2.1 Planung, Unsicherheit und Resilienz
Wie plant man Stadt? Wie können städtische Strukturen auf die Zukunft vorbereitet werden? Und welche Ansätze und Erkenntnisse dazu finden sich in der Planungstheorie? Gedanken zum Mikrokosmos Stadt aus Sicht der Soziologie.
Simon Andreas Güntner
Planung ist eine zukunftsgerichtete Praxis, die prognostizierten und projektierten Ereignissen vorausgeht und diese beeinflussen will. Die Zukunft ist derweil Fiktion, erdacht und erzählt, um gegenwärtiges Handeln zu ermöglichen und zu legitimieren. Die angestrebten Handlungen werden dann folgen, wenn sich die projizierte Zukunft als plausible und sinnhafte Orientierung erweist. Die Unsicherheiten, die sich in Vorbereitung der ungewissen Zukunft zeigen, können derweil nicht abschließend ausgeräumt werden. Vielmehr erfordern sie von den Planenden – mittels Szenarien, Prognosen und schließlich auch guter und überzeugender Kommunikation – eine Legitimation für ihre Strategien und die so vorbereiteten und getroffenen politischen Entscheidungen.
In der Planungstheorie finden sich zwei sehr unterschiedliche Zugänge, die Richtung zu weisen und dadurch Handlungssicherheit zu vermitteln. Lange Zeit dominant war das Modell der Steuerung durch eine zentrale und kompetente Instanz, die in Annahme vollständigen und autoritativen Wissens ihre Vorstellung angemessener räumlicher und sozialer Verhältnisse über Masterpläne vorgibt.
Aus der Kritik an der positivistischen und letztlich arroganten Fundierung dieses Planungsverständnisses (und den daraus resultierenden Fehlern) wurde im späten 20. Jahrhundert ein deliberativer Zugang formuliert, der Vielstimmigkeit, Konflikte und Differenzen akzeptiert und der mittels pragmatischer, vorwiegend kleinteiliger und demokratisch ausgehandelter Maßnahmen vorgeht. Bekannt ist vor allem das von Patsy Healy im Zuge der sogenannten „Kommunikativen Wende“ entwickelte Konzept des „Collaborative Planning“.
Diese beiden Pole sowie die zwischen ihnen vermittelnden strategischen Planungsansätze finden sich heute in facettenreichen Varianten in der Planungspraxis wieder – beispielsweise in Form des schrittweisen, projektbasierten „Perspektivischen Inkrementalismus“, der im Zuge der Internationalen Bauausstellung IBA Emscher Park in den 1990er-Jahren formuliert wurde.
Ihre Eigenarten, ihre Stärken und Schwächen im Umgang mit Unsicherheit lassen sich an der Vorbereitung auf Notfälle und Katastrophen, aber auch am Einsatz und Nutzen digitaler Technologien verdeutlichen: Autoritäre Anweisungen setzen auf Kontrolle und suggerierte Effektivität auf Kosten von Freiheit und Vertrauen in digitalen Überwachungsstädten. Dem gegenüber steht ein Zugang, der eher auf Prävention und Solidarität sowie auf die Zusammenarbeit von vernetzten, unter anderem auch zivilgesellschaftlichen Akteuren vertraut. Fußnoten
Smartness und Selbstermächtigung
Der international beachtete Konflikt um das von Google in Toronto betriebene Smart-City-Projekt „Quay Side“ zeigt, was im Einsatz digitaler Technologien derzeit auf dem Spiel steht. So wurden die Planungen von Waterfront Toronto und Sidewalk Labs – einem Tochterunternehmen von Alphabet Inc. – schon bald als antidemokratisches Lehrstück des aufkommenden Überwachungskapitalismus kommentiert. Es folgten Protestaktionen und schließlich auch zahlreiche Rücktritte von prominenten Beteiligten, die dem Projekt gegenüber aufgrund der beabsichtigten Datennutzung und der Verletzung von Persönlichkeitsrechten Vorbehalte äußerten. Die Auseinandersetzung führte in Folge zu einer öffentlichen Debatte über Datensicherheit und Kontrolle und bewirkte weitreichende Umsteuerungen.
