Landtag, 31. Sitzung vom 19.04.2010, Wörtliches Protokoll - Seite 9 von 34
Abgeordnete! Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen
und Herren!
Die Initiative, bundeseinheitliche Qualitätsstandards für den Bereich
der Kinder- und Jugendwohlfahrt beziehungsweise der Kinder- und Jugendhilfe
einzuführen, wird grundsätzlich von meiner Seite, aber grundsätzlich auch von
vielen Bundesländern einmal positiv befürwortet. Denn ich denke, es ist gut,
richtig und wichtig, dass sich die Kinder- und Jugendhilfe letztendlich immer
wieder an neuen Qualitätsstandards orientiert, dass sich die Kinder- und
Jugendhilfe natürlich - so wie sich Pädagogik, so wie sich Sozialarbeit, so wie
sich Sozialpädagogik weiterentwickelt - immer auch von den gesetzlichen Rahmenbedingungen
her weiterentwickelt.
Es hat deshalb das Amt der Wiener Landesregierung den aktuellen Entwurf
zum Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz 2010 grundsätzlich auch positiv
gewürdigt. Denn es wurde insbesondere positiv hervorgehoben, dass der Entwurf
österreichweit einheitliche und moderne sozialarbeiterische und
sozialpädagogische Standards festschreiben will. Natürlich gibt es hier, nicht
zuletzt auf Grund der regionalen Gegebenheiten, sehr große Unterschiede, und
diese werden, wie immer bei solchen Diskussionen, dann natürlich auch
entsprechend offensichtlich. Denn viele der Standards, die wir in Wien im
Bereich der Jugendwohlfahrt bereits haben, finden in vielen Bundesländern nach
wie vor nicht den entsprechenden gesetzlichen Rahmen.
Vor allem wurden seitens des Amtes der Wiener Landesregierung folgende
Bereiche positiv hervorgehoben: einerseits das Vier-Augen-Prinzip im
Gefährdungsabklärungsverfahren, in der Erstellung des Hilfeplanes, im Bereich
der Dokumentation - auch ein ganz wichtiger und wesentlicher Bereich, nicht
zuletzt im Interesse der Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen, aber auch für
Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter ein ganz wichtiger und wesentlicher
Bereich -, im Bereich der psychosozialen Verschwiegenheit bei gleichzeitiger
Festschreibung eines Transparenzgebotes in der Kinder- und Jugendhilfe, und
nicht zuletzt auch in den Partizipationsrechten von Kindern und Jugendlichen.
Erfreulich ist, dass einige dieser Anregungen des Amtes der Wiener
Landesregierung zu Detailbestimmungen auch in den nun vorliegenden zweiten
Entwurf übernommen wurden. Erfreulich ist weiters, dass letztendlich auch
bestehende Rechtsunklarheiten bereinigt wurden, vor allem auch die Terminologie
modernisiert wurde und überdies der Präventionsgedanke in der Kinder- und
Jugendhilfe letztendlich betont wurde.
Wir haben aber in diesem Zusammenhang nach wie vor auch einige
Kritikpunkte. Das richtet sich in erster Linie dahin, dass zwei wesentliche
Grundsätze einer modernen Kinder- und Jugendhilfe im Entwurf keine
Berücksichtigung fanden, nämlich das Prinzip der besonderen Berücksichtigung
von Gender-Aspekten sowie auch das Prinzip der Diversität. Das für die Wiener
Kinder- und Jugendhilfe besonders wichtige sozialpädagogische Instrument der
niederschwelligen Betreuung wurde nicht explizit in den Entwurf aufgenommen -
ganz wichtig, weil gerade in diesem Bereich wir in Wien ja immer wieder
österreichweit eine besondere Vorreiterrolle haben. Auch das Angebot
vorbeugender therapeutischer Hilfen - ebenfalls ein ganz wesentlicher Bereich
eines modernen Jugendhilfegesetzes -, die sich im derzeit schon geltenden
Grundsatzgesetz findet, wurde letztendlich leider nicht wieder aufgenommen.
Für den äußerst komplexen und kinderschutzrelevanten Bereich der
internationalen Adoption fordert das Land Wien bereits seit Längerem die
Errichtung einer zentralen Stelle für internationale Adoptionen. Diese Stelle
müsste letztendlich auch die Möglichkeit besitzen, die Rechtmäßigkeit von
internationalen Adoptionen bereits im Vorfeld auch im Bereich des
Herkunftsstaates zu prüfen. Der Entwurf regelt in diesem Bereich leider nur die
Zuständigkeiten der Kinder- und Jugendhilfeträger, welche aus Sicht des Landes
Wien vor allem bei Adoptionen aus Ländern, die nicht dem Haager Adoptionsschutzübereinkommen
beigetreten sind, nicht über ausreichende Instrumente verfügen, den
rechtmäßigen Ablauf von Adoptionsprozessen in den Herkunftsländern zu
beurteilen.
Die Möglichkeit, dass die Angebote der Kinder- und Jugendanwaltschaften
auch anonym und vertraulich in Anspruch genommen werden können, wurde leider
nicht explizit ins Gesetz aufgenommen. Ich halte es für sehr, sehr wichtig,
dass man hier immer auch die Möglichkeit bietet, dass Menschen in sehr
schwierigen Situationen, in Situationen, in denen sie Gefährdungen der
verschiedensten Art ausgesetzt sind oder sich ausgesetzt fühlen, auch die
Möglichkeit haben, sich in anonymen und vertraulichen Gesprächen an unabhängige
Institutionen zu wenden. Leider wurde auch das nicht im entsprechenden Gesetz festgeschrieben.
Der Entwurf verwendet außerdem nach wie vor den aus unserer Sicht nicht
mehr zeitgemäßen Terminus der Unterbringung, welcher aus Sicht der Wiener
Jugendwohlfahrt als nicht mehr zeitgemäß erachtet wird und durch den Terminus
Betreuung in sozialpädagogischen Wohngemeinschaften beziehungsweise Betreuung
bei Pflegeeltern entsprechend zu ersetzen wäre. Bei der Begriffsbestimmung der
nahen Angehörigen in § 4 Z 6 sollte das Eingetragene
Partnerschaftsgesetz aus unserer Sicht ebenso berücksichtigt werden.
Abschließend möchte ich bemerken, dass wir natürlich
sehr froh darüber sind, dass die Wiener Jugendwohlfahrt die erwähnten Standards
vor allem in Dingen im Bereich des Abklärungsverfahrens und der Hilfeplanung,
also ganz wesentlicher Handlungsfelder der Jugendwohlfahrt in Österreich,
bereits erfüllt und die im Entwurf festgeschriebenen Standards teilweise
federführend gerade auch im Entstehungsprozess mitentwickelt hat. Neun
Bundesländer ergeben aber letztendlich neun unterschiedliche Sichtweisen, daher
Stadt Wien | Geschäftsstelle Landtag, Gemeinderat, Landesregierung und Stadtsenat (Magistratsdirektion)
Kontaktformular