4.2 Miteinander mobil
Eine vorausschauende Verkehrsplanung hat in Wien Tradition. Das von einem Monitoring begleitete aktuelle Fachkonzept Mobilität definiert Handlungsfelder und setzt ambitionierte Ziele.
Franziska Leeb
Als die Wiener Linien im Mai 2012 die Kosten der Jahreskarte auf 365 Euro senkten, stieg die Anzahl der Jahreskartenbesitzerinnen binnen eines Jahres um 140.000. 2019 waren es mit 852.000 bereits mehr als doppelt so viele wie vor der Tarifanpassung. So spektakulär der Effekt der preiswerten Tickets scheinen mag, so wenig hat sich seither der Anteil des öffentlichen Verkehrs am Modal Split verändert. Damit zeigt sich, dass es eine Kombination mehrerer Maßnahmen erfordert, um nachhaltige Mobilität für die Menschen attraktiv zu machen.
Das erste umfassende Verkehrskonzept für Wien veröffentlichte die MA 18 bereits 1970. Schon damals wurde dem öffentlichen Verkehr höchste Priorität eingeräumt. Otto Engelberger, damals oberster Verkehrsplaner, postulierte 1969 in der Zeitschrift Der Aufbau, dass es niemals das Ziel einer Verkehrsplanung sein könne, „für immer mehr Fahrzeuge den Raum zum Fahren und Abstellen (...) zu schaffen. Vielmehr müssen für die Gesamtheit der Bevölkerung alle jene Verkehrsmöglichkeiten zur Verfügung gestellt werden, die für die modernen Lebensformen im wirtschaftlichen, im beruflichen sowie im persönlichen Bereich unerlässlich und mit ihnen vereinbar sind.“ Stadtplanung und Verkehrsplanung müssten untrennbar miteinander verbunden sein. Keine Planung könne ohne die anderen erfolgsversprechende Lösungen erarbeiten.
Das Ziel einer nachhaltigen Mobilität ist also nichts grundsätzlich Neues. Somit ist das aktuelle Fachkonzept Mobilität im Kontext der 50-jährigen Tradition einer langfristigen und sich kontinuierlich entwickelnden Wiener Verkehrsplanung zu betrachten. Geändert haben sich die Rahmenbedingungen: Das Bevölkerungswachstum, neue Technologien wie etwa Digitalisierung und Elektromobilität, Sharing-Systeme, neue Strategien für die städtische Güterlogistik und ein gewachsenes Interesse am öffentlichen Raum schaffen günstige Konstellationen für eine neue Mobilitätskultur. Um sie – im Idealfall über die Stadtgrenzen hinaus – umzusetzen, ist das Zusammenspiel vieler Akteure und nicht zuletzt politischer Wille unerlässlich.
Attraktive Gehwege und Radwege als Anreize für eine aktive, muskelgetriebene Mobilität, staufreier Fließverkehr, ausreichend Parkplätze und Lieferzonen, Platz für Bäume und im Sommer zudem für schöne, attraktive Schanigärten: Der öffentliche Raum ist ein konfliktreiches Feld. Um ihn gerecht zu teilen, sind Kompromisse notwendig.
Zahlreiche Inhalte des Fachkonzepts flossen bereits in das rot-grüne Regierungsübereinkommen 2015 ein, in dem sich die Stadtregierung zu einer ressourcenschonenden Mobilität bekannte, „die die Umwelt und Gesundheit der WienerInnen möglichst gering belastet und für alle leistbar, zugänglich und sicher ist“. 80:20 lautet in Zahlen gefasst das wichtigste Ziel. Das heißt: Bis 2025 sollen 80 Prozent der Wege mit öffentlichen Verkehrsmitteln, auf dem Rad oder zu Fuß zurückgelegt werden. Der Anteil des motorisierten Individualverkehrs, so der Plan, soll zugleich von derzeit 28 auf 20 Prozent gesenkt werden. Eine Reihe von Pilotprojekten, die als Vorboten für grundlegende Veränderungen gedeutet werden können (Lastenräder, E-Ladestationen, Bike- und Carsharing-Systeme etc.), macht sich bereits im Stadtalltag bemerkbar.
In der Seestadt Aspern wird schon jetzt eine mögliche Zukunft der Wiener Mobilität erprobt und gelebt. Lange bevor die ersten Wohnungen bezogen waren, wurde die U2 in den neuen Stadtteil verlängert. Flächendeckend gilt ein Stellplatzregulativ von 0,7 Parkplätzen pro Wohneinheit in Sammelgaragen. Die Abstellmöglichkeiten im öffentlichen Raum sind stark limitiert, es bleibt also mehr Platz für breite Gehwege und autofreie Plätze. Mit Abgaben aus Garagenerrichtung und -betrieb wird ein Mobilitätsfonds gespeist, aus dem eine Reihe an Angeboten finanziert wird, die der Seestadt-Bevölkerung das autofreie Leben erleichtern. Ein Vorbild für andere Stadtentwicklungsgebiete – auch international.
Ökologisches Ziel für 2025
Ziele und Indikatoren
„Fair“
Wirkungsziel
Der Anteil der Flächen für den Rad-, Fußverkehr und den öffentlichen Verkehr steigt in Summe bei allen Umbau- und Straßenerneuerungsprojekten.
„Gesund“
Wirkungsziel
Der Anteil der Wiener Bevölkerung, der täglich
30 Minuten aktiv Bewegung in der Alltagsmobilität macht, steigt von 23 % 2013 auf 30 % im Jahr 2025. Die Anzahl der Verkehrstoten und der verkehrsbedingten Verletzten sinkt weiter.
„Robust“
Wirkungsziel
Die CO2-Emissionen des Verkehrs im Wiener Straßennetz (gemäß EMIKAT-Definition) sinken um ca. 20 % von rund 2,1 Mio. t/Jahr (2010) bis 2025 auf rund 1,7 Mio. t/Jahr. Die Verlässlichkeit des öffentlichen Verkehrs bleibt auf hohem Niveau. Die Fahrradverfügbarkeit steigt: Bis 2025 soll in 80 % der Haushalte ein Fahrrad verfügbar sein, und 40 % der Bevölkerung sollen eine Leihradstation in maximal 300 Metern Entfernung erreichen können. Bis 2025 sollen 50 % der Bevölkerung einen Carsharing-Standort in maximal 500 Metern Entfernung erreichen können.
„Ökologisch“
Wirkungsziel
Der Modal Split der WienerInnen ändert sich, ausgehend vom Verhältnis 72:28 im Jahr 2013, bis 2025 auf 80 % im Umweltverbund und 20 % im motorisierten Individualverkehr. Der Modal Split des Verkehrs in Wien verschiebt sich in Richtung Umweltverbund.
„Kompakt“
Wirkungsziel
Der Anteil der Versorgungs-, Begleit- und Freizeitwege, die zu Fuß oder mit dem Rad erledigt werden, steigt von 38,8% im Jahr 2013 auf 45% im Jahr 2025.
„Effizient“
Wirkungsziel
Der absolute Endenergieverbrauch im Wiener Verkehr (gemäß EMIKAT-Definition) sinkt bis 2025 um ca. 20 % auf rund 7,3 TWh, verglichen mit rund 9,1 TWh 2010.