Landtag,
28. Sitzung vom 06.04.2005, Wörtliches Protokoll - Seite 7 von 10
Gestaltungsprozesse liegen noch vor uns. Die Fragen nach der zweckmäßigen und für die Bürger einsichtigen Stufung und Zuordnung der Kompetenzen zwischen Union, Mitgliedsstaaten und deren Gliederungen lassen sich auf Dauer nicht vermeiden. Die Grundprinzipien Subsidiarität und Solidarität sind für die EU festgeschrieben, aber sie müssen im Alltag auch sichtbar werden. Auch dafür ist, wie bei der Stabilität einer Währung, politischer Wille erforderlich und ich bin nach den Erfahrungen mit der glückhaften Entwicklung in unserer Zweiten Republik wirklich zuversichtlich, dass auch die Erkenntnisse und Ergebnisse unseres Österreich-Konvents nicht fruchtlos in der Lade liegen bleiben werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei der
Festsitzung des Wiener Landtages am 13. Mai 1980 aus Anlass
25 Jahre österreichischer Staatsvertrag sagte Lhptm Mag Gratz wörtlich:
„In der Föderalismusdiskussion sollte man daran denken, dass sich zwar
selbstverständlich im Rechtsstaat jede Regelung in Verfassung und Gesetz
niederschlägt, dass aber die Problematik keine juristische, sondern eine
politische ist, und zwar eine politisch im Sinne jenes Wortes, das die Politik
als Sorge für die Menschen von heute und die Gestaltung des Lebens der Menschen
von morgen definiert." – Ende des Zitats.
In der Festveranstaltung "80 Jahre Wiener
Landtag" hielt Lhptm Dr Häupl am 15. Jänner 2002 fest: „Die
Landtage werden weiterhin politische Garanten für einen vernünftigen Umgang mit
dem sein, was man auch in den europäischen Verträgen als Subsidiaritätsprinzip
bezeichnet, deren materielle Ausformung sehr oft in der Sicherung der
Daseinsvorsorge mündet."
Er drückte weiters seine Überzeugung aus, dass nur
ein Europa der Regionen ein demokratisches Europa sein werde. Auch diese
Äußerungen, meine Damen und Herren, stärken meinen Optimismus, dass unser Land
sich den Fragen stellen und sie auch lösen wird. Es war der Philosoph Peter
Sloterdijk, der vor drei Jahren den beachtenswerten, wenn gleich holpernden
Satz formulierte, ich zitiere: „Europäer erfahren künftig die Macht des
Schicksals wieder von der aktiven Seite her. Ihr Schicksal ist die Nötigung,
ihr Schicksal selbst neu zu konstruieren." – Ende des Zitats.
Auch mit dieser Überlegung gehe ich einig. Man kann
sich vor diesem Aufruf zur Aktivität fürchten oder man kann ihn als Chance zum
Gestalten auffassen und es stellen sich damit auch die Sinnfragen, was hat die
Europäische Integration schon bewirkt und was soll Europa weiterhin anstreben.
Ich glaube, auch von den größten Skeptikern wird wohl
eingeräumt, dass eine der Grundideen der Europäischen Integration, nämlich die
traditionelle Rivalität, ja die kriegsbereite Feindschaft von Staaten
gegeneinander, durch die Herstellung einer staatsübergreifenden Ordnung zu
ersetzen, verwirklicht wurde. Macht wurde durch Recht als Ordnungsprinzip
ersetzt. Machtpolitik wurde durch Ordnungs- und Friedenspolitik ersetzt. Mehr
als 60 Jahre Frieden hat unser Kontinent so weiträumig noch niemals zuvor
in der Geschichte erlebt.
Es ist ohne Zweifel auch die Schaffung des
Binnenmarktes und die Errichtung der Europäischen Währungsunion gelungen. Die
Volkswirtschaften werden zueinander geführt, Ersparnis unproduktiver Kosten,
Zölle, Transaktionskosten bei Zahlungsverkehr, Kursschwankungen bei den
Währungen werden erspart. Produktivitätszuwächse bringen Wohlstandschancen für eine
immer größere Zahl von Bürgern in immer mehr Mitgliedsländern. Menschenrechte,
Grundfreiheiten werden in einer europäischen supranationalen
Solidaritätsgemeinschaft zur gemeinsamen Sache im Europa der Staaten, und damit
gewinnen Leben und Alltag der Bürger eine neue Rechtssicherheit.
Auch Stabilität, meine Damen und Herren, ist ein
Wert, der nicht automatisch entsteht, sondern permanentes koordiniertes Bemühen
erfordert. Grundvoraussetzung ist natürlich der politische Wille, Stabilität
anzusteuern und zu halten und die hiefür nötige Mentalität den Bürgern auch
einsichtig zu machen. Der Beitrag der Bürger liegt, verkürzt gesprochen, in
ihrer Bereitschaft, zwischen erarbeitetem Fortschritt und bloßer
Anspruchshaltung zu unterscheiden. Stabilität, wie ich sie verstehe, ist aber
nicht nur ein ökonomisches, sondern auch ein eminent soziales und
gesellschaftspolitisches Bonum. Ziel ist eine solidarische, keine von nackten
Egoismen geprägte Gesellschaft. Darauf hat auch Papst Johannes Paul II immer
wieder hingewiesen.
Ein weiteres Ziel ist die Wahrung der kulturellen
Eigenart Europas in Vielfalt. Auch das ist ein großes Ziel, das die Aktivität
der einzelnen Mitgliedsländer, ihrer Gliederungen, ihrer Bereiche und ihrer
Bürger braucht. Sie braucht aber auch Toleranz, damit nicht der Geist des
Separatismus, sondern der Geist der Gemeinsamkeit die Entwicklung bestimmt.
Sie werden mir verzeihen, wenn ich es offen
ausspreche, dass ich manchmal das Gefühl habe, dass die jüngere Generation an
einem Mangel an positiven Zielvorstellungen für das Gemeinwesen leidet. Ich
glaube, wir sollten sie alle beruhigen. Es gibt reichlich Aufgaben. Und es
scheint eine der Aufgaben der politischen Verantwortungsträger, nach meiner
Einschätzung, die Menschen zu eigenem Bemühen, zur Eigeninitiative zu
ermuntern, dazu hinzuführen, dass sie sich den schon absehbaren
Herausforderungen und Themen des Heute und des Morgen stellen. Die
Transformationen sind in keiner Weise abgeschlossen. Auch die demokratische
Legitimation in einer europäischen Entwicklung ist keineswegs noch perfekt.
Legisten und Bürokraten würde ich allerdings manchmal gerne nicht nur bei
"Gurkenkrümmungsfragen" an den Satz von Montesquieu erinnern, der
meinte: „Wenn kein Gesetz notwendig ist, dann ist es notwendig, kein Gesetz zu
machen."
Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Frieden, Freiheit und Demokratie sind nicht automatisch ein für alle
Mal gesichert. Um sie zu erhalten, zu pflegen und im Interesse der Bürger
weiter zu entwickeln, braucht es Wertvorstellungen und Gesinnung. Das lehrt uns
wohl die Geschichte und sie lehrt uns auch, dass es unerlässlich ist, die
Bürger, nicht nur die politischen Eliten, davon
Stadt Wien | Geschäftsstelle Landtag, Gemeinderat, Landesregierung und Stadtsenat (Magistratsdirektion)
Kontaktformular