Gemeinderat, 36. Sitzung vom 23.03.2023, Wörtliches Protokoll - Seite 78 von 95
werden nämlich normalerweise nicht eine Woche vorausgeplant. Kindesabnahmen erfolgen immer im Notfall, oft in der Nacht und sind selten lange vorbereitet. Meist geschieht das im letzten Moment, wenn wirklich nichts anderes mehr geht, wenn die Eltern selber plötzlich verunfallen, in Gewahrsam genommen werden oder sonst nicht zugänglich sind.
Das in diesem Antrag vorgestellte Modell ist allerhöchstens ein Pflaster, die grundlegenden Probleme der Krisenpflege und auch der Pflegekinder insgesamt werden aber nicht an den Wurzeln gepackt. Selbst der Stadtrechnungshof nennt die Krisen-WGs für Unter-Drei-Jährige allerhöchstens als zweitbeste Lösung. Kleinstkinder brauchen eine Eins-zu-eins-Betreuung und nicht ständig wechselndes Betreuungspersonal.
Ich habe das hier schon öfters aufgezählt. Was dringend notwendig wäre, um hier langfristig Verbesserungen zu schaffen, sind die Anerkennung der Kinderpflege als Arbeit mit entsprechender Abgeltung, ein Ausbau der Frühen Hilfen, um belastete Familien zu begleiten und zu unterstützen, bevor es eskaliert, sowie ein Ausbau der psychotherapeutischen Angebote auf Krankenschein für Eltern und belastete Familien. Wir verlangen nachhaltige Verbesserungen der Gesamtstruktur der Kinder- und Jugendhilfe statt Pflaster, die nach Kurzem wieder abgelöst werden und Untiefen noch deutlicher sichtbar werden lassen.
Solange nicht absehbar ist, dass Sie, Herr Stadtrat, in Richtung nachhaltige Strukturverbesserung gehen, werden wir die oberflächlichen, scheinbaren Verbesserungen ablehnen. - Das führt uns zu unserem Antrag, den ich hiermit einreiche. Wie Sie wissen, hat es mit der DigiPol gewisse Probleme gegeben, weshalb der eigentliche Antrag zurückgezogen werden musste und hiermit jetzt der Antrag auf Zuweisung eingereicht wird.
Neben dem Missbrauch von Fördermitteln, den wir schon am Vormittag diskutiert haben, sind im letzten Jahr leider noch ganz andere Missbrauchsfälle aufgetaucht, etwa Übergriffe von erwachsenem pädagogischen Personal gegenüber Kindern, zum Teil über Monate oder Jahre hinweg, irgendwie bemerkt, aber nicht bewusst oder unbewusst übersehen. Solche Missbrauchsfälle zerstören das Vertrauen der Eltern und der Bevölkerung in die Institutionen. Und letztlich schafft das auch eine Grundskepsis gegenüber Männern in pädagogischen Berufen und zementiert damit klassische Geschlechterrollen ein. Das macht es Männern noch schwieriger, sich für pädagogische Berufe zu interessieren.
Man wird Übergriffe nie ganz ausschließen können, keine Frage, es gibt aber sehr wohl Möglichkeiten, das frühzeitig besser zu vermeiden. Eine ganz banale Weisheit dabei ist: Man achtet schon bei der Einstellung von Personal auf die Vorgeschichte der Menschen. In anderen Ländern, wie zum Beispiel in Großbritannien, nennt man diesen Vorgang „safe recruitment“, wohl am besten übersetzt mit dem Begriff „sensible Bewerbungsprozesse“: Mit einem Bündel an Maßnahmen wird schon bei Ausschreibung und schließlich im Bewerbungsprozess selbst deutlich signalisiert, dass in diesem Bereich auf Übergriffe geachtet wird und dass solche nicht geduldet werden.
Drei wesentliche Faktoren bestimmen das „safe recruitment“: Erstens wird mit Abschreckung agiert. Ungeeignetes Personal soll von der Bewerbung abgehalten werden, indem klare Botschaften in der Stellenanzeige selbst verschriftlicht werden, nämlich dass die Organisationen strenge Einstellungsrichtlinien zum Schutz der Kinder und Jugendlichen verfolgen.
Zweitens: Identifizieren und Ablehnen. - Ungeeignetes Personal macht häufig nicht korrekte Angaben, um in die Nähe von Kindern zu kommen. Dementsprechend müssen im Recruiting-Prozess alle Angaben von der jeweiligen Organisation überprüft und abgeglichen werden und muss im Fall von Unstimmigkeiten die betroffene Person abgelehnt werden.
Drittens: Vorbeugen und Ablehnen. - Wichtig ist eine strenge Einstiegs- und Probezeit. Das bestehende Personal muss in Bezug auf Anzeichen von Übergriffen gut geschult sein, und die Organisation muss betreffend einen offenen Umgang, der zu Sicherheit führt, gefördert werden. Das heißt, es muss eine Whistleblowing Policy verfolgt werden, was bedeutet, dass Mitarbeiter ermutigt werden, interne und vertrauliche Bedenken an der richtigen Stelle zu äußern.
In keiner der bisherigen Stellenausschreibungen war nach unseren Recherchen eine derartige Formulierung erkennbar, weder bei Ausschreibungen der MA 11 noch bei sozialpädagogischen WGs, Krisenzentren, beim AK NOAH, beim Verein Oase oder bei der Volkshilfe Wien, ebenso wenig bei Malteser Care. - Diese Ausschreibungen waren uns in den letzten Wochen zugänglich.
Mit unserem Antrag fordern wir, dass dieses „safe recruitment“ als Basis für Qualitätssicherung in allen Abteilungen der MA 11 und der MA 10, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, implementiert wird. Mit solchen strukturellen Verbesserungen kann man für die Zukunft viele Übergriffe und Überforderungen vermeiden.
Wir freuen uns, dass Sie das Anliegen ernst nehmen und dass Sie dem Antrag auf Zuweisung zustimmen wollen. Herzlichen Dank dafür! Wir können uns den komplexen Anforderungen der Jugendhilfe nur stellen und sie verbessern, wenn wir das Ganze als komplexes System erkennen und nachhaltig strukturverbessernde Lösungen suchen. Das ständige Herumdoktern nur an einzelnen Stellen bringt uns nämlich leider nicht weiter. - Herzlichen Dank für das Zuhören und guten Tag. (Beifall bei den GRÜNEN.)
Vorsitzende GRin Gabriele Mörk: Zu einer tatsächlichen Berichtigung hat sich Frau GRin Mag. Emmerling zu Wort gemeldet. Bitte, Frau Gemeinderätin.
GRin Mag. Bettina Emmerling, MSc (NEOS): Frau Vorsitzende! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Kollegin Berner!
Zu den Ausführungen ganz am Anfang Ihrer Rede - bei denen viel Vorwurf mit dabei war -, dass Krisenpflegeeltern in Wien 1.500 EUR bekommen, wobei sie gar nichts dafür bekommen, dass sie die Kinder pflegen, sondern nur für die Dokumentation und für ihre Fortbildungsaufwendungen, und so weiter, möchte ich tatsächlich berichtigen.
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