Gemeinderat, 30. Sitzung vom 24.11.2022, Wörtliches Protokoll - Seite 50 von 109
Vorsitzende GRin Dr. Jennifer Kickert: Ich danke für die Anträge. Als Nächster zu Wort gemeldet ist GR Prack. Ich erteile es ihm.
GR Georg Prack, BA (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Vorsitzende! Sehr geehrte Damen und Herren!
Wir haben gerade eine Weltklimakonferenz erlebt, die sehr enttäuschende Ergebnisse gebracht hat. Der Ausstieg aus Öl und Gas hat es nicht einmal ins Abschlussdokument geschafft. Wir befinden uns auf einem Weg zu einer Erderhitzung um mehr als 3 Grad. Das ist ein katastrophaler Weg, Lebensraum für Milliarden Menschen würde vernichtet, Teile unseres Planentens würden unbewohnbar, eine Welternährungskrise wäre die Folge, Hungersnöte, Flüchtlingsbewegungen, Unwetterkatastrophen, Dürren in für uns alle nicht vorstellbarem Ausmaß. Wir haben also keine Zeit, zu warten, bis sich die Weltgemeinschaft zu einem ambitionierteren Kampf gegen die Klimakatastrophe durchringt. Jede Tonne CO2, die wir einsparen, hilft uns dabei, die Katastrophe zu vermindern. Da muss man auf niemanden warten, nicht auf ein Abkommen der Weltgemeinschaft, nicht auf den Bund und im Fall von Wiener Wohnen nicht einmal immer auf Beschlüsse dieses Hauses. (Beifall bei den GRÜNEN.)
Die Klimaneutralität bis 2040 ist für den Gebäudebereich eine große Herausforderung. Der Gebäudesektor verursacht zirka ein Drittel der leitzielrelevanten Treibhausgasemissionen in Wien. Wiener Wohnen ist für 220.000 Gemeindewohnungen und weiter 7.500 Wohnungen in Fremdverwaltung verantwortlich. Die städtischen Wohnhausumlagen umfassen damit zirka ein Viertel des gesamten Wiener Wohnungsbestandes. Deshalb ist es von großer Bedeutung für die Erreichung der Klimaziele im Gebäudebereich, dass Wiener Wohnen ambitionierte Schritte in Richtung Klimaneutralität geht.
Wiener Wohnen ist aber derzeit nicht Vorreiter, Wiener Wohnen ist Schlusslicht bei der Dekarbonisierung und bei der Sanierung. Um das quasi an ein paar Zahlen festzumachen: Bei 44 Prozent der Mietobjekte in städtischen Wohnhausanlagen beruht die Heizungs- und Warmwasserversorgung ganz oder teilweise auf Gasheizungen. Der Rest der Mietobjekte wird vollständig mit Fernwärme versorgt. Insgesamt liegt für 86 Prozent der Mietobjekte die Fernwärme zumindest vor der Tür. Jetzt werden Sie vielleicht sagen: Toll, da sind wir bei Wiener Wohnen ja schon sehr weit. Wenn Sie das denken, sehr geehrte Damen und Herren, dann übersehen Sie aber einen entscheidenden Punkt: Die Fernwärme wird fast vollständig mit fossilem Gas erzeugt, und das Potenzial für die Dekarbonisierung von Fernwärme ist beschränkt.
Mit dem Tiefengeothermieprojekt in Aspern zum Beispiel, das sehr lobenswert ist, können 20.000 Haushalte versorgt werden. Allein im Bereich von Wiener Wohnen sprechen wir vom sechsfachen Bedarf. Das wird sich nicht alles mit dekarbonisierter Fernwärme ausgehen, sehr geehrte Damen und Herren. Wir brauchen die dekarbonisierte Fernwärme auch für jenen Teil der Gebäude, die besonders schwer umzustellen sind. Ein Beispiel sind die gründerzeitlichen Viertel innerhalb des Gürtels. Wenn nun Wiener Wohnen fast ausschließlich auf Fernwärme setzt, dann nimmt das das Potenzial für die Umstellung anderer Gebäude weg. Kurz gesagt, auch Wiener Wohnen muss sich bemühen, auf alternative Wärme- und Kälteversorgung umzustellen, sonst erreichen wir die Klimaziele im Gesamten nicht. Dieses Bemühen, sehr geehrte Damen und Herren, ist nicht erkennbar. Ich kann es nicht anders sagen.
