4.5 Stadt der vielen Zentren
Orte, an denen das Leben der Stadt pulsiert, entstehen nicht zufällig. Das Fachkonzept Mittelpunkte des städtischen Lebens. Polyzentrale Stadt definiert Prozesse und Werkzeuge, die bestehende und künftige Zentren für die Herausforderungen der Zukunft rüsten.
Franziska Leeb
„Wir wollen ein Wien der vielen Zentren“, betont Katharina Conrad, Raumplanerin in der MA 18 und Projektleiterin des Fachkonzepts Mittelpunkte des städtischen Lebens. Polyzentrale Stadt. Im Dezember 2019 wurde die Leitlinie im Gemeinderat beschlossen. „Das Besondere daran ist“, so Conrad, „dass es so ein fachübergreifendes Konzept für Wien noch nie gegeben hat.“ Erstmals wurden nun konkrete Strategien und Handlungsfelder für die Planung bestehender und neuer Zentren ausgearbeitet. Wien ist eine polyzentrale Stadt, wo die Ortskerne der in der wachsenden Großstadt aufgegangenen Vororte und Gemeinden nach wie vor im Stadtplan ablesbar sind. Etliche behielten ihre Funktion als Kristallisationsorte des urbanen Lebens, anderen setzten die zunehmende Motorisierung und der wirtschaftliche Strukturwandel zu. Sie wurden zu Durchzugsstraßen oder leiden an Leerstand.
Um ihre Rolle als Mittelpunkt städtischen Lebens erfüllen zu können, müssen Zentren über eine Reihe an Charakteristika verfügen. Eine wesentliche Basis, um eine gewisse Mindestfrequenz zu sichern, bildet die Mischung unterschiedlicher Funktionen – etwa Einzelhandel, Dienstleistungen, Gastronomie, Kultur- und Freizeiteinrichtungen sowie natürlich Wohnen. Zentren sollen gleichermaßen gut an das öffentliche Verkehrsnetz angebunden wie auf attraktiven Wegen zu Fuß oder mit dem Rad erreichbar sein und konsumfrei nutzbaren öffentlichen Raum aufweisen, der zum Verweilen und Flanieren einlädt.
In einem räumlichen Leitbild wurde eine dreistufige Zentrenhierarchie festgelegt. Als „Metropolzentren“ mit weit über die Stadtgrenzen hinausgehender Bedeutung gelten die Innere Stadt und die Mariahilfer Straße. „Hauptzentren“ wie die Praterstraße oder die Favoritenstraße verfügen über Anziehungswirkung im Standortbezirk und den benachbarten Bezirken sowie über ein vielfältiges Angebot an Waren und Dienstleistungen. „Quartierszentren“ hingegen mit einem Einflussbereich in ihrem näheren Umfeld wie Gersthof, der Maurer Hauptplatz oder die Großfeldsiedlung ergänzen das Angebot der höherrangigen Zentrumstypen.
In der Seestadt Aspern ist derzeit das 20. Hauptzentrum im Entstehen. Und mit den Stadtentwicklungsgebieten Hausfeld, Donaufeld, Nordwestbahnhof, In der Wiesen und Rothneusiedl gesellen sich nach und nach neue Quartierszentren zu den bereits 27 bestehenden hinzu. Um diese bunte und vielfältige Landschaft von insgesamt 53 Zentren zu erhalten und zu entwickeln, wurden 20 Handlungsfelder festgelegt.
Eine wichtige Rolle kommt der Gestaltung des öffentlichen Raumes zu, die auf Alltagstauglichkeit, soziale Gerechtigkeit und Verbesserung des Mikroklimas zu achten hat. Die Erdgeschosse sollen offen, einsichtig und barrierefrei zugänglich sein, Arkaden und bauliche Beschattungen erlauben eine witterungsunabhängige Nutzung, Mindestgeschosshöhen erhöhen die Nutzungsspielräume. Förderungen für deren unternehmerische Nutzung sollen prioritär in den Haupt- und Quartierszentren vergeben werden. Ein Erdgeschosszonen-Management, wie es bereits erfolgreich in der Seestadt und im Nordbahnviertel praktiziert wird, ist essenziell, um in neuen Zentren konkurrenzfähige Standorte zu entwickeln. Mit den höheren Mieten von Handelsketten können beispielsweise Flächen für weniger ertragreiche Nutzungskonzepte quersubventioniert werden.
Auch wenn das Fachkonzept dezidiert kein Handelskonzept ist, definiert es doch wesentliche Planungsschritte zur Steuerung des großflächigen Einzelhandels. Denn Wien verfügt mit 1,5 Quadratmetern pro Kopf über einen sehr hohen Anteil an Einzelhandelsfläche – das ist etwa doppelt so viel wie in London! Deshalb werden im Sinne der Stadtverträglichkeit und eines sparsamen Umgangs mit der Ressource Boden begleitende städtebauliche Vorgaben für Einkaufszonen in der Bauordnung verankert: Der Schwellenwert für Einkaufszentren wird dabei von 2.500 auf 1.600 Quadratmeter herabgesetzt. Außerdem werden einheitliche Anforderungen für die Raumverträglichkeitserklärung festgelegt.