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Landtag, 27. Sitzung vom 28.01.2005, Wörtliches Protokoll  -  Seite 57 von 66

 

Briefwahlrecht das geheime Wahlrecht unterminiert, dann weiß ich nicht, warum sich eine Arbeiterkammerwahl über zwei bis drei Wochen hinzieht, und da geht auf einmal die Briefwahl, ohne irgendein demokratisches Hindernis.

 

Es zeigt sich wiederum, in dem Bereich, wo Sie das Sagen haben, definieren Sie selbst, was demokratisch ist und was nicht, und was Demokratie ist, das wollen Sie mit einfacher Mehrheit bestimmen. Die Verfassung sieht aber ganz ausdrücklich vor, dass es hier wohl andere Schranken gibt und dass man hier auch einen Konsens finden sollte.

 

Worum es uns als ÖVP geht, ist, ein Mehr an Demokratie dahin gehend festzulegen, nicht in erster Linie einfach immer mehr Leute wählen zu lassen, sondern die Qualität an Demokratie auszubauen. Es hat überhaupt keinen Sinn zu sagen, jeder, der ein paar Wochen oder ein paar Monate in Wien ist, der darf gleich mitwählen, senken wir das Wahlalter noch weiter – jetzt sind wir bei 16 Jahren, in 5 Jahren diskutieren wir über 14 oder 12 Jahre; ich weiß nicht, gibt es irgendwo eine Untergrenze oder nicht –, es geht um ein qualitatives Mehr an Demokratie. Ob die Menschen ein oder zwei Jahre länger auf das Wahlrecht warten müssen oder nicht, ist da gar nicht so entscheidend, entscheidend ist, ob die Gremien, die sie wählen, auch was zu sagen haben. Hat die Bezirksvertretung etwas zu sagen, hat der Gemeinderat etwas zu sagen oder wählen wir hier Gremien, die eigentlich zum Debattieren da sind und in Wirklichkeit entscheiden ganz andere darüber?

 

Uns geht es um Qualität und nicht um Ausweitung der Zahl der Wahlberechtigten. Von einem Mehr an Demokratie haben wir alle etwas. Insofern sind auch unsere Anträge zur Dezentralisierung zu verstehen: Je mehr Rechte bei den Bezirken angesiedelt sind, je mehr Mitspracherecht die Bezirksvertretung hat, je mehr Mitspracherecht der Bezirksvorsteher hat, desto mehr zählt die Stimme der Bezirksbevölkerung. Und in diesem Sinne verstehen Sie bitte auch unseren Antrag zu einem Mehr an Dezentralisierung. (Beifall bei der ÖVP.)

 

Ich habe überhaupt kein Problem, hier zuzugestehen, dass ich meine Erfahrungen mit der Dezentralisierung unter einem sozialdemokratischen Bezirksvorsteher, nämlich dem von mir hochgeschätzten Karl Lacina, gemacht habe. Ich weiß nicht, misstrauen Sie Ihren eigenen hervorragenden Bezirksvorstehern, die eine Wahl nach der anderen gewinnen in ihrem Bezirk. "Bezirk", das hat so etwas Verniedlichendes. Wenn man die Bezirke sozusagen einmal rein von der Bevölkerung her nimmt, dann sind das ja mittelgroße Städte in Österreich. Unsere Verfassung orientiert sich ja bei der Zugestehung der Gemeindeautonomie am Prinzip der abstrakten Einheitsgemeinde. Das heißt, Stixneusiedl muss genauso viel können wie eine Großgemeinde, und daran orientiert sich das Zugestehen an Gemeindekompetenzen. Also unseren Bezirken, unseren Bezirksvertretungen, unseren Bezirksvorstehern kann man bei weitem mehr an Kompetenzen zugestehen und nicht nur Anhörungsrechte und Mitwirkungsrechte.

 

Als Verfassungsrechtler bereitet mir die Lektüre der Verfassung, der Bundes-, der Landesverfassung – ich würde mir wünschen, dass in Wien mehr Bestimmungen auf Verfassungsstufe stünden und nicht nur auf einfachgesetzlicher Gemeindeordnung – großes Vergnügen, und wenn ich da so lese, „ein Mangel an Mitwirkung berührt daher die Rechtsmäßigkeit der Akte nicht", dann muss ich ganz ehrlich sagen, das ist mir als jemandem, der für echte Mitentscheidung ist, einfach zu wenig. (Beifall bei der ÖVP.)

 

Deswegen beantragen wir keine reinen Mitwirkungsrechte, die man halt wahrnimmt oder auch nicht und selbst, wenn man sie nicht wahrnimmt, sind die Akte trotzdem gültig, sondern wir wollen Mitentscheidungsrechte. Malen Sie ja nicht den Teufel an die Wand, so nach dem Motto, da wird Wien mehr oder weniger aufgelöst in seine Einzelteile. Das kann man verfassungsrechtlich sehr leicht lösen. Außerdem kennen wir ja nur verantwortungsbewusste Bezirksvorsteher und keine solchen, die Wien einen Schaden zufügen wollen.

 

Es muss aber auch festgehalten sein, es kann nicht nur von den persönlichen Kontakten eines Bezirksvorstehers zu Gemeindebediensteten abhängen, ob ein Bezirksvorsteher mehr oder weniger eingebunden wird. Leider Gottes ist das aber teilweise so, dass persönliche Kontakte – und das ist fraktionsübergreifend – darüber entscheiden, ob ein Bezirk ordentlich oder eben nur gemäß den Buchstaben des Gesetzes eingebunden wird.

 

Meine Damen und Herren! Es gibt also noch eine Fülle zu tun, und ich glaube überhaupt, auf das hinweisen zu müssen, was unser Klubobmann schon mehrfach angedeutet hat: Wien sollte eher ein Bundesland und erst in zweiter Linie eine Gemeinde sein. Wenn ich in der Stadtverfassung lese, der Gemeinderat ist auch Landtag, so ist das nicht nur protokollarisch für mich ein Problem, weil Gesetzgebung immer über Verwaltung zu stellen ist, sondern auch vom Selbstverständnis des Bundeslandes Wien her. Es kommt einem fast so vor, als ob Wien deshalb ein Bundesland ist, damit der Herr Bürgermeister und Landeshauptmann auch in der Landeshauptleutekonferenz sitzen darf. Das ist aber eindeutig zu wenig. Wien ist viel mehr ein Bundesland als eine Gemeinde und sollte sich auch in solcher Hinsicht verstehen. (Beifall bei der ÖVP.)

 

Wenn also Ihr großer Vorsitzender das "Jahr der Demokratie" ausgerufen hat, so kann ich Ihnen nur zurufen: Nützen Sie Ihre absolute Mehrheit, mit der Sie auch absolute Macht in Wien ausüben können, und verschaffen Sie uns diesen notwendigen Schritt an Demokratie. Wir haben Ihnen eine kleine Hilfestellung in Form von mehreren Anträgen gereicht. Ein Antrag beschäftigt sich mit der Ausweitung der Bezirksautonomie und ein Antrag beschäftigt sich mit der Ausweitung der direkten Demokratie in Form eines Bürgerantragsrechtes, eines Petitionsrechtes. Verfassungsgeschichtlich gesehen ist das Petitionsrecht eines der ersten direktdemokratischen Elemente. Schauen wir, dass dieses Petitionsrecht auch auf Bezirks- und Gemeindeebene zum Durchbruch kommt.

 

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