Ein Mann und eine Frau fahren auf ihren Fahrrädern eine Straße entlang
Mann fährt mit einem Lastenfahrrad durch die Seestadt Aspern

Eine vorausschauende Verkehrsplanung hat in Wien Tradition. Das von einem Monitoring begleitete aktuelle Fachkonzept Mobilität definiert Handlungsfelder und setzt ambitionierte Ziele.

Franziska Leeb

Als die Wiener Linien im Mai 2012 die Kosten der Jahreskarte auf 365 Euro senkten, stieg die Anzahl der Jahreskartenbesitzerinnen binnen eines Jahres um 140.000. 2019 waren es mit 852.000 bereits mehr als doppelt so viele wie vor der Tarifanpassung. So spektakulär der Effekt der preiswerten Tickets scheinen mag, so wenig hat sich seither der Anteil des öffentlichen Verkehrs am Modal Split verändert. Damit zeigt sich, dass es eine Kombination mehrerer Maßnahmen erfordert, um nachhaltige Mobilität für die Menschen attraktiv zu machen.

Das erste umfassende Verkehrskonzept für Wien veröffentlichte die MA 18 bereits 1970. Schon damals wurde dem öffentlichen Verkehr höchste Priorität eingeräumt. Otto Engelberger, damals oberster Verkehrsplaner, postulierte 1969 in der Zeitschrift Der Aufbau, dass es niemals das Ziel einer Verkehrsplanung sein könne, „für immer mehr Fahrzeuge den Raum zum Fahren und Abstellen (...) zu schaffen. Vielmehr müssen für die Gesamtheit der Bevölkerung alle jene Verkehrsmöglichkeiten zur Verfügung gestellt werden, die für die modernen Lebensformen im wirtschaftlichen, im beruflichen sowie im persönlichen Bereich unerlässlich und mit ihnen vereinbar sind.“ Stadtplanung und Verkehrsplanung müssten untrennbar miteinander verbunden sein. Keine Planung könne ohne die anderen erfolgsversprechende Lösungen erarbeiten.

Das Ziel einer nachhaltigen Mobilität ist also nichts grundsätzlich Neues. Somit ist das aktuelle Fachkonzept Mobilität im Kontext der 50-jährigen Tradition einer langfristigen und sich kontinuierlich entwickelnden Wiener Verkehrsplanung zu betrachten. Geändert haben sich die Rahmenbedingungen: Das Bevölkerungswachstum, neue Technologien wie etwa Digitalisierung und Elektromobilität, Sharing-Systeme, neue Strategien für die städtische Güterlogistik und ein gewachsenes Interesse am öffentlichen Raum schaffen günstige Konstellationen für eine neue Mobilitätskultur. Um sie – im Idealfall über die Stadtgrenzen hinaus – umzusetzen, ist das Zusammenspiel vieler Akteure und nicht zuletzt politischer Wille unerlässlich.

Attraktive Gehwege und Radwege als Anreize für eine aktive, muskelgetriebene Mobilität, staufreier Fließverkehr, ausreichend Parkplätze und Lieferzonen, Platz für Bäume und im Sommer zudem für schöne, attraktive Schanigärten: Der öffentliche Raum ist ein konfliktreiches Feld. Um ihn gerecht zu teilen, sind Kompromisse notwendig.

Frau sitzt in einer begrünten Bushaltestelle

Zahlreiche Inhalte des Fachkonzepts flossen bereits in das rot-grüne Regierungsübereinkommen 2015 ein, in dem sich die Stadtregierung zu einer ressourcenschonenden Mobilität bekannte, „die die Umwelt und Gesundheit der WienerInnen möglichst gering belastet und für alle leistbar, zugänglich und sicher ist“. 80:20 lautet in Zahlen gefasst das wichtigste Ziel. Das heißt: Bis 2025 sollen 80 Prozent der Wege mit öffentlichen Verkehrsmitteln, auf dem Rad oder zu Fuß zurückgelegt werden. Der Anteil des motorisierten Individualverkehrs, so der Plan, soll zugleich von derzeit 28 auf 20 Prozent gesenkt werden. Eine Reihe von Pilotprojekten, die als Vorboten für grundlegende Veränderungen gedeutet werden können (Lastenräder, E-Ladestationen, Bike- und Carsharing-Systeme etc.), macht sich bereits im Stadtalltag bemerkbar.