Der Smart-City-Ansatz der Stadt Wien hingegen setzt ausdrücklich auf Datensouveränität und Partizipation und steht damit für ein wertebasiertes, demokratisches Modell, das mit den technologie- und marktgetriebenen Varianten wenig mehr als den Namen teilt.
Ein herausragendes, viel beachtetes Beispiel für eine zivilgesellschaftlich initiierte Planung ist die High Line in New York. Die durch Manhattan verlaufende Güterzug-Trasse wurde zuletzt 1980 befahren. Danach war ein Abriss der Hochbahn vorgesehen, um Bauflächen zu gewinnen. Eine 1999 ins Leben gerufene Bürgerinitiative erreichte zunächst die Verhinderung des Abrisses und schließlich die Umnutzung als Parkanlage. Der High Line Park nach Plänen von James Corner und Diller Scofidio + Renfro hat seither zahlreiche Stadtentwicklungs-Projekte inspiriert, nicht zuletzt auch die Planungen am Wiener Nordwestbahnhof.
Der Weg zur resilienten Stadt
Ein Schlüsselkonzept im planerischen Umgang mit einer unsicheren Zukunft in den 2000er-Jahren lautet Resilienz. Als resilient gilt ein System, das in der Lage ist, sich nach einer Störung oder Verwundung selbst zu heilen. Eine Stadt – so die verführerische Vorstellung der Resilienz-orientierten Planung – kann mit vorausschauenden Interventionen auf fundamentale Herausforderungen so vorbereitet werden, dass sie diese überstehen und sich dabei und dadurch sogar noch stärken kann. Dazu müssen Ressourcen eingesetzt und die Konnektivität der relevanten Maßnahmen und Akteure sichergestellt werden. Der städtischen (materiellen und immateriellen, technischen und sozialen) Infrastruktur kommt hier eine zentrale Bedeutung zu.
Bedeutsam zur Stärkung der Resilienz sind beispielsweise aktivierbare Flächenreserven, vielfältige und variable Nutzungsmuster und städtebauliche Strukturen, sichere und nachhaltige Gebäude, in Notfällen rasch einsetzbare Fachkräfte und nicht zuletzt zuverlässige Infrastrukturen. Fußnoten Als naturwissenschaftlicher Import in die Planung ist das Resilienz-Konzept mit einer Reihe von normativen und moralischen Fragen verbunden, so ist etwa zu klären, welche Strukturen erhaltenswert sind und wie die Interventionen sozial gerecht und fair gesetzt werden können. Fußnoten
Gerade im Zusammenhang mit dem Klimawandel ist die sozial ungleiche Belastung und Verwundbarkeit evident: Sogenannte Hitzeinseln finden sich vor allem in jenen Quartieren, die durch beengte Wohnsituationen sowie durch einen Mangel an Freiflächen gekennzeichnet sind. Besonders hoch ist die gesundheitliche Belastung durch Hitze vor allem bei Kindern und älteren Menschen. Auch Strategien zur Stärkung der Resilienz und zum Umgang mit dem Klimawandel fallen im weiten Spektrum zwischen autoritativ-rationaler und deliberativer Planung unterschiedlich aus. Das jeweilige Vorgehen steht in einem engen Zusammenhang mit der lokalen Planungskultur.