Ich habe eine Anfrage zur erneuerbaren Energieversorgung in städtischen Wohnhausanlagen gestellt und muss sagen, ich bin über den aktuellen Stand immer noch ein bisschen fassungslos. Was glauben Sie, wie viele Photovoltaikanlagen in den 1.670 städtischen Wohnhausanlagen mit Stand 2022 im Einsatz waren? (GR Nikolaus Kunrath: Neun!) Ich sage es Ihnen. (GR Dipl.-Ing. Dr. Stefan Gara: Sie waren zehn Jahre in der Regierung!) Ich sage es Ihnen, es sind acht. Nicht 8 Prozent, es sind 8 Anlagen. Das sind nicht einmal 0,5 Prozent der Wohnhausanlagen. Ich habe mir gedacht, das darf nicht wahr sein. (GR Dipl.-Ing. Dr. Stefan Gara: Das finde ich auch! - GR Dipl.-Ing. Martin Margulies: Wir waren nicht zuständig!) Aber es geht noch weiter. Was glauben Sie, wie viele Solarthermieanlagen es in den städtischen Wohnhausanlagen gibt? Ich sage es Ihnen: 3, 3 Stück in 1.670 Wohnhausanlagen. Das sind mickrige 0,17 Prozent. (GR Dipl.-Ing. Dr. Stefan Gara: Ist das die Bilanz der GRÜNEN in der Regierung?) Aber es wird noch schlimmer. Was glauben Sie, wie viele Wärmepumpenanlagen im Jahr 2022 bei Wiener Wohnen im Einsatz waren? Schlimmer als drei, das ist jetzt nicht mehr ganz so schwierig. Zwei, eine? Ich sage es Ihnen, es sind null, keine einzige. Für die MathematikerInnen unter Ihnen, das sind 0 Prozent.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist nicht genug. Das ist bei Weitem nicht genug, im Gegenteil, es ist Arbeitsverweigerung. (GR Dipl.-Ing. Dr. Stefan Gara: Wie sieht es mit der BIG aus? Wie mit den Universitäten?) Das ist Arbeitsverweigerung in Sachen Klimaschutz und Arbeitsverweigerung in Sachen Leistbarkeit von Betriebskosten. (Beifall bei den GRÜNEN.)
Dabei wäre gerade eine Kombination aus dezentralen Wärmepumpen, Photovoltaikanlagen und Sanierung nicht nur die beste Variante fürs Klima, es wäre auch die kostengünstigste Variante für die MieterInnen. (GR Dipl.-Ing. Dr. Stefan Gara: Das hat es alles schon gegeben! Vor sieben Jahren, vor zehn Jahren!) Mit Ihrer Untätigkeit schaden Sie nicht nur dem Klima, Sie schaden auch den Mieterinnen und Mietern im Gemeindebau und ihrem Geldbörsel. (Beifall bei den GRÜNEN.)
Eine extreme Herausforderung besteht aber auch bei der Sanierung des Gemeindebaus. 27 Prozent der Gemeindewohnungen liegen in Wohnhausanlagen, die länger als 30 Jahre nicht mehr saniert wurden, manche davon noch nie. Zusätzlich wird bis 2040 die Sanierung von weiteren 757 Wohnhausanlagen, in denen sich mehr als 100.000 Wohnungen befinden, fällig. Wir müssen also bis 2040 1.439 städtische Wohnhausanlagen sanieren, in denen 76 Prozent der Gemeindewohnungen liegen. Eine immense Herausforderung, die im Wirtschaftsplan von Wiener Wohnen, der uns gerade vorliegt, in keiner Weise abgebildet ist. Deshalb können wir diesem Wirtschaftsplan, sehr geehrte Damen und Herren, leider auch nicht zustimmen.
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