Landesgesetzblatt für Wien

Jahrgang 2004Ausgegeben am 8. September 200435. Stück
35. Gesetz:Bekämpfung von Diskriminierung (Wiener Antidiskriminierungsgesetz) [CELEX-Nr. 32000L0043]

35.
Gesetz zur Bekämpfung von Diskriminierung
(Wiener Antidiskriminierungsgesetz)
Der Wiener Landtag hat beschlossen:
Präambel
Die Verwendung des Begriffes „Rasse“ in diesem Gesetz bedeutet nicht, dass die Existenz von menschlichen Rassen akzeptiert wird, insbesondere nicht, dass tatsächlich bestehende biologische oder behauptete andere (z.B. kulturelle) Unterscheidungen zwischen Menschen als Grund und Legitimation für Diskriminierung herangezogen werden dürfen.
§ 1.
Geltungsbereich
(1) Die Bestimmungen dieses Gesetzes gelten für folgende Angelegenheiten des Landes und der Gemeinde, sofern diese Angelegenheiten in die Regelungskompetenz des Landes fallen:
1. Soziales;
2. Gesundheit;
3. Bildung;
4. Zugang zu und Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich von Wohnraum;
5. Zugang zu selbstständiger Erwerbstätigkeit.
(2) In den Angelegenheiten des Abs. 1 unterliegen folgende Kompetenzbereiche dem Geltungsbereich dieses Gesetzes:
1. die Hoheitsverwaltung des Landes und der Gemeinde;
2. die Privatwirtschaftsverwaltung des Landes und der Gemeinde;
3. die Besorgung öffentlicher Aufgaben durch ausgegliederte oder sonstige private Rechtsträger, die vom Land oder der Gemeinde beauftragt werden.
(3) Vom Geltungsbereich dieses Gesetzes sind auch Tätigkeiten von natürlichen und juristischen Personen des Privatrechts erfasst, die der Regelungskompetenz des Landes in den Sachbereichen des Abs. 1 unterliegen.
§ 2.
Verbot der Diskriminierung
(1) Im Geltungsbereich (§ 1) dieses Gesetzes ist jede
1. unmittelbare Diskriminierung (§ 3 Abs. 1),
2. mittelbare Diskriminierung (§ 3 Abs. 2) und
3. Belästigung (§ 3 Abs. 3)
von natürlichen Personen aus Gründen der Rasse oder ethnischen Herkunft, der Religion, der Weltanschauung, des Alters und der sexuellen Ausrichtung sowie die Anstiftung einer Person zu einer solchen Diskriminierung oder Belästigung verboten.
(2) Unmittelbare und mittelbare Diskriminierungen sowie die Anstiftung dazu sind auch gegenüber juristischen Personen verboten, wenn solche Diskriminierungen gegenüber deren Mitgliedern, Gesellschafterinnen und Gesellschaftern oder Organen im Zusammenhang mit der Tätigkeit der juristischen Person auf Grund eines in Abs. 1 genannten Merkmals erfolgen.
(3) Die Abs. 1 und 2 gelten nicht für unterschiedliche Behandlungen auf Grund der Staatsangehörigkeit, sofern diesen nicht Vorschriften der Europäischen Union über die Gleichstellung von Unionsbürgerinnen und -bürgern und von Drittstaatsangehörigen entgegenstehen.
(4) Eine Ungleichbehandlung auf Grund eines in Abs. 1 genannten Merkmals ist dann keine Diskriminierung, wenn das betreffende Merkmal auf Grund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Rahmenbedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Voraussetzung bildet und es sich dabei um einen rechtmäßigen Zweck oder eine angemessene Anforderung handelt. Eine Ungleichbehandlung auf Grund des Merkmals Alter ist dann keine Diskriminierung, sofern sie objektiv und angemessen ist und durch ein rechtmäßiges Ziel, insbesondere aus den Bereichen Sozialpolitik, Bildungspolitik, Wohnungspolitik und Wirtschaftspolitik, sachlich gerechtfertigt ist und die Mittel zur Erreichung dieses Zieles angemessen und erforderlich sind.
§ 3.
Begriffsbestimmungen
(1) Eine unmittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn eine Person auf Grund eines in § 2 Abs. 1 genannten Merkmals in einer vergleichbaren Situation gegenüber einer anderen Person, auf die dieses Merkmal nicht zutrifft, zugetroffen hat oder zutreffen würde, benachteiligt wird.
(2) Eine mittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn eine ihrem Inhalt nach neutrale Regelung, ein solches Beurteilungskriterium oder eine solche Maßnahme Personen mit einem in § 2 Abs. 1 genannten Merkmal gegenüber Personen, auf die diese Merkmale nicht zutreffen, in besonderer Weise benachteiligt oder benachteiligen kann, es sei denn, die betreffende Regelung, das betreffende Beurteilungskriterium oder die Maßnahme ist durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt, und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.
(3) Eine Belästigung liegt vor, wenn im Zusammenhang mit einem in § 2 Abs. 1 genannten Merkmal einer natürlichen Person dieser gegenüber ein Verhalten gesetzt oder ein Umfeld geschaffen wird, das
1. als Einschüchterung, Anfeindung, Erniedrigung oder Beleidigung anzusehen ist und
2. die Würde dieser Person verletzt und
3. von dieser Person als unerwünscht angesehen wird.
§ 4.
Rechtsschutz
(1) Bei Verletzungen des Verbotes der Diskriminierung (§ 2) oder von Benachteiligungen gemäß Abs. 3 hat die benachteiligte Person gegen folgende Personen einen Anspruch auf angemessenen Schadenersatz, der auch einen Ausgleich des durch die Verletzung der Würde entstandenen Nachteils umfasst:
