Ein autonomer, öffentlicher Bus in der Seestadt Aspern
5. Von der Elektrischen zum elektrischen Busserl

5.3 „Ich sinniere mich durch den Wiener Untergrund“

Wojciech Czaja im Gespräch mit Sabine Fasching

Portrait von Sabine Fasching

Sabine Fasching arbeitet seit drei Jahren als U-Bahn-Fahrerin für die Wiener Linien. Sie liebt die Dunkelheit und somit auch die unterirdischen U-Bahn-Strecken. Taucht sie dennoch mal aus der Röhre nach oben, ist sie vom schnellen Wachstum Wiens an seinen städtischen Rändern fasziniert. Und dann wäre da noch die Sache mit Berlin.

Seit drei Jahren arbeiten Sie als U-Bahn-Fahrerin für die Wiener Linien. Warum ausgerechnet dieser Job?

Fasching: Ich wollte zu den Wiener Linien und habe mir kurz überlegt, ob ich nicht als Straßenbahnfahrerin anheuern soll. Aber letztendlich habe ich mich für die U-Bahn entschieden. Ich liebe die Finsternis.

Warum?

Fasching: Dunkelheit hat für mich absolut nichts Bedrohliches. Sie ist angenehm und beruhigend. Sie trägt dazu bei, dass man hochkonzentriert bei der Sache ist, durch nichts abgelenkt wird, aber dennoch ganz bei sich bleibt und über das Leben nachdenken kann. Ich sinniere mich durch den Wiener Untergrund.

Welche ist die dunkelste U-Bahn-Linie Wiens?

Fasching: Die U3. Meine absolute Lieblingslinie! In Ottakring und in Erdberg ist man kurz an der Oberfläche, um zu checken, wie spät es ist, wie das Wetter gerade ist, aber die meiste Zeit fährt man unter Tag. Ist das nicht wunderbar?

Die U2, die vom Prater bis zur Seestadt überirdisch fährt, ist nicht Ihr Ding?

Fasching: Ich befahre die U2 genauso oft wie die U1, U3 und U4. Das ist mein Job. Nur die U6 fällt nicht in mein Repertoire, weil sie aufgrund der Oberleitung und der ganz anderen Garnituren eine eigene Ausbildung verlangt. Aber ja, keine Frage, lieber als auf der Zweier fahre ich auf der Dreier!

Was gefällt Ihnen sonst noch an diesem Beruf?

Fasching: Es ist ein Job, in dem Männer und Frauen absolut gleichberechtigt sind. Ich habe die gleichen Rechte und Pflichten wie meine männlichen Kollegen. Und ich verdiene keinen Cent weniger. Ich fahre im Wochenrhythmus abwechselnd Früh- und Spätdienst. Und das Allerbeste ist: Meine freien Tage liegen unter der Woche. Mein Wochenende ist Mittwoch und Donnerstag.

Und was sind die Schattenseiten?

Fasching: Das weiß ich nicht. Denn, naja, die Schattenseite ist eigentlich meine Sonnenseite.

Wie oft passieren Zwischenfälle?

Fasching: Zweimal im Jahr passiert ein Zwischenfall mit einem defekten Zug oder mit einer Störung auf der Strecke oder in der Station. Zum Glück hatte ich noch nie einen Unfall. Das möge so bleiben!

Als U-Bahn-Fahrerin sehen Sie täglich Tausende Menschen, werden aber selbst nur von wenigen wahrgenommen. Wie ist das?

Fasching: Ich sehe Unmengen von Menschen, in jeder Station, alle paar Minuten immer wieder neue Gesichter. An manchen Tagen, zu manchen Uhrzeiten, in manchen Stationen sieht man immer wieder die gleichen Menschen, tagein, tagaus, und baut zu ihnen fast schon eine Art Beziehung auf – zum Herrn mit der Sporttasche, zur Frau mit dem Labrador-Blindenhund, zu der Gruppe Jugendlicher, die immer gemeinsam in die Schule fährt. Einen Rollstuhlfahrer habe ich jetzt schon länger nicht mehr gesehen. Seit ein paar Wochen frage ich mich schon: Ist er umgezogen? Oder ist er vielleicht einfach nur auf Urlaub?

Wie oft werden Sie von Passagieren gesehen und angesprochen?

Fasching: Öfter als man vermuten würde! Immer wieder nehmen die Passagiere am Bahnsteig mit mir Augenkontakt auf, winken mir zu, wünschen mir schöne Ostern, fröhliche Weihnachten. Manchmal schauen Eltern mit ihren kleinen Kindern im Arm in die Fahrerkabine hinein, dann mache ich das Fenster auf, und wenn es nur für ein paar Sekunden ist. Einmal haben sich fünf Burschen nach dem Aussteigen am Bahnsteig neben mir aufgestellt und haben sich bedankt und verbeugt, weil ich beim Zusteigen, als sie zum Zug gelaufen sind, noch auf sie gewartet habe. Solche Begegnungen bereichern den Job.

Sabine Fasching blickt aus der Fahrerkabine der Silberpfeil-Waggons

Die Stadt wächst, und mit ihr wächst auch das U-Bahn-Netz mit. Wie nehmen Sie die Veränderungen wahr?

Fasching: Je länger die U-Bahn-Strecke, desto weniger Fahrten absolviere ich in einer Schicht. Gerade bei den Stadterweiterungsgebieten an den Enden der U1 und U2 sieht man im Wochen- und Monatsrhythmus, wie sich die Stadt permanent verändert. Unglaublich, wie schnell und intensiv da gebaut wird ...

Wie verändern sich die Menschen?

Fasching: Lustig finde ich, dass es zwei Stationen gibt, die sehr von Sakko- und Krawattenträgern geprägt sind: Erdberg und Kaisermühlen, wo die UNO-City liegt. Da erkennt man ganz gut die Business-Konzentrationen in der Stadt. Und bei den neuen Stadterweiterungsgebieten wie der Seestadt Aspern sehe ich vor allem eines: Vielfalt, Vielfalt, Vielfalt.

Haben Sie einen Wunsch für die Zukunft?

Fasching: Für die Wiener Linien wünsche ich mir, dass der Bau der U2 und U5 gut und reibungslos über die Bühne geht. Für mich persönlich wünsche ich mir, dass ich einmal – quasi in der Anfangsphase, noch bevor die autonome Betriebsphase startet – mit der neuen U5 fahren kann. Aber wissen Sie, was mein größter Traum ist?

Sagen Sie!

Fasching: Alle reden davon, dass Berlin so eine tolle Stadt ist. Auch ich liebe Berlin. Doch am liebsten würde ich mir Berlin aus der Fahrerkanzel eines gelben U-Bahn-Waggons anschauen. Das wäre mein Berlin!

Sabine Fasching,

geboren 1971 in Mürzzuschlag, arbeitete bis zu ihrem 46. Lebensjahr als selbstständige Fitness-Trainerin. 2017 hat sie beschlossen, einen Berufsumstieg zu machen und bewarb sich bei den Wiener Linien als U-Bahn-Fahrerin. Die Ausbildung zur U-Bahn-Lenkerin dauert insgesamt zwölf Wochen.