4.3 Die Fabrik zwischen den Häusern
Das Fachkonzept Produktive Stadt schafft eine Grundlage für den Erhalt und die Schaffung von Betriebsstandorten und ist eine wesentliche Leitlinie für die künftige Stadtentwicklung.
Franziska Leeb
Ist von urbaner Lebensqualität die Rede, geht es meist um leistbare Wohnungsversorgung, um funktionierenden öffentlichen Verkehr, um gut organisierte kommunale Verwaltung, um Sicherheit, um hochwertige Bildungseinrichtungen, um ein breites kulturelles Angebot und um ein reichhaltiges Spektrum an Freizeitaktivitäten. Oft übersehen werden dabei die Räume für Arbeit.
Zahlreiche Straßennamen in Wien, von der Autofabrikstraße bis zur Zieglergasse, erinnern daran, dass seit dem Mittelalter die Stadt von produzierenden Betrieben durchsetzt war und immer noch ist. Dort, wo man wohnte, wurden über Jahrhunderte auch die Produkte des täglichen Bedarfs hergestellt. Mit zunehmender Industrialisierung und Motorisierung wanderten die Betriebe aus dem dichten Stadtgebiet allmählich an die Ränder. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts und im beginnenden 21. Jahrhundert wurden, damit das Angebot an leistbaren Wohnungen mit dem Bevölkerungswachstum Schritt halten kann, zahlreiche Industriestandorte in Wohnquartiere umgebaut.
Wienerberggründe, KDAG-Gründe, Mautner-Markhof-Gründe, Waagner-Biro-Gründe und viele mehr: Orte, an denen zuvor Baustoffe, Kabel, Senf oder Stahlwaren produziert wurden, stehen heute synonym für Wohnadressen. In den innerstädtischen Vierteln sind die Tischlereien und Schlossereien, die August Stauda, Dokumentarist des alten Wien, um 1900 in seinen Fotografien festgehalten hat, nach und nach Wohn- und Bürohäusern mit Garageneinfahrten und Müllräumen in den Erdgeschossen gewichen. Wo alte Strukturen erhalten blieben, wurden die Mieten für produzierende Kleinbetriebe oft unerschwinglich.
Dennoch ist Wien nach wie vor eine produktive Stadt. Ob in der Warenherstellung, im Energie- und Umweltbereich oder in traditionellen und neuen Handwerken: Im produktiven Sektor erarbeiten rund 300.000 Menschen ein Drittel der Wiener Wirtschaftsleistung. Um die Standorte für all diese Wirtschaftszweige zu schützen und ihnen weiterhin geeignete Raumangebote zur Verfügung zu stellen, tritt die Stadt Wien mit dem Fachkonzept Produktive Stadt der jahrzehntelangen Praxis der Reduktion von Flächen für die Produktion im urbanen Milieu aktiv entgegen.
Für drei Typen an Betriebszonen wurden Maßnahmen als Leitfaden für Akteure und Akteurinnen der Stadtplanung und Standortentwicklung formuliert: In industriell-gewerblichen Gebieten – also einschlägig gewidmeten Arealen, die nicht mit Wohnnutzungen kompatibel sind–soll der störungsfreie Betrieb gesichert, infrastrukturell aufgewertet und um derzeit untergenutzte Flächen erweitert werden. In gewerblichen Mischgebieten, die sich durch eine gute Lage im Stadtgebiet auszeichnen, wird das Ergänzen, Überbauen und Verdichten durch Wohnen an eine Reihe von Bedingungen geknüpft. Beispielsweise soll der Wohnanteil 50 Prozent der Kubatur nicht übersteigen, der Rest muss für leistbare Produktions- und Gewerbeflächen zur Verfügung stehen. Und an Einzelstandorten innerhalb der Stadtstruktur ist Nachverdichtung nur dann gewünscht, wenn die bestehende Betriebsnutzung integriert wird und ein störungsfreier Betrieb gewährleistet werden kann.
Wer nah an seinem Wohnort arbeiten kann, muss nicht im Stau stehen. Wer Betriebe, die Elektrogeräte reparieren und alte Möbel überholen, in der Nähe hat, ist nicht gezwungen, Teil der Wegwerfgesellschaft zu werden. Und wo produzierende Betriebe in großer Vielfalt ansässig sind, gibt es auch Arbeitsplätze für alle Bevölkerungsschichten – auch jenseits des boomenden Dienstleistungssektors und jenseits schicker Creative Industries. Es geht also nicht um Manufaktur-Romantik, sondern schlicht darum, der Produktion von Gütern des täglichen Lebens geeigneten Raum zu bieten. Es geht, um es noch deutlicher zu sagen, um die Entwicklung und Sicherung einer wirtschaftlich, sozial und ökologisch nachhaltigen Stadt.
Industriell-Gewerbliches Gebiet
Flächen gesamt 1.900 ha Flächenreserven
- Rund 150 ha Widmungsreserven innerhalb der bestehenden Betriebszonen
- Rund 50 ha noch nicht entsprechend gewidmete Flächen
- Uneingeschränkter Betrieb
- Für Betriebe passende Ausstattung
- Gute Erreichbarkeit über Straßennetz
- Leistbar
Proaktives Flächenmanagement insbesondere durch:
- Ausbau des Quartiersmanagements
- Verbesserungsmaßnahmen
- Kleine Gebietsergänzungen
- Baulandmobilisierung
- Stadtplanung Wien
- Wirtschaftsagentur Wien
- Interessenvertretungen
- Unternehmen
Gewerbliches Mischgebiet
- Flächenbestand: 200 ha
- Gute Lage im Stadtgebiet
- Guter Anschluss an ÖV und IV
- Mehrgeschossige Bebauung
- Vielfalt und Nutzungsmix
- Ergänzen, Überbauen, Verdichten
- Voraussetzung: Vorlage eines Entwicklungskonzeptes
- Qualitätssichernde Leitbildentwicklung
- Managementstrukturen
- Pilotprojekte
- Stadtplanung Wien
- ProjektwerberIn
- EntwicklerInnen
- Wirtschaftsagentur Wien
- Interessenvertretungen
- Unternehmen am Standort
- Planungsteams
- ExpertInnen aus Forschung und Lehre
Integrierte Einzelstandorte
- Flächenbestand: 250 ha
- Einzelstandorte: 220
- Ziel: Bestandsflächen schützen
- Traditionelle integrierte Standorte
- Handwerk, Gewerbe
- Kurze Wege, lokale KundInnen
- Sichern der Einzelstandort
- Feststellungsverfahren
- Nur wenn nachweislich nicht mehr betrieblich nutzbar: Umwandlung und Kompensation
- Unternehmen
- Stadtplanung Wien
- Interessenvertretungen
- Wirtschaftsagentur Wien
- EntwicklerInnen