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Gemeinderat, 46. Sitzung vom 29.11.2023, Wörtliches Protokoll  -  Seite 5 von 32

 

überwältigender Teil der Wienerinnen und Wiener, nämlich ganze 95 Prozent, werden im Spital geboren. Schon dabei ist es entscheidend, wie Neugeborene in die Welt kommen, wie Mütter, Väter und Neugeborene versorgt werden, wie so ein existenzieller Punkt wie der Start ins Leben beginnt. Übrigens werden auch die 1,5 Prozent der Babys, die zu Hause geboren werden, zumeist von Hebammen, also einem wichtigen Gesundheits- und Pflegepersonal, entbunden. Auch am Ende des Lebens spielt unser Gesundheitssystem eine entscheidende Rolle. 49 Prozent aller Menschen in Österreich sterben im Krankenhaus. Das heißt, Angehörige sehen ihre Liebsten oft das letzte Mal in einem Krankenzimmer. Auch da ist es entscheidend, wie man sich verabschieden kann und wie mit den Sterbenden umgegangen wird. All das ist bedeutend für Menschen in einer Stadt. Es ist existenziell, diese Erfahrungen sind prägend.

 

Dann gibt es die Zeit dazwischen, zwischen dem Anfang und dem Ende. Wenn es ums Aufwachsen, ums Leben und Älterwerden geht, wird der Besuch bei Ärzten und Ärztinnen, in Krankenhäusern, bei Vorsorgeuntersuchungen, bei der Behandlung von Krankheiten oder bei präventiven Maßnahmen im Laufe der Jahre und Jahrzehnte auch noch häufiger. Das wissen einige von uns wahrscheinlich schon. Die gesetzliche Krankenversicherung - und das wissen wir alle, weil sie uns alle betrifft - ist ein hohes und wichtiges Gut. Sie ermöglicht die Regelmäßigkeit und gewährleistet die Sicherheit, dass es möglich ist, gesund zu bleiben und auch versorgt zu werden. Leider ist aber auch dieser gesetzliche Anspruch längst keine Garantie mehr für eine gute Versorgung, sehr geehrte Damen und Herren.

 

Gerade wenn es um einen so existenziellen Bereich geht, müssen wir uns die richtigen und wichtigen drängenden Fragen stellen. Was macht das mit den Menschen in Wien, wenn sie zunehmend das Vertrauen verlieren, zeitgerecht und fachgerecht behandelt zu werden? Was macht das mit der Ärzte- und Ärztinnenschaft sowie dem Pflegepersonal, wenn sie seit Jahrzehnten über der Belastungsgrenze arbeiten? Dass die Ärzteschaft nächsten Montag mit dem Slogan „Ohne uns stirbt Wien“ auf die Straße geht, zeigt doch, wie dramatisch die Situation ist, liebe Kolleginnen und Kollegen. Genauso wie wir heute hier beim Sondergemeinderat SOS Wiener Gesundheitssystem rufen, schlägt auch das medizinische Personal Alarm, weil leider ganz viel im Argen liegt, sehr geehrte Damen und Herren. (Beifall bei den GRÜNEN.)

 

Wir sagen immer: Das Pflegepersonal und das Ärztepersonal sind die SystemerhalterInnen. Sie sind essenziell, sie sind wichtig für uns. Das sind natürlich die Menschen, das sind die PflegerInnen, das sind die Menschen, die im Gesundheitssystem arbeiten. Es sind die ÄrztInnen, aber es ist auch das Reinigungspersonal. Es sind die Menschen, die in der Verwaltung arbeiten. Für viele dieser Menschen - meine Kollegin hat es heute schon gesagt - ist ihr Beruf eine tatsächliche Berufung. Es muss uns doch allen ein Anliegen sein, dass alle diese Menschen ihren Beruf gut machen können, gesund machen können und gerne machen können.

 

In Wirklichkeit gibt es in der Genfer Deklaration des Weltärztebundes, in der die ethischen Standards festgelegt werden, einen Satz, den ich bemerkenswert gefunden habe, weil sich dieser Satz auch ganz klar gegen ärztliche Selbstausbeutung und Überforderung richtet, indem Ärztinnen und Ärzte den Satz unterschreiben: „Ich werde auf meine eigene Gesundheit, mein Wohlergehen und meine Fähigkeiten achten, um eine Behandlung auf höchstem Niveau leisten zu können.“ Auch dort ist also festgeschrieben, dass wir Ärztinnen und Ärzte brauchen, die sich nicht selbst überfordern, die nicht ausbrennen und die ihren Beruf gut und gerne machen können.

 

Ich habe schon gesagt, dass Krankenhäuser, die mobile Krankenpflege und Rettungsdienste Orte sind, die uns existenziell berühren, weil sie uns meistens an einem Punkt begegnen, an dem wir verletzlich sind, an dem wir gebrechlich sind und an dem wir Hilfe brauchen. Genau aus diesem Blick heraus müssen wir auch unsere Politik gestalten, weil Krankenhäuser Räume der Sorge, des Besorgt-Seins und der Fürsorge sind, liebe KollegInnen. (Beifall bei den GRÜNEN.)

 

Lassen Sie mich etwas ganz Grundlegendes zum Krankenhaussystem und zum Gesundheitssystem sagen, weil ich das so entscheidend finde! Denn in Wirklichkeit zeigt sich die Qualität der Solidarität einer Gesellschaft ein Stück weit auch im Gesundheitssystem. Ich würde Ihnen gerne auch noch die Geschichte einer sehr bedeutenden Ethnologin erzählen, die das für mich sehr gut auf den Punkt gebracht hat. Sie heißt Margaret Mead. Sie wurde nämlich von Studierenden gefragt, was sie historisch als erstes Zeichen der Zivilisation betrachtet. Ihre Antwort war ebenso überraschend wie einleuchtend. Sie hat nämlich gesagt, es sei ein gebrochener und wieder zusammengewachsener Oberschenkelknochen gewesen. Denn in Wirklichkeit wissen wir, dass kein Tier in der Wildnis mit einem Beinbruch überleben kann. Der geheilte Oberschenkelknochen eines Menschen aber bringt den Beweis, dass sich jemand gekümmert hat, dass dieser Oberschenkelknochen wieder zusammengewachsen ist und jemand Sorge getragen hat. In Wirklichkeit ist unser Gesundheitssystem also einfach auch ein Ort der gesellschaftlichen Solidarität, sehr geehrte Damen und Herren. (Beifall bei den GRÜNEN.)

 

Wir wissen alle, wie komplex und herausfordernd das Gesundheitssystem ist. Wir wissen alle, an wie vielen Schrauben wir gleichzeitig drehen müssen. Ich möchte Sie noch einmal ganz kurz an die Pandemie erinnern. Ich möchte Sie an die vielen Reden erinnern, die hier geschwungen wurden, als wir die enorme Bereitschaft des Pflegepersonals bejubelt haben und dass die Menschen quasi Schicht um Schicht gefahren sind und alles gegeben haben. Wir haben sozusagen die beste Versorgung erlebt. Wir haben gesehen, wie entscheidend dieser Bereich ist und wie entscheidend die Menschen sind, die in diesem Bereich arbeiten. Wir haben dieses Brennglas ja auch immer wieder zum Thema gemacht. Wir haben aber damals in diesem Brennglas auch schon sehr deutlich gesehen, wie groß die Missstände sind, wie groß der Personalengpass ist, wie groß die Unterbezahlung ist und wie

 

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