4.2 Öffentlicher Raum, lebendige Orte und Grätzl-Belebung
Einleitung
Wien ist eine Stadt der vielen Orte. In Paris heißen sie Quartiers, in Berlin Kiez, in Madrid Zonas. Die Wienerinnen und Wiener sind stolz auf die vielen unterschiedlichen Grätzln. Es sind Orte urbaner Verdichtung, die den öffentlichen und privaten Raum verschmelzen lassen. Jenseits der oft als anonym erfahrenen Stadt vermitteln sie ein Gefühl von unmittelbarer Nachbarschaft. Es sind dies Orte der Entschleunigung, des Flanierens, die hier Räume für Begegnungen und soziale Kontakte schaffen.
Und damit sind sie auch Spielflächen und bieten ein enormes Potential für Kreativität, Nähe, Offenheit und Austausch – ein fruchtbarer Boden für ein gutes Miteinander. Das Grätzl als erweitertes Wohnzimmer in der lebenswertesten Stadt der Welt.
Gerade in der Corona-Krise hat sich gezeigt, wie sehr die Menschen auf unmittelbare Nachbarschaft angewiesen sind und wie rasch sich die Wienerinnen und Wiener zur gegenseitigen Unterstützung organisieren. Die Zivilgesellschaft hat besonders in der Corona-Krise bewiesen, wie innovativ und schnell sie Unterstützung mobilisieren kann. Die Fortschrittskoalition macht es sich gerade deshalb zur Aufgabe, die Grätzln in ihrer Vielfalt und Entwicklung weiter zu stärken und die Teilhabe der Menschen in ihrer unmittelbaren Lebensumgebung zu erhöhen.
Grätzl sind Orte der Nahversorgung. Die polyzentrische Stadtstruktur mit ihren vielen Kleinzentren bildet eine Stadt der kurzen Wege, in der wichtige Dinge des täglichen Lebens zu Fuß erreichbar sind. Daher wird in Zukunft das Augenmerk auch vermehrt auf die Erhaltung und Entwicklung der Grätzln in ihrer vielfältigen Funktion gelegt werden. Dazu gehören Initiativen zur Belebung des Leerstandes, Neuansiedlung von Geschäften, künstlerische und kreative Nutzungen des vorhandenen Raumes, Impulse, um die regionale Wirtschaft zu stärken und gleichzeitig neue Orte der Begegnung zu schaffen.
Grätzl sind Orte des Miteinanders. Die unmittelbare Nachbarschaft braucht Zonen der Begegnung, um ihrer wichtigen sozialen Funktion gerecht zu werden. Wir wollen als weltoffene Stadt den sozialen Austausch weiter vorantreiben, um mögliche Vorurteile abzubauen und das Miteinander auch weiterhin zu fördern. Dazu werden in Zukunft neue soziale Räume geschaffen, kulturelle Angebote auch in den Kleinzentren angeboten oder neue Erholungsmöglichkeiten errichtet werden.
Grätzl sind aber auch Orte, wo vielfältige kulturelle Angebote vorhanden sind, die verschiedene Zielgruppen von Jung bis Alt ansprechen. In den lokalen Ankerzentren, Bezirksmuseen und anderen offenen Kulturräumen wird zeitgenössische Kunst aller Sparten, die in den etablierten Institutionen der Stadt erarbeitet wurden, präsentiert. Gleichzeitig wird auch niederschwellig und partizipativ in soziokulturellen Projekten gearbeitet.
Grätzl sind Orte der Freizeit. Die Parks, Plätze und Straßen der Stadt stehen allen Wienerinnen und Wiener zur Verfügung. Gerade für jene, die keinen Balkon, keinen Garten oder ähnliches zu Hause haben, ist der öffentliche Raum besonders wichtig. Weil sozialer Ausgleich eine entscheidende Rolle in Wien spielt, muss öffentliche Ausstattung zur Verfügung stehen. Begrünungsinitiativen, Kühlungsmaßnahmen in den heißen Sommern, der Ausbau bzw. die Attraktivierung der Parks sollen die Qualität der Grätzln ebenso erhöhen wie Verkehrsberuhigungen oder mehr Sitz- und Liegegelegenheiten im öffentlichen Raum. Urban Gardening Projekte ermöglichen auch Menschen, die keinen Garten oder Balkon haben, den Anbau von Obst und Gemüse und sind zudem Orte des Zusammentreffens und Austausches.