1. im Falle des § 1 Abs. 2 Z 1 und Z 2 gegen den jeweils zuständigen Rechtsträger;
2. im Falle des § 1 Abs. 2 Z 3 und Abs. 3 gegen den jeweiligen ausgegliederten Rechtsträger oder die jeweiligen natürlichen und juristischen Personen des Privatrechts.
(2) Bei der Geltendmachung von Ansprüchen gemäß Abs. 1 kann sich die benachteiligte Person auch – unbeschadet sonstiger gesetzlich vorgesehener Vertretungsrechte – von jeder rechtmäßigen Organisation im Umfang deren jeweiligen Zweckes vertreten lassen, sofern deren anerkannter und gemeinnütziger Zweck die Wahrung der Einhaltung der Bestimmungen der Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft, ABl. Nr. L 180 vom 19. Juli 2000 S. 22 („Antirassismusrichtlinie“), und/oder der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, ABl. Nr. L 303 vom 2. Dezember 2000 S. 16 („Gleichstellungsrahmenrichtlinie“), ist.
(3) Benachteiligungen wegen der Geltendmachung oder Einleitung eines Verfahrens oder wegen einer Zeugenaussage oder sonstigen Mitwirkung in einem Verfahren zur Durchsetzung der Ansprüche auf Schadenersatz wegen Verletzung des Verbotes der Diskriminierung sind verboten. Dieses Benachteiligungsverbot gilt sinngemäß auch für das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 6.
§ 5.
Beweislastverteilung
Wird von einer benachteiligten Person in einem Verfahren vor Gericht gemäß § 4 eine Verletzung des Verbotes der Diskriminierung (§ 2) oder von Benachteiligungen (§ 4 Abs. 3) glaubhaft gemacht, so hat die beklagte Partei zu beweisen, dass keine Verletzung des Verbotes der Diskriminierung (§ 2) oder von Benachteiligungen (§ 4 Abs. 3) vorgelegen hat.
§ 6.
Strafbestimmungen
Personen, die den Bestimmungen der §§ 2 oder 4 Abs. 3 zuwiderhandeln, begehen eine Verwaltungsübertretung und sind von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe bis zu 1 090 Euro zu bestrafen, sofern die Tat nicht den Tatbestand des Art. IX Abs. 1 Z 3 EGVG, BGBl. Nr. 50/1991, in der Fassung BGBl I Nr. 97/2002, oder einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung darstellt.
§ 7.
Stelle zur Bekämpfung von Diskriminierungen
(1) Beim Amt der Wiener Landesregierung ist eine Stelle mit der Aufgabe der Bekämpfung von Diskriminierungen auf Grund der in § 2 Abs. 1 genannten Merkmale einzurichten. Die Wahrnehmung der Aufgaben und Zuständigkeiten dieser Stelle hat durch die unabhängige Bedienstetenschutzbeauftragte oder den unabhängigen Bedienstetenschutzbeauftragten zu erfolgen. Das Amt der Wiener Landesregierung hat für die Bereitstellung der personellen und sachlichen Erfordernisse der Stelle zur Bekämpfung von Diskriminierungen zu sorgen.
(2) Zur Verwirklichung der im Abs. 1 genannten Aufgabe hat diese Stelle folgende unabhängig wahrzunehmenden Zuständigkeiten:
1. Unterstützung benachteiligter Personen bei der Rechtsverfolgung von Verletzungen des Verbotes der Diskriminierung durch Information und Beratung über die Möglichkeiten nach diesem Gesetz.
2. Formfreie Vermittlung betreffend vermutete Diskriminierungen gemäß § 2 und Benachteiligungen gemäß § 4 Abs. 3 bei Auseinandersetzungen betroffener Personen, sofern diese mit dieser Vorgangsweise einverstanden sind.
3. Durchführung von Grundlagenuntersuchungen und Studien, Sensibilisierungsmaßnahmen, Bewusstseinsbildung, Veröffentlichung von anonymisierten Berichten und Vorlage von Empfehlungen im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Diskriminierungen nach diesem Gesetz.
4. Pflege und Förderung des Dialoges mit privaten Organisationen, die nach ihren festgeschriebenen Zielen ein berechtigtes Interesse an der Einhaltung des Verbotes der Diskriminierung haben.
5. Begutachtung und Anregung von Gesetzes- und Verordnungsentwürfen.
(3) (Verfassungsbestimmung) Bei der Wahrnehmung der in Abs. 2 genannten Zuständigkeiten ist die oder der unabhängige Bedienstetenschutzbeauftragte an keine Weisungen gebunden. Die der oder dem unabhängigen Bedienstetenschutzbeauftragten zugeteilten Bediensteten sind bei der Wahrnehmung der in Abs. 2 genannten Zuständigkeiten nur an deren oder dessen Weisungen gebunden.
§ 8.
Förderungsmaßnahmen
Die Vergabe von Förderungen des Landes und der Gemeinde Wien darf ausschließlich an natürliche oder juristische Personen erfolgen, die das Verbot der Diskriminierung (§ 2) und Benachteiligung (§ 4 Abs. 3) beachten.
§ 9.
Umsetzung von Gemeinschaftsrecht
Durch dieses Gesetz wird die Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder ethnischen Herkunft, ABl. Nr. L 180 vom 19. Juli 2000 S 22, umgesetzt.
§ 10.
In-Kraft-Treten
(1) (Verfassungsbestimmung) § 7 Abs. 3 tritt mit dem der Kundmachung folgenden Tag in Kraft.
(2) Die übrigen Bestimmungen dieses Gesetzes treten mit dem der Kundmachung folgenden Tag in Kraft.

Der Landeshauptmann:Der Landesamtsdirektor:
HäuplTheimer

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