Eine Frage der Planungskultur
Eine Planungskultur zeigt sich etwa darin, wie Akteure in der Planung ihre Aufgabe interpretieren. Dazu zählen unter anderem die Problemdeutung, die Art der Kommunikation sowie die Wahl der Instrumente. Planungskulturen sind dabei keinesfalls als starre Konstrukte zu verstehen, sondern dynamisch und in hohem Maße beeinflusst von politischen, sozialen, technologischen, ökonomischen und vielen anderen Entwicklungen und Diskursen, auf die sie wiederum zurückwirken. Fußnoten Sie wirken auch nicht durch die Akteure hindurch, sondern werden von diesen interpretiert und variiert, gegebenenfalls auch gebrochen oder unterlaufen.
Die Suche nach einer einheitlichen Wiener Planungskultur wäre unter diesem Gesichtspunkt vermutlich vergeblich. Denn im Alltag ist eine Planerin mit vielen unterschiedlichen Haltungen und Stilen konfrontiert, die sich zwischen hoheitlichem Gebaren und Aktivismus einordnen lassen, auch wenn die viel beschworenen „Mischungen“ – die in Planungsprozessen Top-down und Bottom-up, im Städtebau Nutzungsmischung und in der Wohnungspolitik soziale Durchmischung genannt werden – breite Akzeptanz finden.
Die Gleichzeitigkeit all dieser Stile ist Ausdruck einer demokratischen, liberalen Gesellschaft, deren Fragilität uns derzeit allzu deutlich vor Augen geführt wird. In der Vorbereitung der Zukunft – um auf den Kern der Planung zurückzukommen – ergibt sich aus dieser Pluralität und Vielfalt ein gewisses Maß an Besonnenheit, die sich mit einem immer wieder adaptiven Stil verbindet, der sich wiederum auf jene Zielsetzungen beschränkt, die mit den vorhandenen Mitteln erreichbar erscheinen und somit taktisch, graduell und schrittweise vorgeht.
Auch wenn sich die Zukunft nicht kontrollieren lässt: Gute Planung ist in der Lage – und davon zeugen zahlreiche Errungenschaften in dieser Stadt –, mit Augenmaß, klaren Wertvorstellungen und sensiblen und mutigen Interventionen auch zukünftigen Generationen eine lebenswerte Stadt zu ermöglichen.
Simon Andreas Güntner,
geboren 1973 in Kempten/ Allgäu, studierte Sozialwissenschaften und Stadtplanung in Konstanz, Duisburg und Cardiff. Von 2000 bis 2005 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie an der TU Berlin. Von 2006 bis 2009 koordinierte er als Senior Policy Officer beim europäischen Städtenetzwerk „Eurocities“ in Brüssel die Kommunikation zwischen Großstädten und EU-Institutionen zu Fragen der Sozial- und Strukturpolitik. Von 2009 bis 2018 war er Professor für Sozialwissenschaften und Sozialpolitik an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg. Seit 2018 ist er Professor für Raumsoziologie an der TU Wien. Seine Schwerpunkte sind u. a. Migration, Armut, soziale Ungleichheit, Partizipation und Stadtentwicklung.
Fußnoten
Zurück zu Referenz- Vgl. Ash Amin: Urban Planning in an Uncertain World, in: Susan S. Fainstein, James DeFilippis (Hg.): Readings in Planning Theory, Chichester 2016, 4. Auflage, S. 156–168.
- Vgl. Miriam Fekkak, Mark Fleischhauer, Stefan Greiving, Rainer Lucas, Jennifer Schinkel, Uta von Winterfeld: Resiliente Stadt – Zukunftsstadt. Forschungsgutachten im Auftrag des Ministeriums für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen (MBWSV), Wuppertal 2016.
- Brendan Gleeson: Disasters, Vulnerability and Resilience of Cities, in: Susan S. Fainstein, James DeFilippis (Hg.): Readings in Planning Theory, Chichester 2016, 4. Auflage, S. 241–257.
- Frank Othengrafen, Mario Reimer, Rainer Danielczyk: Planungskultur, in: Thorsten Wiechmann (Hg.): ARL Reader Planungstheorie, Bd. 2, Berlin 2019, S. 155–167.