Gemeinderat, 13. Sitzung vom 22.09.2021, Wörtliches Protokoll - Seite 72 von 118
haben, wo Sie sich ja auch geweigert haben, besonders schutzbedürftige Menschen aufzunehmen?
Wir erinnern uns sehr gut, da ist Herr Innenminister Nehammer dagestanden und hat sich feiern lassen, wie er medienwirksam tonnenweise Zelte übergeben hat, Zelte, die jetzt in irgendwelchen Containern verrotten und die keiner vor Ort braucht. Ist das die humanitäre Hilfe vor Ort, von der die ÖVP im Zusammenhang mit diesem Antrag spricht? Es tut mir leid, alles, was ich hier bei dieser humanitären Hilfe erkenne, ist eine beschämende, eine bigotte Peinlichkeit.
Das weltweit renommierte Overseas Development Institute veröffentlichte 2020 ein Ranking der Qualität von Hilfeleistung von 29 Geberstaaten. Wissen Sie, welchen Platz Österreich belegt hat? - Platz Nummer 27. Das ist beschämend, das ist peinlich, das ist die Verantwortung der neuen Österreichischen Volkspartei.
Sehr geehrte Damen und Herren von der Österreichischen Volkspartei - speziell an Herrn Kollegen Taborsky: Sie erzählen ja auch sehr gerne die Geschichte vom überproportionalen Beitrag, den Österreich beim Thema humanitäre Hilfe leistet. Es ist wurscht, wie oft Sie diese Geschichte erzählen, sie ist falsch, sie ist unwahr. Als Messlatte gilt hier, auch in Ihrem Regierungsprogramm, ein Anteil von 0,7 Prozent Bruttonationaleinkommen für die Entwicklungszusammenarbeit und für humanitäre Hilfe. Wissen Sie, wie viel Österreich ausgibt? - 0,29 Prozent. Das ist weit entfernt von den 0,7 Prozent, die Sie sich in der Regierungserklärung vorgenommen haben, und das ist auch weit unter dem OECD-Durchschnitt. Also hören Sie bitte auf, diese Geschichte vom überproportionalen Beitrag Österreichs zu erzählen. Sie ist unwahr, sie ist falsch, egal, wie oft Sie diese Geschichte erzählen.
Sehr geehrte Damen und Herren von der Österreichischen Volkspartei! Es gibt leider keine Impfung gegen Kaltherzigkeit. Würde es eine Impfung gegen Kaltherzigkeit geben, müssten Sie diese nehmen, wenn ich mir Ihre Haltung beim Thema Aufnahme besonders gefährdeter Menschen aus Afghanistan oder Aufnahme von schutzbedürftigen Kindern aus den Elendslagern in Moria und Kara Tepe anschaue. Im Übrigen: Humanitäre Hilfe vor Ort und die Aufnahme von schutzbedürftigen Menschen schließen sich nicht gegenseitig aus, wie Sie das immer darstellen.
Abschließend möchte ich Ihnen noch mitgeben: Es ist beschämend, wenn ich Ihnen heute zugehört habe, was aus der ehemaligen christlich-sozialen Wertehaltung Ihrer Partei geworden ist. Vielen Dank.
Vorsitzende GRin Dr. Jennifer Kickert: Als Nächste zu Wort gemeldet ist GRin Aslan. Ich erteile es ihr.
GRin Mag. Aygül Berivan Aslan (GRÜNE): Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben nicht einmal eine humanitäre Krise verdaut, da kommt schon die nächste. Derzeit ist auch nicht zu vergessen, dass nicht nur Afghanistan aktuell ist, sondern es herrscht auch eine Krise im Irak, wo die schiitische Bevölkerung massiv angegriffen wird. Und schon wieder müssen wir zuschauen, wie tausende Menschen Opfer außenpolitischer Fehlentscheidungen werden. Und schon wieder sehen wir Bilder, wie Babys an fremde Soldaten übergeben werden, wie Kinder verzweifelt mit vollen Augen in Dreck und Asche nach ihren Eltern suchen, wie Frauen sich in den Kellern verstecken und auf ihre Mörder warten. Es blutet uns das Herz, wenn wir diese Bilder sehen und auch diese Berichte lesen.
Es ärgert mich, es macht mich wütend, dass die internationale Staatengemeinschaft wieder die afghanische Bevölkerung im Stich gelassen hat. Ich erinnere Sie daran, dass die Krise in Afghanistan nicht gestern ausgebrochen ist, sondern dass es seit über 40 Jahren Krieg in Afghanistan gibt und Unstabilität herrscht. Man kann nicht heute so zu tun, als wäre das gestern passiert und wir wären heute unvorbereitet auf diese Krise, die auf uns zukommt.
Dadurch, dass diese Krise eben sehr lang gedauert hat, wissen wir auch nicht, wie viele Menschen tatsächlich geflüchtet sind, weil immer wieder Menschen aus Afghanistan fliehen mussten, weil sie keine Zukunftsvisionen für sich und ihre Familien gesehen haben.
Erschreckend ist auf jeden Fall das Schicksal der Frauen und Mädchen in Afghanistan. In der ersten Regierungszeit der Taliban litten Frauen und Mädchen extrem unter patriarchalen Strukturen, Misshandlungen, Zwangsverheiratungen und struktureller Gewalt und Hinrichtungen. In den vergangenen 20 Jahren gab es ein bisschen Aufatmen in Bezug auf Frauenrechte. Das bedeutet, die feministischen Gruppierungen, die Frauenrechtlerinnen und auch selbstbestimmte Frauen haben ein bisschen zur Normalität zurückkehren können.
Was ist passiert? - Kaum sind die Taliban zurück, werden diese Errungenschaften jetzt leider Stück für Stück, teilweise mit Gewalt zurückgedrängt. Hier einfach wegzuschauen, ist nicht nur politisch verantwortungslos, sondern es ist menschlich unsolidarisch, denn eine Gesellschaft, die ihre Mitmenschen wissentlich und auch bewusst im Stich lässt, kann nur eine Gesellschaft sein, die unsolidarisch ist.
Jetzt komme ich zum ÖVP-Antrag: Hilfe vor Ort ist wichtig und richtig. Als Nationalrätin habe ich auch einmal einen Antrag über Hilfe vor Ort eingebracht, der sogar - ich habe mich damals als Oppositionspolitikerin wirklich gewundert - einstimmig im österreichischen Parlament beschlossen, jedoch nicht umgesetzt wurde. Das war in Ihrer Verantwortung. Ich habe schon einige Anträge von Ihnen gesehen, die mit Hilfe vor Ort zu tun gehabt haben. Anscheinend verstehen wir unter Hilfe vor Ort etwas anderes.
Hilfe vor Ort - no na ned, natürlich ist sie wichtig, aber das eine schließt das andere nicht aus. Warum soll man nicht auch schutzsuchende Menschen aufnehmen? Was ich nicht verstehe, ist natürlich auch die realitätsfremde Menschenrechtspolitik der ÖVP. Jetzt haben Sie einige Zahlen, Daten und Statistiken genannt. UNHCR rechnet allein für das Jahr 2021 mit 314 Millionen EUR, um die geflüchteten Menschen rund um Afghanistan zu versorgen. Die 18 Millionen EUR, die die ÖVP zur Verfügung stellt, ist wirklich ein Tropfen auf den heißen Stein. Hier
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