3.5 Stadtplan 2100
Der Stadtentwicklungsplan zum Ende des Jahrhunderts. Ein Blick in die urbane Planungszukunft.
Von Andrea Maria Dusl, Realisatrice im Bureau Comandantina
*** PRESSEMELDUNG *** DIE URBANA WIEN (VOR 2050: GEMEINDE WIEN) ANNUNZIERT, WAS IN DEN JAHRZEHNTEN ZUVOR NOCH METROPOLAGENDA (META) UND CITYFUTURPROP (CIFUP) UND URBANPROSPEKTION (UPRO) GEHEISSEN HATTE. DAS AKTUELLE PUBLIKAT NENNT SICH, IN SENTIMENTALER RETROSPEKTION AUF 2025, WIEDER STADTENTWICKLUNGSPLAN (STEP).
Wie wird unsere Urbana in den kommenden Jahren aussehen? Welche Herausforderungen erwachsen der Urbanaplanung? Welche Schwerpunkte für das Jahr 2100 zeichnen sich ab? Und was wurde in den vergangenen Jahren (und Jahrzehnten) schon in die Wege geleitet?
Der Fokus des STEP 2100 liegt auf der finalen Entflechtung der ehemaligen Mobilitätsachsen. Das Konzept dieser Achsen, die Losangelisierung der Urbanas, stammt aus der Verbrennungsmotorenzeit (VMZ), es orientierte sich am Modell eines Blutkreislaufs. Mit dem Wegfall der Arbeitsmobilität (ab 2045) war das Konzept obsolet geworden. Ein unterirdisches Distributionsmyzel (DIMY) mit autarken Güter-Pods, People-Pods und Infrastruktur-Pods übernahm den Transport in der Urbana. Der STEP 2100 sieht eine Optimierung des DIMY vor. Der geologische Untergrund der Urbana Wien jedoch stellt hohe technische Herausforderungen an das Myzel-Printing. Urban Printing (die befasste kommunale Einrichtung) steht hier im Austausch mit anderen Urbanas: mit Paris, Köln, Barcelona und Malmö.
Lärm und Luftverschmutzung kennen die meisten nur mehr aus den Erzählungen ihrer Urgroßeltern. Der STEP 2100 sieht eine Steigerung der urbanen Sauerstoffproduktion um 15 Prozent vor. Die CO2-Reduktion soll in etwa gleichem Ausmaß gesenkt werden. 2100 sollen 65 Prozent aller Gebäude mit O2/CO2-Tauschern ausgestattet sein.
Das Primat des Verkehrs liegt auch 2100 auf der Pedestrik und dem Individualverkehr mit Bikos (Fahrrädern), Standos (Rollern) und Seatos (Bus-Pods). Die alten Netze der U-Bahn (ein frühes Konzept aus den 1970er-Jahren, ausgebaut bis 2035) werden aus urbansentimentalen Gründen weiterhin gepflegt. Die Touristen aus anderen Urbanas lieben den Einblick in vergangene Zeit. Beliebteste Linie: die Chillout-Line U6. Zweitbeliebteste Linie: die Seil-Pods auf den Monte Leopoldo.
Drohnen, ein veraltetes Konzept aus der Frühzeit der E-Manzipation, werden in der Distribution nur mehr selten gesehen. Nach Zerschlagung der Konzerne Amazon, Google, Alibaba und Benko sank der Bedarf nach Obsoleszenzprodukten. In der Grünflächenpflege sind Drohnen nach wie vor unabdingbar. Das Problem der Entsorgung fehlerhafter Mikrodrohnen der Generationen IV und Vb ist Teil der Agenda des STEP 2100.
Stradas (Straßen), Plazas (Plätze) und Liberas (Freiflächen) der oberirdischen Urbana wurden ab 2060 nach dem Ideal norditalienischer Städte der frühen Neuzeit umgestaltet. Das hat zu einer architektonischen Uniformität geführt, auf die der STEP 2100 antwortet. Nach Versuchen mit Yorking, Brügging und Palmanoving sollen nun verstärkt andere kommunale Plaza-Konzepte verwirklicht werden.
Liberas (Freiflächen) spielen eine zentrale Rolle im Urbanageschehen. Der KLIWA (Klimawandel) konnte auf dem Niveau von 2037 eingefangen werden. Schattige Oasenhaine nach nordafrikanischem Vorbild bestimmen die Parcos und Plazas. Windachsen kühlen im Sommer, autonom-algorithmierte Schattenregulatoren schirmen ab, die kommunalen Einrichtungen der Urbana sind Energieproduzenten und Kühlzentren zugleich. Eine Senkung der durchschnittlichen sommerlichen Urbana-Temperatur auf unter 30 Grad Celsius ist ein Ziel des STEP 2100.
Die ehemaligen Verkehrsachsen der VMZ (Verbrennungsmotorenzeit) wurden zu begrünten Schattenalleen rückgebaut. Gastronomie-Cluster und Silentio-Cluster wechseln einander ab und werden in regelmäßigen Abständen vom zentralen Algorithmus der Urbana neu definiert. Dazwischen gibt es denkmalgeschützte Retroparks (mit den alten Pflanzensortimenten). Der historische Prater (bis 2047 durch Verbauung vollständig verschwunden) soll im Rahmen des STEP 2100 wieder erstehen – durch kluges Temperaturmanagement möglichweise sogar mit dem alten Baumsortiment.
Die Ausfaserung der Urbana-Grenzen konnte gestoppt werden. Die Urbana Wien hat ab 2050 in Experimentalgebieten zu alten Dorf- und Vorstadtclustern zurückgefunden. Vorbild dafür waren historische Situative aus der Zeit zwischen 1750 und 1840. Wo es möglich war, wurden neohistorische Viertel in ihren ursprünglichen Zustand rückgebaut, beispielsweise die Seestadt Aspern und ihre Schwesternurbanas: die Retroviertel Sonnwend, Nordbahn, und Nordwestbahn. Ähnliches gilt für die historischen Bebauungshöhen. Der STEP 2100 sieht die Hochhäuser Wiens als Teil des urbanen Erbes, die Bebauungshöhe soll in Zukunft sieben Geschosse nicht übersteigen. Der Denkmalschutz wird nicht nur die historischen Viertel, sondern auch die transdanubischen Neo-Urbanas der 2050er-und 2060er-Jahre erfassen. Zentrales Projekt des STEP 2100 ist ein Plan, der ursprünglich schon 2030 gefasst wurde: der Rückbau der regulierten Donau zur historischen, vielarmigen, mäanderndem Auenlandschaft der Zeit vor 1840. Ein modernes Flut-Management nach dem ROTTERDAM-Protokoll wird dieses Projekt ermöglichen.
Andrea Maria Dusl,
geboren 1961 in Wien, ist Filmregisseurin, Autorin und Zeichnerin. Sie studierte Bühnenbildnerei an der Akademie der bildenden Künste sowie Medizin an der Universität Wien. Seit 1985 schreibt und zeichnet sie für österreichische Medien wie etwa Falter, Profil, Format, Der Standard und Salzburger Nachrichten. 2002 erschien ihr Film Blue Moon. Das Thema STEP ist ihr nicht neu: 2017 hat sie den Dritten Baukulturreport des Bundeskanzleramts illustriert.