aktuellen Forschungsschwerpunkte umfassen Place-based Policies, Regional Innovation Systems, New Urban Governance, Smart Cities sowie Urban Transformation.