Landtag,
9. Sitzung vom 27.06.2002, Wörtliches Protokoll - Seite 37 von 49
heit unglaublich überfordert. Es würde Orwell'sche Dimensionen
überschreiten, wenn man versuchen würde, genau diese Absicht, die man hier ja
Gott sei Dank nur in den Erläuternden Bemerkungen beschrieben hat, auch in die
Tat umzusetzen, sondern es geht darum - und das soll man hier auch klar sagen,
daher werden wir dieses Gesetz auch unterstützen -, das entsprechende Maß an
Kontrolle zum Tragen zu bringen. Das ist notwendig, denn nicht nur Macht bedarf
Kontrolle, sondern auch wer Leistungen der öffentlichen Hand in Anspruch nimmt,
hat auch das Recht, nein, hat auch die Pflicht, Kontrolle der Gelder zu
akzeptieren.
Weil ich Berthold Brecht zitiert habe und die
"Dreigroschenoper". Sie wissen ja, Sie haben das alle in der Schule
gelernt oder vielleicht später einmal gelesen, gehört, gesehen: In der "Dreigroschenoper"
geht es nicht nur um den Peachum, sondern da geht es auch um ein ganz
spezifisches soziales Problem. Es geht um das spezifische soziale Problem, das
sich hier der organisierten Sozialhilfe der Gemeinschaft entzieht. Es geht beispielsweise
auch darum, wie man neben den Einrichtungen, die Staat und Gemeinschaft
vorsehen, um nicht Not erleiden zu müssen, trotzdem zu Geld kommt. Ich meine
die Bettelei. Es geht in der "Dreigroschenoper" um organisierte
Bettelei. Die "Dreigroschenoper" wurde 1928 geschrieben, aber das
Phänomen der organisierten Bettelei haben wir auch 2002. Wir haben es 2002, wir
haben das Phänomen der organisierten Bettelei auch in Wien.
Wenn man so mit der U-Bahn fährt und durch die
Straßen geht, dann kann man das erleben. Freilich, wenn man nur im Dienstwagen
sitzt und zwischen Wohnsitz und Rathaus hin und herpendelt, dann wird man
möglicherweise von der Bettelei verschont, dann sieht man sie nicht. Aber wer
eifrig die U-Bahn benutzt, mit der Straßenbahn fährt, zu Fuß geht, kann das erleben,
auch Radfahrer werden das sehen.
Organisierte Bettelei ist ein interessantes Phänomen.
Kaum wird das thematisiert und werden hier stärkere polizeiliche Maßnahmen etwa
auch des Wiener Bürgermeisters und Landeshauptmanns eingefordert, ist plötzlich
ein deutlicher Rückgang zu merken. Aber das alleine kann es ja nicht sein, dass
man hier immer wieder einmal über die Medien sagt, was man nicht haben möchte,
denn dazu ist man hier mit Regierungsmacht und Vollzugsmacht ausgestattet.
Da vermisse ich beispielsweise, Frau Landeshauptmann-Stellvertreterin,
Ihren Einsatz, etwa wenn es darum geht: Was tut denn die Stadt ganz konkret
gegen den Missbrauch von Frauen und Kindern für die organisierte Bettelei? Die
Kinder tun das nicht freiwillig und die Frauen, behaupte ich einmal, die da
sitzen und ihre Armut präsentieren, präsentieren müssen und mit der Not und mit
dem Elend so wie Peachum hier Geschäftemacher unterstützen, tun das auch nicht
freiwillig, weil diejenigen, die von der Bettelei profitieren, nicht diejenigen
sind, die bei den U-Bahn-Abgängen sitzen. Das sind nicht die, die in den
Durchgängen sitzen und das sind nicht die Kinder, die mit rotzverschmierter
Nase und dreckigem Gewand an zugigen Stellen in dieser Stadt sitzen müssen. Das
sind nicht die Profiteure!
Die Stadt Wien hat selbstverständlich das rechtliche
Instrumentarium, um dagegen vorzugehen. Jugendschutzgesetz beispielsweise. Aber
was tut sie? Wegschauen? Warten, bis sich das Problem, wie auch immer, von
selber erledigt? - Das kann nicht die Maxime der öffentlichen Verwaltung sein
zu sagen: Ich will es nicht sehen, weil es mir unangenehm ist, und nichts tun.
Hier immer wieder von Menschenverachtung zu reden, in jedem möglichen Kontext
von Menschenverachtung zu reden und dann diese gelebte Menschenverachtung, die
draußen vor den Toren stattfindet, hinzunehmen, darauf zu warten, dass es
dunkel wird, dass die Autobusse mit den organisierten Bettlern wieder die Stadt
verlassen, das ist zu wenig. Das ist zu wenig, meine Damen und Herren!
Frau Vizebürgermeisterin! Es hätte mich wirklich gefreut,
dazu von Ihnen auch medial etwas zu lesen, zu sehen, zu hören, was Sie hier für
eine Position einnehmen. Ich habe leider nichts vernommen. Aber vielleicht gibt
der heutige Nachmittag uns noch die Möglichkeit, hier etwas zu unternehmen oder
gibt Ihnen die Möglichkeit, hier Position zu beziehen.
Ich glaube, dass die Sozialhilfe als ein ganz wesentliches
Element von sozialpolitischer Tätigkeit ein Kernelement unseres politischen
Wirkens darstellt und natürlich auch die Kontrolle dazugehört. Ich könnte mir
gut vorstellen, dass ein derartiges Gesetz auf Bundesebene, ein vergleichbares
Gesetz auf Bundesebene initiiert und umgesetzt, gerade im Bereich der Sozialdemokratie
einen massiven Widerstand ausgelöst hätte. "Unglaublich", hätten wir
alle gehört, "diese Kontrolle, der Gläserne Mensch und da wird der
Einzelne bis in seine intimsten Details verfolgt!" So ähnlich hätte es wahrscheinlich
gedröhnt. Wenn ein anderer Redner der GRÜNEN hier das Wort ergriffen hätte, hätte
der wahrscheinlich durchaus auch so ähnlich markige Worte gefunden.
Sie leben hier in Wien natürlich mit der Realität des
Vollzugs und auch mit dem Diktat der knappen Kassen und müssen daher schauen,
wie Sie mit dem Geld bestmöglich zu Rande kommen. Dabei unterstützen wir Sie,
indem wir auch hier dieser Gesetzesnovelle unsere Zustimmung geben. Aber diese
Zustimmung sollte durchaus eine wechselseitige sein. Da ist es gar nicht so wichtig,
wer sich dann das Fähnchen anheftet, Erfolg gehabt zu haben.
Ich habe mich wirklich gefreut, diese Woche bei der
Durchsicht des Nachrichtenmagazins "profil" ein doppelseitiges
Inserat des ÖGB zu lesen. (Der Redner
zeigt das Inserat.) Ich halte das her: "Verhandlungserfolg des
ÖGB". Kollege Driemer ist leider nicht da. Ich habe gedacht, ich mache ihm
eine große Freude, wenn ich ihm das zeige, dass das wirklich schön ist.
"Von der Reform der Abfertigung profitieren alle Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer". Jawohl, genauso ist es und ich glaube, dass in den Reihen
des ÖGB hier auch so ein bisschen was wie Stolz und Freude mitschwingt, dass
man hier bei diesem Gesetzeswerk mit dabei war. (Abg Godwin
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