Kinder auf dem Fahrrad überqueren eine Kreuzung am Radweg

In der Seestadt Aspern wird schon jetzt eine mögliche Zukunft der Wiener Mobilität erprobt und gelebt. Lange bevor die ersten Wohnungen bezogen waren, wurde die U2 in den neuen Stadtteil verlängert. Flächendeckend gilt ein Stellplatzregulativ von 0,7 Parkplätzen pro Wohneinheit in Sammelgaragen. Die Abstellmöglichkeiten im öffentlichen Raum sind stark limitiert, es bleibt also mehr Platz für breite Gehwege und autofreie Plätze. Mit Abgaben aus Garagenerrichtung und -betrieb wird ein Mobilitätsfonds gespeist, aus dem eine Reihe an Angeboten finanziert wird, die der Seestadt-Bevölkerung das autofreie Leben erleichtern. Ein Vorbild für andere Stadtentwicklungsgebiete – auch international.

Ökologisches Ziel für 2025

Grafik für das ökologische Ziel für 2025: Nur noch 20 % motorisierter Individualverkehr
Innenansicht der U-Bahn-Station Praterstern

Ziele und Indikatoren

„Fair“

Symbolbild zur Veranschaulichung der Steigerung des Rad-, Fußverkehrs und des öffentlichen Verkehrs

Wirkungsziel
Der Anteil der Flächen für den Rad-, Fußverkehr und den öffentlichen Verkehr steigt in Summe bei allen Umbau- und Straßenerneuerungsprojekten.

„Gesund“

Symbolbild zur Veranschaulichung, dass die tägliche, aktive Bewegung der Bevölkerung steigt

Wirkungsziel
Der Anteil der Wiener Bevölkerung, der täglich 30 Minuten aktiv Bewegung in der Alltagsmobilität macht, steigt von 23 % 2013 auf 30 % im Jahr 2025. Die Anzahl der Verkehrstoten und der verkehrsbedingten Verletzten sinkt weiter.

„Robust“

Symbolbild zur Veranschaulichung, dass die CO2-Emissionen fallen werden

Wirkungsziel
Die CO2-Emissionen des Verkehrs im Wiener Straßennetz (gemäß EMIKAT-Definition) sinken um ca. 20 % von rund 2,1 Mio. t/Jahr (2010) bis 2025 auf rund 1,7 Mio. t/Jahr. Die Verlässlichkeit des öffentlichen Verkehrs bleibt auf hohem Niveau. Die Fahrradverfügbarkeit steigt: Bis 2025 soll in 80 % der Haushalte ein Fahrrad verfügbar sein, und 40 % der Bevölkerung sollen eine Leihradstation in maximal 300 Metern Entfernung erreichen können. Bis 2025 sollen 50 % der Bevölkerung einen Carsharing-Standort in maximal 500 Metern Entfernung erreichen können.

„Ökologisch“

Symbolbild des Modal Split, welcher sich auf 80:20 bis zum Jahre 2025 erhöhen soll.

Wirkungsziel
Der Modal Split der WienerInnen ändert sich, ausgehend vom Verhältnis 72:28 im Jahr 2013, bis 2025 auf 80 % im Umweltverbund und 20 % im motorisierten Individualverkehr. Der Modal Split des Verkehrs in Wien verschiebt sich in Richtung Umweltverbund.

„Kompakt“

Symbolbild zur Veranschaulichung, dass der Anteil der Versorgungs-, Begleit- und Freizeitwege steigen wird

Wirkungsziel
Der Anteil der Versorgungs-, Begleit- und Freizeitwege, die zu Fuß oder mit dem Rad erledigt werden, steigt von 38,8% im Jahr 2013 auf 45% im Jahr 2025.

„Effizient“

Symbolbild zur Veranschaulichung, dass der absolute Endenergieverbrauch im Wiener Verkehr sinken wird

Wirkungsziel
Der absolute Endenergieverbrauch im Wiener Verkehr (gemäß EMIKAT-Definition) sinkt bis 2025 um ca. 20 % auf rund 7,3 TWh, verglichen mit rund 9,1 TWh 2010.

Raumverbrauch pro Person nach Verkehrsmitteln

Symbolbild zur Veranschaulichung des Raumverbrauchs pro Person nach Verkehrsmitteln: 1 Person zu Fuß verbraucht 0,8 m², 1 Fahrradfahrer verbraucht 3m², in einem PKW mit 5 Personen bei 10 km/h verbraucht eine Person 6,2m², in einem PKW mit 5 Personen bei 40km/h verbraucht eine Person 20m², in einem PKW mit 1 Person bei 10 km/h verbraucht eine Person 18,7 m², in einem PKW mit 1 Person bei 40 km/h verbraucht eine Person 60m², in einem Bus vollbesetzt bei 10 km/hh verbraucht eine Person 3,1m², in einem Bus vollbesetzt mit 40km/h verbraucht eine Person 9,4m², in einem Zug vollbesetzt mit 10 km/h verbraucht eine Person 1,5m², in einem Zug vollbesetzt bei 40km/ verbraucht eine Person 4,6m²
Innenansicht der U-Bahn-Station Schottentor / Universität