Grätzl sind Orte der Partizipation. Mitbestimmung und Mitgestaltung wird bei all diesen Fragen großgeschrieben. Die Devise lautet: Information, Befragung, Einbindung und Beteiligung. Alle Wienerinnen und Wiener sollen die Möglichkeit haben, an der künftigen Entwicklung ihrer Grätzl teilhaben zu können.
Daher vereinbaren wir:
Stadt der kurzen Wege als essentielle Grundlage für lebendige Orte und Grätzl
- Eine wachsende und zukunftsorientierte Stadt braucht funktionierende und prosperierende Zentren. Wir stärken die Stadt der kurzen Wege, um längere Wege bzw. Wege mit motorisierten Fahrzeugen zu vermeiden und Grätzl damit aufzuwerten. Stärkung der Attraktivität der Grätzln durch innovative, soziale und gemeinnützige Angebote (Gesundheits- und Bildungseinrichtungen, kulturelle, soziale, wirtschaftliche Nutzungen, etc.). Dafür bedarf es abgestimmter, geschäftsgruppenübergreifender Planungs- und Umsetzungskonzepte.
Leistbarer multifunktionaler Raum für lebendige Grätzl
- Die Fortschrittskoalition fördert in Kooperation mit den Bezirken Zwischen- und Mehrfachnutzungsprojekte, die unter der Prämisse einer gemeinwohlorientierten Nutzung für eine identitätsstiftende Nachbarschaftsentwicklung im Bestand beitragen. Dabei kann auch das Instrument der Zwischennutzung eine positive Rolle spielen.
- Wir setzen auf innovative Immobilienkonzepte und qualitätsvolle Erdgeschoss-Zonen im Neubau, die ebenfalls unterschiedliche Funktionen der Nutzung mit flexiblen Mehrzweckgebäuden für nicht-kommerzielle, soziale und gemeinschaftliche Nutzungen ermöglichen.
- Wir ermöglichen daher frühzeitige und bauplatzübergreifende Managementprozesse mit innovativen Nutzungskonzepten für Erdgeschoss-Zonen.
Kooperative Entwicklungsprozesse zur Stärkung von Bestands-Grätzln und zukünftiger Zentren zur Förderung des Zusammenlebens
- Die etablierten Regionalforen werden weiterhin gefördert, gleichzeitig braucht es jedoch auch neue Verfahren und Prozesse, um lokale Umsetzungspartnerschaften zu etablieren. Die stärkere Nutzung von Synergien bereits bestehender Vor-Ort-Organisationen (Stadtteilmanagement, KÖR, Wirtschaftsagentur, LA 21, etc.) spielt dabei eine zentrale Rolle.
- Wir legen Wert auf die verstärkte Einbindung von zivilgesellschaftlichen Initiativen, Kulturschaffenden und Planenden in der Entwicklung von neuen Prozessen und Ideen. (Ideenwerkstätten)
Starke Zivilgesellschaften zur Stabilisierung von Nachbarschaft und Zusammenleben: Verstärkung der Grätzlarbeit
- Die neue Stadtregierung wird die Synergien bestehender lokaler Angebote verstärken. Ziele sind mehr Übersichtlichkeit, leichte Zugänglichkeit und Bürger_innennähe. Die lokalen Akteur_innen und die öffentliche Hand auf Stadt- und Bezirksebene verstärken den Austausch und stimmen die Angebote ab. (Stadtteilmanagement, LA 21, Nachbarschaftszentren, Pensionist_innenclubs, Jugend- und Parkbetreuung, Fair Play Teams, wohnpartner, Bildungsgrätzl etc.).
- Bewohner_innen sollen sich auch digital über die vielfältigen bestehenden Angebote, Initiativen und Projekte in ihrem Grätzl informieren können.
Die Fortschrittskoalition forciert den verstärkten Einsatz von Beteiligungsformaten und fördert den Austausch zwischen Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft.
- Die strategische Neuausrichtung der Lokalen Agenda 21 als Anlaufstelle für nachhaltige Stadtteil- und Grätzlentwicklung und zivilgesellschaftliches Engagement sichert die kontinuierliche Weiterentwicklung der Prozesse in den Bezirken.